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Survival of the Richest 

Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind | Eine scharfsinnige Analyse

von Douglas Rushkoff

Reihe: edition suhrkamp
ISBN: 9783518029992
Verlag: Suhrkamp
Übersetzung: Stephan Gebauer
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 281 Seiten
Erscheinungsdatum: 23.02.2025
Preis: € 22,70

Kurzbeschreibung des Verlags

Spätestens seit der Allianz von Donald Trump und Elon Musk ist klar: Die Tech-Mil­liar­däre sind nicht nur die reichs­ten Män­ner der Welt, es geht ihnen auch um poli­ti­sche Macht und um die radi­ka­le Um­ge­stal­tung von Ge­sell­schaft und Natur.

Als Douglas Rushkoff eine Ein­la­dung in ein ex­klu­si­ves Wüs­ten­re­sort er­hält, nimmt er an, dass er dort über Zu­kunfts­tech­no­lo­gien spre­chen soll. Statt­des­sen sieht er sich Mil­liar­dä­ren ge­gen­über, die ihn zu Luxus­bun­kern und Mars­ko­lo­nien be­fra­gen. Wäh­rend die Welt mit der Kli­ma­katas­tro­phe und so­zi­a­len Kri­sen ringt, zer­bre­chen sich diese Män­ner den Kopf, wie sie im Fall ei­nes Sys­tem­kol­lap­ses ihre Pri­vat­ar­meen in Schach hal­ten können.

Der Medientheoretiker Rushkoff verfolgt die Inter­net­re­vo­lu­tion seit Jahr­zehn­ten, ist Er­fin­der der Be­grif­fe »viral gehen« und »Digi­tal Na­tives«, be­wegte sich lange im Kreis von Vor­den­kern und krea­ti­ven Zer­stö­rern. In ei­ner Zeit, in der Elon Musk und Peter Thiel sich im­mer stär­ker in die Poli­tik ein­mi­schen, re­kon­stru­iert er, wie aus der Auf­bruchs­stim­mung der 1990er ein Pro­gramm aus Angst und Größen­wahn wer­den konnte. Viele Tech-Unter­neh­mer wol­len uns Nor­mal­sterb­liche ein­fach nur hin­ter sich las­sen, wer­den aber als Vi­sio­näre ge­feiert. An­ge­sichts der Zer­rüt­tun­gen, die ihre Ge­schäfts­mo­del­le pro­du­zie­ren, müs­sen wir uns von ihrem Mind­set be­freien – denn mit­neh­men wer­den sie uns auf ihrem Exo­dus sicher nicht.


Ein flammendes Plädoyer gegen Egomanie und für die Wieder­ent­deckung ko­opera­ti­ven Han­delns


FALTER-Rezension

Das irre Mindset von Musk &Co

Barbaba Tóth in FALTER 22/2025 vom 30.05.2025 (S. 18)

Douglas Rushkoff ist der Stichwortgeber der digitalen Revo­lu­tion, wie kein an­de­rer analy­siert der Me­dien­theo­re­ti­ker die großen Ver­än­de­run­gen der Sili­con-Val­ley-In­dus­trie. Er lie­fert ein er­schrecken­des Psy­cho­gramm der Tech-Mil­liar­däre, be­schreibt ihren Es­kapi­smus und to­tali­täre Ideen.


Von der Hippie-Kommune zum Technofaschismus

Matthias Dusini in FALTER 13/2025 vom 28.03.2025 (S. 16)

Eine Einladung in ein Luxushotel wurde für Douglas Rush­koff zum Schlüs­sel­er­leb­nis. Eine Grup­pe von Mil­liar­dä­ren hat­te den Au­tor für ei­nen Vor­trag en­ga­giert, und er machte sich auf Fra­gen zur techno­lo­gi­schen Ent­wick­lung ge­fasst. Doch er saß Män­nern ge­gen­über, die zwar von der di­gi­ta­len Revo­lu­tion pro­fi­tier­ten. Statt aber von der Zu­kunft zu schwär­men, setz­ten sie erns­te Ge­sichter auf.
Rushkoff traf auf Pessimisten, die vom nahen Ende über­zeugt sind. Sie woll­ten wis­sen, wie stark Neu­see­land vom Klima­wan­del be­trof­fen sei. Wie ver­trauens­wür­dig sind Si­cher­heits­dienste? Da­von über­zeugt, dass Um­welt­kol­laps, Atom­bom­ben und Epi­de­mien die Welt ins Chaos stür­zen wer­den, zie­hen sich die­se In­ves­to­ren in unter­ir­di­sche Bun­ker­an­lagen zurück.

Rushkoff, der sich selbst einen marxistischen Medien­theo­re­ti­ker nennt, be­schreibt in sei­nem Buch "Sur­vival of the Richest" den Ty­pus des sozio­pa­thi­schen Außen­sei­ters. Bis­her as­so­zi­ier­te man da­mit Son­der­linge, die vor der Zivi­li­sa­tion in den Wald flie­hen. Laut Rush­koffs Recher­che fin­det die­ser Rück­zug je­doch bei den obe­ren Zehn­tau­send statt. Im­mer mehr Oli­gar­chen glau­ben, dass der Dooms­day (der Jüngste Tag) un­mit­tel­bar be­vor­steht.

Reiche Leute erzeugten in den USA bisher durch philan­thro­pi­sche Ga­ben zu­min­dest den An­schein, als wür­den sie eine größe­re so­zia­le Gleich­heit an­stre­ben. Tradi­tio­nell bil­dete wis­sen­schaft­liche und tech­ni­sche Inno­va­tion außer­dem den Kern der mo­der­nen Fort­schritts­er­zäh­lung: mög­lichst vie­len das Leben zu er­leich­tern.

Nun hätten jene das Sagen, die sich vor dem dro­hen­den Zu­sam­men­bruch in Sicher­heit brin­gen wol­len. Als Bei­spiel nennt Rush­koff Tesla-Grün­der Elon Musk, der eine Mil­liar­därs­sied­lung auf dem Mars plant, oder KI-Visi­o­när Ray Kurz­weil, der be­ab­sich­tigt, sei­nen Geist in ei­nen Super­com­pu­ter hoch­zu­laden. Auf die in Armut und Krieg ver­sin­ken­den Mas­sen herab­blickend, kennt der Geld­adel kei­ne mo­ra­li­schen Skru­pel mehr: "In ihren Au­gen er­füllt die Techno­lo­gie der Zu­kunft nur ei­nen Zweck: Sie sollte ih­nen hel­fen, vor dem Rest von uns zu fliehen."

"Survival of the Richest" liefert keine Theorie des Silicon Valley. Rush­koff zeich­net viel­mehr mit Anek­do­ten und per­sön­li­chen Beo­bach­tun­gen das Bild ei­nes dro­hen­den Auto­ri­ta­ris­mus. Macht ver­bün­det sich in die­sem Sze­na­rio -vor dem Hin­ter­grund ei­nes kol­la­bie­ren­den Ge­mein­we­sens -mit Tech­no­lo­gie. Rush­koffs ei­ge­ne Bio­gra­fie macht die Schil­de­rung glaub­würdig.

Ausführlich erinnert er an die Frühzeit des Cyberspace, als Pio­niere LSD nah­men und von ei­ner Ver­schmel­zung mit dem Kos­mos und der vir­tuel­len Ver­net­zung der gan­zen Mensch­heit träum­ten. "An­fang der 1990er-Jahre wa­ren die Gren­zen zwi­schen der psy­che­de­li­schen Kul­tur und der Welt der Pro­gram­mie­rer fließend", er­in­nert sich Rush­koff. "Die Soft­ware­ent­wick­ler, die tags­über den Code für Apple schrie­ben, kratz­ten nach Feier­abend Peyote­knos­pen von Kak­teen und wa­ren die ganze Nacht high."

Frühe Nerds produzierten Shareware, die von allen kosten­los ge­nutzt wer­den sollte. Erst lang­sam ka­men In­ves­to­ren und frag­ten, wie viel man mit die­ser ihnen frem­den Spie­le­rei ver­die­nen kön­ne. Um das Jahr 2000 ent­deckte die Wall Street das Sili­con Val­ley - und so ge­riet die digi­ta­le Sub­kul­tur in den Mahl­strom der fi­nan­ziel­len Spe­ku­la­tion. Aktien­kurse tö­te­ten den opti­mis­ti­schen Hippie-Geist.

Davon profitierten jene, die sich heute in Prepper-Manier in Festungen ver­bar­ri­ka­die­ren -eine End­zeit­sekte der Super­rei­chen. Mit Zugang zum Weißen Haus.


Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.03.2025

Viel über die Ideologie der Superreichen der Gegen­wart er­fährt Rezen­sent Tobias Ober­meier in Doug­las Rush­koffs Buch, das sei­nen An­fang bei ei­nem Tref­fen nimmt, zu dem ei­ni­ge die­ser Reichen aus der Tech-Bran­che den Autor ein­luden, um zu er­fah­ren, wie sie den von ihnen selbst be­feuer­ten Katas­tro­phen am bes­ten ent­kom­men kön­nen, zum Bei­spiel mit­hilfe von Luxus­bun­ker­sys­te­men. Eb­en das ist Rush­koff zu­folge ty­pisch für den "Mind­set" - auch in der deut­schen Über­set­zung ist das der zen­tra­le Be­griff - der Super­rei­chen, die da­rauf hof­fen, den Prob­le­men, die sie selbst aus­lö­sen, durch tech­ni­sche In­no­va­tion zu ent­kom­men, skiz­ziert Ober­meier. Was laut Rush­koff aller­dings nicht funk­tio­nie­ren wird. Ober­meier fragt sich, ob die be­schrie­be­nen Mecha­nis­men nicht schlicht Kapi­ta­lis­mus as usual sind, ver­weist dann aber mit Rush­koff da­rauf, dass das Neue in der Hoff­nung der Eli­ten be­steht, sich selbst auf eine hö­here Ab­strak­tions­ebe­ne, et­wa ins Zucker­berg'sche so­ge­nannte "Meta­verse" zu ret­ten, wähvrend der Rest der Welt vor die Hun­de geht. Mit klas­si­sch kapi­ta­lis­ti­schem Wett­be­werb hat das nicht mehr viel zu tun, er­kennt Ober­meier bei der Lek­türe, um­so mehr mit den anti­demo­kra­ti­schen Vi­sio­nen ei­nes Trump oder Musk. Ins­ge­samt je­den­falls ein ziem­li­cher Wahn­witz, von dem Rush­koffs le­sens­wer­tes Buch be­rich­tet, schließt der Re­zen­sent, dem letzt­lich nur die Hoff­nung bleibt, dass Musk und ähn­li­che Ge­stal­ten sich frü­her oder spä­ter selbst ein Bein stellen.

Posted by Wilfried Allé Monday, June 9, 2025 9:29:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Klimaungerechtigkeit 

Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat
Gewinnerin des deutschen Umweltpreises 2023

ISBN: 9783548070391
Verlag: Ullstein Taschenbuch Verlag
Sammlung: Neue Taschenbücher
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 336 Seiten
Erscheinungsdatum: 27.02.2025
Preis: € 15,50
 
Kurzbeschreibung des Verlags

Wie gerecht kann eine Welt in der Klimakrise sein?

Der Klimawandel trifft uns nicht alle gleich. Friede­rike Otto lie­fert an­hand von acht ex­tre­men Wet­ter­er­eig­nis­sen kon­kre­te Bei­spie­le, was die wirk­li­chen Ur­sa­chen sind, wer be­son­ders be­trof­fen ist und vor al­lem: Was Klima­ge­rech­tig­keit tat­säch­lich be­deu­tet und was da­für noch ge­tan wer­den muss. Der Klima­wan­del zer­stört nicht die Mensch­heit, aber Men­schen­le­ben und Le­bens­grund­la­gen. Wir stau­nen über Re­kord­tem­pera­tu­ren, Wind­ge­schwin­dig­keiten und Re­gen­men­gen, aber fra­gen uns zu wenig, wer ihnen be­son­ders aus­ge­setzt ist, wer sich nicht er­holen kann - und wa­rum. Un­gleich­heit und Un­ge­rech­tig­keit sind der Kern des­sen, was den Klima­wan­del zum Mensch­heits­prob­lem ma­chen. Da­mit müs­sen Fair­ness und glo­ba­le Ge­rech­tig­keit auch im Kern der Lö­sung stecken. Klima­ge­rech­tig­keit geht jed­en et­was an.

Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste Februar 2024

Posted by Wilfried Allé Friday, May 16, 2025 9:35:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Souveräne Entscheidungen 

Vom Werden und Vergehen der Demokratie

Über kritische Wegmarken der Demokratiegeschichte

von Philipp Lepenies

ISBN: 9783518128442
Reihe: edition suhrkamp
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 264 Seiten
Erscheinungsdatum: 31.03.2025
Preis: € 20,60
 
Kurzbeschreibung des Herstellers:

Wie gelang in England, den USA oder in Fran­kreich einst der Sys­tem­wech­sel zur par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie? Wel­che Gründe führ­ten ihre Be­für­wor­ter an? Und wa­rum voll­zog sich die­ser Wan­del in Deutsch­land erst re­la­tiv spät?

Um diese Fragen zu beantworten, befasst Philipp Lepenies sich mit Weg­mar­ken der Demo­kra­tie­ge­schichte. Zu sei­nen Pro­ta­go­nis­ten zäh­len die eng­li­schen Level­lers, der Ameri­ka­ner James Madi­son und der Fran­zose Abbé Sieyès, Georg Fors­ter in Mainz, Fried­rich Jucho in Frank­furt und Hugo Preuß in Wei­mar. Aus dem Wis­sen um das Wer­den der Demo­kra­tie las­sen sich Er­kennt­nis­se ge­win­nen, die hel­fen, sich ge­gen ihr dro­hen­des Ver­ge­hen zu stem­men – in einer Zeit, in der sich der Sou­verän im­mer häu­fi­ger ge­gen das Sys­tem ent­schei­det, das ihm die höchs­te poli­ti­sche Macht einräumt.

Leseprobe ->

Posted by Wilfried Allé Monday, May 12, 2025 11:52:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Digitaler Humanismus 

Über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz

von Hannes Werthner

ISBN: 9783711721594
Verlag: Picus Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 160 Seiten
Erscheinungsdatum: 26.02.2025
Preis: € 24,00

 
Kurzbeschreibung des Herstellers:


Die Informationstechnologie (IT) verändert uns, unsere Gesell­schaft, unse­re Welt, von der indi­vi­du­el­len Ebe­ne bis hin zu geo­poli­ti­schen Macht­spie­len. Sie be­ein­flusst auch, wie wir die Welt se­hen und über sie den­ken. Die­ser Wan­del ge­schah in ei­ner für die Ge­schich­te der Mensch­heit ex­trem kur­zen Zeit­span­ne, mit sehr ho­her Ge­schwin­dig­keit. Und er dau­ert an – mit Künst­li­cher Intel­li­genz als ak­tuell heraus­ra­gen­dem Bei­spiel. IT hat das Po­ten­zial, zur Lö­sung der Kri­sen die­ser Welt bei­zu­tra­gen, unse­re Welt bes­ser zu ma­chen, gleich­zei­tig ist sie Teil des Prob­lems (für man­che so­gar die Ursache).
Hannes Werthner thematisiert die fort­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung (in­klu­sive Künst­liche Intel­li­genz), be­schreibt die enor­men Mög­lich­keiten, die sich da­raus er­ge­ben, und ana­ly­siert auch de­ren gra­vie­rende Mängel.
Sein Konzept des digitalen Humanis­mus ver­steht sich als Ant­wort auf die­se Si­tua­tion und will – ne­ben der Ana­lyse der Wech­sel­wir­kung von Men­sch und Ma­schine  – durch ak­ti­ve Ein­fluss­nah­me digi­ta­le Tech­no­lo­gien ge­stal­ten und re­geln, so­dass sie zum Wohl von Men­sch und Na­tur ein­ge­setzt werden.

Posted by Wilfried Allé Thursday, May 8, 2025 3:33:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Mehr als Geld 

Warum Ungleichheit unsere Zukunft bedroht

von Rosa Lyon

ISBN: 9783710608575
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 176 Seiten
Format: Hardcover
Verlag: Brandstätter Verlag
Sammlung: Zukunft denken
Erscheinungsdatum: 19.03.2025
Preis: € 25,00

Kurzbeschreibung des Verlags

Zu Ungleichheit haben alle eine Meinung. Die Unter­schiede zwi­schen oben und un­ ten sor­gen schnell für hit­zige De­bat­ten. Doch oft ist un­klar, was mit Un­gleich­heit über­haupt ge­meint ist: Geht es um Ein­kom­men, Ver­mögen, Kon­sum, Chan­cen oder Ge­sund­heit – oder um al­les zu­sam­men? Die meis­ten sind sich ei­nig, dass die Un­gleich­heit zu groß ist und ver­rin­gert wer­den sollte. Die Fra­ge ist nur, wie stark.
Die studierte Ökonomin und Journalistin Rosa Lyon bie­tet ei­nen er­hel­len­den und nüch­ter­nen Blick auf die viel­fäl­ti­gen Fa­cet­ten der Un­gleich­heit. Sie for­dert uns auf, un­sere An­nah­men und Vor­ur­tei­le zu hin­ter­fra­gen und hin­ter die Zah­len zu blicken.
Wir leben in einer Gesellschaft, die glaubt, dass Leis­tungs­be­reit­schaft und Ta­lent die so­zia­le Posi­tion be­stim­men. Doch die Rea­li­tät sieht an­ders aus: Weit wich­ti­ger als Fähig­kei­ten und An­stren­gun­gen ist die Fa­mi­lie, in die man hi­nein­ge­bo­ren wird. So­zia­les, kul­tu­rel­les und öko­no­mi­sches Kapi­tal wer­den wei­ter­ge­ge­ben, und der Sta­tus wird vererbt.
Das Buch macht deutlich, dass Ungleichheit nicht natur­ge­ge­ben ist, son­dern von Men­schen ge­macht. In frü­hen Jäger- und Samm­ler­ge­sell­schaf­ten war es kaum mög­lich, Be­sitz an­zu­häu­fen. Erst mit Sess­haf­tig­keit und Land­wirt­schaft be­gan­nen sich wirt­schaft­li­che Unter­schie­de ab­zu­zeich­nen. Be­sitz­lose Bauern stan­den ihren Feu­dal­her­ren ge­gen­über. Das Kon­zept des Pri­vat­eigen­tums, das recht­lich durch den Staat ge­schützt wi­rd, war eine auf­klä­re­ri­sche Idee.
Rosa Lyon zeigt, wie sich ökonomische Ungleich­heit auf Bil­dung, Lebens­dauer und das Klima aus­wirkt, wel­che Rol­le Ge­schlecht und Her­kunft spie­len und vor al­lem, wie Un­gleich­heit unse­re Ge­sell­schaft spal­tet, Kri­sen ver­schärft und un­sere Zu­kunft ge­fähr­det. Die­ses Buch ist un­ver­zicht­bar, um Wirt­schaft bes­ser zu ver­ste­hen und die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len. Etwa: Wie viel Ar­mut und wie viel Reich­tum wol­len wir in un­se­rer Ge­sell­schaft?

FALTER-Rezension

Was uns der gestiefelte Kater über Un­gleich­heit erzählt

Eva Konzett in FALTER 19/2025 vom 09.05.2025 (S. 18)

Probieren wir ein kleines Gedanken­ex­peri­ment. Wenn das ge­samte öster­rei­chi­sche Ver­mö­gen eine Tor­te wäre, dann könn­ten auf ei­ner Party die fünf reichs­ten Pro­zent fast die hal­be Tor­te da­von es­sen, wäh­rend 50 Pro­zent der Be­völ­ke­rung sich weni­ger als ein Tor­ten­stück tei­len müss­ten. So un­gleich ist Ver­mö­gen in Öster­reich - und nicht nur hier -ver­teilt. Ten­denz: stei­gend. Aber ist das über­haupt ein Pro­blem? Ist Un­gleich­heit nicht ein An­reiz für die Ärme­ren, nach oben zu stre­ben? Und was sagt die Ver­mö­gens­ver­tei­lung über die Le­bens­qua­li­tät der Men­schen und ihre so­zi­a­le Ab­si­che­rung aus?
Normalerweise kümmern sich Ökonomen in Fach­publi­ka­tio­nen um die­se Sach­ver­halte. Die ORF-Jour­na­lis­tin Rosa Lyon - sie hat selbst Volks­wirt­schaft stu­diert - lie­fert nun in ei­nem Buch Ant­wor­ten auch für die in­ter­es­sier­te Masse.

Zügig erzählend und gut - vielleicht fast ein bisschen zu eif­rig -doku­men­tie­rend tas­tet Lyon sich an die Fra­gen he­ran, zi­tiert Pop­kul­tur (so die Pros­ti­tuier­te Vivian aus "Pretty Woman" als Bei­spiel für nicht vor­han­de­nes so­zia­les Kapi­tal oder den Kana­rien­vo­gel des AKW-Be­sit­zers in den "Simp­sons" als Bei­spiel für ver­schlei­erte Ver­mö­gens­werte) so­wie die Ge­brü­der Grimm. Dann näm­lich, wenn das Mär­chen vom ge­stie­fel­ten Ka­ter den Le­sern den hoch­kom­plexen Gini-Koef­fi­zien­ten näher­bringt.

Der Gini-Koeffizienz ist eine Messgröße für Un­gleich­heit in ei­ner Ge­sell­schaft, die er auf einer Skala von null (per­fek­te Gleich­heit) bis eins (per­fekte Un­gleich­heit) auf­lis­tet. Lyon ge­lingt es nicht nur, das Kon­zept an­schau­lich zu ma­chen, sie ar­bei­tet gleich­zei­tig des­sen Schwä­chen he­raus. So han­delt es sich um eine mathe­ma­ti­sche Vor­gangs­weise und nicht um eine mo­ra­li­sche Wer­tung. Ein­fluss­fak­to­ren blen­det der Gini-Koef­fi­zient aus. Und selbst sei­ne Aus­sa­ge­kraft ist be­schränkt. Ers­tens weil "es in der For­schung kei­ne aus­rei­chen­den Da­ten und Zah­len gibt, um ein um­fas­sen­des Bild über die öko­no­mi­sche Ver­tei­lung des Wohl­stands zu zeich­nen", wie Lyon schreibt. Vor al­lem aber auch, weil die­se Mess­größe ei­nen ent­schei­den­den Gleich­macher unter den Tisch kehrt. Den So­zial­staat.

Wer beispielsweise in Österreich lebt, (noch) nicht um sei­ne Ge­sund­heits­ver­sor­gung oder sei­ne Pen­sion ban­gen muss, der muss auch weni­ger an­spa­ren. Er kann Lebens­ri­si­ken out­sour­cen und das Geld statt­des­sen aus­ge­ben. Der Gini-Koef­fi­zient wür­de die­se Per­son als arm mes­sen. Am an­de­ren Ska­len­ende steht ein be­son­ders rei­cher Mensch in ei­nem ero­die­ren­den Staat. Er muss mehr Geld auf­wen­den, um sein Ver­mö­gen ab­zu­si­chern (und sei es durch phy­si­sche Bar­rie­ren wie Sta­chel­draht). Eine we­sent­lich "är­mere" Mil­lio­nä­rin im öster­rei­chi­schen Rechts­staat kann sich aus­ruhen. Ihr Ver­mö­gen ist vor dem Zu­griff an­de­rer ge­schützt -in Form von Poli­zei­beam­ten und durch bei funk­tio­nie­ren­den Ge­rich­ten ein­klag­bare Eigen­tums­rechte.

Wir lernen Mansa Musa kennen, der der reichste Mann der Ge­schichte ge­we­sen sein soll (bis Elon Musk kam) und der - er lebte im 14. Jahr­hun­dert -sein gan­zes Gold im­mer mit­schlep­pen musste. Wir ler­nen vom Un­sinn des Eigen­heims und sei­ner Rol­le als Um­ver­tei­lung von un­ten nach oben, von den Fall­stricken der Merito­kra­tie und den mög­li­cher­weise öko­no­mi­schen Ur­sachen der Fentanyl­krise in den USA.

Geschickt verbindet Lyon die Aktualität mit ideen­ge­schicht­li­cher Grund­lage und den für das Ver­ständ­nis hilf­rei­chen er­zäh­le­ri­schen Pas­sa­gen. Um letzt­lich zu die­sem Fa­zit zu kom­men: "Für die Wirt­schaft gel­ten keine Natur­ge­setze. Wirt­schaft funk­tio­niert so, wie wir sie ge­stal­ten."Kon­­trol­­le der Ka­pi­­tal- und Han­­dels­­ströme. Da­mit wäre auch die De­­bat­­te um Mi­­gra­­tion ent­­schärft: Rechts­­po­­pu­­lis­­ten wür­­den nicht dort be­­son­­ders da­­zu­­ge­­win­­nen, wo vie­­le Mi­­gran­­ten le­­ben, son­­dern dort, wo Ar­­beits­­plät­ze ver­­schwinden.

Posted by Wilfried Allé Wednesday, May 7, 2025 9:10:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Die Kämpfe der Zukunft 

Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert

von Thomas Piketty, Michael Sandel

ISBN: 9783406832475
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 158 Seiten
Format: Hardcover
Übersetzung: Stefan Lorenzer
Sammlung: Zukunft denken
Unsere Bestseller
Erscheinungsdatum: 02.04.2025
Preis: € 20,60

Kurzbeschreibung des Verlags

Gleichheit und Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert

Ein Gipfeltreffen der Superstars: Thomas Piketty, der Öko­nom aus Paris, und Michael J. Sandel, der Philo­soph aus Har­vard, dis­ku­tieren über Gleich­heit und Ge­rech­tig­keit. Stets haben sie da­bei die ak­tuel­len Fra­gen im Blick: die wach­sen­de so­zia­le Un­gleich­heit, den Klima­wan­del, die Mas­sen­mi­gra­tion, den Auf­stieg der Rech­ten, die Zu­kunft der Lin­ken. Wenn zwei der klügs­ten Köpfe unse­rer Zeit die Kern­the­men unse­rer Zeit er­ör­tern, dann er­gibt das nicht nur viel Stoff zum Nach­den­ken, son­dern be­rei­tet auch ein großes intel­lek­tuel­les Vergnügen.

Wir leben in einer Zeit tiefer poli­ti­scher In­sta­bi­li­tät und schwe­rer Um­welt­kri­sen. Was ist zu tun, um ge­gen­zu­steu­ern? Piket­ty und Sandel stim­men in vie­len Punk­ten über­ein: Wir brau­chen mehr In­ves­ti­tio­nen in in­klu­si­ve Ge­sund­heit und Aus­bil­dung, hö­here pro­gres­si­ve Steu­ern, kla­re Gren­zen für die Macht des Reich­tums und der Märk­te. Aber wie kom­men wir da­hin? Und sol­len wir ma­te­riel­len Wohl­stand oder so­zia­len Wan­del pri­o­ri­sie­ren? Schließ­lich: Wie ist es um all die­se The­men be­stellt, wenn über­all auf der Welt ein neu­er radi­ka­ler Natio­na­li­smus auf dem Vor­marsch ist?

FALTER-Rezension

It's not the economy, stupid! Es geht auch um die Würde

Georg Renöckl in FALTER 12/2025 vom 21.03.2025 (S. 24)

Schauplatz eins: Bill Clinton prägte einst den herab­las­sen­den, aber er­folg­rei­chen Spruch "It' s the economy, stupid". "Es ist die Wirt­schaft, Dumm­kopf!" Der Demo­krat ge­wann die US-Wah­len 1992 mit der Er­kennt­nis, dass die Wirt­schaft Wah­len ent­schei­det. Schau­platz zwei: Den Ver­hand­lun­gen zwi­schen FPÖ und ÖVP ver­dan­ken wir eine kur­ze De­bat­te über die Men­schen­rechte, de­ren ers­ter Ar­ti­kel lau­tet: "Alle Men­schen sind frei und gleich an Wür­de und Rech­ten geboren".
Was das eine mit dem anderen und beides mit der ak­tu­el­len Welt­lage zu tun hat?
Das er­klä­ren der in Har­vard leh­ren­de Philo­soph Michael Sandel und der fran­zö­si­sche Star-Öko­nom Thomas Piket­ty in ei­nem Ge­spräch an der Paris School of Eco­no­mics. Der Ver­lag spricht von ei­nem "Gipfel­tref­fen der Super­stars".

Die Frage nach Gleichheit und Gerechtigkeit ist der rote Faden des nun in Buch­form vor­lie­gen­den Ge­sprächs, das vor dem düs­te­ren Hin­ter­grund des Sie­ges­zugs von Do­nald Trump statt­fin­det. Dennoch blickt Thomas Piket­ty zu Be­ginn mit Opti­mis­mus in die Ver­gan­gen­heit. Schließ­lich sei die Un­gleich­heit noch vor 100 Jah­ren we­sent­lich aus­ge­präg­ter ge­we­sen - und wurde letzt­lich er­folg­reich be­kämpft. Der da­mals er­reich­te Ge­sell­schafts­ver­trag, in dem die Reichs­ten in den USA mit einem Spit­zen­steuer­satz von bis zu 90 Pro­zent zum So­zial­staat bei­tru­gen, ist heu­te frei­lich ka­putt. Da die Super­rei­chen kei­nen adä­qua­ten Bei­trag mehr leis­ten, wei­gert sich auch der Mit­tel­stand, für die Är­me­ren mit­zu­zahlen.

Michael Sandel sieht die Verantwortung für die stei­gende Un­zu­frie­den­heit vor al­lem bei Poli­ti­kern links der Mit­te, wie Bill Clinton, Tony Blair, Ger­hard Schrö­der und Barack Obama. Sie setz­ten auf die so­ge­nannte Leis­tungs­ge­sell­schaft, an­statt die Macht der Märkte ein­zu­he­gen. Die Rede von der Merito­kra­tie ist für Sandel je­doch heuch­le­risch, da die­jeni­gen, die es ge­schafft ha­ben, den ge­sell­schaft­li­chen An­teil ih­res Er­folgs aus­blenden.

Alle anderen gelten als selbst schuld. Ihre Wut ist für Sandel eine wich­ti­ge Ur­sache für Trumps Er­folg. Wenn ein Hedge­fonds-Mana­ger 5000-mal mehr ver­dient als eine Kran­ken­schwes­ter, dann ist das "über die Un­ge­rech­tig­keit hi­naus auch eine Art Be­lei­di­gung und eine Krän­kung, die un­sere Ge­sell­schaft de­nen zu­mu­tet, die ar­beiten".

Auch Thomas Piketty hält Höchstlöhne als Mittel zur Her­stel­lung von mehr Gleich­heit für un­er­läss­lich. Da­rü­ber hi­naus rei­che es nicht, "die Rechts­po­pu­lis­ten mit ihren von Hil­lary Clinton 'jäm­mer­lich' ge­nann­ten Wäh­lern zu geißeln. Ich denke, die regierenden Links-und Mitte-links-Parteien sollten die Schuld bei sich selbst suchen und sich darüber klar werden, dass sie selbst den Inter­na­tio­na­lis­mus und die Glo­ba­li­sie­rung so or­gani­siert ha­ben, dass nor­male Men­schen sie has­sen mussten".

Piketty plädiert für strengere Rahmen­be­din­gun­gen und mehr Kon­trol­le der Ka­pi­tal- und Han­dels­ströme. Da­mit wäre auch die De­bat­te um Mi­gra­tion ent­schärft: Rechts­po­pu­lis­ten wür­den nicht dort be­son­ders da­zu­ge­win­nen, wo vie­le Mi­gran­ten le­ben, son­dern dort, wo Ar­beits­plät­ze ver­schwinden.

Die politisch wichtigste Dimension von Gleichheit, darin sind sich Sandel und Piket­ty am Ende ei­nig, ist die Fra­ge der Wür­de. "Das Prob­lem ist die un­fass­ba­re Ei­gen­tums­kon­zen­tra­tion in den Hän­den ei­ni­ger weni­ger, die zu ei­ner Macht­kon­zen­tra­tion führt. Die ei­nen ha­ben große Macht und die an­de­ren ver­lie­ren die Kon­trol­le. Bei Wohl­stand und Ei­gen­tum geht es also nicht bloß um Geld. Es geht um Ver­hand­lungs­macht ge­gen­über an­de­ren und um die Kon­trol­le über das ei­gene Leben."

Posted by Wilfried Allé Sunday, May 4, 2025 2:36:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Lustig war's immer 

von Hans Krankl, Herbert Prohaska

ISBN: 9783990017517
Verlag: edition a
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 224 Seiten
Format: Hardcover
Sammlung: Lachen erlaubt
Erscheinungsdatum: 13.10.2024
Preis: € 25,00

Kurzbeschreibung des Verlags

Mit viel Witz und Schmäh durch die ver­gan­genen Jahr­zehnte

Am Strand von Jesolo führen Hans Krankl und Herbert Prohaska Schmäh über Er­folge und Nieder­lagen. Sie er­zäh­len ganz per­sön­lich über Be­geg­nun­gen mit den Größen ihrer Zeit und wie sie die öster­rei­chi­sche Ge­schich­te der ver­gan­ge­nen fünf­zig Jahre er­lebt haben.

Mit Witz und Lebensweisheit sprechen die zwei von so unter­schied­li­chen Din­gen wie der Hippie-Ära, dem Austro­pop, dem Auf­wach­sen im Gemeinde­bau und dem Kicken im Park. In ihren Er­zäh­lun­gen tau­chen Carlo Ance­lot­ti, Joe Zawi­nul, Adri­ano Celen­tano und Niki Lauda auf. Da­bei bleibt kein Auge trocken.

Das erwartet euch:

  • Hans Krankl und Herbert Prohaska verbindet eine fast lebens­lange Freund­schaft und Riva­li­tät
  • Das neue Buch des Erfolgsduos nach dem ersten gemein­samen Best­sel­ler „Über das Leben“
  • Jeder Schmäh der Meister der Wuchteln ist ein Voll­treffer
Posted by Wilfried Allé Monday, March 17, 2025 11:00:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Amerikas Albtraum 

Warum Donald Trump nicht zu stoppen ist - Psychogramm einer gespaltenen Nation - Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe

von Mary L. Trump

ISBN: 9783453607163
Verlag: Heyne
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Umfang: 304 Seiten
Format: Taschenbuch
Übersetzung: Astrid Becker, Christiane Bernhardt, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Monika Köpfer, Eva Schestag
Sammlung: Trump ist zurück
Erscheinungsdatum: 02.10.2024
Preis: € 13,40

Kurzbeschreibung des Verlags

Wie ist es möglich, dass Donald Trump wieder Präsident werden kann? – Die Autorin des Nr.-1-Bestsellers »Zu viel und nie genug« stellt die Diagnose für ihr zerrüttetes Land

Das Trauma der USA, tief verwurzelt in der ameri­kani­schen Ge­schichte — Skla­verei, Bür­ger­krieg und Ras­sen­tren­nung — gärt seit Jahr­zehn­ten un­ter der Ober­flä­che der eins­ti­gen Vor­bild-Demo­kra­tie. Trumps kor­rup­tes und un­mora­li­sches Re­gime ver­setz­te der Ge­sell­schaft ei­nen ver­nich­ten­den Stoß und hin­ter­ließ ein zu­tiefst ge­spal­te­nes, ge­schwächtes Land. Wie ein Krebs­ge­schwür wuchs das Trau­ma. Aus­brü­che von Wut und Hass, aber auch Hoff­nungs­losig­keit und Apa­thie sind die Fol­ge. Mary Trump, als Nichte des frü­he­ren US-Prä­si­den­ten wie als Psycho­lo­gin, lie­fert eine be­stechende Ana­lyse — un­ge­mein er­hel­lend für alle, die ge­rade an den Nach­richt­en aus den USA ver­zweifeln.

Erweiterte und aktualisierte Taschenbuchausgabe von »Das amerikanische Trauma«.

Posted by Wilfried Allé Saturday, January 25, 2025 10:41:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Wie Demokratien sterben 

Und was wir dagegen tun können

von Steven Levitsky, Daniel Ziblatt

ISBN: 9783421048103
Verlag: DVA
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 320 Seiten
Format: Hardcover
Übersetzung: Klaus-Dieter Schmidt
Erscheinungsdatum: 29.05.2018
Preis: € 22,70

Kurzbeschreibung des Verlags

Ausgezeichnet mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis

Demokratien sterben mit einem Knall oder mit einem Wim­mern. Der Knall, also das oft ge­walt­same Ende einer Demo­kra­tie durch ei­nen Putsch, ei­nen Krieg oder eine Revo­lu­tion, ist spek­ta­ku­lärer. Doch das Da­hin­sie­chen ei­ner Demo­kra­tie, das Ster­ben mit ei­nem Wim­mern, ist all­täg­li­cher – und ge­fähr­li­cher, weil die Bür­ger meist erst auf­wa­chen, wenn es zu spät ist. Mit Blick auf die USA, Latein­ameri­ka und Euro­pa zei­gen die bei­den Poli­to­lo­gen Steven Levit­sky und Daniel Zi­blatt, wo­ran wir er­ken­nen, dass demo­kra­ti­sche Ins­ti­tu­tio­nen und Pro­zes­se aus­ge­höhlt wer­den. Und sie sagen, an wel­chen Punk­ten wir ein­grei­fen kön­nen, um diese Ent­wick­lung zu stop­pen. Denn mit ge­ziel­ter Gegen­wehr lässt sich die Demo­kra­tie ret­ten – auch vom Sterbebett.


FALTER Rezension

Wie Demokratien dahinsiechen
Barbara Tóth in FALTER 25/2022 vom 24.06.2022 (S. 20)

Ein Putsch, eine Revolution: So rut­schten frü­her Demo­kra­tien ins Dik­ta­to­ri­sche ab. Die Har­vard-Pro­fes­soren Steven Levit­sky und Daniel Zi­blatt zei­gen ei­nen ge­fähr­li­che­ren, weil weni­ger spür­ba­ren Weg der Ent­demo­krati­sie­rung: die schlei­chende Aus­höh­lung von in­nen, die selbst ge­fest­igte Demo­kra­tien tref­fen kann. Be­son­ders ge­fährl­ich ist es, wenn eta­blierte Main­stream-Par­teien in Kri­sen nicht "staats­tra­gend" agie­ren, son­dern Ex­tre­mis­ten eine Chance ge­ben - in ihren ei­ge­nen Rei­hen wie als Koa­li­tions­partner.

Demokratien sterben heutzutage in Zeitlupe
Barbaba Tóth in FALTER 22/2018 vom 01.06.2018 (S. 19)
Ein US-Bestseller analysiert, wie Demo­kra­tien schlei­chend unter­wan­dert wer­den. Lesens­wert – ge­rade aus öster­rei­chi­scher Sicht
Ein Putsch, eine Revolution: Das waren die Ereig­nisse, mit denen frü­her Demo­kra­tien ins Dik­ta­to­ri­sche ab­rutsch­ten. Die bei­den Har­vard-Pro­fes­so­ren Steven Levit­sky und Daniel Zi­blatt ha­ben in ihrem in den USA viel dis­ku­tiert­en Best­sel­ler „How Demo­cra­cies Die“ zahl­rei­che Bei­spiele ver­sam­melt, die ei­nen viel ge­fähr­li­cheren, weil weni­ger spür­ba­ren Weg der Ent­demo­kra­ti­sie­rung auf­zeigen: die schlei­chende Aus­höh­lung von inn­en, die selbst ge­fes­tigte, eta­blierte Demo­kra­tien tref­fen kann.
„Die Erosion der Demokratie geschieht für die meisten Bürger so gut wie un­merk­lich“, schrei­ben Levit­sky und Zi­blatt. Demo­kra­tien könn­ten heute „nicht von Gene­rä­len, son­dern von Prä­si­den­ten oder Premier­minis­tern um­ge­bracht wer­den (...), die genau je­nen Pro­zess, der diese an die Macht ge­bracht hat, unter­mi­nieren“.
Levitsky und Ziblatt analysieren mögliche Stationen auf dem Weg ins Autori­täre, und wer ihr diese Woche auch auf Deutsch er­schei­nen­des Buch liest, fühlt sich er­schreckend oft an die öster­rei­chi­sche Poli­tik er­innert. Die bei­den Poli­to­lo­gen brin­gen his­to­ri­sche und ak­tuel­le Bei­spiele wie Hugo Chávez in Vene­zuela und Viktor Orbán in Un­garn, sie nen­nen die Phi­lip­pinen, Polen oder die Tür­kei und Deut­schland der 1930er. Solide, gute Ver­fas­sungen sind im­mens wich­tig, eben­so wich­tig sind aber die un­ge­schrie­be­nen Re­geln und Normen der poli­ti­schen Aus­einander­set­zung. Levit­sky und Zi­blatt ver­glei­chen das mit ei­nem Bas­ket­ball­spiel in ei­nem Hinter­hof, das nach an­de­ren Spiel­regeln ab­läuft als NBA-Spiele, aber funk­tio­niert, so­lange sich alle da­ran hal­ten, weil sie ja mor­gen weiter­spie­len wol­len, auch wenn man heute ver­loren hat.
Zu diesen Regeln gehört etwa, den poli­ti­schen Geg­ner zwar scharf zu kri­ti­sieren, ihm aber nicht die grund­sätz­liche Legi­ti­mi­tät, am poli­ti­schen Pro­zess teil­zu­neh­men, ab­zu­spre­chen. Da­zu ge­hört auch, Schiedsr­ichter-arti­ge Ins­ti­tu­tionen wie Höchst­ge­richte nicht infrage zu stel­len. Aber auch die Pres­se, Inter­essen­ver­tre­tungen und die Geheim­dienste. Ein Blick zu­rück in die letz­ten bei­den Jahre zeigt, dass die FPÖ ge­rade das ge­macht hat. Sie hat ver­sucht, den Ver­fas­sungs­ge­richts­hof, den Ver­fas­sungs­schutz und jetzt ge­rade den ORF sys­te­ma­tisch zu desa­vouie­ren. „Wer ein Fuß­ball­spiel mani­pu­lie­ren will, nimmt sich zu­erst die Schieds­rich­ter vor“, schrei­ben die Autoren.

Besonders gefährlich ist es, wenn etablierte Main­stream-Par­teien in Kri­sen nicht das Wohl des Landes im Auge ha­ben, also „staats­tra­gend“ agie­ren, son­dern Ex­tre­mis­ten eine Chance ge­ben – in ihren ei­ge­nen Rei­hen wie als Koa­litions­partner. Levit­sky und Zi­blatt kri­ti­sie­ren aus US-Sicht natür­lich vor allem die Repu­bli­kaner, deren füh­rende Leute ent­setzt über Donald Trumps Kandi­da­tur waren, aber den­noch die­sem und nicht Hil­lary Clin­ton zum Sieg ver­halfen.
Auf Österreich umgelegt lässt sich fragen: War es ein Feh­ler, dass füh­rende ÖVPler zu­erst Sebas­tian Kurz mit sei­nem an der FPÖ an­ge­lehn­ten Paro­len an die Macht kom­men und dann auch noch eine Koa­li­tion mit der FPÖ ein­ge­hen ließen? Levit­sky und Zi­blatt stel­len diese Frage nicht, ihr Buch wurde vor Kurz’ Macht­über­nahme ge­schrie­ben. Aber sie brin­gen ein an­deres inter­es­san­tes Bei­spiel aus der öster­reichi­schen Poli­tik, um zu zei­gen, wel­che wich­tige Wäch­ter­funk­tion Main­stream-Par­teien haben. Sie loben jene hoch­ran­gigen ÖVPler, die sich in der über­par­teili­chen Wahl­be­we­gung für Bundes­prä­si­dent Alexan­der Van der Bellen enga­gier­ten, um den ­Ex­tre­mis­ten Nor­bert Hofer zu ver­hin­dern. Dass dann aus­ge­rech­net dieser Van der Bellen Hofer zum Ver­kehrs­mi­nis­ter ange­loben würde, wussten die Auto­ren da­mals noch nicht.

Posted by Wilfried Allé Sunday, January 12, 2025 9:16:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Das Prinzip Trotzdem 

Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen

von Roger de Weck

ISBN: 9783518128633
Verlag: Suhrkamp
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 224 Seiten
Format: Taschenbuch
Reihe: edition suhrkamp
Erscheinungsdatum: 13.10.2024
Preis: € 17,50

Kurzbeschreibung des Verlags

Autoritäre Populisten trumpfen auf. Des­infor­ma­tion und Fake News gras­sie­ren. Und der Jour­na­lis­mus, der dem weh­ren sollte? Er kommt aus der Kri­se nicht he­raus. Es gibt zwar mehr Me­dien, aber imm­er weni­ger Mit­tel für den Jour­na­lis­mus. Ver­lage wol­len ihre Ein­bußen wett­ma­chen, indem sie noch mehr laute Mei­nun­gen und Soft-The­men brin­gen. Doch die »Boule­vardigi­tali­sie­rung« nützt just den Popu­lis­ten, die sich der­sel­ben Stil­mit­tel be­die­nen: Zu­spit­zung, Skanda­li­sie­rung, Auf­re­gung.

Roger de Weck liebt Journalismus als Beruf. Er kennt ihn in al­len Fa­cet­ten – als Zei­tungs­ma­cher und Rund­funk­chef, Re­por­ter und Modera­tor. Und er macht sich Sor­gen, weil die Ge­set­ze des Medien­be­triebs und die des Jour­na­lis­mus imm­er wei­ter aus­ein­ander­lau­fen. Da­gegen setzt de Weck auf das »Prin­zip Trotz­dem«: Recher­chie­ren, ab­wägen, sich treu blei­ben – trotz Spar­maß­na­hmen, trotz X & Co. Doch wie geht das? Der Au­tor zeigt, wie sich Jour­na­lis­mus stär­ken lässt. Denn ohne diesen wert­vol­len Spiel­ver­der­ber läuft das Spiel nicht in der Demo­kratie.


FALTER Rezension

"Viele Journalisten sind auf dem Ego-Trip"

Tessa Szyszkowitz in FALTER 49/2024 vom 06.12.2024 (S. 22)

Roger de Weck ist auf dem Sprung. Er leitet ein Semi­nar in Wien und unter­rich­tet Stu­die­rende in Brügge. Der 71-jäh­rige Jour­na­list, der viele Jahre Print-und Fern­seh­me­dien ge­lei­tet hat, prä­sen­tiert ge­rade sein neues Buch "Das Prinzip Trotzdem" in den deutsch­spra­chi­gen Lan­den. Es ist ein Plä­doyer für den klas­si­schen Jour­na­lis­mus, der sich ge­gen Click­baiting und Con­tent-Mana­ge­ment weh­ren muss. Und für eine star­ke, kluge Medien­poli­tik, die ge­nau die­sen fördert.
Falter: Herr de Weck, warum müssen wir den Journalismus vor den Medien retten?

Roger de Weck: Der Medienbetrieb ist zusehends emotional, der Jour­na­lis­mus aber sollte nüch­tern blei­ben. Die Medien bie­dern sich an, der Jour­na­lis­mus hält Dis­tanz. Die Me­dien pushen die Nach­frage, die Klicks. Der Jour­na­lis­mus inter­es­siert sich zu­nächst für das An­gebot. Das sind zwei Paar Schuhe.

Ist es per se schlecht, wenn Journalismus auch darauf aus­ge­rich­tet ist, was die Leute lesen wollen?

de Weck: Der Klick-Journalismus bedient genau die­sel­ben Ins­tinkte, die auch die Popu­listen be­wirt­schaf­ten. Bei­de emo­tio­na­li­sie­ren, pola­ri­sie­ren und set­zen auf das Pri­mi­tive. Doch sol­cher Wechs­el von der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie zur Auf­regungs­öko­no­mie stößt mehr und mehr Nut­zer­innen und Nut­zer ab. In ohne­hin ner­vö­sen Zei­ten ent­fer­nen sie sich still und leise vom hyper­ner­vö­sen Medien­bet­rieb. Rapide nimmt die Zahl der soge­nannten Nach­rich­ten­ver­mei­der zu. Das ver­lei­tet wiede­rum die "Con­tent Mana­ger", die an die Stel­le her­kömm­li­cher Chef­redak­tionen tre­ten, erst recht, alle Knif­fe an­zu­wen­den, um die Klick­zahl zu meh­ren. Ein Teufels­kreis. Das Publi­kum bin­det man lang­fris­tig nicht mit kurz­fris­ti­ger Klick­maxi­mierung.

Wir konsumieren aber alle dank der Digitalisierung Informationen heute schneller als früher?

de Weck: Ja, und das verstärkt den Trend, die sozialen Medien zu imi­tie­ren. Auf X muss ein Post pla­ka­tiv sein, um Be­ach­tung zu fin­den -und auch der Jour­na­lis­mus wird ten­den­ziell noch zu­ge­spitz­ter als ohneh­in. Insta­gram ist ein Jahr­markt der Eitel­kei­ten -und eben­so sind viele Jour­na­lis­ten auf dem Ego-Trip. Der Ich-Jour­na­lis­mus wu­chert, manch­mal ist der Be­richt­er­stat­ter wich­ti­ger als der Ge­gen­stand der Be­richt­er­stat­tung. Prin­zi­piell habe ich nichts ge­gen Ich-Jour­na­lis­mus, den ein Norman Mailer und ein Truman Capote er­fan­den. Aber wenn junge Kol­le­gen ihre Pri­vat­sphäre jour­na­lis­tisch ver­wer­ten, wird's ex­hibi­tionis­tisch. Wer schützt sie ge­gen das, was Richard Sennett schon 1977 die "Tyran­nei der In­ti­mi­tät" nannte?

Das ist das "Prinzip Trotzdem", das Sie propagieren: Der Jour­na­lis­mus soll sich sel­ber treu blei­ben. de Weck: Das Recher­chieren ist das Wich­tigste. Die Fak­ten muss man su­chen, prü­fen, analy­sie­ren, ein­ord­nen. So kann man sie ge­wich­ten und er­läu­tern. Erst dann kommt die fakul­ta­tive Auf­gabe des Kom­men­tie­rens. Am Ende ei­ner seriö­sen Ver­ar­bei­tung von Infor­ma­tion wird bei Be­darf aktua­li­siert oder kor­ri­giert, da wir ja ein schnel­les Ge­werbe be­trei­ben. In so­zia­len Me­dien aber wird haupt­säch­lich die fakul­ta­tive Funkt­ion er­füllt: das Kom­men­tie­ren, es herrscht Meinungs­in­fla­tion. Bis zu dem Punkt, an dem Mei­nun­gen x-belie­big wer­den -wie auf X von Elon Musk.

Elon Musk ist nicht unbedingt mit X erfolgreich, aber er nutzte das ehe­ma­lige Twit­ter, um seine poli­ti­sche Macht aus­zubauen.

de Weck: Nie hat ein Mensch dermaßen viele Dimensionen der Macht auf sich ver­einigt: die Medie­nmacht, die Propa­ganda­macht, Geld­macht, Techno­logie­macht, die poli­ti­sche und geo­poli­ti­sche Macht -selbst im Ukra­ine­krieg spielt er mit. Das ist krass un­demo­kra­tisch. Ein wach­se­nder Teil von Sili­con Val­ley denkt anti­demo­kra­tisch. Der Groß­inves­tor Peter Thiel, der Sebas­tian Kurz als Be­rater holte, hält die Demo­kra­tie für frei­heits­feind­lich, nur die Techno­lo­gie bringe Frei­heit. Wider jede Spiel­art des Autori­taris­mus sollte der Jour­na­lis­mus an den Maß­stä­ben der Auf­klär­ung fest­hal­ten. Das ist kein ver­lo­re­ner Kampf. Wer han­delt, ist opti­mistisch.

Wie können sich Medienhäuser am besten wappnen?

de Weck: In der Blüte gedruckter Zeitungen finanzierten sich die Ver­lage bis zu drei Vier­teln mit Klein­an­zei­gen und Wer­bung. Die An­zeigen frei­lich ha­ben sich zu On­line-Märk­ten ver­la­gert, die Wer­bung zu Such­ma­schi­nen und so­zi­alen Me­dien, wo sie ziel­si­cherer das Publi­kum er­reicht. Also muss sich der Jour­na­lis­mus nun­mehr selbst fi­nan­zie­ren. An­ders ge­sagt muss er sub­stan­ziel­ler wer­den, denn es ver­kauft sich nur, was Subs­tanz hat. Jene Qua­li­täts­me­dien fah­ren am bes­ten, die in die Redak­tion und ins An­ge­bot in­ves­tieren. Me­dien wie die Frank­fur­ter All­ge­meine oder in Frank­reich Le Monde fah­ren ziem­lich gut. Der Monde-Eigen­tümer Xavier Niel hat die Redak­tion von 300 auf 550 auf­ge­stockt, wo­rauf sich die Zahl der Abon­nen­tinnen und Abon­nenten auf 600.000 ver­dop­pelte. Auch mein frü­heres Blatt Die Zeit hat dank kon­ti­nuier­licher Inves­ti­tio­nen der Ge­brüder Holtz­brinck mas­siv zu­ge­legt und ist zu einer blü­hen­den Ver­lags­gruppe gediehen.

Nicht jeder hat diese finanziellen Möglichkeiten.

de Weck: In der Tat fehlt vielen Lokal-und Regional­medien das nötige Geld. Und hier kommt mein Punkt: Der Jour­na­lis­mus ist eine elemen­tare Infra­struk­tur der Demo­kratie. Also ist es eine ele­men­tare Staats­auf­gabe, die­se Infra­struk­tur in­stand zu hal­ten und öffent­liche Gel­der für lo­kale und regio­nale Me­dien be­reit­zu­stel­len. Medien­wüsten sind ger­ade in födera­lis­ti­schen Län­dern ver­heerend. Siehe die Bundes­re­pu­blik: Ein Teil von Thürin­gen ist Medien­wüste, da er­scheint kein Lokal-und Regio­nal­me­dium mehr. Also in­for­mie­ren sich die Men­schen über so­ziale Me­dien. Und dort radi­ka­li­sieren sie sich.

Was sind gute Beispiele für Medienförderung?

de Weck: Kanada hat Anreize geschaffen, um insbesondere älteren Leuten -trotz ihrer Schwel­len­angst - den Wech­sel von einer ge­druckten Zei­tung zu einem Online-Abo zu er­leich­tern: Bis 2024 durf­ten sie den Preis für das digi­tale Abon­ne­ment von der Steuer ab­set­zen. Die Maß­nahme wurde nicht ver­län­gert, weil sie nicht mehr nö­tig war. Auch in Nord­eu­ropa gibt es be­völ­ke­rungs­arme Flä­chen­staaten: Hat ein Ver­lag alle 50 Kilo­meter drei Abon­nen­tinnen, ist der Zei­tungs­ver­trieb rui­nös. Da­rum haben die Nord­euro­päer vor Jahr­zehnten schon För­der­mo­delle ent­wickelt. Schwe­den hat sys­te­ma­tisch die Num­mer zwei und drei in einem Ein­zugs­gebiet unter­stützt. Dank dem hat jede Klein­stadt unab­hän­gige Lokal­me­dien, die nicht von der Zen­tral­redak­tion eines Kon­zerns ab­hängen. In Däne­mark über­nimmt die öf­fent­liche Hand einen Pro­zent­satz des Redak­tions­bud­gets: Kürzt der Ver­lag die­ses Bud­get, gibt's weni­ger Zu­schuss. För­der­model­le kön­nen sehr wohl Erfolg haben, wenn un­ab­hän­gige Ver­gabe­ins­tan­zen das Geld ge­mäß fes­ten Regeln quasi-automa­tisch zu­teilen -fernab partei­poli­ti­scher Inter­es­sen wie in Öster­reich. Nord­euro­pa ist spitze in den Rang­listen der Medien­frei­heit, der Medien­viel­falt, des Medien­ver­trauens - und der Medien­förderung.

Sie kritisieren in Ihrem Buch das österreichische Förder­system, weil Sie sagen, es sei eine An­samm­lung unter­schied­licher Töpfe, die eine kohä­rente Stra­te­gie ver­hin­dern. Das wie­de­rum nähre den Filz. Wie könnte man das ändern?

de Weck: Es ist natürlich schwierig, trotz "Freunderlwirtschaft" auto­nome In­stan­zen ein­zu­setzen. Eine un­ab­hän­gige kri­tische Presse stärkt aber die Demo­kra­tie und liegt an sich also im ur­eige­nen Inter­esse demo­kra­ti­scher Poli­tiker­innen und Poli­tiker. Die autori­tären Reak­tionäre -die ich in mei­nem vori­gen Buch "Die Kraft der Demo­kratie" erör­terte - wol­len ja im­mer die ganze Macht. Sie miss­ach­ten das Parla­ment, instru­men­ta­li­sie­ren die Justiz und möch­ten die Presse als Vierte Gewalt zähmen. Sie funk­tio­nieren nach dem Prin­zip: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich -also ist eine jour­na­lis­tisch-unab­hän­gige Hal­tung gegen mich."

In Schweden werden auch fremdenfeindliche Blätter be­zu­schusst. Sollte man alle finan­zieren, auch wenn es Neonazi-Zeitungen wären?

de Weck: Nein, und trotzdem ein bisschen ja. Es hängt von der Tradi­tion eines Staates ab. Schwe­den war 1766 das erste Land, das die Presse­frei­heit in die Ver­fas­sung schrieb: Diese "Druck­freiheits­ver­ordnung" geht so weit, dass eine Straf­tat be­geht, wer nach den Infor­man­ten einer Zei­tung fahn­det. Schwe­den will den aller­größten Frei­raum. Tief sitzt in Deutsch­land und Öster­reich je­doch das Trauma, was die Nazis an­rich­teten und wie­der an­richten könnten. Be­greif­lich, dass man eher Grenzen setzt.

Roger de Weck, 71, war Generaldirektor des Schweizer Radios und Fern­sehens und Chef­redak­teur der deut­schen Wochen­zei­tung Zeit. Heute ist er Gast­pro­fes­sor am College of Europe in Brügge. Er war Mit­glied des Zukunfts­rats für Revformen bei ARD, ZDF und Deutsch­land­funk. Mode­ra­tor von "Stern­stun­den Philo­so­phie"(3Sat / SRF) und Chair­man of the Board des Geneva Graduate Insti­tute of Inter­national and Develop­ment Studies

Sollen Redaktionen Haltung zeigen?

de Weck: Journalismus und Demokratie sind Kinder der Auf­klä­rung. Die libe­rale Demo­kra­tie ist auf einen un­ab­hän­gigen Jour­nalis­mus an­ge­wiesen, der un­ab­hän­gige Journa­lis­mus auf die libe­rale Demo­kratie -sie sind Zwil­linge. Die jour­na­lis­tische Grund­hal­tung wur­zelt also in den Wer­ten der Auf­klä­rung: gute Infor­ma­tion für eine er­kennt­nis­orien­tierte De­batte, Re­spekt der Men­schen­würde, Zu­sam­men­halt der Ge­sell­schaft, Ein­bezug der Minder­heiten, Förde­rung der Kul­tur. Ob aus die­ser Hal­tung sich auch mal eine Wahl­empfeh­lung ab­leitet, ist nach­rangig. Vor­ran­gig ist, beim Fakti­schen zu blei­ben: die Kraft der Fak­ten zu be­stär­ken in einer zu­sehends post­fak­tischen Ge­sell­schaft. Gel­ten die Fakten nicht mehr, lau­fen näm­lich so­wohl die Demo­kratie als auch der Jour­na­lis­mus auf; sie brau­chen eine Wahr­heits­umgebung.

Verzerrt Haltung faktenbasiertes Berichten? de Weck: Ich bin Gast­pro­fessor am Col­lege of Europe in Brügge. Mit den Stu­den­ten und Stu­den­tinnen er­ör­tere ich gern das Fall­bei­spiel guter ara­bi­scher und israe­lischer Me­dien, die über diesel­ben Tat­be­stände auf völ­lig andere Weise be­richten. Jede Redak­tion hat - selbst wenn sie alle jour­na­lis­ti­schen Stan­dards ein­hält - ihre kul­tu­relle und sozio­lo­gische Prä­gung. Ein wei­te­res Bei­spiel: So­lange in Redak­tionen lau­ter Herren saßen, über­sa­hen sie, dass die Medi­zin in Diag­nose und Thera­pie auf die Män­ner ab­stellt. Erst als end­lich auch Redak­teurinnen mit­reden durf­ten, wurde thema­ti­siert, dass die bis­herige Medi­zin von ihrem An­satz her sexis­tisch ist.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist vor allem vonseiten der Popu­lis­ten unter Be­schuss. ORF oder ARD wir­ken zu­weilen schon be­häbig in dem Ver­such, alle Sei­ten gleich­mäßig zu Wort kommen zu lassen?

de Weck: Ein britischer Journalismus-Dozent lehrte mal seine Studen­tin­nen und Stu­den­ten: Wenn der eine sagt, es reg­net, und die andere er­widert, nein, draußen ist es trocken, dann müsst ihr das Fens­ter öffnen -statt euch damit zu be­gnü­gen, die beiden zu zi­tieren. Sonst ent­steht eine "false balance" fun­dierter und hoh­ler Aus­sagen. Gerade die öffent­lichen Medien­häuser haben dank öffent­li­cher Finan­zie­rung nicht den ge­rings­ten Grund, sich dem kom­mer­ziel­len Er­regungs­betrieb hinzugeben.

Schauen die Jüngeren noch fern?

de Weck: In meinem Land, der Schweiz, verlangte ein Volks­begehren die fak­tische Ab­schaf­fung des öffent­li­chen Medien­hauses. Knapp 72 Pro­zent der Bür­ge­rinnen und Bür­ger lehn­ten das im Jahr 2018 ab. Die Alters­grup­pe, die die­ses popu­lis­tische An­sinnen am stärksten ver­warf, waren die 18 bis 28-Jährigen. Mit 80 Pro­zent! Die junge Gene­ra­tion ist bes­ser aus­ge­bil­det als je in der Ge­schichte, sie ent­faltet ihren Ini­tia­tiv­geist in Start-ups, sie bringt sich poli­tisch in NGOs und Bürger­be­we­gungen ein. Ein be­trächt­licher Teil der jun­gen Jahr­gänge ist wie eh und je an einer ernst­haf­ten, um­fas­sen­den Infor­ma­tion inter­essiert: am Handy und am Laptop.
 

Am Montag, den 28. Oktober, 19.00 Uhr,
war der Schweizer Publizist und Medienmanager Roger de Weck mit seinem aktuellen Buch
"DAS PRINZIP TROTZDEM. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen"
Gast von Robert Misik im Bruno Kreisky Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien.
Die Diskussion wurde aufgezeichnet und ist auf YouTube abrufbar. mehr ->

Posted by Wilfried Allé Wednesday, December 4, 2024 6:57:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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