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Verschwörungsmythen und Fake News kontern - in der Familie, im Freundeskreis und online

von Ingrid Brodnig

ISBN: 9783710605208
Ausgabe: 4. Auflage
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 160 Seiten
Format: Hardcover
Erscheinungsdatum: 25.01.2021
Verlag: Brandstätter Verlag
Illustrationen: Marie-Pascale Gafinen
Preis: € 20,00

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Was tun, wenn Freunde, Verwandte oder Bekannte mit Aus­sagen kom­men, die ins Reich der Ver­schwörungs­mythen und Fake News ge­hören? Wie mit bi­zar­ren oder gar ge­fähr­lichen Theo­rien in sozi­alen Medien um­gehen? In Dis­kus­sio­nen über das Corona­virus, die Klima­krise oder Mi­gra­tion ver­zwei­feln wir über Speku­latio­nen und Falsch­mel­dungen. Das Ge­fühl der Über­for­de­rung wächst: Wie­so glau­ben die mir nicht ein­mal dann, wenn ich dem Un­sinn im WhatsApp-Chat mit Fakten kontern kann?
Ingrid Brodnig zeigt, wie wir in hitzigen Debat­ten ruhig blei­ben und unse­ren Stand­punkt ver­deut­lichen. Wann ist Dis­ku­tieren über­haupt sinn­voll? Warum sind unseri­öse Stim­men sicht­barer, und wel­che rhe­to­ri­schen Tricks sollte man ken­nen? Wel­che Rol­le spie­len digi­tale Ka­näle, und wie kom­men wir ge­gen die Macht der Auf­merk­sam­keits­öko­nomie an? Die­ses Buch lie­fert die Stra­te­gien für eine kluge Dis­kus­sions­füh­rung und Tipps für Formu­lie­rungen, die auch in emo­tio­nali­sier­ten Dis­kus­sionen wirken.

FALTER-Rezension

„Ich war immer schon ein Geek“

Als „Mini-Medium“ beschreibt sie sich. Ingrid Brodnig, deren jour­na­lis­tische An­fänge beim Falter lie­gen, ist seit Jah­ren die Inter­net-Er­klärerin der Nation. Die 36-Jäh­rige hat mittler­weile fünf Bücher ge­schrie­ben über die großen Fra­gen, die Inter­net­nutzer um­trei­ben: Wie um­gehen mit Hass im Netz, wie mit Ano­ny­mi­tät und wie mit Falsch­mel­dun­gen? Auch mit der Macht der US-Digi­tal­kon­zerne hat sie sich be­reits aus­ein­ander­ge­setzt.

In „Einspruch!“, das im Jänner erschien, be­schäf­tigt sie sich damit, wie man in Dis­kus­sio­nen Ver­schwö­rungs­theo­rien ent­kräf­ten kann – vor al­lem jene rund um Co­ro­na. Mit dem ­Fal­ter sprach Brodnig über „Deplat­forming“, den Idea­lis­mus des E-Mails und wa­rum sie Ver­schwö­rungs­er­zäh­lungen rund um Bill Gates auch nach­voll­ziehen kann.

Falter: Frau Brodnig, wann sind Sie das letzte Mal einer Falschmeldung aufgesessen?

Ingrid Brodnig: Als die Satireseite Die Tages­presse sehr neu war, gab es einen Ar­tikel über ein neues Mas­kottchen der römisch-katho­lischen Kirche. Das war Keuschi, das Känguruh, das für Keusch­heit bei Jugend­lichen plä­diert. Ich habe es am An­fang für wahr ge­halten. Man ist im­mer dann empfäng­lich, Falsch­mel­dungen zu glau­ben, wenn sie die eige­nen Vor­ur­teile be­stä­tigen. Und für mich war das, dass die Kirche einen selt­samen Um­gang mit Sexua­li­tät und kei­nen wirk­lichen Zu­gang zur Jugend­kul­tur hat. Ich geh übri­gens auch da­von aus, dass es Falsch­mel­dungen gibt, die ich nach wie vor glaube, ohne zu wis­sen, dass es Falsch­mel­dungen sind.

Warum?

Brodnig: Man ortet das Problem der Irreführung bei anderen viel bes­ser als bei sich selbst. Das nennt man den „Third-Per­son Effect“. Leute stu­fen die Chance, selbst auf etwas rein­zu­fal­len, nied­riger ein als bei an­deren. Rech­ne­risch geht sich das nicht aus. Peter Filz­maier hat in einer Um­frage ge­zeigt, dass nur vier von zehn Öster­rei­chern mei­nen, dass sie sich selbst schwer­tun, zwi­schen Fake und rea­len News zu unter­schei­den. Aber acht von zehn Be­frag­ten mei­nen, dass an­dere sich schwer­tun. Ent­weder über­schätzt man sich selbst oder man unter­schätzt die an­deren – oder beides.

Welche Falschmeldungen und Verschwörungstheorien sind die erfolgreichsten?

Brodnig: Viele aktuelle Erzählungen sind in der Sache völ­lig un­sin­nig, aber sie funk­tio­nieren, weil da­bei Be­dürf­nisse, Feind­bilder oder Ängste mit­schwin­gen, die Leute ha­ben. Die My­then rund um Bill Gates zei­gen das. Gates för­dert ja mit sei­ner Stif­tung tat­säch­lich viel For­schung und Impf­pro­gram­me in Ent­wick­lungs­län­dern. Das macht ihn zum Feind­bild von Impf­geg­nern. Aber manch­mal kön­nen auch jene Men­schen der Anti-Bill-Gates-Rhe­to­rik etwas ab­ge­win­nen, die Sor­ge haben, dass Super­rei­che sehr stark be­ein­flus­sen, welche For­schung statt­fin­det oder welche medi­zi­ni­schen Pro­gram­me er­mög­licht wer­den. Es ist leicht, Ver­schwö­rungs­my­then zu be­lächeln, aber beim Dis­ku­tie­ren sollte man genau hin­hören, was eine Er­zäh­lung für je­man­den attrak­tiv macht. Und dann bei­spiels­weise sa­gen, ich kann deine Skep­sis rund um super­rei­che Mä­zene nach­voll­zie­hen, aber man sollte fair blei­ben und Gates nur daran be­wer­ten, was er getan hat.

Nach den Ausschreitungen im US-Kapitol Anfang Jänner haben Face­book und Twit­ter die Accounts von Donald Trump ge­sperrt. Auch er hat Falsch­mel­dungen ver­brei­tet, etwa, dass die Wahl ge­fälscht wor­den sei. Ist es nicht ge­fähr­lich, wenn pri­vate Unter­nehmen so et­was ent­scheiden können?

Brodnig: Das Oversight Board von ­Facebook, eine Art fach­licher Bei­rat der Platt­form, kam in sei­ner Stel­lung­nahme An­fang Mai zu dem Er­geb­nis, dass es gerecht­fer­tigt war, Trump aus­zu­sper­ren, weil seine Pos­tings das Risiko der Ge­walt ver­größer­ten. Man könnte die Fra­ge stel­len, wa­rum so lange ge­wartet wurde. Mein Ein­druck ist, dass Social-Media-Platt­formen oft erst spät rea­gie­ren, und dann, wenn es poli­tisch oppor­tun ist. Also zum Bei­spiel, wenn Trump tat­säch­lich die Wahl ver­loren hat und die Demo­kra­ten die Füh­rung über­nehmen. Ich finde aber auch, auf lange Sicht sollte es nicht die Ent­schei­dung von weni­gen Unter­nehmen sein, wer Zu­gang zu einem Mil­liar­den­publi­kum be­kommt. Man könnte über­legen, die ge­richt­li­chen Zu­stän­dig­kei­ten aus­zu­dehnen oder eine Medien­auf­sicht in Europa ein­zu­führen, die Leit­linien for­mu­liert, wann es not­falls in Ord­nung ist, ei­nen rele­van­ten Poli­tiker aus­zu­sperren.

Und wenn jemand wie Martin Sellner von Youtube gesperrt wird, der zwar ex­tre­mis­tische Ideo­lo­gien ver­brei­tet, aber vom Einf­luss nicht mit einem US-Prä­si­den­ten zu ver­gleichen ist?

Brodnig: Es gibt Untersuchungen, die zeigten, dass rechts­ex­treme Ak­teure, die von großen Platt­formen ver­bannt werden, auf klei­neren Platt­formen weni­ger Reich­weite er­zie­len. In Öster­reich, in Euro­pa kann ich kla­gen, wenn ich ent­fernt werde; auch Sellner hat das ge­tan und ist ab­ge­blitzt. Auf lange Sicht wer­den wir mehr Ge­richts­ver­fahren rund um sol­che Fra­gen ha­ben. Und so we­nig Sym­pathie ich für Martin Sellner habe, halte ich es für not­wen­dig, Sper­ren trans­pa­rent zu ma­chen, weil wir erst dann da­rüber ver­nünf­tig dis­ku­tie­ren kön­nen. Ver­gan­genes Jahr ist Face­book bei­spiels­weise stren­ger ge­gen einige rechts­ex­treme Milieus vor­ge­gan­gen. Es sind aber auch anti­ras­sis­tische Skin­heads ge­sperrt wor­den. Face­book hat spä­ter ein­ge­räumt, dass das ein Feh­ler war, und sie wie­der zu­ge­las­sen. Wir wis­sen aber nicht, ob ein Feh­ler pas­sierte, weil ein Al­go­rith­mus irrte oder ein mensch­licher Mode­rator falsch lag. Das ist ein Problem.

Ist das Oversight Board von Facebook, das seit Oktober 2020 ar­beitet, ein Schritt in die rich­tige Richtung?

Brodnig: Darin sitzen namhafte Expertinnen und Experten, die es ernst neh­men, wie der frü­here Guardian-Chef­redak­teur Alan Rus­bridger. Aber am Ende ist es nur ein be­raten­des Gre­mium für Face­book. Das ist bes­ser, als es vor­her war. Aber man darf es nicht mit einem Höchst­ge­richt ver­glei­chen. Als Mark Zucker­berg es 2018 an­kün­dig­te, be­schrieb er es „fast wie ein Höchst­ge­richt“. Aber es gibt das Board nur, weil Face­book es fi­nan­ziert. Wenn Face­book die Ent­schei­dungen igno­riert, pas­siert auch nichts.

Der Digital Services Act der EU-Kommission will den großen Platt­­for­men mehr Trans­pa­renz auf­er­legen. So sol­len mehr Daten an die For­schung wei­ter­ge­ge­ben wer­den dür­fen, um wirk­lich zu ver­ste­hen, wie sehr der
Algo­rith­mus das mensch­liche Ver­­hal­ten be­ein­flusst. Wird das gelingen?

Brodnig: Ich bin zuversichtlich, dass die EU-Kommis­sion es ernst meint, den großen Digi­tal­kon­zer­nen auf die Füße zu stei­gen. Viele Poli­tiker wur­den zu­dem be­reits Opfer von Hass­kom­men­taren und Falsch­mel­dungen. Das er­höht die Chance, dass sie es ernst neh­men. Meine Er­fah­rung mit euro­pä­ischen Ver­hand­lungs­pro­zes­sen ist, dass es im Finish ein ex­tremes Tau­ziehen gibt, die Fra­ge bleibt, ob sich ge­wisse Wirt­schafts­inter­essen oder zivil­ge­sell­schaft­liche An­lie­gen durch­setzen. Die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung wurde auch des­halb so streng, weil ge­rade die NSA-Af­färe auf­flog. Da­mals wurde klar, unse­re Da­ten und unse­re Privat­sphäre sind gefährdet.

Hat denn da die EU realistischerweise überhaupt diese Macht?

Brodnig: Jeder, der mir ein Produkt in meinem Wirt­schafts­raum ver­kauft, muss mei­ne Re­geln be­folgen. Wie­so soll das Digi­tale die erste Wirt­schafts­spar­te sein, die nicht re­gu­liert wer­den kann? Wenn die EU stren­gere Re­geln hat, gehe ich da­von aus, dass die von Face­book, You­tube und Co be­folgt wer­den. Für Face­book sind die USA der größte Markt für Werbe­ein­nah­men. An zwei­ter Stelle kommt schon Europa. Kein Digi­tal­kon­zern kann den ei­ge­nen Aktio­nä­ren er­klä­ren, wa­rum er auf die­sen Markt ver­zichtet.

Sie gehören zu der Generation, die als Teenager erstmals mit dem Internet in Kon­takt kamen. Wie hat sich das da­mals an­gefühlt?

Brodnig: Einer unserer Informatiklehrer hieß Url. An den Schul­com­putern waren viele Web­siten ge­sperrt, es stand im­mer „URL is not allowed“. Ich habe mir im­mer ge­dacht, es ist so ge­mein vom Pro­fes­sor Url, dass er al­les sperrt ... Die ers­ten Geh­ver­suche im Netz ga­ben mir das Ge­fühl: Die­ses Ding wird al­les ver­än­dern. Das ist der Grund, wa­rum ich mich als Jour­na­lis­tin da­rauf spezia­li­siert habe. Ich war im­mer ein Geek. Und ich kann bis heute der An­nahme, dass das Inter­net eine Chance für eine sach­li­chere, res­pekt­vol­lere, bes­sere De­bat­te bie­tet, etwas ab­ge­win­nen. Der Fehl­schluss war da­mals al­ler­dings, dass sich diese gute Seite nicht auto­ma­tisch zeigt. Außer­dem gab es in den Nuller­jah­ren die­se Ent­wicklung, dass aus einer Viel­zahl der digi­ta­len An­ge­bote eine Mono­kul­tur von weni­gen domi­nan­ten Platt­for­men wurde. Hät­ten wir an den Ideal­vor­stel­lun­gen fest­ge­halten, hät­ten wir heute ein bes­seres Inter­net. Ein Bei­spiel: Von einer Gmail-Adres­se kann ich E-Mails an Leute mit einer Hot­mail-Adres­se schicken. Das er­laubt die Inter­opera­bi­li­tät von E-Mails. Aber eine Nach­richt auf Face­book kann ich nicht an je­man­den auf Signal schicken. Da wur­de die Inter­ope­ra­bi­li­tät ge­zielt ein­ge­schränkt, damit die Platt­formen die Leute im ei­ge­nen Reich behalten.

Anna Goldenberg in Falter 20/2021 vom 21.05.2021 (S. 24)

Posted by Wilfried Allé Monday, November 15, 2021 3:37:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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