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Abgründe eines globalen Milliardengeschäfts

von Alexander Clapp

ISBN: 9783103971934
Erscheinungsdatum: 24.09.2025
Verlag: S. FISCHER
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Übersetzung: Jürgen Neubauer
Format: Hardcover
Umfang: 400 Seiten
Preis: € 26.80
Kurzbeschreibung des Verlags

Mülldeponien auf der ganzen Welt sind über­füllt. Über die täg­lich an­fal­len­den Mil­lio­nen Ton­nen von Müll ent­ste­hen fast über­all regel­rechte Krie­ge. Der Müll wird il­le­gal ent­sorgt oder als heiße Ware ver­schifft, ver­kauft oder ge­schmug­gelt. Der Jour­na­list Ale­xan­der Clapp be­reiste auf den Spu­ren unse­es Mülls fünf Kon­ti­nente und ent­hüllt eine katas­tro­phale Re­a­li­tät: Un­ser Müll hat in den letz­ten 40 Jahr­en eine welt­um­span­nende, mil­li­arden­schwere Wirt­schaft her­vor­ge­bracht – mit ver­heeren­den Fol­gen für die ärms­ten Län­der der Welt.

FALTER-Rezension

Müllimperialismus: Wie Abfall die Welt regiert

Peter Iwaniewicz in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 39)

In Abwandlung eines Werbe­spruchs der Firma Mül­ler­milch müs­sen wir uns heut­zu­tage fra­gen: „Alles Müll, oder was?“ Denn das Ge­samt­ge­wicht der von Men­schen ge­mach­ten Ob­jek­te reicht in­zwi­schen an das der Bio­mas­se des Pla­ne­ten heran. Künst­li­che Din­ge, von Wol­ken­krat­zern über Au­tos, Com­pu­ter bis zu Plas­tik­trink­hal­men, wer­den bald mehr wie­gen als alle Bäume, Pflan­zen, Tiere und Men­schen zu­sam­men. Oder noch deut­li­cher for­mu­liert: Die Fähig­keit der Menschh­eit zur Pro­duk­tion von Müll be­zie­hungs­weise von Din­gen, die frü­her oder spä­ter zu Müll wer­den, über­steigt zu­neh­mend die Kapa­zi­tät des Pla­ne­ten zur Pro­duk­tion von Leben.

In „Der Krieg um unseren Müll“ (engl.: „Waste Wars“) legt der Jour­na­list Ale­xan­der Clapp ein fes­seln­des Stück in­ves­ti­ga­ti­ven Jour­na­lis­mus vor. Wäh­rend Roman Kös­ter in sei­nem 2023 er­schie­ne­nen Buch „Müll“ die Kul­tur­ge­schichte un­se­rer Ab­fäl­le be­schreibt, geht es bei Clapp um die Fra­ge, wa­rum unser Müll von einem Kon­ti­nent zum an­de­ren trans­por­tiert wird und wie der schein­bar so ba­nale Akt des Weg­wer­fens einen welt­um­span­nen­den Han­del her­vor­brachte, der wie ein Zerr­spie­gel der glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft, von Aus­beu­tung, Pro­duk­tion und Kon­sum, wirkt.

Clapp ist als Reporter den Spuren des Mülls um die ganze Welt gef­olgt und hat mit Men­schen ge­spro­chen, die vom Han­del mit Müll pro­fi­tie­ren, ihn ver­ar­bei­ten und il­le­gal ent­sor­gen, so­wie mit je­nen, in deren Um­welt die Ab­fälle de­po­niert werden.

Die aktuelle Müllbilanz der Welt ist astro­no­misch. Wo­che für Wo­che pro­du­ziert die Mensch­heit ihr Eigen­ge­wicht an neu­en Wa­ren, von de­nen sechs Mo­na­te nach dem Kauf nur noch ge­schätzt ein Proz­ent in Ge­brauch sind. Tag für Tag wer­den 1,5 Mil­liar­den Plas­tik­becher, 120 Mil­lio­nen Kilo­gramm Tex­ti­lien, 220 Mil­lio­nen Alu­do­sen und drei Mil­lio­nen Auto­rei­fen weg­ge­wor­fen. So wur­den zum Bei­spiel in der Mi­nute, die Sie brauch­ten, um die­se Zei­len zu le­sen, eine wei­te­re Mil­lion Plas­tik­fla­schen weg­ge­wor­fen und eine wei­tere Last­wa­gen­la­dung Müll ins Meer ge­kippt.

Aber dieses Buch bietet weitaus mehr als diese depri­mie­ren­den Zah­len und Fak­ten. Clapp er­zählt Ge­schich­ten, bie­tet leben­dige Ge­sprä­che mit Au­gen­zeu­gen, er­zeugt greif­bare Bil­der von je­nen Ge­gen­den, in de­nen Müll so­wohl Lebens­grund­lage als auch Ge­fahr für die Um­welt ist.

„Abgründe eines globalen Mil­li­ar­den­ge­schäfts“ ist der Un­ter­ti­tel des Buchs, das die er­schrecken­den Di­men­sio­nen die­ses glo­ba­len Wirt­schafts­zweigs aufzeigt.

„Wenn Sie wissen wollen, wie der Müllhandel funk­tio­niert, den­ken Sie an den Dro­gen­han­del. Mit dem Unter­schied, dass der Müll von den rei­chen in die armen Län­der kommt“, zi­tiert Clapp Teodor Niţă, einen ru­mä­ni­schen Staats­an­walt, der die il­le­gale Ent­sor­gung aus West­eu­ro­pa verfolgt.

Als der US-amerikanische Publizist Vance Packard in sei­nem 1964 er­schie­ne­nen Buch „Die große Ver­schwen­dung“ erst­mals die Fol­gen des Über­kon­sums der Nach­kriegs­ge­sell­schaft auf­deckte, blieb Müll noch in dem Land, in dem er pro­du­ziert wurde. Doch seit den 1980er-Jah­ren wurde ein Teil un­se­rer Ab­fäl­le nicht mehr in De­po­nien vor Ort ent­sorgt, son­dern über­quert Gren­zen und Meere. Aus Ab­fäl­len, die man in die nächste Ton­ne warf und ver­gaß, wurde ein Ex­port­gut. Be­son­ders ge­winn­träch­tig war da­bei weni­ger der Müll selbst, son­dern vor al­lem des­sen Transport.

Besonders augenöffnend sind die Pas­sagen, in denen Clapp die Illu­sion von Re­cyc­ling ent­larvt. Wer glaubt, dass die brav ge­sammel­ten und in die Re­cyc­ling­tonne ge­wor­fe­nen Plas­tik­ab­fäl­le die Um­welt scho­nen, muss sich einer an­deren Wirk­lich­keit stel­len. Her­stel­ler könn­ten je­des Ma­te­rial als „wie­der­ver­wert­bar“ de­kla­rie­ren, selbst wenn es nie­mand re­cycelt. Die Rea­li­tät: Ein Groß­teil der an­geb­lich re­cycel­ten Ma­te­ria­lien wird nur in den glo­ba­len Sü­den ex­por­tiert, ver­seucht Bö­den in Mexi­ko, endet als bren­nen­de Elektro­schrott-Hal­den in Ghana und er­zeugt töd­li­che Dämp­fe über in­di­schen Dörfern.

„Beim illegalen Handel mit Holz oder Elfen­bein ver­lie­ren Län­der wert­volle Roh­stoffe“, er­klärt ein Lei­ter der Son­der­er­mitt­lung von Inter­pol die Motiv­lage der In­dus­trie­länder. „Aber wenn Müll außer Lan­des ge­schafft wird, ent­le­di­gen sie sich einer Bürde. Sie ha­ben allen An­reiz, ihn ein­fach zie­hen zu las­sen. Es ist ein Ge­schäft von un­fass­ba­ren Di­men­sionen.“

Clapps Analysen durchbrechen den Mythos der in­di­vi­du­el­len Ver­ant­wor­tung. Nicht das rich­tige Tren­nen ret­tet den Pla­ne­ten, son­dern die Re­duk­tion der Wa­ren­pro­duk­tion. Müll ist kein in­di­vi­duel­les, son­dern ein sys­te­mi­sches Prob­lem und damit eine poli­ti­sche Frage.

Das Buch ist ein Weckruf, der die Bequem­lich­keit unse­rer grü­nen Punkte, gel­ben Sam­mel­säcke und Mar­ke­ting­ver­spre­chen von an­gebl­ich um­welt­scho­nen­den Ma­teria­lien zerstört.

Clapp bemüht sich stilistisch um Sachlich­keit, doch er schreckt auch vor pro­vo­ka­ti­ven For­mu­lie­rungen nicht zu­rück. Man spürt seine per­sön­li­che Be­trof­fenh­eit und kann gut nach­voll­zie­hen, wie er in den zwei Jah­ren sei­ner Rei­sen zu den Hot­spots der Müll­ent­sor­gung im­mer tie­fer in die Ab­gründe von glo­ba­len Fir­men­netz­wer­ken, poli­ti­scher Kor­rup­tion und toxi­scher Um­welt­zer­stö­rung ein­tauchte.

„Der Krieg um unseren Müll“ ist ein hef­ti­ges, bril­lant recher­chier­tes Buch, das Repor­tage, Ana­lyse und per­sön­liche Er­leb­nis­se so ge­konnt ver­bin­det, dass man stel­len­wei­se meint, einen Krimi­nal­ro­man zu lesen.

Die Mechanismen und Auswüchse der Müll­wirt­schaft soll­ten im Zen­trum der Klima­de­bat­te ste­hen. Nach­dem man die­ses Buch ge­le­sen hat, müs­sen wir uns der Fra­ge stel­len, ob wir wei­ter im Müll­impe­ria­lis­mus le­ben wol­len oder be­reit sind, die Kos­ten un­se­res Kon­sums selbst zu tragen.

Posted by Wilfried Allé Wednesday, October 15, 2025 8:18:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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