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Ein politisches Wunder und wie wir es vor seinen Feinden schützen

Das Buch vom gefragten Experten für eine realistische Europapolitik

von Gerald Knaus, Francesca Knaus

ISBN: 9783492072175
Erscheinungsdatum: 02.10.2025
Verlag: Piper
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Format: Hardcover
Umfang: 448 Seiten
Preis: € 26,80
Kurzbeschreibung des Verlags

Europa in Gefahr: So retten wir Friede und Freiheit 

Europafeindliche Politiker:innen greifen nach der Macht. Russland führt den größten Krieg seit 1945. Angst vor unkontrollierter Migration spaltet unsere Demokratien. Die europäische Ordnung, Friede und Wohlstand sind so bedroht wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Junge Europäer:innen wenden sich von der EU ab. Was fehlt, ist eine überzeugende Vision für einen verunsicherten Kontinent. Gerald und Francesca Knaus zeigen, wo wir Inspiration in der Geschichte finden und wie daraus Politik werden kann, die Mehrheiten überzeugt – für ein Europa ohne Kriege, politische Gefangene und Folter.

Ein Plädoyer für eine realistische Europa-Politik

FALTER-Rezension

Der europäische Chronist

Eva Konzett in FALTER 43/2025 vom 22.10.2025 (S. 18)

Gerald Knaus will sich nicht irgendwo treffen, son­dern genau hier: bei Staub und Straßen­lärm. In Wien, auf dem Mor­zin­platz, da, wo der erste Be­zirk an den Donau­kanal stößt. An ei­ner der einst sehr ge­fürch­te­ten Adres­sen der Stadt.

Die Ge­sta­po hat­te hier im Hotel Métro­pole ihr Haupt­quar­tier. Im provi­so­risch ein­ge­rich­teten Ge­fäng­nis im Kel­ler wa­ren der Va­ter und Groß­va­ter von Peter Pulzer in­haf­tiert. Und in Pulzer, dem His­to­ri­ker und Poli­tik­wis­sen­schaf­tler in Ox­ford, sieht Knaus den Schlüs­sel zu dring­li­chen Fra­gen: Wie den Auf­stieg der Rechten stop­pen? Ja, wie die Demo­kra­tie ret­ten? Knaus hat einst bei Pulzer stu­diert.

Pulzer war ein Mann, der in ei­nem demo­kra­ti­schen Öster­reich auf die Welt kam -mit ge­wähl­tem Prä­si­den­ten, un­ab­hän­gi­ger Jus­tiz und Par­la­ment. Und der noch als Kind flie­hen musste, weil seine Hei­mat zur Dik­ta­tur ver­rohte. Als er 1929 in Wien ge­bo­ren wurde, hät­te nie­mand da­rauf ge­wet­tet, dass nur neun Jahre spä­ter die Natio­nal­so­zia­listen die Macht über­nehmen wür­den. In der Reichs­pogrom­nacht 1938 plün­der­ten sie dann die Woh­nung der Fami­lie, ris­sen der Schwes­ter die Ket­ten vom Hals und sperr­ten die er­wach­se­nen Män­ner weg.

"Pulzer hat er­kannt, dass es mög­lich war, nach jahr­zehn­te­lan­gem Fort­schritt in Öster­reich inner­halb kür­zes­ter Zeit die Demo­kra­tie zu zer­stö­ren. Und wie die Nazis da­rauf zu­rück­grei­fen konn­ten, dass Intel­lek­tuel­le ihnen jahr­zehn­te­lang den Weg be­rei­tet hat­ten", sagt Knaus.

Denn wäh­rend Öster­reich offi­ziell pro­gres­sive Poli­tik machte, Frauen­rechte um­setzte und die stark an­wach­sende jüdi­sche Mind­er­heit in die Mehr­heits­ge­sell­schaft assi­mi­lierte (da­runter auch Pulzers Fami­lie), bro­del­te unter­ir­disch -und von den re­gie­ren­den Eli­ten igno­riert - das Res­sen­ti­ment. Die Hetz­schrift "Der Sieg des Juden­thums über das Ger­ma­nen­thum" bei­spiels­weise ist zwölf­mal in sechs Jah­ren er­schie­nen -und zwar schon vor dem Ers­ten Welt­krieg.

Sub­ku­tan wur­den der Mehr­heit bei je­der Er­wäh­nung der Juden die Attri­bute "skru­pel­los, lüs­tern und revo­lu­tio­när"(im Sin­ne von staats­feind­lich) ein­ge­impft. Anti­demo­kra­ten hät­ten "eine Min­der­heit aus­ge­nutzt, um den Libera­lis­mus an­zu­grei­fen", sagt Knaus. Die Nazis hät­ten dies dann nicht mit neuen Ideen, son­dern nur mit "Bru­tali­tät und Macht" er­gänzt. Oder in den Wor­ten Pulzers: "30 Jahre un­auf­hör­li­cher Pro­pa­ganda waren wirk­samer ge­wesen, als die Men­schen zu jener Zeit glaub­ten."

Das er­innert schon sehr an die Ge­gen­wart. In Deutsch­land, Frank­reich und Groß­bri­tan­nien sind Rechts-außen-Par­teien in­zwi­schen in Tei­len oder in Um­fra­gen die stärk­ste poli­ti­sche Kraft. In Ita­lien re­gieren sie be­reits. In Öster­reich ist die FPÖ eine ex­tre­mis­ti­sche Sys­tem­par­tei. Sie al­le schü­ren den Aus­län­der­hass, vor al­lem ge­gen Mus­lime. Sie al­le weh­ren sich ge­gen eine of­fene Ge­sell­schafts­poli­tik.

Knaus ist 55 Jahre alt, in Wien auf­ge­wachsen. Als Ex­perte für Flücht­lings­fra­gen er­klärt er ge­dul­dig Asyl­ver­ord­nungen und EU-Ge­setze in deut­schen und öster­rei­chi­schen Talk­shows. Von da her kennt man ihn. Doch Knaus ist kein Single-Issue-Wis­sen­schaft­ler. Er hat in Har­vard ge­forscht und in der Ukra­ine unter­rich­tet, in Sara­jevo und Pris­tina ge­lebt. Er be­rät euro­pä­ische Re­gie­rungen. Mit sei­ner Tochvter Fran­cesca, einer Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin, hat er jetzt ein klu­ges Sach­buch für die All­ge­mein­heit ge­schrie­ben.

Denn die Grund­pfei­ler der libe­ra­len Ord­nung sind in Ge­fahr. Weil die Men­schen sie als Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten miss­ver­ste­hen. Und weil Poli­ti­ker dem rech­ten Auf­marsch achsel­zuckend be­geg­nen. "In Ge­sprä­chen mit Christ­demo­kra­ten in Deutsch­land merkt man fast schon eine ver­zwei­felte Resig­nation, dass die AfD mög­li­cher­weise an die Macht kom­men könnte -so wie Trump zu­rück­ge­kehrt ist", sagt Knaus. Die Fol­ge: Ohn­macht statt Auf­bruch.

Da­bei müssten sie nur bei Pulzer nach­lesen. "Er hat schon in den 1960er-Jah­ren den Kampf der Ideen ver­stan­den", meint Knaus. Die Macht der Er­zäh­lung, die real­poli­ti­sche Leis­tun­gen über­trump­fen kann. Ist das nicht al­les ein biss­chen ba­nal? "Ganz im Ge­gen­teil!" Wa­rum wohl, fragt Knaus, las­sen Putin und Trump die Ge­schichts­bü­cher um­schrei­ben und Museen neu kura­tieren? Und wa­rum be­zieht sich Erdoğan stän­dig auf den Sultan Süley­man den Präch­tigen?

Knaus geht es nicht um eine Heiligen­ver­eh­rung, son­dern um Hand­lungs­macht. Den rechts­ex­tremen Mytho­lo­gien vom Be­völ­ke­rungs­aus­tausch oder dem "EU-Kraken der Büro­kra­tie" etwa müsste man nur die rea­len Storys der "Aben­teurer und Visio­näre" ent­ge­gen­hal­ten, die sich die euro­pä­ische Eini­gung aus­ge­dacht haben. "Das wa­ren mut­ige Män­ner, die eine Wahl hat­ten. Und sich rich­tig ent­schie­den ha­ben."

Statt­des­sen stam­meln Poli­ti­ker, auf den Sinn und Zweck der EU an­ge­spro­chen, von "öko­no­mi­schen Inter­es­sen" und mil­liar­den­schwe­ren Sub­ven­tio­nen. Nicht ein­mal auf den Euro-Geld­scheinen mit stili­sier­ten Brücken und Bögen traut man sich, Mut oder auch nur Emo­tion zu zei­gen. Die EU baut auf un­be­ding­tem Kon­sens auf. Ecken schleift man gerne bis zur Un­kennt­lich­keit ab. In der Kom­mu­ni­ka­tion aber be­deu­tet das: Al­les wabert nur noch da­hin.

Am liebs­ten würde Knaus eine Net­flix-Serie über die Grün­der­väter der EU ma­chen. Mit Jean Monnet etwa, der nie ein of­fi­ziel­les Amt inne­hatte, 1940 aus sei­nem be­setz­ten Heimat­land Frank­reich floh, Eng­land mit Frank­reich ge­gen die Nazis ver­einigen wollte. Den Churchill nach Washing­ton schickte, um Roose­velt von der Auf­rüs­tung zu über­zeu­gen -was den Krieg wohl um ein Jahr ver­kürzt hat. Der italie­nische Kom­mu­nist Altiero Spi­nelli müsste eben­falls eine tra­gende Rol­le in der Serie be­kom­men. Und na­tür­lich Robert Schuman, der Mann hin­ter der Mon­tan­union, der in den 1950er-Jahren noch die Kolo­nial­poli­tik Frank­reichs in Indo­china und Al­ge­rien mit­trug. Ambi­va­lenz, nicht An­bie­de­rung.

"Euro­pa ret­ten heißt, seine Ge­schich­ten zu er­zählen", sagt Knaus. Und nicht sich auf die Ge­schichte zu ver­las­sen. Dass der Konti­nent Euro­pa in meh­re­ren Schrit­ten nach 1945 demo­kra­tisch wurde, war nicht aus­ge­macht. Und es ist nicht un­ver­rück­bar.

Wo in Wien am Morzin­platz das Ho­tel Métro­pole thronte, steht jetzt ein schlich­ter Wohn­bau. An die Opfer des Natio­nal­sozia­lis­mus er­innert ein Denk­mal, ge­hauen aus Maut­hau­sener Granit. Fri­sche Blu­men lie­gen da­vor. Peter Pulzers Fami­lie konnte 1939 nach Groß­bri­tan­nien ent­kom­men.

1989 saß Knaus in seiner ersten Vorlesung bei Pulzer. Auf die Frage, was er - Pulzer -tue, um ob der Weltenlage nicht zu verzweifeln, antwortete der: "Ich sage leise vor mich hin: Griechen­land, Spa­nien, Portu­gal." Als Bei­spiele für Län­der, die autori­täre Re­gime ab­ge­streift und sich zu ge­fes­tig­ten Demo­kra­tien ge­wan­delt ha­ben. Als Beweis, dass eine Rück­ab­wick­lung der Dik­ta­tur ge­lin­gen kann.

Knaus hat ebenf­alls ein Mantra. Es heißt "Ru­mä­nien, Po­len, Bul­ga­rien" - drei rela­tiv junge EU-Mit­glie­der, die be­wie­sen ha­ben, dass es sich lohnt, un­ter großem Ein­satz die Frei­heit zu wäh­len. Auch das ist eine Ge­schichte, die er­zählt wer­den will.

Posted by Wilfried Allé Saturday, October 25, 2025 9:33:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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