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von Mouffe, Chantal

Kann es das geben, einen guten, linken Populismus? Chantal Mouffe vertritt die Auf­fas­sung, dass dies mög­lich und sogar not­wen­dig ist – eine Po­si­tion, die ihr auch Kri­tik ein­ge­tra­gen hat. Führt das nicht zu einer ge­fähr­lichen Emo­ti­ona­li­sierung? Läuft das nicht eben­falls auf eine Unter­schei­dung zwi­schen gutem Volk und bösem Es­ta­b­lish­ment hi­n­­aus? Po­li­tik, so Mouffe, funk­tio­niere nun ein­mal über kon­fron­ta­tive Wir/sie-Kon­struk­tionen; und ja, es gebe eine Art »Oli­gar­chie«, die eine Ver­wirk­lichung demo­kra­ti­scher und öko­lo­gischer Ziele ver­hin­dere. Dies mache klare po­li­ti­sche Alter­na­tiven und neue pro­gres­sive Alli­an­zen er­for­der­lich. Eine so prä­zi­se wie pro­vo­kan­te In­ter­ven­tion, die an­ge­sichts der Krise so­zial­li­beraler Par­teien und der De­bat­te um »Iden­ti­täts­po­li­tik« für Ge­sprächs­stoff sor­gen wird.

Übersetzung: Richard Barth
Verlag: Suhrkamp
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Taschenbuch: 111 Seiten
Erscheinungsdatum: 10.09.2018
Preis: € 14,40
Erhältlich auch als eBook

Rezension aus FALTER 43/2018

Gegen die Lauheit der Mitte: Her mit dem Feindbild!

Sozialdemokraten aufgepasst: Die Theoretikerin Chantal Mouffe legt ein leserfreundliches Plädoyer für einen linken Populismus vor

Es geschehen Wunder. Chantal Mouffe hat ein lesbares Buch geschrieben. Die 75-jährige Belgierin wurde durch die gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Ernesto Laclau verfassten Bücher bekannt, in denen sie jargonreich Marxismus mit Ideen von Antonio Gramsci und Jacques Lacan verknüpfte. Linkspopulisten in Lateinamerika oder Spanien beriefen sich auf Mouffe und Laclau, ohne dass deren Dekonstruktionen und Diskursanalysen eine breitere Leserschaft erreicht hätten.

Nun legt Mouffe eine Schrift vor, deren Argumente erstaunlich stringent sind. „Für einen linken Populismus“ ist das gelassene Ergebnis einer 50-jährigen Forschungsarbeit und liefert Zunder für das politische Thema der Gegenwart: Wie lässt sich ein linkes Programm nach dem Ende der Arbeiterklasse formulieren?

Wir gegen die Oligarchen

Mit dem Begriff des Populismus greift Mouffe ein heißes Eisen an, denn der Begriff steht für Radikalisierung und Antipluralismus. Das Schlagwort ließe sich für eine Erneuerung der Demokratie stark machen, argumentiert Mouffe. Die sozialdemokratisch sedierte Mitte der Gesellschaft soll durch Streit („Agonismus“) aus dem Dämmerschlaf gerissen werden, mehr noch: Im Sinne des rechten Vordenkers Carl Schmitt muss ein Feind her. Er heißt neoliberale Oligarchie.

Mouffe spricht von der Krise der Finanzmärkte, die ein populistisches Moment eröffne. Ein aus dem Ruder gelaufener Ökonomismus biete sich als jenes Feindbild an, das ein Gemeinschaft stiftendes „Wir“ ermögliche. Mouffes Analyse fasst scharfsinnig die Alternative zusammen. Entweder „das Volk“ (ein ebenfalls heikler Begriff) bekommt ein Angebot, das die Hegemonie der Oligarchen beendet, oder es läuft zu jenen über, die – wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro – die Demokratie von rechts bekämpfen.

Von Thatcher lernen

Dabei betont Mouffe den Wert der Emotionen und der Moral, die vom Marxismus stets als Verblendung der wahren Klassenverhältnisse abgetan wurden. Mouffe empfiehlt den linken Strategen, die Werkzeugkiste der Rechtspopulisten zu plündern und Begriffe wie Heimat und Nation zu entwenden. Das Kapitel „Vom Thatcherismus lernen“, ebenfalls ein Konzentrat älterer Publikationen, verneigt sich vor der Staatskunst der Eisernen Lady, die es schaffte, einen Keil zwischen Gewerkschaften und den kleinen Mann zu treiben und damit den Siegeszug des Neoliberalismus zu ermöglichen.

Anders etwa als Sahra Wagenknecht in Deutschland spielt Mouffe den Sozialismus nicht gegen linke Identitätspolitik aus. Um die Gesellschaft wieder gleicher und gerechter zu machen, sei eine „Äquivalenzkette“ notwendig, die Forderungen der Arbeiter und Einwanderer mit den Anliegen der vom Abstieg bedrohten Mittelschicht und der LGBT-Community verknüpft. „Das Ziel einer solchen Kette ist die Errichtung einer neuen Hegemonie, die die Radikalisierung der Demokratie ermöglichen wird“, schreibt Mouffe.

Wie sich dieses politische Subjekt konstituieren soll, bleibt unklar. Etwas vage spricht Mouffe von neuen Organisationsformen, wie sie etwa von der Podemos-Bewegung in Spanien entwickelt wurden. Der Umweltschutz ist ein Thema, das eine „populistische Anrufung“ ermöglichen könnte. Mouffe führt diesen Ansatz nicht weiter aus, aber die Botschaft ist klar: Wenn der Planet den Bach runtergeht, finden Antikapitalisten, queere Aktivistinnen und besorgte Kleinbürger zueinander. Mit Spannung wartet man auf Mouffes großen Wurf zur Ökokratie.

Matthias Dusini in FALTER 43/2018 vom 26.10.2018 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, October 24, 2018 12:01:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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