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Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden

von Ulrike Herrmann

ISBN: 9783462002553
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Umfang: 352 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 08.09.2022
Format: Hardcover
Preis: € 24,70

 

Kurzbeschreibung des Verlags

Demokratie und Wohlstand, ein längeres Leben, mehr Gleich­be­rech­ti­gung und Bil­dung: Der Kapi­ta­li­smus hat viel Posi­ti­ves be­wirkt. Zu­gleich rui­niert er je­doch Klima und Um­welt, sodass die Mensch­heit nun exis­ten­ziell ge­fähr­det ist.
»Grünes Wachstum« soll die Rettung sein, aber Wirt­schafts­ex­per­tin und Best­seller­au­torin Ulrike Herr­mann hält da­ge­gen: Ver­ständ­lich und mes­ser­scharf er­klärt sie in ihrem neuen Buch, wa­rum wir statt­dessen
»grünes Schrumpfen« brauchen.

FALTER-Rezension

Gerlinde Pölsler in FALTER 47/2022 vom 25.11.2022 (S. 51)

Sie regt an - und auf: Ulrike Herrmanns neues Buch "Das Ende des Kapi­ta­lis­mus" stürmte bei sei­nem Er­schei­nen so­fort auf Platz eins der Best­sel­ler­lis­ten, schon mit frü­he­ren Ti­teln wie "Hurra, wir dür­fen zah­len" über den "Selbst­be­trug der Mit­tel­schicht" lös­te die Ber­li­ner taz-Re­dak­teu­rin hef­tige Debat­ten aus. Auch dies­mal er­zür­nen ihre The­sen viele Men­schen: So ge­nügte ein nicht ein­mal ein­mi­nü­ti­ges Video auf der Face­book-Seite des deut­schen Sen­ders NDR, dass die­ser seine Kom­men­tar­funk­tion ein­schrän­ken musste. Der Aus­löser? Herr­mann hat­te ge­sagt: "Das Elek­tro­auto ist die to­ta­le Sack­gasse."
Nicht dass die Wirtschafts­re­dak­teu­rin ge­gen er­neuer­bare Ener­gie wäre. Sie ist nur über­zeugt, dass diese für un­se­ren der­zei­ti­gen Lebens­stan­dard nicht aus­rei­chen werde, und schon gar nicht für einen wei­ter wach­sen­den. Daher müss­ten wir un­sere Wirt­schaft kon­trol­liert schrump­fen, und das be­deu­te das Ende des Kapi­ta­lis­mus. Herr­mann selbst lebt in einer Zwei­zim­mer­woh­nung, hat kein Auto und "kann nicht mehr flie­gen". Diese Woche kommt die dis­putier­freu­dige Au­torin nach Wien.

Falter: Frau Herrmann, wie schlimm ist der Aus­gang der Welt­klima­kon­fe­renz, die nicht ein­mal den Aus­stieg aus Öl und Gas be­schlos­sen hat?

Ulrike Herrmann: Dieses Scheitern war zu er­warten. Es ist nicht mög­lich, Öl und Gas ein­fach mal schnell zu er­set­zen. Denn dann würde die ge­samte Welt­wirt­schaft so­fort still­ste­hen, weil die Ma­schi­nen nicht mehr lau­fen, Schif­fe nicht mehr fah­ren und Flug­zeu­ge nicht mehr flie­gen. Fridays for Future hat recht mit ihrem Slo­gan "System Change, Not Climate Change". Man muss sich vom Kapi­ta­lis­mus ver­ab­schie­den, wenn der Klima­schutz ge­lingen soll.

Immerhin haben es die ärmeren Länder erst­mals schrift­lich, dass ein Fonds zum Aus­gleich von Klima­schä­den in ihren Län­dern kom­men soll

Herrmann: Natürlich ist es richtig, die ärmeren Länder zu unter­stüt­zen. Was aber gern ver­ges­sen wird: Die Klima­krise ver­schärft sich un­auf­hör­lich. In vie­len Län­dern wird man schon 2070 gar nicht mehr le­ben kön­nen, wenn wir weiter­machen wie bis­her, weil es zu heiß ist. Da hel­fen Aus­gleichs­maß­nah­men dann auch nicht mehr.

Sie haben einen Lösungsvorschlag auf den Tisch gelegt. Aber warum muss da­bei gleich das ge­samte Wirt­schafts­sys­tem weg?

Herrmann: Erst einmal vorweg: Ich bin keine Kapi­ta­lis­mus­kri­ti­kerin. Ganz im Gegen­teil, ich finde die­ses Sys­tem außer­ordent­lich fas­zi­nie­rend, weil es das ein­zige Sozial­system in der Men­schheits­ge­schichte war, das für Wachs­tum und Wohl­stand sorgte. Und da­von ha­ben wir auch alle pro­fi­tiert. Vor 250 Jahren lag die Lebens­er­war­tung in Öster­reich bei 35 Jah­ren, heute steht sie bei über 80. Das ein­zi­ge Prob­lem am Kapi­ta­lis­mus ist, dass er ste­tes Wachs­tum be­nö­tigt, um sta­bil zu sein und nicht in schwere Kri­sen zu ge­ra­ten. Jetzt ha­ben wir aber das Prob­lem, dass die grüne Ener­gie nicht rei­chen wird, um weiter­hin Wachs­tum zu be­feuern. Wir brau­chen also grünes Schrump­fen, und Schrump­fen geht im Kapi­ta­lis­mus nicht. Dann bricht er zu­sammen.

Aber warum soll denn die grüne Energie nicht reichen? Die wird doch über­all, be­schleu­nigt auch durch die Folgen von Putins Ukraine-Über­fall, ge­rade aus­ge­baut.

Herrmann: Ja, viele Leute haben das Ge­fühl, da stehe doch schon eine Men­ge rum, zu­mal in Deutsch­land sieht man ja be­reits viele Wind­rä­der. In Wahr­heit ste­hen wir noch ganz am An­fang. Es wird ja im­mer vor­ge­rech­net, dass fast die Hälfte der Strom­er­zeu­gung be­reits klima­neu­tral sei. Aber Strom macht nur ein Fünf­tel des End­ener­gie­ver­brauchs aus, und künf­tig müs­sen wir auch Ben­zin, Öl und Gas er­set­zen. Und beim End­ener­gie­ver­brauch hat die Wind­kraft erst ei­nen An­teil von 4,7 Pro­zent, die Solar­kraft einen von 2,2 Pro­zent.

Was ist mit der Wasser­kraft, zäh­len Sie die nicht mit?

Herrmann: Die deckt in Deutsch­land 0,8 Pro­zent des End­energie­ver­brauchs ab.

In Österreich, aber auch in großen Län­dern wie China ist sie durch­aus wichtig.

Herrmann: Aber China hat dem­nächst Dauer­dürre! Die Was­ser­kraft lebt von den Nieder­schlägen und den Glet­schern. Durch den Klima­wandel ver­schwin­den aber die Glet­scher, und die Trocken­heit nimmt zu. Da wer­den wir mit der Was­ser­kraft nicht mehr weit kommen.

Wäre noch die Biomasse.

Herrmann: Ja, die macht in Deutsch­land den größ­ten Teil der klima­neu­tra­len Ener­gie­pro­duk­tion aus. Aber das sind meist Mono­kul­turen aus Mais und Raps, die viel Was­ser, Dün­ger und Pes­ti­zi­de be­nö­ti­gen. Die haben ja über­haupt kei­ne Zu­kunft, die­se Ener­gie­pflan­zen muss man ja zu­rück­fahren, um das Arten­ster­ben zu brem­sen. Das Ein­zi­ge, was sich wirk­lich aus­bauen lässt, sind eben Solar­panels und Wind­räder.

Aber angenommen, es gibt eine globale Kraft­an­stren­gung, wir stel­len über­all Wind­räder auf, pflas­tern alle Dä­cher, Wä­nde und Park­plät­ze mit Solar­an­lagen zu: Reicht es dann nicht irgend­wann?

Herrmann: Erstens geht das nicht ohne eine rie­sige Mate­rial­schlacht. Zwei­tens gibt es im Win­ter prak­tisch keine Son­nen­ener­gie, zu­min­dest nicht bei uns im Nor­den, und dummer­wei­se kommt es auch beim Wind zu Flau­ten, die lange dau­ern kön­nen. Also müs­sen wir zwi­schen­spei­chern, und da wird es auf­wen­dig. Batte­rien und grü­ner Was­ser­stoff sind rich­tig teuer, bis 2045 muss da erst eine Riesen­infra­struk­tur auf­ge­baut werden.

Sie sprechen 2045 an, weil Deutsch­land bis da­hin klima­neu­tral sein will; Öster­reich hat das sogar bis 2040 vor.

Herrmann: Genau, so steht es im Klima­ge­setz. Aber so, wie wir jetzt wirt­schaf­ten, wird das nichts. Um kein Miss­ver­ständ­nis auf­kom­men zu las­sen: Ich bin sehr für den Aus­bau der Er­neuer­baren. Aber die Vor­stel­lung vom grü­nen Wachs­tum ist wie der Traum, man könne Ku­chen fut­tern, so viel man will, und nehme trotz­dem ab. Wir ver­brau­chen im Augen­blick drei Pla­ne­ten. Aber es gibt nur eine Erde. Also müs­sen wir wie­der in die Gren­zen der Na­tur zu­rück­finden.

Warum aber muss der Kapitalismus, wie Sie sagen, zwin­gend wach­sen? Was, wenn wir auf dem jetzi­gen Niveau blieben?

Herrmann: Auch bei einer Stagnation tauchen be­reits all die Pro­ble­me auf, die sich ein­stel­len, wenn Wachs­tum aus­bleibt oder gar ein Schrump­fen ein­setzt. Ein ers­ter Grund: Wachs­tum kann es nur ge­ben, wenn es mit Kre­di­ten fi­nan­ziert wird. Um­ge­kehrt kön­nen die­se Kre­dite aber auch nur zu­rück­ge­zahlt wer­den, wenn das er­hoffte Wachs­tum ein­tritt. Hin­zu kommt: Unter­neh­men in­ves­tie­ren nur, wenn sie zu­sätz­li­che Ge­winne er­war­ten. Volks­wirt­schaft­lich ge­se­hen sind die­se Ge­win­ne aber das Glei­che wie Wachs­tum. Ohne Wachs­tum gibt es keine Ge­win­ne und da­mit kei­ne In­ves­ti­tio­nen, die Wirt­schaft ge­rät ins Stru­deln.

Laut Ihnen muss die Wirt­schaft nicht nur ein biss­chen schrump­fen, son­dern so­gar bis zur Hälfte. Wie kom­men Sie auf diese Zahl?

Herrmann: Das ist eine Schätzung. Ich habe mir über­legt, was wohl das Worst-Case-Sze­na­rio wäre, wenn es mit der Öko­ener­gie rich­tig, rich­tig knapp würde

Es reicht also vielleicht auch ein Viertel? Oder ein Zehntel?

Herrmann: Das könnte sein. Nur ist das für den Kapi­ta­lis­mus egal. In dem Mo­ment, da das Sys­tem nicht mehr wächst, ist er vor­bei. Das Ende des Kapi­ta­lis­mus ist aller­dings nicht das Ende der Mensch­heit und auch nicht des Wohl­stands. Wir müs­sen nicht zu­rück in die Stein­zeit und auch nicht in Fellen herum­lau­fen. Ein Schrump­fen um die Hälfte be­deu­tet für Öster­reich oder Deutsch­land, dass man un­ge­fähr im Jahr 1978 lan­det. Wenn ich in mei­nen Le­sun­gen sage: Da­mals waren wir doch genau­so glück­lich, dann nicken im­mer alle. Man­che sagen so­gar: Wir waren glück­licher.

Weil es weniger stressig war?

Herrmann: Genau. Und manche Scherz­kekse rufen dann: Das ist aber nur, weil wir da­mals jün­ger waren. Die Er­inne­rung an 1978 ist außer­ordent­lich gol­den bei al­len, die da­bei waren. Es gab zwar keine Erd­beeren im Win­ter und keine ein­ge­flo­ge­nen Man­gos, und man ist auch nicht für zwei Tage nach Mal­lorca ge­jet­tet, aber dann eben drei Wo­chen mit dem Auto nach Ita­lien an den Strand ge­fahren. Für alle, die nicht da­bei waren: 1978 war das Jahr, in dem Ar­gen­ti­nien Fuß­ball­welt­meis­ter wurde und der erste Teil von "Star Wars" in die Ki­nos kam. Vieles war gut.

Aber seither hat sich die Welt sehr ver­ändert.

Herrmann: Natürlich, es haben sich auch außer­ordent­lich posi­tive Dinge ent­wickelt. In den 1970ern sind zum Bei­spiel elf Pro­zent aller deut­schen Frauen an Brust­krebs er­krankt, und das en­dete oft töd­lich. Heute gibt es viel wirk­samere Krebs­thera­pien, auf die wir nicht zu ver­zich­ten bräuch­ten. Eine gute Nach­richt für die Ju­gendl­ichen: Wir könn­ten auch das Smart­phone be­halten.

Nun gibt es die Wachstumskritiker ja schon länger. Was ist bei Ihrem Ansatz anders?

Herrmann: Derzeit gibt es zwei Lager: Das eine sind die vie­len Leute, die das grüne Wachs­tum pro­pa­gie­ren. Das an­dere sind die Wachs­tums­kri­ti­ker, die liebe­voll die Idee einer Kreis­lauf­wirt­schaft aus­ge­stal­ten, in der wir nicht mehr ver­brau­chen, als wir re­cyceln kön­nen. Das finde ich auch wich­tig, nur ma­chen sie den Feh­ler, ihre Vi­sion gleich­zei­tig für den Weg zu hal­ten. Sie fra­gen sich nie, wie wir aus einem dy­na­mi­sch wach­sen­den Kapi­ta­lis­mus in eine Kreis­lauf­wirt­schaft kom­men, ohne dass es zum to­ta­len Chaos und Mil­lion­en von Arbeits­lo­sen kommt. Da­bei wis­sen Deut­sche und Öster­rei­cher ja per­fekt, was dann pas­siert: dann kommt ein rechts­radi­ka­ler Dik­ta­tor an die Macht, so wie Hitler 1933.

Und Sie haben den Weg gefunden?

Herrmann: Als Historikerin ist es nahe­lie­gend zu gucken, wo eine kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schaft be­reits ein­mal ge­schrumpft wur­de, ohne dass das Chaos aus­ge­bro­chen ist. Und da fällt die bri­ti­sche Kriegs­wirt­schaft ab 1939 ins Auge. Davon kann man viel lernen.

Und was?

Herrmann: Die Briten hatten den Zwei­ten Welt­krieg nicht wirk­lich kom­men se­hen. Als er aus­brach und klar war, dass Hit­ler Groß­bri­tan­nien an­grei­fen wür­de, blieb den Bri­ten nichts an­de­res üb­rig, als ihre zi­vi­le Wirt­schaft zu schrump­fen: da­mit sie in ihren Fa­bri­ken statt­des­sen Waf­fen, Radar­ge­räte und U-Boote bauen konnten. Da­bei wurde nichts ver­staat­licht, alles blieb pri­vat. Die Eigen­tümer und Mana­ger konnten in den Fa­bri­ken wei­ter agie­ren, wie sie das für rich­tig hiel­ten. Der Staat gab Pro­duk­tions­ziele vor; wie die er­reicht wur­den, blieb den Mana­gern über­lassen.

Nun wurden aber weniger Nahrung, Kleidung, Möbel her­ge­stellt

Herrmann: Genau. Die Briten haben nicht ge­hungert, aber es wurde eben alles knapp. Und diese nun knap­pen Güter wur­den ratio­niert. Jeder hat das Gleiche be­kom­men, es wur­de ab­so­lut ge­recht ver­teilt. Den Armen ging es plötz­lich bes­ser als vor­her, weil sie jetzt auch ihren ge­rech­ten An­teil an Milch, Fleisch, But­ter und so weiter be­kamen. Des­wegen war die Ratio­nie­rung auch wahn­sin­nig po­pu­lär. Was man ganz drin­gend be­to­nen muss: Wenn wir nun so eine Art Kriegs­wirt­schaft ein­füh­ren wür­den, dann wären wir nicht so arm wie die Briten 1939, son­dern wir wären wie anno 1978.

Aber wie soll das konkret funktionieren? Soll es wieder Lebens­mittel­karten geben?

Herrmann: Klar wäre jedenfalls, dass man das Fleisch ratio­niert. Nie­mand braucht Vege­ta­rier zu wer­den, weil es ja Flä­chen gibt, wo nur Gras wächst, das der Mensch nicht ver­dauen kann. Hier müs­sen wir also den Um­weg über das Tier neh­men. Aber ja, es muss weni­ger wer­den, und das müsste man dann wahr­schein­lich über Lebens­mittel­kar­ten machen. Auch Wohn­raum müsste ratio­niert wer­den. In Deutsch­land leben wir der­zeit im Schnitt auf 47 Qua­drat­me­tern pro Kopf. Das reicht. Auf Neu­bau müs­sen wir künf­tig ver­zich­ten, wir kön­nen nicht mehr alles ver­sie­geln.

Klingt kompliziert und schwer administrierbar.

Herrmann: Ja. Ich verspreche ja nicht das Para­dies. Aber immer wenn ein exis­ten­ziel­les Gut knapp wird, inter­es­siert sich kein Mensch mehr für Markt und Prei­se, son­dern alle ste­hen direkt beim Staat und wol­len, dass der das re­gelt. Beim Was­ser wird das ganz von selbst kom­men, denn die Trocken­heit wird zu­neh­men und das Was­ser knapp wer­den. Aus ganz an­de­ren Gründ­en, durch den Ukra­ine-Krieg, könn­ten wir Ratio­nie­rung schon in die­sem Win­ter er­leben: Wenn es noch sehr kalt wird, dann wird in Deutsch­land und Öster­reich der Staat ent­schei­den müs­sen, wo das Gas hin­fließt.

Wie würden Sie das Autofahren regeln?

Herrmann: Autos werden nur noch für jene sein, die krank sind und nicht in den Bus stei­gen kön­nen. So viel Öko­ener­gie wird es nicht ge­ben, um unse­re rie­si­ge Pkw-Flot­te noch zu be­feuern.

E-Autos bilden keine Ausnahme?

Herrmann: Der Tunnelblick auf die Antriebs­arten über­sieht, dass das Auto an und für sich eine ex­tre­me Ver­schwen­dung ist. Auch ein E-Auto wiegt bis zu zwei Ton­nen, und im Durch­schnitt sit­zen nur 1,3 Men­schen drin. Außer­dem ver­schlingt die rie­sige Bat­te­rie schon bei der Her­stel­lung viele Res­sour­cen. Auch Zug­fahren müsste ratio­niert wer­den, vor allem die Schnell­züge ver­brau­chen zu viel Ener­gie. Eigent­lich dürf­ten alle Züge nur noch maxi­mal 100 km/h fahren.

Die meisten Menschen werden das alles sehr extrem finden.

Herrmann: Wenn jemand einen besseren Vor­schlag hat, wie wir das Schrumpfen or­ga­ni­sie­ren kön­nen: Ich bin da ganz offen.

Fliegen sei sowieso nicht mehr drin, sagen Sie. Sie selbst fliegen auch gar nicht mehr.

Herrmann: Stimmt. In dem Moment, da man sich mit dem Thema ernst­haft be­fasst, kann man nicht mehr flie­gen. Das ist to­tal un­prak­tisch: Mein bes­ter Freund lebt seit einem Jahr in Washing­ton, lädt mich im­mer ein, und ich kann nicht hin. Aber es ist nicht wich­tig, ob ich flie­ge oder nicht, wich­tig ist: Wir brau­chen eine makro­öko­no­mi­sche Lö­sung, denn allein in Deutsch­land sind di­rekt und in­di­rekt 850.000 Men­schen in der Flug­zeug­in­dus­trie be­schäf­tigt: all die Leute bei Air­bus, die Stewar­des­sen, Pi­lo­ten und Reise­büro­mit­ar­beiter. Sie alle brau­chen dann ja an­dere Jobs, ge­nau­so wie die Be­schäf­tig­ten der Auto­mobil­in­dus­trie und vie­ler an­derer Branchen.

Und was sollen die dann alle machen?

Herrmann: Die Arbeit wird nicht ausgehen, denn der Klima­schutz ist sehr auf­wen­dig. Es müs­sen Häu­ser ge­dämmt, Wärme­pum­pen ein­ge­baut, Solar­an­la­gen in­stal­liert und Wind­kraft­räder er­rich­tet wer­den. Das Pro­b­lem ist: Vie­les fin­det nicht dort statt, wo die Leute jetzt le­ben. Das er­for­dert also ex­tre­me Um­orien­tie­rungen und funk­tio­niert nur, wenn die Ge­sell­schaft das will. Auf gar kei­nen Fall will ich eine Dik­ta­tur, son­dern je­der muss ein­sehen, dass das lei­der un­aus­weich­lich ist. Und der Ver­zicht muss ko­or­di­niert pas­sie­ren, sonst bricht das Sys­tem zu­sam­men. Mit einer wich­ti­gen Aus­nahme: Jeder sollte so­fort wenig Fleisch es­sen und Öko­pro­dukte kaufen. Da­mit würde nichts zu­sam­men­bre­chen, die Land­wirt­schaft müsste sich nur um­stellen.

Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Euro­pä­ische Wirt­schafts­for­schung, ver­tritt in sei­nem neuen Buch "Klima muss sich loh­nen" The­sen, die teils kon­trär zu den Ihren sind: Ohne Wirt­schafts­wachs­tum be­kämen wir die Klima­wende nicht hin. Und wenn Län­der wie In­dien und Chi­na schrump­fen, wäre so­wie­so alles vorbei.

Herrmann: In vielen Ländern kann die Wirt­schaft so­wie­so noch wach­sen, zum Bei­spiel in Ma­la­wi. Des­sen Ein­wohner emit­tie­ren im Augen­blick nur 100 Kilo CO2 pro Kopf und Jahr, laut Welt­klima­rat ist aber eine Ton­ne er­laubt. In­dien emit­tiert ak­tu­ell 1,8 Ton­nen pro Kopf und Jahr. In­dien müsste also erst 2090 klima­neu­tral sein, weil es das Klima pro Be­woh­ner nur ein Vier­tel so stark be­las­tet wie etwa Deutsch­land oder Öster­reich. Das Prob­lem an der Klima­krise sind die rei­chen kapi­ta­lis­ti­schen Län­der und sonst nie­mand: USA, Kana­da, Euro­pa, Russ­land, Aus­tra­lien und auch China. Die müs­sen bei den Emis­sio­nen runter.

In letzter Zeit ist viel davon die Rede, eine Ent­koppe­lung von Wirt­schafts­wachs­tum und Emis­sio­nen sei durch­aus mög­lich, das zeig­ten so­wohl Euro­pa als auch die USA und Kana­da be­reits. Was sagen Sie dazu?

Herrmann: Die USA emittieren immer noch mehr als 14 Ton­nen CO2 pro Kopf und Jahr - das ist dop­pelt so viel wie Deutsch­land oder Öster­reich. Es ist ein Witz, aus­ge­rech­net die USA als Vor­bild an­zu­prei­sen. Zu­dem wird da­bei über­sehen, dass kleine Fort­schrit­te nicht weiter­hel­fen. Wir müs­sen 2045 abso­lut klima­neu­tral sein. Und die­ses Ziel wird nir­gend­wo er­reicht.

Warum unterstützen nicht einmal die Grünen Ihre Ideen? Die Grü­nen-Poli­ti­kerin Steffi Lemke sagt, sie kön­ne mit Ihrem Buch wenig an­fan­gen: Es sei ein Lu­xus, dass "die Gene­ra­tion, die es ver­bockt hat, nun den jun­gen Leu­ten sagt: Das geht nicht mehr."

Herrmann: Dass die grüne Führung weiter­hin so tut, als wäre grü­nes Wachs­tum mög­lich, ver­stehe ich. Die Mehr­heit der Wäh­ler will das hören, und in einer Demo­kra­tie füh­ren Par­teien nicht, son­dern fol­gen ihren Wäh­lern. Da­her muss erst ein­mal die Mehr­heit der Bür­ger ver­ste­hen, dass es tat­säch­lich um ihr Über­leben geht. Die heute 20-Jäh­rigen ha­ben genau eine Wahl: in einer Welt zu le­ben, die weit­ge­hend zer­stört ist, oder aus dem Kapi­ta­lis­mus aus­stei­gen. Die Option, es könne al­les blei­ben, wie es ist, exis­tiert nicht.

Warum sind Sie so sicher, dass Sie recht haben?

Herrmann: Weil wir in 22 Jahren klimaneutral sein müssen. Das ist ver­dammt we­nig Zeit. Da hilft nur noch "grü­nes Schrump­fen". Der Ti­tel meines Buches ist auch keine For­de­rung nach dem Mot­to "Schafft den Kapi­ta­lis­mus ab!", son­dern eine Be­schrei­bung. Der Kapi­ta­lis­mus wird en­den, ob wir das wol­len oder nicht.

Posted by Wilfried Allé Sunday, September 3, 2023 1:30:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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