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Und wie es unser Leben beherrscht

von Edgar Cabanas, Eva Illouz

Übersetzung: Michael Adrian
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 242 Seiten
Erscheinungsdatum: 27.10.2019
Preis: € 15,50

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Glück lässt sich lernen. Das will uns die boomende Glücksindustrie weismachen. Und so explodiert seit den neunziger Jahren die Zahl der Glücksseminare, Glücksratgeber und Happiness-Indizes. Heute liegt es an uns selbst, negative Gefühle zu blockieren, uns selbst zu optimieren und Achtsamkeit zu praktizieren. Dann – so das Heilsversprechen – kommt auch das Glück. Doch was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn der Staat sich zunehmend nicht mehr für soziale Gerechtigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem zuständig fühlt und den Bürgerinnen und Bürgern einer ultra-individualistischen Gesellschaft die gesamte Verantwortung für das eigene Schicksal übertragen wird?Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt – und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind. Edgar Cabanas ist Professor für Psychologie an der Camilo-José-Cela-Universität in Madrid und assoziierter Wissenschaftler am Zentrum für Geschichte der Gefühle des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Eva Illouz, geboren 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique, CSE-EHESS in Paris.

 

Rezension von Stephanie Metzger

Jeder ist seines Glückes Schmied: Dieses Sprichwort hat derzeit Hochkonjunktur. Glück ist eine Art Lifestyle geworden, wer keins hat, ist selbst Schuld. In "Das Glücksdiktat" zeigen Eva Illouz und Edgar Cabanas, wie verhängnisvoll dieses Ideen sind.

Es gibt sie, die Formel für das Glück: Glück = V + L + W. Aufgestellt hat sie Martin Seligman, Chefalchimist der sogenannten "Positiven Psychologie". Die Ingredienzien: vererbtes Glückspotential, Lebensumstände und der Willen zum Glück. Gemischt im prozentualen Verhältnis von 50 zu 10 zu 40 wird Glück in dieser Formel zu einer ziemlich individuellen Sache, die wir herstellen können – und die nur wenig von sozialen Umständen abhängt.

Die Message: Glück ist steuerbar

Eine echte Glücks-Verheißung, diese Glücksformel, könnte man meinen. Und in Zeiten analoger, viel lieber aber noch digitaler Selbstdarstellung und Selbstoptimierung der Baustein für ein gelungenes Leben. Denn, so die Diagnose von Eva Illouz und Edgar Cabanas in ihrem Buch "Das Glücksdiktat": Wir alle wollen oder besser sollen heute vor allem eines: glücklich sein! Oder mit anderen Worten: narzisstische Konsumenten. "Glück ist zu einer Art Lifestyle geworden," erklärt Edgar Cabanas, "individualistisch, konsumorientiert und uns immer auf unser Innenleben zurückwerfend. Permanent sollen wir auf unsere Gefühle, Gedanken, Empfindungen usw. hören. Das ist auch eine sehr konservative Idee, die sagt, man kann sein Leben einfach dadurch ändern, dass man sich selbst ändert und nicht die Verhältnisse".

"Glücksdiktat" nennen der spanische Psychologe Cabanas und die israelische Soziologin Illouz den Motor hinter einem Lifestyle, der die Kategorie "Glück" zu seinem obersten Prinzip erklärt. Sie zeichnen nach, wie sich die Positive Psychologie seit den 1990er-Jahren mit ihren Lehren von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und der Transformation negativer Gefühle im akademischen Feld etablieren konnte. Und wie sie zugleich im Verbund mit Glücksforschung und Glücksökonomie Glück zu einer steuerbaren, berechenbaren und vor allem verkäuflichen Variablen formte. Ein Prozess, methodisch gestützt von Stimmungsanalysen und digitaler Selbstvermessung, bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung und Big Data. Erst so konnte Glück überhaupt zum messbaren Gegenstand einer ganzen Industrie werden.

Das Geschäft mit dem Glück

Glück bestimmt den Markt und wird ein Mitspieler der Macht, so Edgar Cabanas: "Glück ist tief verstrickt in die Strukturen der Macht. Es wird zum Argument in Entscheidungsprozessen, etwa im Unternehmensmanagement. Dann soll Glück dafür stehen, was gut für uns ist, was gesund ist, was uns zum Erfolg bringt. Mit Glück wird aber auch Ungerechtigkeit gerechtfertigt. Und es wird zum Schlüsselbegriff bei der Lösung komplexer politischer Probleme, die aber eben nicht nur dadurch gelöst werden können, dass man sich auf das Wohlergehen oder die Gefühlslage der Bevölkerung beruft."

Wenn Glück höchst individualistisch aufgefasst, als solches aber zugleich zum Index des gesellschaftlichen Gemeinwohls erklärt wird, ist Sozialabbau leicht zu rechtfertigen. Wenn Entlassungen zur Chance in der persönlichen Entwicklung und diese wiederum zur Voraussetzung von Glück mutiert, können sich Arbeitgeber aus sozialer Verantwortung zurückziehen. Noch dazu, wenn der neue "Psychobürger", den die Autoren mit dem Glücksdiktat aufsteigen sehen, gerade deshalb glücklich ist, weil er seine Gefühle im Griff hat, sich im "personal branding" seinem authentischen Selbst anzunähern glaubt oder nach persönlicher Optimierung strebt. Alles Eigenschaften, die sich sehr geschmeidig ins neoliberale Narrativ von Flexibilität, Mobilität und Wettbewerb einpassen. Wer glücklich ist, ist selbst dafür verantwortlich. Aber, wer leidet eben auch. Eine gefährliche Idee: "Wenn man Glück als eine Wahl versteht," so Canabas, "dann wird auch das Leiden zu einer Wahl. Dann leidet man entweder, weil man leiden möchte, oder, weil man es verdient hat, weil man eben nicht alles dafür tut, das Leid zu überwinden."

Die Jagd nach Glück entpolitisiert und entsolidarisiert

Mit viel Engagement für eine solidarische Gesellschaft machen Eva Illouz und Edgar Cabanas die Jagd nach dem Glück als Prozess der Entpolitisierung transparent. Soziale Verantwortung, Empathie oder gesellschaftskritisches Denken gehen in diesem Prozess verloren, der selbst nur immer mehr Unglück erzeugt. Weil es eben immer noch besser, harmonischer und authentischer geht. Es sind keine unbekannten Diskurs-, Macht- und Marktmechanismen, die die Autoren aufschlüsseln. Aber wie präzise und mit welcher politischen Schärfe sie aufzeigen, was eine reduktionistische Auffassung von Glück an sprachlicher Manipulation in Unternehmenskulturen, an Entsolidarisierung oder Vermarktung ermöglicht, ist so erhellend wie alarmierend.

Denn eigentlich wissen wir ja nicht erst, seitdem wütende junge Menschen eine entschiedene Klimapolitik einfordern, dass "unglückliche" Gefühle wie Frust, Angst oder Wut sozialen Wandel, oder sollte man sagen "Glück" befördern können. Glück, so anstrengend das sein mag, ist eben doch keine Formel, sondern das Ergebnis politischer Aushandlung: "Wir sehen ja, dass die Menschen Veränderung wollen und gegen diese Ideen zu kämpfen beginnen. Sie wehren sich gegen all die Konzepte und falschen Versprechungen. Nur so kann das Glücksdiktat torpediert werden. Und um das zu befördern, muss man diese falschen Versprechungen erst einmal durchdringen, die Lügen und die Konzepte von Glück dahinter. Wir Wissenschaftler können keine Definition von Glück liefern, denn Glück ist eine politische Idee, sie muss demokratisch ausgehandelt werden. Die Bürger, nicht Soziologen müssen entscheiden, was Glück ist."

Posted by Wilfried Allé Wednesday, June 3, 2020 9:11:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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