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Rettet die Böden 

Ein Plädoyer für eine nachhaltige Raumentwicklung

Gernot Stöglehner

EAN: 9783991660118
Verlag: Falter Verlag
Genre: Umweltschutz, Naturschutz
Umfang: 216 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.07.2024
Format: Gebundene Ausgabe
Preis: € 24,90
Format: ePUB
Preis: € 19,99

Bodenschutz ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.

Zu viel fruchtbarer und lebensspendender Boden wird täglich durch die Ver­bauung mit Infra­struk­tur und Bau­land teil­weise un­wieder­bring­lich zer­stört. Poli­ti­sches und ge­sell­schaft­li­ches Han­deln ist drin­gend er­for­der­lich, um die­ses Prob­lem zu lö­sen. Doch wo­rin be­steht die­ses Prob­lem? Was läuft schief? Wel­che Kon­se­quen­zen hat der Boden­ver­brauch für uns? Was ist nun genau zu tun? Wel­che Bar­rieren sind zu über­winden? Und warum be­trifft die­ses Thema uns alle?

Gernot Stöglehner, Universitätsprofessor für Raumplanung an der Universität für Boden­kul­tur Wien, geht die­sen Fra­gen in fun­dier­ten Ana­ly­sen nach. Er zeigt Lö­sungs­wege auf und legt dar, wie Maß­nah­men ge­gen den Boden­ver­brauch ge­nutzt wer­den kön­nen, um unser Le­ben und unse­re Ge­sell­schaft nach­hal­ti­ger und zu­kunfts­si­che­rer zu ge­stal­ten – und da­bei lang­fris­tig die Lebens­quali­tät zu ver­bessern.

Posted by Wilfried Allé Saturday, August 31, 2024 10:09:00 AM Categories: Naturschutz Umweltschutz
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Praktischer Journalismus 

Ein Lehrbuch für den Berufseinstieg und alle, die wissen wollen, wie Medien arbeiten

Ingrid Brodnig (Hg.), Florian Klenk (Hg.), Gabi Waldner (Hg.), Armin Wolf (Hg.)

EAN: 9783991660071
Verlag: Falter Verlag
Umfang: 264 Seiten
Format: Gebundene Ausgabe Preis: € 29,90
Format: ePUB Preis: € 24,99
Genre: Lehr- und Handbuch
Herausgeber: Ingrid Brodnig, Florian Klenk,
Gabi Waldner, Armin Wolf
Erscheinungsdatum: 29.07.2024


Ein Lehr- und Handbuch, verfasst von den angesehensten und erfahrensten Journalist:innen und Expert:innen Österreichs zu allen Mediengattungen in über 50 Beiträgen.

Das Buch enthält in zahlreichen leicht verständlich geschriebenen Kapiteln alles zum Thema Journalismus: vom Grundsätzlichen (Was ist Journalismus - und was nicht?) über die verschiedenen Ressorts (von Außenpolitik bis Lokales oder Wissenschaft), die verschiedenen Darstellungsformen (von den Nachrichten bis zum Podcast oder Social Media) und das Thema Journalismus als Beruf (Ethik, Medienrecht, Arbeitsrecht, Journalist:innen als Entrepreneur:innen).

Inhaltsverzeichnis

1. Grundlagen
· Was ist Journalismus (und was nicht)? (Andreas Koller)
· Geschichte und Vorbilder des Journalismus (Armin Thurnher)
· Themenfindung (Alexandra Föderl-Schmid)
· Online-Recherche-Techniken (Ingrid Brodnig)
· Investigative Recherche (Florian Klenk)
· Studien lesen (Elke Ziegler)
· Journalistisches Schreiben (Stefan Kaltenbrunner)
· Konstruktiver Journalismus (Ulrik Haagerup)

2. Ressorts
· Innenpolitik (Eva Linsinger)
· Außenpolitik (Raimund Löw)
· Wirtschaft (Michael Nikbakhsh)
· Chronik und Gericht (Petra Pichler)
· Lokales (Antonia Gössinger)
· Sport (Alina Zellhofer)
· Wissenschaft (Klaus Taschwer)
· Kultur (Judith Hoffmann)
· Medien (Stefan Niggemeier)
· Gesellschaft (Angelika Hager)
· Fotografie (Matthias Cremer)
· Karikatur (Michael Pammesberger)

3. Darstellungsformen
· Nachricht und Bericht (Katharina Schell)
· Gebauter Beitrag in Radio und TV (Peter Fritz)
· Reportagen schreiben (Karin Steinberger)
· Reportage in Radio und TV (Andreas Pfeifer)
· Porträts schreiben (Christa Zöchling)
· Radiofeature und Porträt (Eva Roither)
· Interviews führen (Renate Graber)
· (Kontroversielle) Interviews in Radio und TV (Armin Wolf)
· Diskussion und Streitgespräch (Corinna Milborn)
· Advokatorischer Journalismus (Peter Resetarits)
· Moderation in Radio und TV (Rainer Hazivar)
· Leitartikel und Kommentar (Hans Rauscher)
· Analyse in Radio und TV (Raffaela Schaidreiter)
· Satire (Christian Nusser)
· Glosse und Kolumne (Florian Asamer)
· Kritik und Rezension (Sigrid Löffler)
· Titel und Teaser (Jonas Vogt)
· Redigieren und Schlussredaktion (Bettina Eibel-Steiner)

4. Digitaler Journalismus
· Online-Journalismus (Gerold Riedmann)
· Multimediale Darstellungsformen (Elisabeth Gamperl)
· Podcast (Patrick Stegemann)
· Newsletter (Matthias Punz)
· Social Media (Melisa Erkurt)
· Mobile Reporting (Martin Heller)
· Datenjournalismus (Martin Thür/Jakob Weichenberger)
· Fact-Checking und Verification (Ingrid Brodnig)
· Künstliche Intelligenz im Journalismus (Christina Elmer) 

5. Journalismus als Beruf
· Redaktionsmanagement (Martin Kotynek)
· Journalistische Ethik (Wolfgang Wagner)
· Fehlerkultur und Transparenz (Dennis Bühler)
· Medien und Recht (Maria Windhager)
· Journalistische Selbstkontrolle (Alexander Warzilek)
· Arbeitsrecht (Andreas Schmidt/Verena Weilharter)
· Medienökonomie (Anita Zielina)
· Journalistisches Unternehmertum (Florian Skrabal)
· Personal Branding (Richard Gutjahr)
· Ausbildungswege (Nikolaus Koller)
· Medienlandschaft Österreich (Harald Fidler)
 

FALTER-Rezension

"Das war nicht meine Frage"

Armin Wolf in Falter 32/2024 vom 2024-08-09 (S. 21)

Von höherer Stelle könnte die Definition kaum kommen: Ein Inter­view ist eine "Sende­form, die aus kontro­ver­siel­ler Rede und Gegen­rede be­steht". So hat es 1989 der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof fest­ge­schrie­ben, nach einer Be­schwerde ge­gen das bis da­hin wohl um­strit­tenste Inter­view der öster­rei­chi­schen Fern­seh­ge­schichte. Die bei­den ORF-Jour­na­lis­ten Peter Rabl und Hans Bene­dict hat­ten im Haupt­abend­pro­gramm Bundes­prä­si­dent Kurt Wald­heim zum Um­gang mit sei­ner Kriegs­ver­gan­gen­heit be­fragt. Wald­heim war von den durch­aus har­ten Fra­gen not amused und et­li­che Fans des Prä­si­den­ten be­schwer­ten sich bei der da­mals zu­stän­di­gen Rund­funk­kom­mis­sion we­gen an­geb­li­cher Ver­stöße ge­gen das Objek­tivi­täts­gebot.
Der Fall ging durch die Instanzen bis zum Ver­fas­sungs­ge­richt, das die Be­schwer­de schließ­lich ab­wies. Mit einer Be­grün­dung, die bis heute de­fi­niert, was bei Inter­views im (öf­fent­lich-recht­li­chen) Radio und Fern­sehen zu­läs­sig ist.

Gerade im Interesse von Objektivität und Unpartei­lich­keit müssten kon­tro­ver­siel­le Mei­nun­gen und Kri­tik vor­kom­men, hieß es da, "zu­mal die Form des Inter­views dem Be­trof­fe­nen Ge­legen­heit zur Rich­tig­stel­lung und Ver­tre­tung sei­ner ei­ge­nen Posi­tion gibt". Ge­rade weil die Be­frag­ten un­mit­tel­bar rea­gie­ren kön­nen, müssten sich die Fra­gen­den "nicht in der Bei­steue­rung neu­tra­ler Stich­worte für State­ments des Inter­viewten er­schöp­fen, viel­mehr kön­nen in al­le ge­wähl­ten Fra­gen -aus be­rech­tig­tem Inter­es­se an of­fener Wechsel­rede - durch­aus auch scharf aus­ge­präg­te Stand­punkte und provo­kant-kri­ti­sche Stel­lung­nah­men [...] (mit-)ein­fließen", er­klärte das Höchst­gericht.

Selbstverständlich muss nicht jedes Interview kontrover­siell, also kri­tisch sein. Es gibt auch das ex­plo­ra­tive oder nar­ra­tive Ge­spräch, in dem es pri­­mär darum geht, Men­schen zum Er­zäh­len zu brin­gen. Oder das Ex­per­ten-Inter­view, das im sach­li­chen Dia­log kom­plexe The­men er­klärt. Kontro­ver­siel­le Inter­views wer­den in der Re­gel mit Ver­ant­wor­tungs­trä­gern und Ent­schei­der­innen ge­führt, um ihre Hand­lungen, Aus­sa­gen oder Vor­haben mit Kri­tik, Ge­gen­argu­men­ten und Wider­spruch zu kon­fron­tieren.

Damit ist auch das Wichtigste über ein Interview gesagt: Es hat nicht zwei Betei­ligte - auch wenn es auf den ers­ten Blick so aus­sieht -, son­dern stets drei: Frage­stel­lerin, Be­frag­ten und Publi­kum. Je­des Inter­view ist eine Dienst­leis­tung für Dritte.

Wen fragen? Die Entscheidung, wer befragt werden soll, ist für ein ge­lun­ge­nes Inter­view zen­tral. Zu poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen Beamte kri­tisch zu be­fragen, ist meist sinn­los, sie haben da­rauf wenig Ein­fluss. Ideale­rweise sind die Be­frag­ten auch elo­quent. Das spielt im Print-Inter­view weni­ger eine Rolle, da lässt sich in der Trans­krip­tion vieles schön­schrei­ben, in Radio und Fern­sehen ist es wichtig.

Was fragen? Das Themenspektrum hängt wesentlich von der Länge des Inter­views ab. Rea­lis­tisch ist mit Inter­view-Profis durch­schnitt­lich etwa eine Frage/Ant­wort pro Mi­nute. Das heißt aber auch: Für ein Drei-oder Vier-Mi­nu­ten-Inter­view ist nicht mehr als ein The­ma sinn­voll, wenn man auch kri­tisch nach­fra­gen will. In acht bis zehn Minu­ten sind auch zwei bis drei Themen­kom­plexe mög­lich, in 30-oder 45-minü­ti­gen Inter­views na­türl­ich sehr viel mehr. Ein abso­lutes No-Go ist es, Fra­gen vor­ab zu ver­ein­ba­ren oder be­kannt­zu­geben. Auch nicht die Ein­stiegs­frage.

Gibt es Vereinbarungen? Dürfen Themenkomplexe von den Befragten aus­ge­schlos­sen wer­den? Wenn sie für das Ge­spräch nicht rele­vant sind und man das Inter­view sonst nicht be­kommt: mög­lich. Wenn die The­men wich­tig sind: nein.

Einzige Ausnahme: das super-relevante Exklusivinterview, das alle wol­len, aber noch nie­mand be­kom­men hat. Alle zen­tra­len Fra­gen kön­nen ge­stellt wer­den, nur ein wich­tiger Punkt dürfte nicht be­spro­chen wer­den. Das kann man even­tuell und wohl­über­legt ak­zep­tie­ren, muss die Ver­ein­ba­rung dann aber fürs Publi­kum of­fen­legen (das sich sonst wun­dert, wo die wich­tige Frage bleibt).

Live oder aufgezeichnet? Ein Live-Gespräch ist unmit­tel­bar und bie­tet Be­frag­ten kei­nen Grund, sich über den Um­gang mit ihren Ant­wor­ten zu be­schwe­ren. Für die Fra­gen­den ist es schwie­riger: Vor je­der ein­zel­nen Fra­ge muss ent­schie­den wer­den, ob sie eine sinn­vol­le Ant­wort brin­gen kann oder mög­li­cher­weise nur Zeit­ver­schwen­dung ist.

Zu viele Nachfragen kosten Zeit. Wiederholte Unter­brechungen, um die Sende­zeit nicht zu über­zie­hen, ver­är­gern zu­min­dest Teile des Publi­kums. Auf­zeich­nun­gen las­sen deut­lich mehr Mög­lich­kei­ten, The­men­as­pekte oder Frage­vari­anten aus­zu­pro­bieren. Was nicht er­gie­big ist, wird spä­ter gekürzt.

Tipp: Nicht mehr als zwei-,maximal dreimal so viel aufnehmen, wie gesendet werden soll. 20 Minuten lassen sich kaum sinnvoll auf fünf Minuten schneiden, 30 oder 40 Minuten schon gar nicht.

Zwei Dinge sind für kontroversielle Interviews wichtiger als alles andere. Wäh­rend des Ge­sprächs: zu­hören. Vor dem Ge­spräch: die Vor­be­rei­tung. Wer mög­lichst "blank" und kenntnis­frei in ein Inter­view geht, mit der Ab­sicht, "so naiv wie das Publi­kum" zu fra­gen, wird kein kri­ti­sches Ge­spräch füh­ren kön­nen. Weil jede Chance fehlt, zu er­ken­nen, wo Be­fragte aus­wei­chen, Wesent­li­­ches auslas­sen, schlicht nicht die Wahr­heit oder etwas an­deres sa­gen, als sie frü­her ge­sagt haben.

Im Idealfall hat man auch das Interviewziel der Befragten und deren mög­liche Ge­sprächs­stra­te­gien durch­dacht, hat al­les ge­le­sen, was die Inter­viewten zum The­ma öf­fent­lich ge­sagt ha­ben, kennt die wich­tigs­ten Ge­gen­argu­mente und hat frü­here Aus­sagen fakten­ge­checkt. Zah­len und Zi­tate (und ihre Quel­len plus Datum) im­mer mit­brin­gen, bei be­son­ders schwie­ri­gen "Fäl­len" auch phy­sisch (Zei­tungs­ar­tikel, Video­clips).

Der Frageplan: Idealerweise hat ein Interview ein Ziel: Was kann/will ich in den weni­gen Minu­ten rea­lis­tisch er­rei­chen? Und es hat zwei oder drei "Schlüs­sel­fragen" - die wich­tigs­ten Fra­gen des Ge­sprächs, die jeden­falls vor­kom­men müs­sen. Man stellt sie übli­cher­weise nicht als erste, keines­falls aber als letzte. Es ist sinn­voll, sich die­se Schlüs­sel­fra­gen genau (wört­lich?) zu über­legen, eben­so die Ein­stiegs­frage. Die muss nicht freund­lich sein, "um die Atmos­phäre zu lockern", da­für fehlt in (kür­zeren) Radio-und TV-Inter­views die Zeit. Sie sollte auch nicht so bru­tal sein, dass die Be­frag­ten be­reits in den ers­ten Se­kun­den völ­lig "zu­machen" und nur mehr in Ab­wehr­hal­tung ge­hen. Sie soll jeden­falls inter­essant sein und das Publi­kum neu­gie­rig ma­chen, wie es weitergeht.

Manuskript, ja oder nein? Ein kritisches Interview ganz ohne schriftliche Unter­lagen zu füh­ren, kann man nur Ge­dächt­nis-Akro­ba­tinnen ra­ten. Zu­min­dest Zi­tate und Zah­len sollte man dabei­haben. Aus­ge­schrie­bene Fra­gen kön­nen im Not­fall eines Black­outs hel­fen, aber kaum et­was ist für ein leben­di­ges Ge­spräch furcht­barer, als eine Ab­folge ab­ge­le­sener Fra­gen. In je­dem Fall darf das Manus­kript nur ein (wich­tiges) Hilfs­mittel sein.

Die Technik: Im Radiointerview geht es um den guten Ton. Profis arbeiten (außer­halb des Studios) mit einem Hand­mikro­fon, um stets die Ent­fer­nung zum Inter­view­ten aus­zu­glei­chen. Und mit Kopf­hörer! Ge­rät und Akku vor dem Ge­spräch zu über­prüfen, ist Pflicht. Ein mög­lichst ruhi­ger Auf­nahme­ort ist sinn­voll, Musik im Hinter­grund macht den Schnitt kompli­ziert, Klima­an­la­gen wer­den on tape lau­ter, als sie vor Ort er­schei­nen. Un­mit­tel­bar nach dem Inter­view ist es sinn­voll, die Auf­nahme zu checken, not­falls kann sie noch wieder­holt werden.

Fernsehinterviews leben auch von der Optik. Sinnvollerweise fin­den sie vor einem eher neu­tra­len oder einem thema­tisch pas­sen­den Hinter­grund statt. Alles, was vom Inter­view ab­lenkt, ist mög­lichst zu ver­meiden (gilt auch für das eigene Out­fit) oder not­falls an­zu­spre­chen. Idealer­weise wird ein Inter­view mit mehre­ren Kame­ras ge­filmt, das er­leich­tert den Schnitt un­gemein (auch Handys hel­fen hier). Falls das nicht mög­lich ist: Jeden­falls nach dem Ge­spräch noch "Gegen­schüsse" (beim Zu­hören, evtl. auch bei ein­zel­nen nach­ge­stell­ten Fra­gen) auf­neh­men und Zwi­schen­schnit­te (Hände, Um­gebung, "fal­sche Doppel" - also die Ge­sprächs­situa­tion in der Totalen).

Ein Vorgespräch ist sinnvoll, um wenig routinierte Gesprächs­partner zu be­ruhi­gen und da­ran zu er­in­nern, dass es da­rum geht, mit dem Inter­view Laien zu in­for­mie­ren, und nicht da­rum, ein Fach­publi­kum oder die Kol­legen­schaft zu be­ein­drucken. Län­gere in­halt­liche Vor­ge­sprä­che füh­ren häu­fig zu Inter­view­pas­sagen der Art "Wie schon vor­hin er­wähnt ...". Viele Fra­gende fin­den es auch nicht ganz ein­fach, von freund­li­chem Small­talk direkt in ein har­tes Inter­view um­zu­steigen.

Das Wichtigste und Schwierigste im Interview ist das, was am ein­fachs­ten klingt: zu­hören. Tat­säch­lich ist ein - noch dazu kontro­ver­siel­les - Ge­spräch, das man nicht wie ein Print-Inter­view nach­träg­lich "schön­schrei­ben" kann, eine ziem­lich stres­si­ge An­ge­legen­heit. Man sollte zu oft kom­plexen The­men auch für Laien ver­ständl­iche Fra­gen stel­len, und das ohne große Nach­denk­pau­sen. Die Fra­gen sollten einer nach­voll­zieh­baren Li­nie fol­gen und sich nicht in ir­rele­vanten De­tails ver­hed­dern. Man er­tappt sich schnell da­bei, über die mög­lichst kluge nächste Frage nach­zu­den­ken - statt zu­zu­hören: Ist das jetzt tat­säch­lich eine Ant­wort auf meine Frage, fehlt etwas, gibt es Wider­sprü­che, braucht es hier eine Nach­frage?

Wie fragen? Es hilft, tatsächlich Fragen zu stellen und nicht einfach Aus­sa­gen oder Be­haup­tungen in den Raum zu stel­len. Kur­ze Fra­gen sind in der Re­gel ver­ständ­li­cher, ameri­ka­ni­sche Lehr­bücher ken­nen die Ab­kür­zung KISS: Keep it short and simple.

Die Regel "Routine-Fragen bringen Routine-Antworten" stimmt fast immer. Die Regel "Kurze Fra­gen brin­gen kurze Ant­worten, lange Fra­gen lange Ant­wor­ten" stimmt häu­fig nicht, aber doch ge­legent­lich. Mund­faulen Be­frag­ten wird man eher "of­fene Fra­gen" stel­len (Wie war das? Warum?), aus­ufern­den Gäs­ten eher "ge­schlos­sene Fra­gen", die mit Ja oder Nein be­ant­wort­bar sind. Eine Zwi­schen­form nennt sich "halb­of­fene" oder "ska­lier­te" Fra­gen: "Auf einer Skala von 1 bis 10 ...", "Wel­che Schul­note wür­den Sie da­für ge­ben?", "Wie wahr­schein­lich ist es ...".

Niemals Mehrfachfragen stellen: Die Befragten können sich die angenehmste Frage heraus­picken. Oder sie be­ant­wor­ten al­les und es wird ein end­lo­ser Mono­log. Nicht im Inter­view recher­chieren: Fak­ten ge­hören vor­her ge­klärt. Im Inter­view geht es in der Re­gel um Mei­nun­gen, Ein­stel­lun­gen, Argu­mente. Fra­gen kön­nen auch infor­mieren: Manch­mal sind län­gere Fra­gen sinn­voll, weil sie ohne Er­klä­rung gar nicht ver­ständ­lich wä­ren. Oder weil sie da­zu dienen, be­stimmte Infor­ma­tionen über­haupt erst auf Sen­dung zu brin­gen. Ge­rade weil Be­fragte un­mit­tel­bar rea­gie­ren kön­nen, sind auch In­halte zu­läs­sig, die für ei­nen eige­nen Be­richt noch nicht aus­rei­chend be­stä­tigt wer­den konnten.

Falls sich wer schwertut, "harte" Fragen zu stellen -Wider­spruch dele­gieren: "Ihre Kri­ti­ker sa­gen ...", "XY wirft Ihnen vor ...". Sinn­los sind übli­cher­weise "Drachen­töter- Fra­gen", die nur ver­meint­lich knall­hart klin­gen. "Sind Sie ein Lüg­ner?" wird wenige Be­fragte zu einem Ge­ständ­nis moti­vieren. Ziel­füh­ren­der ist es, knapp meh­rere Be­lege für offen­kun­di­ge Un­wahr­hei­ten an­zu­füh­ren und dann: "Sie sa­gen offen­sicht­lich regel­mäßig die Un­wahr­heit. Wa­rum sollte man Ihnen noch glau­ben?" Kom­plexe Ant­worten, die für Laien schwer ver­ständ­lich wa­ren, kann man zu­sam­men­fas­sen. Ach­tung: Die Zu­sam­men­fas­sung muss prä­zise sein, sonst pro­vo­ziert sie eine neue Ant­wort und Wider­spruch.

In längeren Radiointerviews, in denen es bekanntlich keine Namens­in­serts gibt, be­währt es sich, alle paar Minu­ten eine Frage mit "Herr X" oder "Frau Y" zu be­gin­nen oder mit: "Sie hören ein Inter­view mit XY, der Gene­ral­sekre­tärin der Z-Par­tei". Der natür­liche Re­flex aus All­tags­ge­sprä­chen, nach Ant­wor­ten zu nicken oder etwas Zu­stimm­endes zu mur­meln, sollte vor Mikro­fon und Kamera jeden­falls ver­mie­den wer­den (das klingt übri­gens ein­facher, als es anfangs ist).

Wie oft nachfragen? Die wenigsten Gäste aus der Politik geben Interviews, weil sie gerne Fra­gen be­ant­wor­ten möch­ten. Sie möch­ten ein Publi­kum -poten­ziel­le Wähler­stim­men -er­rei­chen und in der Re­gel be­stimmte Bot­schaf­ten los­werden. Das ist für sie wich­ti­ger, als prä­zi­se Ant­wor­­ten zu geben. Außer­dem kön­nen einen all­zu kon­krete Fest­le­gungen spä­ter ver­folgen ("Vor zwei Mona­ten ha­ben Sie noch ge­sagt ..."), Partei­freunde oder Lobby­grup­pen ver­är­gern und der poli­ti­schen Kon­kur­renz Muni­tion lief­ern. Häu­fig agie­ren Be­fragte also nach einer Tech­nik, die sich in Medien­trai­nings "TTT" nennt: Touch - berühre kurz die Frage, Turn - biege ab, Tell - erzähle, was du eigent­lich er­zäh­len willst. Das kön­nen Fra­gende je­doch nicht zu­las­sen. Wer ein Inter­view führt, muss es auch füh­ren. Wohl­über­legte und -hof­fent­lich - rele­vante Fra­gen ver­die­nen auch Ant­worten. Das ist oft nicht einfach.

Im wohl berühmtesten TV-Interview, das je geführt wurde, hat BBC-Anchor Jeremy Paxman dem dama­li­gen bri­ti­schen In­nen­minis­ter Howard 1997 zwölf Mal (!) die prak­tisch wort­gleiche Frage ge­stellt. Ohne Er­geb­nis. Das Inter­view wurde legen­där, in der Praxis wären elf Nach­fragen aber deut­lich zu viele. Trotz­dem be­währt sich "Das war nicht meine Frage. Meine Frage war ..." oder "Sie be­ant­worten sehr aus­führ­lich eine Frage, die ich gar nicht ge­stellt habe ...". Letzt­lich kann man nie­man­den zu einer Ant­wort zwin­gen, aber Aus­weich­manö­ver deut­lich machen: "Ich sehe, Sie möch­ten meine Frage nicht be­ant­wor­ten. Wech­seln wir das Thema."

Gäste zu unterbrechen ist heikel, aber oft unvermeidbar. Heikel, weil es im Publi­kum viele -vor al­lem älte­re -Men­schen un­höf­lich und res­pekt­los fin­den. Das wis­sen auch die Be­frag­ten, des­halb ant­wor­ten sie häu­fig mit Ab­sicht be­son­ders aus­führ­lich. Ent­weder gibt es da­durch weni­ger un­an­ge­nehme Fra­gen oder sie müs­sen unter­bro­chen wer­den. Zu viele Unter­brech­ungen kön­nen die Fra­gen­den die Sym­pa­thie des Publi­kums kos­ten, und das darf nicht unter­schätzt wer­den. Jedes Inter­view hat eine Sach-und eine Ge­fühls­ebene. Ge­rade Fern­sehen ist ein sehr emo­tio­na­es Medium und wer die Sympa­thie des Publi­kums ver­liert, ver­liert auch das Inter­view. Wer sich beim Zu­sehen zu sehr är­gert, hört nicht mehr auf den In­halt der Fra­gen. Das heißt: im Ge­spräch im­mer höf­lich blei­ben, auch beim Unter­brechen. Doch wenn man unter­bricht, dann konse­quent.

Die Metabene: Bei längeren Interviews kann es spannend und aufschluss­reich sein, in man­chen Fra­gen die Ge­sprächs­ebene zu wech­seln. Das kann in­halt­lich sein -"Wa­rum möch­ten Sie die Frage eigent­lich nicht be­ant­wor­ten?" - aber auch atmos­phä­risch: "Das Thema scheint Ihnen sehr un­an­ge­nehm zu sein, wa­rum ist das so?". Noch nie ist mir in mehr als 3000 Inter­views aber eine Ge­sprächs­situa­tion be­geg­net, in der die Meta-Frage aus man­chen Lehr­büchern "Warum be­ginnen Sie bei die­sem Thema zu schwit­zen?" nicht grob un­höflich wäre.

Ein Interview abzubrechen ist die massivstmögliche Inter­ven­tion bei­der Sei­ten. In einem Live-Ge­spräch müsste ei­nem Ab­bruch durch die Fra­gen­den eine ex­treme Es­ka­la­tion voran­gehen, das Publi­kum würde das sonst nicht ver­ste­hen. In einer Auf­zeich­nung ist es mit­unter denk­bar, um das Ge­spräch neu zu be­ginn­en, etwa weil schon die erste Ant­wort mehre­re Minu­ten lang war. Aber Ach­tung: Die Be­frag­ten ken­nen dann be­reits die - hoffent­lich ori­gi­nelle - Ein­stiegs­frage. Ein noch späte­rer Neu­be­ginn ist in einem kontro­ver­siel­len Inter­view in der Regel nicht sinnvoll.

Im Gegensatz zur Autorisierung von Print-Interviews haben die Befragten keine Mög­lich­keit, bei der End­ferti­gung von Radio-oder TV-Inter­views mit­zu­reden. Die wich­tigste Re­gel für den Schnitt lau­tet des­halb: Fair­ness. Das Ge­sagte darf durch die Kür­zung keines­falls sinn­ent­stellt wer­den. Sehr gut kür­zen las­sen sich des­halb Wieder­ho­lungen, all­zu weit­schwei­fi­ge Er­klä­run­gen und in­halt­liche Ab­len­kungen. Gab es zu einem Thema mehrere Nach­fragen, rei­chen häu­fig die erste und die letzte Frage und Ant­wort. Es ist leich­ter, ganze Ge­sprächs­blöcke aus Fra­gen und Ant­wor­ten zu kür­zen als inner­halb von Inter­view­pas­sagen zu schnei­den. Ge­gen all­fäl­lige Be­schwer­den hilft, die un­ge­kürz­ten Origi­nal­ver­sionen von Inter­views on­line zu stel­len -auch als Ser­vice fürs Publikum.

Die Moderation: Der Moderationstext muss die Grund­infor­ma­tion zu The­ma und Gast lie­fern, die nö­tig ist, um das Inter­view zu ver­ste­hen und das Publi­kum neugie­rig zu machen. Bei auf­ge­zeich­ne­ten Ge­sprächen kön­nen in der Modera­tion bereits zen­tra­le Aus­sagen "ange­teasert" wer­den, bei Live-Inter­views logi­scher­weise nicht.

Wer das Interview geführt hat, liefert in der Regel auch einen Modera­tions­vor­schlag, der je­doch häu­fig um­ge­schrie­ben wird. Falls be­stimmte In­for­ma­tio­nen jeden­falls vor­kom­men müs­sen, um das Ge­spräch zu ver­stehen: im Mod-Vor­schlag aus­drück­lich darauf hinweisen.

Jeremy Paxman, einer der bekanntesten TV-Interviewer der letzten Jahr­zehnte, hat seine An­nä­he­rung ein­mal so be­schrie­ben: "Ich frage mich immer, wes­halb mich die­ser lü­gen­de Bas­tard jetzt an­lügt." Meine An­nähe­rung ist das nicht.

Für mich gibt es kaum Formen von Journalismus, die fairer sind als an­stän­dig vor­be­rei­tete und gut ge­führte Inter­views. Men­schen, die weit­rei­chen­de Ent­schei­dun­gen tref­fen, wer­den kennt­nis­reich und kri­tisch nach ihren Moti­ven be­fragt, mit Wider­spruch und mit Gegen­argu­men­ten kon­fron­tiert. Sie kön­nen ihre Posi­tion nicht nur ver­kün­den, sie müs­sen argu­men­tieren, er­klä­ren und be­gründ­en. Aber sie kön­nen auf jede Kri­tik auch un­mit­tel­bar reagieren.

Ein perfektes Interview gibt es aber sehr selten. Binnen weniger Minu­ten müs­sen so vie­le Ent­schei­dun­gen ge­trof­fen wer­den, dass kaum alle da­von rich­tig sein wer­den. Bei mir jedenfalls.

Von den gut 3000 Interviews, die ich im Fernsehen geführt habe, würde ich drei so wieder­holen. Alle ande­ren würde ich -hätte ich eine neue Chance -anders füh­ren, man­che zu fünf Pro­zent, manche zu 50 Pro­zent. Doch ge­nau das macht es auch so span­nend. Wie Samuel Beckett sagt: Try. Fail. Try again. Fail better!

 

Pressetext

Wie wird professioneller Journalismus gemacht? Was ist eine „Ge­schichte“? Wie wird recher­chiert und was ist im digi­talen Story­telling anders?

„Praktischer Journalismus“ bietet in über fünfzig Beiträgen alles, was man über die Medien und Jour­na­lis­mus wis­sen muss. In einer Medien­welt, in der sich die Land­schaft ra­sant ver­än­dert, wirft die­ses Buch einen kri­ti­schen Blick auf das Berufsb­ild von Jour­na­list­:innen und be­leuch­tet alle Facet­ten die­ses dyna­mi­schen Berufs­feldes.

Sechzig renommierte Expert:innen haben an diesem Werk mitgewirkt, um die wesent­li­chen Ele­mente des Hand­werks zu er­klä­ren: die klas­si­schen Res­sorts und For­mate, das Produ­zieren für On­line, Print, Radio und Fern­sehen so­wie die ethi­schen, recht­li­chen und öko­no­mi­schen Rahmen­be­din­gun­gen jour­na­lis­ti­scher Ar­beit. Das um­fas­sende Lehr­buch ist so­mit eine wert­vol­le Res­source für alle, die die grund­le­gen­den Prin­zi­pien des Jour­na­lis­mus er­ler­nen oder ihre Kennt­nis­se ver­tie­fen möch­ten. Praxis­nah wird auf­ge­zeigt, wie sich die Branche im digi­ta­len Zei­tal­ter ver­än­dert hat und wel­che neuen An­for­de­run­gen an Jour­na­list­:innen ge­stellt werden.

„Praktischer Journalismus“ ist ein Buch, das Generationen von Journa­list­:innen in Öster­reich ge­prägt hat. Erst­mals 1984 von Heinz Pürer heraus­ge­ge­ben, wurde es bis 2004 in mehre­ren Neu­auf­lagen ak­tua­li­siert und be­ein­flusste die Kar­rieren vie­ler heu­ti­ger Medien-Profis. Nach zwan­zig Jahren kehrt das Stan­dard­werk zeit­gemäß über­ar­beitet zurück.

Dieses Buch erscheint in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Medien­akademie.

Weitere Infos erhalten Sie unter: falterverlag.at/presse/praktischer-journalismus

Pressekontakt:
Sothany Kim
kim@falter.at
T: +43 1 53660 977

Posted by Wilfried Allé Sunday, August 11, 2024 10:20:00 AM Categories: Journalismus Lehr- und Handbuch
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Die Welt der Gegenwart 

Ein geopolitischer Atlas

von Émilie Aubry, Frank Tétart

ISBN: 9783406814044
Verlag: C.H.Beck
Umfang: 224 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Sonstiges
Übersetzung: Anna Leube, Wolf Heinrich Leube
Erscheinungsdatum: 11.07.2024
Preis: € 29,90

Kurzbeschreibung des Verlags

UNSERE WELT IN KARTEN: EINE EINFÜHRUNG IN DIE KONFLIKTE DER GEGENWART

Vom Ukrainekrieg über den Nahostkonflikt bis zur Krise in der Sahel­zone, von der Grenz­frage und der ge­sell­schaft­li­chen Spal­tung in den USA bis zu Chi­nas Griff nach der Vor­herr­schaft im Indo­pa­zi­fik – die Macher der ARTE-Er­folgs­sen­dung „Mit of­fe­nen Kar­ten“ Émilie Aubry und Frank Tétart füh­ren uns in ihrem ein­zig­ar­tig­en At­las über­all dort­hin, wo im 21. Jahr­hun­dert die ent­schei­den­den Kon­flik­te über Land, Res­sour­cen und die Zu­kunft der Demo­kra­tie statt­fin­den. Sie durch­strei­fen die Kon­ti­nente und be­rich­ten von den wich­tigs­ten geo­poli­ti­schen Um­wäl­zun­gen der Gegen­wart.

Die Rückkehr des Krieges in Europa und im Nahen Osten hat gezeigt: Geo­poli­tik geht uns alle an. Was heute an ei­nem be­stimm­ten Ort der Welt pas­siert, kann der Rest nicht mehr igno­rie­ren – ob mit Blick auf den ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­halt, das Kli­ma, die Ge­sund­heit, die Ener­gie­ver­sor­gung, die Er­näh­rung oder die Ver­teidi­gung. Auto­ri­täre Mächte wie China, Russ­land oder Iran zei­gen ihre Feind­selig­keit ge­gen­über west­li­chen Demo­kra­tien im­mer offe­ner, die Ge­fah­ren regio­nal­er Flächen­brände neh­men ge­nau­so zu wie die Wahr­scheinl­ich­keit eines großen Kon­flikts von glo­ba­len Aus­maßen. Wo lie­gen die wich­tigs­ten Krisen­herde der Welt? Die­ser ein­zig­ar­tige At­las klärt auf an­schau­liche und präg­nante Weise auf.

  • Für alle, die sich in der neuen Welt­un­ord­nung zu­recht­finden wollen
  • Ukrainekrieg, Flächenbrand im Nahen Osten und Klima­kollaps in der Sahel­zone – die Welt ver­stehen in 28 Brenn­punkten
  • Mit anschaulichen Bildern, zahl­reichen Gra­fiken und über 120 Karten
  • Der Bestseller aus Frankreich erstmals auf Deutsch

Pressestimmen

„Ein geopolitischen Atlas der Extraklasse … Man kann Stunden mit diesem Band zubringen. Jede Leserin, jeden Leser wird eine andere Karte beeindrucken.“
Frankfurter Rundschau, Arno Widmann

Leseprobe ->

Posted by Wilfried Allé Monday, August 5, 2024 4:31:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Sonstiges
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Mit Händen und Füßen 

Unseren Einfluss auf das Klima verstehen – Ein Mitmachbuch für die ganze Familie

Laura Feller

EAN: 9783991660033
Verlag: Falter Verlag
Umfang: 64 Seiten
Sammlung: Klimaschutz für junge Leser
Erscheinungsdatum: 31.05.2024
Preis: € 20,00

Klimaschutz - für Klein und Groß sehr gut erklärt!

Die Bücher erklären Kindern ab 7 Jahren auf verständliche Art auch komplexe Sach­ver­halte und be­rei­ten das Thema Um­welt­schutz kind­ge­recht auf. Schöne Ge­schichte - genau rich­tig, um den Kin­dern ers­tes Wis­sen über Müll und Um­welt­ver­schmut­zung zu ver­mit­teln und fan­ta­sie­vol­le, all­tags­taug­liche Lö­sun­gen für die Pro­ble­me zu fin­den, die es ge­rade auf der Erde gibt.
Es ist nicht zu spät, unseren Planeten zu retten!


Was steckt hinter dem ökologischen Fußabdruck? Und was hat es mit dem öko­lo­gi­schen Hand­ab­druck auf sich?

Dieses Mitmachbuch für die ganze Familie lädt zum Er­fah­ren, Er­fra­gen und Ent­decken ein. Auf spiele­ri­sche Wei­se wird Kin­dern ab 8 Jah­ren ver­mit­telt, wie Kon­sum, Mobi­li­tät und Er­näh­rung die Um­welt be­ein­flus­sen und wel­che Ener­gie- und Res­sour­cen­men­gen nö­tig sind, um all­täg­liche Pro­duk­te wie Brot her­zu­stellen.

Viele wichtige Begriffe rund um den Klimaschutz werden kind­ge­recht er­klärt und mit liebe­voll ge­stal­te­ten Illus­tra­tio­nen ver­an­schau­licht. Be­glei­tet vom „sustAINAbility-Schaf“ na­mens Aina wer­den be­deu­tende öko­lo­gi­sche Zu­sam­men­hänge auf­ge­zeigt und die Aus­wir­kun­gen unse­res Han­delns auf das Klima und die Um­welt ver­ständ­lich gemacht.

Das Buch geht jedoch über den ökologischen Fußabdruck hinaus und be­leuch­tet zu­dem den öko­lo­gi­schen Hand­ab­druck: Kin­der ler­nen, wie posi­ti­ve Hand­lungen und be­wusste Ent­schei­dungen ihre Um­welt und das Klima nach­hal­tig ver­bes­sern kön­nen. Sie wer­den er­mu­tigt, im All­tag kleine Ver­än­de­run­gen vor­zu­nehmen, die ei­nen großen Unter­schied machen können.

Posted by Wilfried Allé Saturday, July 27, 2024 10:01:00 AM Categories: Klimaschutz für junge Leser
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Kickl beim Wort genommen 

von Nina Horaczek

ISBN: 9783707608557
Verlag: Czernin
Umfang: 176 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 05.06.2024
Preis: € 20,00

Kurzbeschreibung des Verlags

Seit Monaten liegt die FPÖ in Wahlprognosen auf Platz eins. Ihr Partei­chef Herbert Kickl spricht von un­ge­zü­gel­ter Völ­ker­wan­de­rung, EU-Ver­rä­tern, lin­kem Ge­sinn­ungs­ter­ror und be­schimpft poli­ti­sche Geg­ner. Doch was pas­siert, wenn man den selbst­er­nann­ten »Volks­kanz­ler« beim Wort nimmt? Wel­ches Bild zeigt sich, wel­che Ideo­lo­gie wird sichtbar?

»Man muss dazu stehen, was man sagt«, meint Herbert Kickl. Doch was sagt er eigent­lich? »Falter«-Chef­re­por­terin Nina Horaczek hat sei­ne Zi­ta­te über Asyl, Bil­dung oder Coro­na ver­sam­melt; die feh­len­de Ab­gren­zung zu den Iden­ti­tären, die An­grif­fe auf die Me­dien oder die Men­schen­rechte; über die »Fes­tung Öster­reich«, die Tür­kei oder die Ukraine.

Der Zweck dieser Zitatensammlung liegt auf der Hand: Gerade im Wahl­jahr 2024 bie­tet sie eine um­fas­sen­de Ar­gu­men­ta­tions­hilfe für eine sach­liche Aus­ein­ander­set­zung über die Per­son Her­bert Kickl. Nicht um ihn zu über­füh­ren oder zu dif­fa­mie­ren, son­dern um sei­nen Cha­rak­ter und die rechts­ex­tre­me, popu­li­sti­sche Ideo­lo­gie zu zei­gen, die er und sei­ne FPÖ ver­treten.


FALTER-Rezension

Sprachreiseführer in die Dritte Republik

Sieglide Rosenberger in FALTER 25/2024 vom 21.06.2024 (S. 19)

Kickl kann beim Wort genommen werden. Anders als an­dere Poli­ti­ker der ex­tre­men und radi­ka­len Rech­ten, Geert Wil­ders oder Jörg Hai­der etwa, hat Her­bert Kickl bis­lang kein ei­ge­nes Buch publi­ziert. Aus­sa­gen und Zi­tate über sei­ne poli­ti­sche Wunsch­welt gibt es den­noch zuhauf.

Die langjährige Falter-Journalistin und Expertin für Rechts­ex­tre­mis­mus, Nina Horaczek, hat Aus­sa­gen über ei­nen 20-jäh­rigen Zeit­raum ge­sam­melt -seit 2004, als Kickl den Wahl­kampf für Hai­der in Kärn­ten führ­te. Die Quel­len sind Presse­aus­sen­dun­gen, State­ments in Me­dien, Tele­gram-Mit­tei­lun­gen, Re­den vor dem Heim­publi­kum wie an Ascher­mitt­wo­chen. Die Zi­ta­te sind alpha­be­tisch in 39 Rub­ri­ken ge­ord­net, von Asyl­poli­tik bis Zensur.

Dabei wird mehr als deutlich, dass es längst nicht mehr "nur" um Mi­gra­tion und Islam geht. Es geht um "uns". Wirt­schaft und Wis­sen­schaft tau­chen nicht als ei­gene Rub­ri­ken auf. Bio­gra­fi­sche Schlagl­ich­ter sind der Zi­ta­ten­sammlung voran­ge­stellt, von der Kind­heit in ein­fa­chen sozi­alen Ver­hält­nis­sen, der Schule, dem nicht ab­ge­schlos­se­nen Stu­dium, den ers­ten poli­ti­schen Schrit­ten in Kärn­ten bis zum Auf­stieg als In­nen­mi­nister.

Die Zitate bilden einen Pool an Fakten. Sie skiz­zie­ren die Zu­kunft, ma­chen klar, was sein soll: rück­wärts­ge­wandte natio­na­lis­ti­sche Ant­wor­ten auf trans­natio­nale Pro­bleme, die die­se nicht lö­sen; Ab­bau demo­kra­ti­scher Wer­te und Prin­zi­pien wie Men­schen­rechte, Pres­se­frei­heit; Ab­bau des Sozial­staates und Dro­hun­gen ge­gen­über vielen.

Der rechte, rechtspopulistische Weg ist konti­nu­ier­lich, ohne Ab­bie­gun­gen und Um­keh­rungen. Da­her kommt die­se Poli­tik vie­len als nor­mal vor. Der Kickl-Pfad ist aber nicht nur gera­de­aus, er wird brei­ter, radi­ka­ler, muni­tio­nier­ter. Die Be­schimp­fun­gen von demo­kra­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten ge­hen wei­ter, mittler­weile wird nie­mand mehr ver­schont, jeder/­jede wird dem ver­ächt­li­chen Ge­läch­ter preis­ge­geben. Diese Res­pekt­losig­keit ge­gen­über demo­kra­ti­schen Ins­ti­tu­tio­nen nennt der His­to­riker Timothy Snyder in sei­nem Buch über die Tyrannei.

Der Neutralität ist eine umfangreichere Rubrik gewidmet. Tief ver­an­kert als iden­ti­täts­stif­ten­der Pfei­ler in der öster­rei­chi­schen poli­ti­schen Seele, thema­ti­siert sie Kickl zu­letzt im Kon­text des Krie­ges in der Ukra­ine. Demo­kra­tie­poli­tisch auf­schluss­reich ist auch, dass die Neu­tra­li­tät als Vehi­kel ge­gen zen­tra­le Ins­ti­tu­tio­nen der EU ins Tref­fen ge­führt wird: Sie sei ein Schutz ge­gen den Euro­pä­ischen Ge­richts­hof, der "uns" Men­schen­rechte auf­zwinge, die nicht die "unse­ren" seien. Die öster­rei­chi­sche Neu­tra­li­tät den EU-Ins­ti­tu­tio­nen ge­gen­über­ge­stellt, würde kon­se­quent ge­dacht den Öxit nach sich ziehen -den Her­bert Kickl aber nicht direkt verlangt.

Ähnlich lässt sich die rezente Propagandarede zum Volks­kanz­ler weiter­den­ken. Soll "Volks­kanz­ler" nicht nur Rhe­to­rik blei­ben, soll eine Ver­säulung von Volk und Kanz­ler tat­säch­lich poli­ti­sche Wirkl­ich­keit wer­den, dann sind Ver­fas­sungs­än­de­run­gen in Rich­tung ei­nes prä­si­den­tiel­len Sys­tems an­ge­sagt -näm­lich eine Kom­pe­tenz­an­häu­fung beim Kanz­ler-Präsi­den­ten, gleich­zei­tig eine Ab­wer­tung des Par­la­ments, der Ab­ge­ord­ne­ten und der Par­teien. Zu die­sen Über­le­gun­gen pas­sen die jüngs­ten Schmä­hungen der rot-schwarz-pink-grünen "Ein­heits­par­tei", die viel­leicht auch An­deu­tun­gen an den SED-Kom­mu­nis­mus sug­ge­rieren.

Verdienst dieses Buches ist es, durch die Verdichtung die an­vi­sierte auto­ri­täre Zu­kunft deut­lich les­bar zu ma­chen. "Wir haben es nicht ge­wusst", wird spä­ter ein­mal keine Recht­fer­ti­gung sein können.
 

Vilimsky und Wladimir

Nina Horaczek in FALTER 22/2024 vom 31.05.2024 (S. 12)

Hetzerisch und neokolonial sei die Poli­tik der EU im Bal­kan­staat Repu­blika Srpska, dem eng mit Russ­land ver­bün­de­ten Klein­staat. Nicht die Poli­tik des rus­si­schen Prä­si­den­ten Wladi­mir Putin, son­dern "die Ver­einig­ten Staaten und Russ­land" wür­den den Bal­kan de­sta­bi­li­sie­ren. Ziel müsse "ein sinn­vol­ler diplo­ma­ti­scher Kon­sens mit der Rus­si­schen Föde­ra­tion" sein. Noch ein Bei­spiel ge­fäl­lig? Als Putin 2014 die Krim völker­rechts­wid­rig an­nek­tie­ren ließ, war das kein Krieg, son­dern bloß ein "Kon­flikt".
So klingt es, wenn der FPÖ-Euro­pa­poli­ti­ker Harald Vi­lims­ky im Kor­rek­tur­modus ist. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren be­an­trag­te der Frei­heit­liche im EU-Par­la­ment zahl­rei­che Än­de­rungen in of­fi­ziel­len Doku­men­ten. Nun könnte der blaue Kan­di­dat bei den EU-Wah­len am 9. Juni Wahl­sieger werden.

Seit Juli 2014 ist Vilimsky Abgeordneter des EU-Parlaments. Da­mals sollte eigent­lich der lang­jäh­rige FPÖ-Poli­ti­ker Andreas Möl­zer als blauer Spitzen­mann in Brüs­sel be­stä­tigt wer­den. Möl­zer musste aber weni­ge Wo­chen vor der Wahl zu­rück­tre­ten, er hat­te die EU zu­nächst mit dem Drit­ten Reich ver­gli­chen und dann wurde auch noch be­kannt, dass er in ei­nem Vort­rag sagte, die EU müs­se sich fra­gen, ob sie ein "Neger­kon­glo­me­rat" sein wol­le. So wurde Vi­lims­ky frei­heit­li­cher Dele­ga­tions­lei­ter in Brüs­sel. In die­ser Funk­tion zeigt er sich von An­fang an auf­fal­lend russ­land­freundlich.

All dies lässt sich auf Parltrack nachlesen, einer europä­ischen Ini­tia­tive zur Ver­bes­se­rung der Trans­pa­renz im EU-Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren, die auf ihrer Inter­net­seite alle In­for­ma­tio­nen aus amt­li­chen Quel­len der EU bün­delt. Auf Parl­track fin­det man zahl­rei­che Ände­rungs­an­trä­ge zu EU-Be­rich­ten. EU-Ab­ge­ord­nete ha­ben die Mög­lichk­eit, zu von Ver­tre­tern des EU-Par­la­ments er­stell­ten Be­rich­ten Ände­rungs­an­trä­ge ab­zu­geben. Die­se wer­den proto­kol­liert und im Plenum ab­ge­stimmt.

Vilimsky war in den vergangenen Jahren bei den Themen­be­rei­chen Russ­land, Ukra­ine, aber auch Bal­kan fleißig am Ein­fügen von Kor­rek­tur­vor­schlä­gen. Im Früh­jahr 2015 ar­bei­tete das EU-Par­la­ment an ei­nem Re­port über den Stand der Be­zie­hun­gen zwi­schen der EU und Putins Reich. Ein Jahr zu­vor, im Früh­jahr 2014, hat­ten des­sen Trup­pen und Söld­ner die Krim völker­rechts­wid­rig annek­tiert.

Berichterstatter war der litauische Abgeordnete Gabrielius Lands­bergis von der kon­ser­va­ti­ven Frak­tion. Er schrieb in sei­nem Be­richts­ent­wurf, in An­be­tracht der direk­ten und in­di­rek­ten Be­tei­li­gung Russ­lands an dem Krieg in der Ukra­ine und der vor­sätz­li­chen Ver­let­zung demo­kra­ti­scher Grund­sätze und Wer­te kön­ne die EU nicht "busi­ness as usual" mit Russ­land be­treiben.

Vilimsky und sein Parteifreund, der FPÖ-Europaabgeordnete Georg Mayer, wollten das so nicht ste­hen las­sen. Sie füg­ten ihren Ab­ände­rungs­an­trag ein: An­ge­sichts der in­di­rek­ten Ver­wick­lung der EU in den Kon­flikt in der Ukra­ine sollten die Mit­glieds­staaten, die EU und alle ihre Ins­ti­tu­tio­nen auf­ge­for­dert wer­den, "ihr Vor­gehen zu über­den­ken, um eine wei­te­re Es­ka­la­tion zu ver­hin­dern, so dass ein sinn­vol­ler diplo­ma­ti­scher Kon­sens mit der Rus­si­schen Föde­ra­tion er­reicht wer­den kann". Kein Wort mehr der Kri­tik an Russ­lands völker­rechts­wid­riger An­ne­xion der Krim.

Landsbergis kritisierte in seinem Entwurf auch die militä­ri­sche Ag­gres­sion Russ­lands ge­gen Geor­gien, die 2008 im Kau­ka­sus­krieg mün­de­te. Vi­limsky und Mayer woll­ten hier die rus­si­sche Ag­gres­sion und die Ver­let­zung der ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät Geor­giens durch Russ­land aus dem Text strei­chen las­sen. Auch die Tat­sache, dass Russ­land die Krim 2014 völker­rechts­widrig an­nek­tier­te und An­stif­ter eini­ger ein­ge­fro­re­ner Kon­flik­te in der Re­gion sei, etwa in Trans­nis­trien und Süd­osse­tien, sollte ge­löscht wer­den. Die we­gen der Anne­xion der Krim ge­gen Russ­land ver­häng­ten EU-Sank­tio­nen woll­ten die bei­den FPÖ-Poli­ti­ker per Ab­ände­rungs­an­trag in "un­nö­tig strenge Maß­nah­men" um­be­nannt wissen.

Zur Anmerkung, dass das Eindringen russischer Kampfjets in den Luft­raum von Nato und EU die Sicher­heit zivi­ler Flüge gef­ähr­det, wollten die bei­den blauen Brüs­sel-Poli­ti­ker auch noch "und die zahl­rei­chen NATO-Manö­ver in den Grenz­regio­nen zu Russ­land" ein­ge­fügt wissen.

Was treibt Vilimsky an? Nur ein Jahr später, im Jänner 2016, ist er Teil jener hoch­ka­rä­ti­gen FPÖ-Dele­ga­tion, die nach Mos­kau fliegt, um einen Freund­schafts­ver­trag mit Putins Par­tei "Eini­ges Russ­land" ab­zu­schließen. Es ist eine "Ver­ein­ba­rung über Zu­sam­men­wir­ken und Ko­ope­ra­tion", in der ne­ben der "Er­zie­hung der jun­gen Gene­ra­tion im Geiste von Patrio­tis­mus und Ar­beits­freude" auch regel­mäßige Be­ra­tun­gen zu poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Fra­gen ver­ein­bart wur­den. Ein In­sider der rus­si­schen Bot­schaft in Wien legte die wah­ren Ab­sich­ten in ei­nem Pa­pier ge­gen­über dem Fal­ter of­fen: Lob­by­ing ge­gen die Sank­tionen.

Zumindest legen das zahlreiche Änderungsanträge in Doku­men­ten des EU-Parla­ments nahe, die Vi­limsky al­leine oder mit Kol­legen aus der rechts­ex­tre­men EU-Frak­tion "Iden­ti­tät und Demo­kra­tie" ein­brachte.

Zu Jahresbeginn 2017 störte ihn an einem Bericht der EU-Kommission über den Stand der An­nä­he­rung Ser­biens an die EU, dass Ser­bien auf­ge­for­dert wird, sei­ne Außen-und Sicher­heits­poli­tik ein­schließ­lich der Poli­tik ge­gen­über Russ­land an­zu­pas­sen. Statt­des­sen wollte Vi­limsky in das of­fi­ziel­le Doku­ment ein­fü­gen las­sen, die EU müs­se die ser­bi­sche Poli­tik ge­gen­über Russ­land res­pek­tieren.

Ähnlich war es im April 2022. Da stand in einem weiteren Bericht zu Serbien, man be­daure, dass das Land sich nicht den EU-Sank­tio­nen ge­gen Russ­land an­ge­schlos­sen habe. Vi­limsky wollte diese Text­stelle ge­än­dert wis­sen: Ser­bien habe das Recht, seine Außen­poli­tik und seine diplo­ma­ti­schen Bünd­nisse im Ein­klang mit sei­nen his­to­ri­schen Tradi­tio­nen zu be­stimmen.

Serbien ist ein enger Verbündeter des russischen Präsi­den­ten Putin. Auch im rus­si­­schen Angriffs­krieg ge­gen die Ukra­ine steht Ser­bien auf der Seite Russ­­lands. Erst vergan­ge­nen Feb­ruar be­rich­te­­te die deutsche "Tagess­chau", dass ser­bi­sche Be­hörden Jagd auf rus­si­sche Oppo­si­tio­nel­­le machen und diese an Russ­land ausliefern.

Den Serbien-Abänderungsantrag brachte Vilimsky mit zwei Politi­kern des fran­zö­si­schen Ras­semblement Natio­nal ein. Der fran­zö­sische Rechts­außen-Poli­ti­ker Thierry Mariani ist als kreml­freund­lich be­kannt. Er ist Präsi­dent der fran­zö­sisch-russi­schen Ge­sell­schaft für Dia­log und be­reiste zwei Mal in of­fi­ziel­ler Mis­sion die von Russ­land annek­tier­te Krim. Des­sen Par­tei­kol­lege Jean-Lin Laca­pelle gilt eben­falls als russ­land­affin. Er reiste auch als Wahl­beo­bach­ter nach Russ­land und auf die von russi­schen Trup­pen okku­pierte Krim.

Einen Bericht des EU-Parlaments zum Kosovo im Frühjahr 2022 korri­gier­ten die drei Poli­ti­ker eben­so ge­mein­sam. Im Ent­wurf zu die­sem Be­icht wird lo­bend er­wähnt, dass die par­la­men­ta­rische Ver­samm­lung des Ko­sovo den rus­si­schen Ein­marsch in die Ukra­ine ver­ur­teilte und Sank­tio­nen ge­gen Russ­land be­schloss. Vi­limsky und seine Rechts­außen-Freun­de aus Frank­reich stör­te die­ser Ab­satz im Doku­ment. Sie for­der­ten die Strei­chung.

Zu diesen Abänderungsanträgen passt das Abstimmungsverhalten der drei FPÖ-Ab­ge­ord­ne­ten im Ple­num des EU-Par­la­ments. Sie stimmten ge­gen ver­schie­dene Ukra­ine-Hilfs­pa­kete, und als das EU-Parla­ment Russ­land im No­vem­ber 2022 offi­ziell zu ei­nem staat­li­chen Ter­roris­mus-Unter­stüt­zer er­klärte, ent­hiel­ten sich die Frei­heit­lichen ihrer Stim­me. Nur als das EU-Parla­ment ent­schied, russi­sche Reise­pässe aus den von Russ­land be­setz­ten Regi­onen der EU nicht an­zu­er­ken­nen, stimmte die FPÖ mit der Mehr­heit mit.

Im Mai 2022 lag dem EU-Parlament wiederum ein Bericht der EU-Kommission zu Bosnien und Herze­go­vina vor. Da­rin wer­den die Ver­su­che Russ­lands, die­se Region poli­tisch zu de­sta­bi­li­sieren, klar ver­ur­teilt. Vi­limsky for­dert auch hier eine Kor­rek­tur. Statt Russ­land möchte er eine De­sta­bi­li­sie­rung des Bal­kans "durch die Ver­einig­ten Staaten und Russ­land" ver­ur­teilt wis­sen. Schon zu­vor hat­te er in ei­nem Ab­ände­rungs­an­trag be­haup­tet, in Sachen Russ­land-Sank­tio­nen würde sich die EU aus­schließ­lich von den USA leiten lassen.

Auch was die Republika Srpska betrifft, ist Vilimsky im EU-Parlament auf Kreml-Linie. Milo­rad Dodik, bos­ni­scher Serben­füh­rer und Präsi­dent der Repu­blika Srpska, ist Putins Ver­bün­deter. Im Mai 2024 schrieb der Wis­sen­schaft­ler und Bal­kan-Ex­per­te Vedran Dzihic im Stan­dard, für Dodik sei "die Leug­nung des Geno­zids in Sreb­reni­ca zu sei­nem täg­li­chen poli­ti­schen Brot ge­wor­den, mit dem er vom ab­so­lu­ten Re­gie­rungs­ver­sagen in der Repu­blika Srpska und den kor­rupt-krimi­nel­len Machen­schaf­ten sei­ner Clique ab­lenken will".

Die EU-Kommission kritisierte in einem Anfang 2023 dem Parlament vor­ge­leg­ten Be­richt über Bos­nien und Herze­go­wina die "het­ze­ri­sche Rhe­torik und se­zes­sio­ni­sti­sche Poli­tik der Füh­rung der Repu­blika Srpska". Vi­limsky und der deut­sche AfD-Poli­ti­ker Bern­hard Zimniok wollten hin­ge­gen in ei­nem Ab­än­de­rungs­an­trag die "wieder­keh­rende hetze­ri­sche Rhe­torik und neo­kolo­nia­lis­ti­sche Poli­tik von Mit­glie­dern der EU Kom­mis­sion, des Euro­pä­ischen Par­la­ments und ande­ren poli­ti­schen Per­sön­lich­keiten so­wohl in Euro­pa und den USA in Be­zug auf die in­ne­ren An­ge­legen­heiten der Re­publika Srpska" ver­ur­teilt wissen.

In einem Berichtsentwurf vom April 2023 lobte der Bericht­er­stat­ter, der bul­ga­ri­sche Ab­ge­ord­ne­te Ilhan Kyuchyuk, Nord­maze­do­niens ein­deu­tige Ant­wort "auf die Ag­gres­sion ge­gen die Ukra­ine". Denn das Land habe sich den "res­trik­ti­ven Maß­nah­men der EU ge­gen Russ­land und Weiß­russ­land", also den EU-Sank­tio­nen, an­ge­schlos­sen. Vi­limsky wollte die­se Pas­sa­ge auf "die Um­set­zung der weit­ge­hend un­wirk­sa­men res­trik­ti­ven Maß­nah­men ge­gen Russ­land und Belarus" ge­än­dert haben.

Überraschend ist das Eintreten von Vilimsky pro Atomkraft. In einem Berichts­ent­wurf vom April 2023 be­grüßte das EU-Parla­ment die Fort­schrit­te Nord­maze­do­niens in der Ener­gie­wende weg von Kohle und hin zu Solar-und Wind­ener­gie. Vi­limsky, der seine Ände­rungs­an­trä­ge mit dem AfD-Poli­ti­ker Zim­niok ein­brachte, kor­ri­gier­te, er sei "äußerst be­sorgt über die fort­schrei­ten­de Ener­gie­wende weg von Kohle hin zu Solar und Wind­ener­gie". Im ge­mein­samen Ab­ände­rungs­an­trag for­der­ten FPÖ und AfD so­gar die "Hin­wen­dung zu nukle­aren Ener­gie­lö­sungen". Bei der AfD ist be­kannt, dass sie für den Aus­bau der Atom­ener­gie ist. Die FPÖ ins­ze­niert sich hin­ge­gen in Öster­reich stets gegen Atom­energie.

Mit politischen Freunden aus seiner Fraktion, darunter der AfD-Euro­pa­poli­ti­ker Maxi­milian Krah, for­derte Vi­limsky im Herbst 2021 auch eine Ände­rung in ei­nem Be­richt über die Men­schen­rechte und Demo­kra­tie welt­weit. Da­rin äußert der FPÖ-Frak­tions­führer "se­ine tiefe Be­sorg­nis über die Poli­tik der um­ge­kehr­ten Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung und Dis­kri­mi­nie­rung in Süd­afrika" und ver­ur­teilt, dass diese Über­griffe von der inter­natio­na­len Ge­mein­schaft "in ihrem stän­di­gen Stre­ben nach poli­ti­scher Korrekt­heit" igno­riert würden.

Abgesehen davon habe die EU nicht das Mandat, der Welt ihre Vor­stel­lung von Men­schen­rech­ten und Demo­kra­tie auf­zu­er­legen. Vi­limsky und sei­ne Freunde von Rechts­außen be­ton­ten, "dass die EU nicht die Men­schen­rechts­hüte­rin der Welt ist und dies auch nicht sein sollte".

Speziell zu Krah pflegte Vilimsky engen Kontakt. Erst im Februar tra­ten die bei­den in Wien auf. Damit ist es der­zeit vor­bei. Krah ist zwar Spitzen­kandi­dat der AfD für die Euro­pa­wahl. Seine Par­tei hat al­ler­dings ein Auf­tritts­ver­bot über ihn ver­hängt. Denn gegen Krah laufen Er­mitt­lun­gen, weil er mut­maß­lich Geld aus Russ­land und China er­hal­ten habe. Es gilt die Un­schulds­ver­mutung.

Wegen Krah ist auch die rechtsextreme Fraktion "Identität und Demo­kratie", der die FPÖ an­ge­hört, mas­siv zer­strit­ten. Weil er kürz­lich in ei­nem Inter­view er­klärt hatte, nicht jeder SS-Mann sei ein Ver­brecher ge­we­sen, wurde die AfD aus der ge­mein­samen EU-Frak­tion aus­ge­schlos­sen. Die FPÖ stimmte aller­dings ge­gen die­sen Aus­schluss. Vor ei­nem Mo­nat be­rich­tete das deut­sche Nach­richten­ma­ga­zin Spie­gel, dass im Kreml ein ei­genes Strate­gie­papier für die AfD aus­ge­ar­bei­tet worden war.

In einem weiteren Abänderungsantrag, wieder mit dem AfD-Poli­tiker Krah, for­der­te Vi­limsky das EU-Parla­ment auf, dass NGOs, die Mi­gran­ten aus dem Mit­tel­meer ret­ten oder auf eine an­dere Wei­se "der irre­gu­lä­ren Mi­gra­tion auf dem See-oder Land­weg Vor­schub leis­ten", keine EU-Gel­der mehr er­hal­ten dürfen.

Vilimsky will in der EU tätige NGOs auch verpflichten, ihre gesamten Finanzen offen­zu­legen so­wie al­le Tref­fen mit Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ten, de­ren Mit­ar­bei­tern oder ande­ren EU-Ein­rich­tun­gen um­ge­hend on­line zu ver­öffent­li­chen. Die Ände­rungs­an­trä­ge wa­ren aber nicht er­folg­reich. Die Posi­tion der FPÖ ist in Brüs­sel der­zeit noch ein Minder­heiten­pro­gramm.

Der Falter bat Vilimsky vorigen Freitag um Stellungnahme zu seinen Ab­än­de­rungs­an­trä­gen, wollte wis­sen, ob der FPÖ-Poli­ti­ker im­mer noch der Mei­nung sei, die An­ne­xion der Krim durch Russ­land sei keine ille­ga­le Hand­lung ge­we­sen, welche Be­lege er da­für habe, dass die USA den Bal­kan de­sta­bi­li­sie­ren, und wieso er für Atomenergie plä­diert. Bis Redak­tions­schluss ver­gan­ge­nen Mon­tag gab es keine Reaktion.

Posted by Wilfried Allé Monday, July 22, 2024 8:55:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Raus aus der Globalisierungsfalle 

Wie wir die sozial-ökologische Transformation schaffen

von Nikolaus Kowall

ISBN: 9783218014342
Verlag: Kremayr & Scheriau
Umfang: 240 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 10.07.2024
Preis: € 25,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Intervention als Chance.

Turbo-Kapitalismus, Klimakrise, Ungleichheit: Wie schaffen wir die sozial-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion der Wirt­schaft? Ein Plä­do­yer für Demo­kra­tie und Markt­ein­griff.

Ungezügelte Märkte und Hyper-Globalisierung haben uns in die to­tale Ab­hän­gig­keit des Welt­markts ge­führt. Aber wie weg­kom­men von Roh­stoff-Raub­bau, Soja, Fast Fashion und an­de­ren bil­li­gen Im­port-Dro­gen? Und jetzt auch noch die De­kar­bo­ni­sie­rung schaf­fen? Ist das der Todes­stoß für unse­re Indus­trie?

Es ist eine echte Chance, meint Nikolaus Kowall. Denn die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion führt zu hö­he­rer regio­na­ler Wert­schöp­fung. Im­por­te von Roh­stof­fen und Ener­gie wer­den durch Eigen­pro­duk­tion und Re­cyc­ling er­setzt, die Weg­werf­ge­sell­schaft durch die Kreis­lauf­wirt­schaft.

Damit der grüne Umbau der Wirtschaft nicht durch ruinösen Wett­be­werb ver­hin­dert wird, brau­chen wir aber mehr Demo­kra­tie­lo­gik und weni­ger Markt­lo­gik. Wachen wir auf, sonst pas­siert die Zu­kunft ohne uns.

FALTER-Rezension

Der Traum der ökologischen Re­indus­tria­li­sie­rung

Markus Marterbauer in FALTER 29/2024 vom 19.07.2024 (S. 19)

Deindustrialisierung, Verlust an Wett­be­werbs­fähig­keit, über­bor­den­de Um­welt­büro­kra­tie: Die Unter­neh­mer­ver­bände üben sich in Pes­si­mis­mus. Niko­laus Ko­wall tut das Ge­gen­teil. Der Wie­ner Öko­nom legt ein opti­mis­ti­sches und kon­struk­ti­ves Buch vor, das mit gu­ter Ana­lyse und muti­gen Politik­vor­schlä­gen nach vorne schaut.

Kowall unterscheidet zwei grundlegende Politik­kon­zepte: das Pri­mat der Demo­kra­tie samt Inter­ven­tion in die Märkte, das zwi­schen 1945 und 1980 einen natio­nal-und so­zial­staat­lich ge­zähm­ten Kapi­ta­lis­mus auf­bau­te; und das Pri­mat der Märk­te samt markt­kon­for­mer Demo­kra­tie in der neo­libe­ra­len Glo­ba­li­sie­rung seit den 1980er-Jah­ren. Kowall pro­pa­giert den Über­gang in eine drit­te Pha­se: ambi­tio­nier­te so­zi­al-öko­logi­sche Trans­for­ma­tion, in der die euro­pä­ische Demo­kra­tie den Märk­ten kla­re Re­geln vor­gibt, etwa kla­re so­zia­le und öko­lo­gi­sche Min­dest­stan­dards im Außen­han­del oder ei­nen ho­hen Stel­len­wert für Ver­sor­gungs­sicher­heit.

Und Österreich? Aus Kowalls Sicht war das Land in beiden Pha­sen der Ver­gan­gen­heit er­folg­reich und hat ei­ne viel­ver­spre­chen­de Aus­gangs­posi­tion für die drit­te Pha­se. Er be­legt dies mit der Me­tall­in­dus­trie, dem Herz­stück der hei­mi­schen Wirt­schaft. Die Er­folgs­ge­schichte be­ginnt im frü­hen 19. Jahr­hun­dert mit der Grün­dung der Mon­tan­uni­ver­si­tät in Leo­ben ("die Denk­fa­brik der öster­rei­chi­schen In­dus­tri­ali­sie­rung") durch Er­zher­zog Jo­hann ("die letz­te poli­tisch be­mer­kens­werte Fi­gur des Hauses Habsburg").

Österreich war ab 1970 wirtschaftlich auf der Überhol­spur, hat sich aber auch in der Glo­ba­li­sie­rung gut ge­schla­gen. Mit star­kem So­zial­staat, gu­ter Infra­struk­tur, öf­fent­li­chem Bil­dungs­sys­tem und er­folg­rei­chen Mit­tel­ständ­lern, die in ih­ren Ni­schen zu Welt­markt­füh­rern wur­den. Nun soll die Poli­tik mit dem Ziel der grü­nen Re­in­dus­tria­li­sie­rung ge­zielt je­ne techno­lo­gi­schen Vor­rei­ter­be­trie­be unter­stüt­zen, die in der treib­haus­gas­freien Pro­duk­tion Cham­pions wer­den kön­nen. Etwa das In­ves­ti­tions­pro­gramm in Elek­tro­licht­bogen und Was­ser­stoff beim Spe­zial­stahl­er­zeu­ger Voest, das Re­cycling­pro­gramm in der Alu­minium­pro­duk­tion der Amag oder die Clus­ter in der Pro­duk­tion von Schie­nen und Bahn­bau­ma­schi­nen. Die De­kar­boni­sie­rung der In­dus­trie, die Kreis­lauf­wirt­schaft und die Wen­de zu öf­fent­li­cher Mobi­li­tät und er­neuer­ba­rer Ener­gie kön­nen die Ba­sis für den star­ken In­dus­trie­stand­ort der Zu­kunft bil­den.

Doch derzeit fehlt eine vorausschauende Indus­trie­poli­tik. Die Per­spek­tive ist rück­wärts­ge­rich­tet ("Auto­land","Ver­bren­ner") und markt­gläu­big. Doch: "Der Markt kann die öko­lo­gi­sche Frage im 21. Jahr­hun­dert genau­so we­nig lö­sen wie die so­zia­le Fra­ge im 19. Jahr­hun­dert." Es braucht kla­re demo­kra­tisch er­wirk­te Vor­ga­ben für die Trans­for­mation.

Kowall sieht vor allem die EU als Vorreiter, etwa im Emissions­handel, im In­ves­ti­tions­pro­gramm Next Gene­ra­tion EU, beim Lie­fer­ket­ten­ge­setz und im CO2-Grenz­aus­gleich. Hier ist der Au­tor zu blau­äu­gig, for­mie­ren sich doch ge­ra­de kon­ser­va­ti­ve Kräf­te, die un­ter der Über­schrift von Wett­be­werbs­fä­hig­keit und Ent­büro­kra­ti­sie­rung den fun­da­men­ta­len so­zia­len und öko­lo­gi­schen Fort­schritt ver­hin­dern wollen.

Doch soll man das einem jungen Ökonomen vor­werfen, der die Welt ver­bes­sern will? Niko­laus Ko­wall kämpft um Vor­zugs­stim­men bei den Natio­nal­rats­wah­len. Die öster­rei­chi­sche Poli­tik kann von ei­nem Öko­no­men mit dem An­lie­gen der grü­nen Re­in­dus­tri­ali­sie­rung und der Fähig­keit, se­ine Ein­sich­ten über­zeu­gend vor­zu­brin­gen, nur profi­tieren.

Posted by Wilfried Allé Wednesday, July 17, 2024 9:07:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Gesundheit in der Klimakrise 

Auswirkungen. Risiken. Perspektiven.

Welche Gesundheitsrisiken und Krankheiten durch Klimawandel, Erderwärmung und Wetterextreme drohen und wie Sie sich schützen können.

Herausgegeben von Hans-Peter Hutter

Reihe: Ratgeber der MedUni Wien
ISBN: 9783214042448
Verlag: MANZ Verlag Wien
Umfang: 152 Seiten
Format: Buch
Genre: Ratgeber/Gesundheit
Erscheinungsdatum: 28.02.2023
Preis: € 23,90
Kurzbeschreibung des Verlags

Der Klimawandel und seine Folgen für Körper und Seele

Die Wetterextreme häufen sich, auch in Mitteleuropa: Dürre­perio­den wech­seln sich mit Über­schwem­mun­gen bis­her un­er­reich­ten Aus­maßes ab und Hitze­wel­len trei­ben die Über­sterb­lich­keit bei Ri­si­ko­grup­pen in die Höhe.

Das Autoren-Team rund um Herausgeber und Medi­ziner Hans-Peter Hutter er­läu­tert in ver­ständ­li­chen Wor­ten, was die Be­grif­fe Klima und Klima­wan­del tat­säch­lich be­deu­ten. Vor al­lem die viel­fäl­ti­gen Aus­wir­kun­gen der Klima­krise auf Ge­sund­heit und Wohl­be­fin­den des Men­schen ste­hen da­bei im Vor­der­grund.

  • Krankheiten durch Klimawandel: Die physischen und psychischen Folgen
  • Welche Personengruppen sind besonders von Gesundheits­ri­si­ken be­troffen?
  • Wie trifft der Klimawandel Österreich im Speziellen?
  • Geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz, die Sie per­sön­lich um­set­zen können
  • Welche neuen Infektionskrankheiten drohen durch die Folgen der Erd­er­wärmung?
  • Herausgegeben von Hans-Peter Hutter, Experte für Umwelt­medizin
Über den vorausschauenden Umgang mit dem Klimawandel: Was kann ich tun?

Von der Wahl des Wohnorts bis hin zum bewussten Ver­zicht auf un­nö­ti­ge Res­sour­cen­ver­schwen­dung – es gibt viele Wege, mit der Erd­er­wär­mung um­zu­ge­hen. Zahl­rei­che Tipps und In­for­ma­tio­nen für die not­wen­di­gen An­pas­sun­gen an den Klima­wan­del fin­den Sie zu­sam­men­ge­stellt in die­sem Rat­geber. Ge­sund­heit und prä­ven­tive Schutz­maß­nah­men ste­hen da­bei ganz be­son­ders im Fokus.

Wer ist besonders betroffen? Welche Vorkehrungen in Bezug auf Wet­ter­ex­tre­me ma­chen für je­den Ein­zel­nen Sinn? Wie ver­hal­ten Sie sich rich­tig wäh­rend ei­ner Hitze­wel­le? Die­ses Klima­wan­del-Buch rich­tet sei­nen Blick auf die medi­zi­ni­schen Aus­wir­kun­gen der Krise und gibt prak­ti­sche Rat­schlä­ge zum Um­gang mit den ent­ste­hen­den Ge­sund­heits­risiken.

FALTER-Rezension

EIN STILLER KILLER

Gerlinde Pölsler in FALTER 28/2024 vom 12.07.2024 (S. 43)

Wien, Graz, Linz und Klagenfurt strahlen in Orange. Das heißt: "Ach­tung!" Ab Mitt­woch, den 10. Juli, prog­nos­ti­ziert der Wet­ter­warn­dienst von Geo­Sphere Aus­tria, Öster­reichs of­fi­ziel­lem Wet­ter­dienst, für den Osten des Lan­des "star­ke Hitze­be­lastung".
Immerhin leuchtet die Karte noch nirgends rot, das hieße "Gefahr!".

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Hitze­tage mit min­des­tens 30 Grad in Öster­reich ver­viel­facht: Ka­men die Landes­haupt­städte zwi­schen 1961 und 1990 im Schnitt auf drei bis 12 sol­cher Tage, waren es von 1991 bis 2020 schon neun bis 23, manch­mal auch schon mehr als 40.

Heiße Temperaturen, das bedeutet: baden gehen, Eis es­sen und abends ewig im Schani­gar­ten sit­zen. Es heißt aber auch: mehr Un­fälle, Ge­walt und psy­chi­sche Pro­ble­me, mehr Auf­nah­men in den Spi­tä­lern - und mehr Ster­be­fälle. Los geht all das im­mer frü­her im Jahr.

Am 18. Juni bekommt der 64-jährige Reinhard Tesch auf dem Tennis­platz im stei­ri­schen Peg­gau ein komi­sches Ge­fühl im Bauch. Er sagt sich: "Nur noch den Satz fer­tig spie­len", wie er spä­ter der Klei­nen Zei­tung er­zählt. Doch dann bricht er zu­sam­men: schwe­rer Vor­der­wand­in­farkt, das Herz steht still. 20 Mi­nu­ten kämp­fen vier Tennis­spie­ler um sein Le­ben. Kurz be­vor der Ret­tungs­hub­schrau­ber auf­setzt, be­ginnt sich Teschs Brust­korb wie­der zu he­ben und zu sen­ken. Er überlebt.

Ende Juni häufen sich Meldungen aus Griechen­land über groß­teils älte­re Wan­de­rer, die an der Hitze ster­ben. Weil es nor­maler­weise um die­se Zeit am Pelo­pon­nes noch nicht so heiß ist, kom­men ge­rade Pensio­nis­ten gerne. Doch heuer misst man schon im Juni bis zu 45 Grad. Min­des­tens sechs Tou­risten kom­men ums Leben.

Um dieselbe Zeit kehren zahlreiche Pilger von der muslimischen Wall­fahrt Hadsch nicht mehr zu­rück: 1301 Men­schen seien in Mekka oder auf dem Weg dort­hin auf­grund ex­tre­mer Hit­ze ge­stor­ben, teilt Saudi-Arabien mit.

Hitze sei die "vielleicht tödlichste Wettergefahr", warnen Forscher vom Wegener Center für Klima und Glo­ba­len Wan­del an der Uni Graz am Mon­tag: Es brau­che ein welt­wei­tes Hitze­warn­system.

In Österreich lag die errechnete Übersterblichkeit aufgrund von Hitze in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bei bis zu 550 Todes­fäl­len. "In eini­gen Jah­ren gab es be­reits mehr Tote durch Hitze als im Straßen­ver­kehr", in­for­miert Öster­reichs Staats-Wet­ter­warte von Geo­Sphere Aus­tria. Al­lein im Som­mer 2022, dem heißes­ten in Euro­pa seit Be­ginn der Wet­ter­auf­zeich­nun­gen, wa­ren laut dem euro­pä­ischen Sta­tis­tik­amt Euro­stat wahr­schein­lich über 61.000 Todes­fäl­le auf die Hit­ze zu­rück­zu­füh­ren. Vor al­lem äl­tere Men­schen star­ben und von ih­ nen wie­der ver­mehrt Frauen. Ganz ge­nau weiß man al­ler­dings nicht, wie vie­le Le­ben die Hit­ze kos­tet, weil sie sich oft zu an­de­ren Vor­er­kran­kun­gen ge­sellt: Der Um­welt­medi­zi­ner Hans-Peter Hutter von der Med­Uni Wien, Heraus­geber des Buches "Ge­sund­heit in der Klima­krise":"Die Hitze ist ein lei­ser Mörder."

"Leider ein Klassiker", erklärt Harald Herkner, Präsident der Öster­rei­chi­schen Ge­sell­schaft für Not­fall­medi­zin und Vize­chef der Not­fall­kli­nik am AKH. "Ein äl­te­rer Men­sch trinkt zu wenig, kolla­biert und lan­det in der Kli­nik. Die Hitze­fol­gen sind zwar medi­zi­nisch oft leicht zu be­han­deln, doch da­nach im Kran­ken­haus ist die Ge­fahr, eine Lungen­ent­zün­dung oder ei­nen Harn­wegs­in­fekt zu be­kom­men, hö­her als zu Hause." Und schon dreht sich die Spi­rale rasch nach unten.

Gleich wie Überschwemmungen oder Hurrikans ist die Hitze extrem un­ge­recht: Babys und Alte, chro­nisch Kranke und Men­schen mit Be­hin­de­rung trifft sie viel här­ter. Bau­ar­bei­ter und Bus­fahrer lei­den mehr als Men­schen, die im Büro wer­keln, Ob­dach­lose und Be­woh­ner bil­liger und schlecht iso­lier­ter Woh­nun­gen mehr als Be­tuch­tere. In den Städten leben die Ärme­ren meist auch noch rund um die "Hitze­in­seln", an viel be­fah­re­nen Straßen ohne Bäu­me und Grün­flä­chen. Am 5. Juli 2022, das Thermo­meter kratz­te an der 30-Grad-Marke, zog der Fal­ter mit einer Wärme­bild­ka­mera durch die Stadt - und fand ge­wal­tige Unter­schiede: Den zu­beto­nier­ten Park­platz am Nasch­markt zeigte die Kame­ra tief­rot mit ei­ner Ober­flächen­tempe­ra­tur von 52 Grad. Ganz anders die Berg­gas­se im neun­ten Bezirk: Dort, unter vie­len Bäu­men, kam der Boden auf "nur" 32 Grad. As­phalt kann sich auf über 60 Grad auf­hei­zen, in­for­miert der Ver­kehrs­club Öster­reich, der da­zu auf­ruft, Hitze-Hot­spots auf Geh­stei­gen in ei­ner On­line-Karte ein­zu­tragen.

Schuften unter der Sonne Dem 39-jährigen Wiener Michael Schaden, der seit 20 Jah­ren am Bau ar­bei­tet, geht es mit der Hitze noch ganz gut. Er be­obach­tet aber, wie äl­tere Kol­le­gen kämp­fen: "Denen rin­nen rich­tig die Schweiß­per­len run­ter, man­chen wird schwind­lig." Das ist auch ge­fähr­lich, schließ­lich ste­hen die Ar­bei­ter oft hoch oben auf ei­nem Ge­rüst oder Dach. "Wir sagen ihnen dann: ,Komm, setz dich mal hin und d'erfang dich wieder. Geh in den Schatten oder in den Container.'"

Mit seiner Firma, der Hazet Bauunternehmung, ist Schaden zu­frieden: Was­ser, Mine­ral­was­ser und Son­nen­milch stün­den im­mer gra­tis zur Ver­fü­gung. Auch hitze­frei ha­ben er und sei­ne Kol­legen schon öf­ter be­kom­men: Ab 32,5 Grad im Schat­ten gibt es die Mög­lich­keit, die Ar­beit nieder­zu­legen - aller­dings be­steht da­rauf kein Rechts­an­spruch, es liegt al­lein am Gut­dün­ken der Arbeit­ge­ber. "Nur jeder vierte am Bau Be­schäf­tigte be­kam im ver­gan­ge­nen Som­mer stun­den­wei­se hitze­frei", klagt Bau­ge­werk­schafts­boss Josef Mu­chitsch. Ge­mein­sam mit der Ar­bei­ter­kam­mer und Fri­days for Fu­ture for­dert die Gewerk­schaft, dass alle Out­door-Be­schäf­tig­ten ab 30 Grad be­zahlt hitze­frei be­kom­men müs­sen. Andern­falls, drohte Mu­chitsch schon, werde man mit Ak­ti­vis­ten der Klima­be­we­gung "jene Bau­stel­len blockie­ren, die trotz ge­fähr­li­cher Hitze wei­ter schuf­ten las­sen". Immer­hin führt der Kampf ge­gen die Hitze auch zu neuen poli­ti­schen Allianzen.

Schwitzen im Plastiksackerl

400.000 Menschen hackeln in Österreich unter freiem Himmel, etwa bei der Müll­ab­fuhr oder als Gärt­ner. Aber auch drin­nen kann das Schuf­ten bei 30 Grad auf­wärts grenz­wer­tig wer­den, etwa in Pro­duk­tions­hal­len oder an den Bügel­ma­schi­nen von Wäsche­reien. Die Be­las­tungen, die dort spe­ziell Frauen tref­fen, wer­den oft über­sehen. Die Ar­bei­ter­kam­mer Wien hat des­halb im Früh­jahr Be­triebs­rä­tin­nen genau dazu interviewt.

Sehr anstrengend wird es etwa für die Pflegekräfte. Bei Hitze ist das Heben oder Wa­schen von Patien­ten be­schwer­li­cher, gleich­zei­tig sind auch die kran­ken oder al­ten Men­schen ge­reiz­ter und brau­chen mehr Zu­wen­dung. "Wenn die Außen­be­schat­tung fehlt, hat es in den Pa­tien­ten­zim­mern an heißen Ta­gen auch über 35 Grad", sagte eine Be­triebs­rätin.

Einige Beschäftigte erzählten, ihre Arbeits­klei­dung be­stehe aus bil­li­gem, syn­the­ti­schem Mate­rial: "Das G'wand ist wie ein Plas­tik­sackerl." Ein wei­teres Pro­blem, das Frauen stär­ker be­trifft: Bei Hitze soll man mehr trin­ken, und das heißt, dass man öf­ter aufs Klo muss. Doch wie sol­len Bus­fahrer­innen oder mo­bile Pfle­ge­rin­nen das machen? Das "Frei­luft-WC" ist für Frauen meist kei­ne Option, die Folge: Frauen trin­ken weni­ger, wie eine Straßen­bahn­schaffnerin er­zählt. Ge­sund­heit­lich ist das riskant.

Alles kein Problem für Sie?

"Mir tut die Hitze nichts", glauben viele. "Dabei wird unter­schätzt, dass Hitze für al­le Men­schen eine ge­wis­se Be­las­tung dar­stellt", sagt Um­welt­medi­zi­ner Hans-Peter Hutter. Der Kör­per muss eine Tempe­ra­tur von rund 37 Grad hal­ten. Um sich ab­zu­küh­len, wird die Haut viel stär­ker durch­blu­tet und die Schweiß­ab­gabe an­ge­kur­belt. Das Herz muss deut­lich mehr Blut pro Mi­nu­te an die Peri­phe­rie pum­pen, der Or­ga­nis­mus ist ge­stresst. Um­so mehr, je hö­her die Luft­feuch­tig­keit und je weni­ger der Wind weht.

In der milderen Form kann das zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Er­schöp­fung füh­ren. Die Hit­ze kann aber auch einen Hitz­schlag mit Todes­folge aus­lö­sen. Außer dem Her­zen sind das Ge­hirn und die Nie­ren be­son­ders ge­fähr­det. "Das Risi­ko für Nie­ren­steine und -koli­ken steigt stark an", weiß Not­fall­medi­ziner Herkner. "Diese las­sen sich zwar gut be­han­deln, aber die Schmer­zen sind mit­unter extrem."

Je intensiver die Hitzewelle ist und je länger sie dauert, desto größer wird die Be­las­tung. In heißen Näch­ten kommt es außer­dem zu mehr Schlag­an­fäl­len, wie eine brand­neue, im Euro­pean Heart Jour­nal publi­zierte Stu­die aus Deutsch­land zeigt. Ge­fähr­det seien be­son­ders Ältere und Frauen.

Generell verstärken sich die Auswirkungen von Hitze in den soge­nannten Tropen­nächten, in de­nen die Außen­tempe­ra­turen nicht mehr unter 20 Grad sin­ken, er­klärt Hans-Peter Hutter: "Stel­len Sie sich vor, Sie kom­men nach ei­nem heißen Ar­beits­tag schon ab­ge­schla­gen nach­hause. Bleibt es in der Nacht sehr warm, schla­fen Sie schlecht und be­gin­nen den nächs­ten Tag be­reits mit einer defi­zi­tä­ren Leis­tungs­fähig­keit." Es wird wie­der sehr heiß und so wei­ter. All das scha­det kör­per­lich ohne­hin be­ein­träch­tig­ten Men­schen noch viel mehr.

Die Hitze als Fußfessel In den letzten Tagen blieb der Energieberater Mex M. lieber im Haus - auch wenn es bei ihm im Wald­vier­tel deut­lich küh­ler war als in Wien oder Graz. Doch M. hat Mul­tiple Skle­rose (MS), und ab etwa 25 Grad braucht er den Roll­stuhl, ab 30 Grad den elek­tri­schen, weil er dann die Rä­der nicht mehr selbst an­trei­ben kann. Seine Bei­ne tun bei die­sen Tem­pe­ra­turen ein­fach nicht mehr, was er will. "Ich ver­glei­che das mit ei­nem fern­ge­steuer­ten Auto", sagt er. "Die Rei­fen dre­hen sich, der Motor funk­tio­niert, aber die Fern­steue­rung funk­tio­niert nicht." Acht von zehn MS-Pati­enten lei­den an die­sem Uhthoff-Phäno­men, das die Symp­tome ihrer Krank­heit bei Hitze verstärkt.

Und die Tage, an denen Mex quasi unter Hausarrest steht, werden mehr und mehr. Frü­her konnte er im Früh­ling noch raus, jetzt ist es da meis­tens auch schon zu warm. So rich­tig auf­at­men kann er erst ab Ok­to­ber. Weil die Erd­er­hit­zung für M. wie eine Fuß­fes­sel wirkt, klag­te er, stell­ver­tre­tend für al­le Men­schen, die Repu­blik: Die Re­gie­rung tue zu wenig ge­gen die Klima­krise. Vor zehn Ta­gen hat der Euro­pä­ische Ge­richts­hof für Men­schen­rechte sei­ne Klage als prio­ri­tär ein­ge­stuft, er wird sie also frü­her behandeln.

Auch anderen chronisch Kranken geht es mit steigenden Tempera­turen schlech­ter: Wer an der Lun­gen­krank­heit COPD lei­det, hat noch mehr Atem­be­schwer­den. Bei Herz­kran­ken steigt das In­farkt­risi­ko, bei Dia­be­ti­kern kann die In­sulin­steue­rung ent­glei­sen. Ge­fähr­li­cher ist die Hitze auch für Schwan­gere, Babys und Klein­kinder und für ge­brech­liche Men­schen, die al­lein und so­zial iso­liert in heißen Woh­nungen leben.

Verwirrt auf der Notfallstation Bei Hitzewellen landen vor allem Ältere bei Harald Herkner in der Not­fall­kli­nik: "Sie kön­nen nicht mehr so gut schwit­zen, ha­ben ein an­de­res Durst­ge­fühl und be­mer­ken oft gar nicht, dass sie aus­trocknen. Dann ver­sagen die Or­gane, sie kön­nen ge­rade noch die Ret­tung ru­fen oder blei­ben hilf­los in ihrer Woh­nung liegen."

Oft genüge eine Infusion, aber: "Gerade bei älteren Menschen ist der Wechsel des Um­felds im Kran­ken­haus dann oft ein Rie­sen­problem. Der alte Men­sch, viel­leicht de­ment, wacht im Kran­ken­haus auf, kennt sich nicht aus und be­ginnt in der Nacht un­ru­hig zu wer­den." Durch einen Delir, eine plötz­liche star­ke Ver­wirrt­heit, kann sich der Ge­sund­heits­zu­stand sehr stark ver­schlechtern.

Zahlen zur hitzebedingten Übersterblichkeit nach Alters­grup­pen sind rar, es gibt sie je­doch für den ex­trem heißen Som­mer 2003 in Deut­schland. Dem­nach "nahm die Mor­ta­li­tät in der ers­ten August­hälf­te bei den 60-bis 70-Jäh­ri­gen um 66 Pro­zent zu, bei den 70-bis 80-Jäh­rigen um 100 Pro­zent und bei den über 90-Jäh­rigen so­gar um 146 Pro­zent". Herkner for­dert, die Akut-und Not­fall­ver­sor­gung "klima­fit" zu ma­chen; es brauche eine ei­gene Aus­bil­dung. Schließ­lich wird sich die Zahl der über 65-Jäh­ri­gen in den nächs­ten zehn Jah­ren ver­doppeln.

Babys allein im Auto Für ein Baby oder Kleinkind kann Hitze schnell gefähr­lich wer­den, da sein Kör­per die Tempe­ra­tur noch nicht so gut regu­lie­ren kann. Säug­linge sollte man nicht der direk­ten Son­ne aus­setzen.

Unterschätzt wird das Risiko, wenn ein Kind allein im Auto zurück­bleibt: Schon bei einer Außen­tempe­ra­tur von 24 Grad kann sich das Auto­innere in ei­ner hal­ben Stun­de auf über 40 Grad Cel­sius auf­hei­zen. Bei Kin­dern kann die Kör­per­tempe­ratur dann in­ner­halb von Mi­nu­ten so hoch­schnel­len, dass es gefähr­lich werden kann.

Am 30. Juli des Vorjahres musste deswegen in Oberöster­reich ein 14 Monate alter Bub ins Spi­tal. In Israel starb im April ein Drei­jäh­riger im Auto an Hitze­schock und Ende Juni ein acht­jäh­ri­ges Mäd­chen im US-Bun­des­staat North Caro­lina: Es war drei­ein­halb Stun­den bei bis zu 34 Grad Außen­tempe­ra­tur al­lein im Auto.

"Auch wenn man vorhat, nur kurz etwas zu besorgen oder das Kind gerade so schön schläft, sollte man bei som­mer­li­chen Ver­hält­nis­sen nie­manden in ei­nem in der Son­ne ge­park­ten Fahr­zeug ein­ge­sperrt zu­rück­las­sen", warnt der ÖAMTC.

Das gelte auch für Tiere: Regelmäßig erleiden auch im Pkw "geparkte" Hunde einen Hitz­schlag. Be­merkt man ein bei Hitze ein­ge­schlos­senes Klein­kind oder Tier, sol­le man ver­su­chen, den Len­ker aus­fin­dig zu ma­chen, andern­falls die Poli­zei ver­stän­digen - und not­falls die Schei­be ein­schlagen.

Jetzt kracht 's Eltern "vergessen" ihre Kinder einer kanadischen Studie zu­folge dann im Auto, wenn sie ge­stresst oder müde sind oder ihre Tages­rou­tine sich ge­än­dert hat. Hitze knab­bert eben nicht nur an un­se­rer phy­si­schen Leis­tungs­fähig­keit, son­dern auch an der kogni­ti­ven und psy­chischen.

"Es gibt Studien, wonach bei einer permanenten Hitzesituation ohne Er­holung in der Nacht ver­mehrt Kon­flikte ent­ste­hen", er­klärt Oliver Opatz, der am Charité-Insti­tut für Phy­sio­logie zu ex­tre­men Um­wel­ten forscht, "weil unser ve­ge­ta­ti­ves Ner­ven­sys­tem uns Kampf­mo­dus sug­ge­riert." Die­sen Mo­dus merkt je­der, der sich bei Hitze auf die Straßen wagt. Laut dem Kura­to­rium für Ver­kehrs­sicher­heit kracht es dann öf­ter: An Ta­gen ab 30 Grad steigt die Zahl der Ver­kehrs­un­fäl­le mit Per­so­nen­scha­den um ein Vier­tel, wie eine Ana­lyse der Un­fälle im Jahr 2021 ergab. Die Un­fall­ur­sache "Un­acht­sam­keit/Ab­len­kung" klet­terte so­gar um 36 Proz­ent nach oben.

Auch Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen haben in solchen Phasen mit ver­stärk­ten Symp­tomen zu kämp­fen, weiß Hans-Peter Hutter: "Etwa bei de­pres­si­ven Ver­stim­mun­gen und Demenz, bei Schizo­phre­nie und bipo­la­ren Stö­rungen. Hier gibt es öfter Kran­ken­haus­auf­nah­men." Laut US-Stu­dien steige auch die Zahl der Fälle von Sub­stanz­miss­brauch, Sui­ziden und Gewalt­delikten.

Ende eines Rennens Am 29. Juni werden beim Start der Tour de France in Florenz be­reits 36 Grad ge­mes­sen. Die Sprint-Le­gen­de Mark Caven­dish muss sich we­gen der Hitze schon bald über­geben, fährt aber weiter. Kol­lege Michele Gazzoli ist ge­zwun­gen auf­zu­geben: Er lan­det we­gen eines Hitz­schlags im Spital.

Der Notfallarzt Harald Herkner hat schon öfter "drama­tische Fälle" über­hitz­ter Rad­renn­fah­rer und vor al­lem Mara­thon­läufer be­han­delt. "Ist es am Tag des Mara­thons sehr heiß und kommt di­rekte Son­nen­ein­strah­lung da­zu, dann se­hen wir eine hohe Zahl von schwer be­ein­träch­tigen Läu­fern, teil­weise so­gar mit Todes­fäl­len. Man­che sind schon mit so stark er­höh­ter Kör­per­tempe­ra­tur zu uns ge­kommen - und wa­ren nicht mehr zu retten."

Was tun?

Zum einen ist die Politik gefordert: Gesundheits­minister Johannes Rauch (Grüne) hat im Juni den neuen Natio­na­len Hitze­schutz­plan prä­sen­tiert. Der schreibt fest, was Bund, Län­der, Geo­Sphere Aus­tria so­wie Ge­sund­heits-und Sozial­ein­rich­tun­gen bei großer Hit­ze zu tun ha­ben. Klima­for­sche­rin Chloe Brimi­combe von der Uni Graz sieht da­rin große Fort­schrit­te, ver­misst aber Plä­ne zur Hitze­vor­sor­ge und -anpas­sung, etwa für Ab­kühl-Ein­rich­tun­gen und die Gratis­ab­gabe von Wasser.

Und was kann jeder einzelne tun? Vor allem: alles lang­samer an­gehen, genug trin­ken. Körper­liche An­stren­gung wäh­rend der heißes­ten Stun­den mög­lichst ver­mei­den, statt­des­sen auf den frü­hen Mor­gen oder Abend ver­legen. Zu die­sen Zei­ten auch lüf­ten, tags­über die Fens­ter schließen und die Räume ab­dun­keln. Außen­ja­lous­ien wir­ken viel bes­ser als Innen­jalousien.

Sehr starke Kopfschmerzen, anhaltendes Erbrechen oder hohe Körper­tem­pe­ra­tur sind Zei­chen eines Not­falls: so­fort die Ret­tung unter 144 ver­stän­di­gen. Be­trof­fene rasch aus der Sonne brin­gen und mit feuch­ten Tü­chern, be­son­ders am Kopf und im Nacken, kühlen.

Ebenso wichtig: Vorbeugend mit Arzt oder Ärztin besprechen, ob Medi­ka­mente wäh­rend Hitze­wel­len an­ders ein­zu­neh­men sind. Be­son­ders auf kran­ke, psy­chi­sch be­ein­träch­tig­te und al­te Men­schen ach­ten - "ge­rade die Ver­wund­bars­ten se­hen sich nicht gern als ver­wund­bar", so Brimi­combe. Mit Al­lein­le­ben­den ver­ein­baren, dass täg­lich je­mand vor­bei­schaut oder an­ruft.

Notfallarzt Herkner: "Passt auf euch selber auf, passt aufeinander auf."

Posted by Wilfried Allé Thursday, July 11, 2024 10:28:00 AM Categories: Ratgeber/Gesundheit
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Wir füttern die falschen Kühe 

Der betrogene Konsument - Wege aus dem System

von Leo Steinbichler

ISBN: 9783800078271
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Umfang: 268 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 22.03.2023
Preis: € 26,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Wir Konsumenten werden von früh bis spät ge­täuscht. Durch ein Sys­tem, das von fal­schen Ver­spre­chun­gen zu Tier­wohl und Lebens­mit­tel-Quali­tät lebt. Profi­teure des üb­len Spiels mit un­serer Er­näh­rung und Ge­sund­heit sind Super­markt­rie­sen und Lebens­mit­tel­indus­trie, be­güns­tigt durch Dop­pel­moral, Freun­derl­wirt­schaft und Total­ver­sagen der Politik.

Wie ausweglos ist die Lage? Wie machtlos sind wir tat­säch­lich?
Leo Steinbichler, Vollblutlandwirt und Voll­blut­poli­ti­ker, kennt bei­de Sei­ten wie kaum ein ande­rer. Schonungs­los wie spitz­zün­gig zeigt er auf, wo die Fä­den zu­sam­men­lau­fen, wer die Ak­teu­re sind.

Aber er ortet auch Wege aus dem System – für eine lebenswerte Zu­kunft, faire Preise, hoch­wer­tige Nah­rung aus nach­hal­ti­ger Be­wirt­schaf­tung und ech­tes Tierwohl.

  • Unser Essen im Sumpf aus Handel, Industrie & Politik
  • Agrar-Rebell, Landwirt und Politiker
  • Gnadenlos ehrlich
FALTER-Rezension

Gerlinde Pölsler in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

In seinen "Stallvideos" gibt der ober­öster­reichi­sche Land­wirt Leo Stein­bichler gern den "Agrar­re­bel­len": Be­vor er aus dem Bauern­bund flog, saß er für die ÖVP im Bun­des­rat und spä­ter fürs Team Stro­nach im Natio­nal­rat. In sei­nem Buch krie­gen alle ihr Fett ab: die Agrar­poli­tik und Raiff­eisen, ÖVP und SPÖ, die AMA und schein­hei­li­ge Kon­sumen­ten. Mit Ein­blicken zu Bezirks­jäger­tagen und Bauern­bund­sit­zungen.

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:48:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Das leise Sterben 

Warum wir eine landwirtschaftliche Revolution brauchen, um eine gesunde Zukunft zu haben

von Martin Grassberger

ISBN: 9783701734795
Verlag: Residenz
Umfang: 336 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Erscheinungsdatum: 24.09.2019
Preis: € 25,00
Kurzbeschreibung des Verlags

Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik!

Umweltverschmutzung, industrielle Landwirtschaft und Raubbau am Ackerboden verursachen chronische Krankheiten. Was ist der Ausweg?

Während die Weltbevölkerung rasant auf die 8. Milliarde zusteuert und im­mer mehr Men­schen am Wohl­stand teil­ha­ben wol­len, brei­ten sich ste­tig chro­ni­sche Krank­heiten in al­len Alters­grup­pen und Ge­sell­schafts­schichten aus. War­nun­gen vor un­mit­tel­baren Be­dro­hungen wie Um­welt­ver­schmut­zung, Boden­ver­armung und Ab­nahme der Bio­di­versi­tät ver­hal­len weit­ge­hend un­ge­hört. Der Human­bio­loge und Arzt Martin Grass­berger zeigt auf, dass ein un­mit­tel­ba­rer Zu­sam­men­hang zwi­schen der rück­sichts­lo­sen Zer­stö­rung der Natur und den lei­sen Epi­de­mien chro­ni­scher Krank­hei­ten be­steht. Die Ein­sich­ten sind er­nüch­ternd. Grass­berger zeigt je­doch mög­li­che Aus­wege aus der ge­gen­wär­ti­gen glo­ba­len Ge­sund­heits- und Um­welt­krise auf. Das Buch der Stunde!

FALTER-Rezension

Gerlinde Pölsler in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

Es war das Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 (Kategorie Natur­wis­sen­schaft): Der Arzt und Bio­loge Martin Grass­berger be­schreibt da­rin, was die indus­triel­le Land­wirt­schaft mit chro­ni­schen Er­kran­kun­gen zu tun hat. So schade die Che­mie in den Acker­bö­den, auf de­nen unser Es­sen wächst, un­se­rem Darm. Der Autor skiz­ziert auch eine mög­liche Agrar­wende.


Von der Notwendigkeit einer Agrarwende

Juliane Fischer in FALTER 4/2020 vom 24.01.2020 (S. 34)

Der Titel „Das leise Sterben“ lässt an einen Thriller den­ken. Er zeigt eine Rich­tung an: Zag­haft for­mu­liert wird hier nicht. Der Zu­satz „Warum wir eine land­wirt­schaft­liche Revo­lu­tion brau­chen, um eine ge­sunde Zu­kunft zu ha­ben“ be­schreibt das The­ma. Und der Autor spart nicht mit Kri­tik. Unser ak­tuel­ler Lebens­stil, spe­ziell die Er­näh­rung, sei für mehr Todes­fäl­le ver­ant­wort­lich als je­der an­dere Risiko­fak­tor, lau­tet die Kern­these des Ge­richts­medi­zi­ners und Bio­lo­gen Martin Grass­berger.

Unser Essen kommt, selbst wenn es bis zur Unkennt­lich­keit mit chemi­schen Zu­sät­zen ver­ar­bei­tet ist, aus dem Bo­den, der mehr oder weni­ger frucht­ba­ren Erd­schicht unter unse­ren Füßen. Die­ser Zu­sam­men­hang finde im Medi­zin­studium zu we­nig Be­ach­tung, meint er. Die Schul­medi­zin, die nur an Symp­to­men herum­dok­tere, und die Agrar­indus­trie, die mit Mono­kul­tu­ren Ero­sion, Über­dün­gung, Un­frucht­bar­keit ver­ur­sache, nennt er als Indi­ka­to­ren des­sel­ben Prob­lems. Denn die Che­mie scha­de den Mikro­orga­nis­men im Erd­reich wie im Darm. Für bei­de bräuch­te es ei­nen ganz­heit­li­chen Blick. Um­fas­send legt Grass­berger auch sein Buch an und nimmt da­bei Ver­kür­zun­gen in Kauf.

Auf 332 dicht bedruckten Seiten käuen manchmal nicht nur die Kühe und Schafe wie­der, son­dern auch der Autor. Mit dem Ver­armen der Bö­den und dem zer­furch­ten Sys­tem der mo­der­nen Land­wirt­schaft ha­ben sich schon viele aus­ein­ander­ge­setzt. Im hin­te­ren Teil geht Grass­berger auf Lösungs­vor­schläge ein. Und er sam­melt Er­fah­rung mit re­gene­ra­tiv-öko­lo­gi­schem Pflan­zen­bau im ei­genen Gar­ten. Be­son­ders über die er­näh­rungs­wis­sen­schaft­liche Re­cher­che wür­de man gern mehr erfahren.

Spannend wird es, wenn Grassberger in den Rinderpansen schaut oder den PR-Unfug der Wirt­schafts­kam­mer ent­larvt, die sich schüt­zend vor die Zucker­in­dus­trie stellt. Das al­les spricht für eine Agrar­wende, die hier nicht nur als Wunsch, son­dern auch als Not­wen­dig­keit for­mu­liert wird. Grass­bergers For­de­rungen sind nicht neu, sie müs­sen aber im­mer wie­der vor­ge­bracht wer­den, um irgendwann zu fruchten.

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:35:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Natur Technik/Natur
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Landverstand 

Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten

von Timo Küntzle

ISBN: 9783218012904
Reihe: K&S Um/Welt
Umfang: 336 Seiten
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Verlag: Kremayr & Scheriau
Erscheinungsdatum: 24.03.2022
Preis: € 24,00
Kurzbeschreibung des Verlags

„Wir Konsumenten blockieren ein nach­hal­ti­ge­res glo­bal­es Er­näh­rungs­sys­tem, in­dem wir der Land­wirt­schaft ei­nen Mühl­stein aus Vor­ur­tei­len, Denk­ver­bo­ten und wider­sprüch­lichen Wün­schen um den Hals hängen.“

Über unser Essen und die Art und Weise seiner Her­stel­lung wur­de nie emo­tio­na­ler und ver­bis­se­ner dis­ku­tiert als heute. Gleich­zei­tig ist die Zahl der Men­schen mit di­rek­tem Ein­blick in die Land­wirt­schaft auf ei­nem his­to­ri­schen Tief­stand. Klar ist ledig­lich: Je­des Lebens­mit­tel soll makel­los und rund ums Jahr zu ha­ben sein – aber bit­te nach­hal­tig, regio­nal und bio. Kann das funk­tio­nie­ren? Natür­lich nicht, sagt Timo Küntzle. Der Jour­na­list und Land­wirt­sohn sieht ge­nau hin, um mit ro­man­ti­sie­ren­den und ver­teu­feln­den Vor­ur­tei­len auf­zu­räu­men. Wel­che Rol­le spielt Land­wirt­schaft beim Klima­wan­del? Ist „bio für alle“ rea­lis­tisch? Wie schäd­lich sind Glypho­sat und an­dere Pes­ti­zide tat­säch­lich, was sind die Alter­na­ti­ven? Und nicht zu­letzt: Ist un­sere Angst vor Gen­tech­nik auf dem Tel­ler be­rech­tigt, war un­ser Es­sen in der „gu­ten al­ten Zeit“ wirk­lich bes­ser? Die Ant­wor­ten sind nicht im­mer ein­fach. Aber zwei­mal hin­se­hen lohnt sich. Nicht nur, weil es um un­ser täg­lich Brot geht, son­dern auch, weil etwas mehr Land­ver­stand uns al­len guttäte.

FALTER-Rezension

Katharina Kropshofer in FALTER 26/2024 vom 28.06.2024 (S. 44)

Das Ende der Intensivlandwirtschaft wäre Selbst­mord; wir brau­chen Pesti­zide, Gen­tech­nik und Stick­stoff­dün­ger, so Timo Küntzle, Bauern­sohn und stu­dier­ter Agrar­wis­sen­schaft­ler. Die Kon­su­men­ten wür­den der Land­wirt­schaft "einen Mühl­stein" an wider­sprüch­li­chen Wün­schen um­hän­gen. Man kann in vie­lem zu an­de­ren Schlüs­sen kom­men, De­bat­ten­an­stöße lie­fert der Autor jeden­falls.

Wie werden wir in Zukunft satt?

Maria Motter in FALTER 27/2022 vom 08.07.2022 (S. 43)

Vollspaltenböden, Gentechnik, Pestizide: Ist die indus­tria­li­sierte Land­wirt­schaft am Ende, oder wäre ihr Ende Selbst­mord? Da­rüber strei­ten die Buch­au­to­ren Matthias Krön und Timo Küntzle

Ab Ende 2039 soll es in Österreich die um­strit­te­nen Voll­spalten­bö­den für Schweine nicht mehr ge­ben. Das haben ÖVP und Grüne ver­gan­gene Woche ver­kündet. Ist das ein Zei­chen ei­nes Sin­nes­wan­dels in der Land­wirt­schaft? Wie in­ten­siv soll die­se sein? Der Fal­ter bringt zwei Land­wirt­schafts­ex­per­ten mit kon­trä­ren An­sich­ten an ei­nen Tisch.

Der eine bricht eine Lanze für Glyphosat, Gen­technik und Stick­stoff­dün­ger, der an­dere be­tont die Schä­den, die die in­ten­sive Land­wirt­schaft hinter­lässt. Der eine, Matthias Krön (53), war Mana­ger in der Milch­wirt­schaft und hat spä­ter den Ver­ein Donau Soja ge­grün­det, der den gen­tech­nik­freien An­bau von Soja in Euro­pa för­dert. Der an­dere, Timo Küntzle (47), ist auf einem Bauern­hof in Baden-Würt­tem­berg auf­ge­wach­sen, hat Agrar­wis­sen­schaft stu­diert und ar­bei­tet als Publi­zist. Bei­de ha­ben vor kur­zem Bücher ver­öffent­licht. "Land­ver­stand" hat Timo Küntzle sei­nes ge­nannt, "Eine Boh­ne ret­tet die Welt" heißt je­nes von Matthias Krön. Mit dem Fal­ter dis­ku­tier­ten sie über von Pflan­zen selbst er­zeugte Gifte, dazu­ler­nende Bio­bauern und Insek­ten­burger.

Falter: Die Regierung hat erklärt, dass die viel­dis­ku­tier­ten Voll­spal­ten­bö­den in der Schweine­hal­tung ein Ab­lauf­da­tum be­kom­men sol­len: Ende 2039. Ist das ein Grund zur Freude oder eine Hiobs­bot­schaft?

Timo Küntzle: Ich finde das begrüßenswert. Tiere sollten ein Min­dest­maß an Lebens­quali­tät er­fah­ren, wenn wir sie schon für uns nut­zen. In der Schweine­hal­tung be­steht da wahr­schein­lich der meis­te Auf­hol­be­darf. Al­ler­dings muss das teu­re­re Fleisch dann auch ge­kauft wer­den, auch von Wirts­häu­sern und Kan­ti­nen. Denn wenn hohe Stan­dards durch Im­porte unter­lau­fen wer­den, dann bringt der Be­schluss nur eine schein­bare Ver­bes­serung.

Matthias Krön: Die jetzt diskutierten graduellen Verbes­se­rungen und ihre Zeit­pläne wer­den rasch von der sehr dyna­mi­schen öf­fent­li­chen De­bat­te über­holt wer­den. 2040 wer­den wir be­reits eine ganz ande­re Dis­kus­sion ha­ben - näm­lich die, ob und wie wir Tiere nut­zen dür­fen. Öster­reich mit sei­ner klein­tei­li­gen Land­wirt­schaft sollte Vor­rei­ter beim Tier­schutz sein und da­mit neue Mark­tchan­cen nut­zen. Der­zeit se­hen zu weni­ge Markt­teil­nehmer die Chan­cen für öster­reichi­sche Schweine aus bäuer­li­chem Fami­lien­be­trieb, mit mehr Platz, regio­na­lem Fut­ter, bes­se­rer Fleisch­quali­tät. Da­bei geht der Kon­sum von Schweine­fleisch in Öster­reich am schnells­ten zu­rück, das ist auch eine Reak­tion der Kon­su­men­ten auf die zu lang­sa­me Ent­wick­lung in die­sem Sektor.

Hinter der Frage der Schweinehaltung steckt eine viel größere. Herr Küntzle, die Kern­aus­sage Ihres Buches lau­tet, die Ab­schaf­fung der inten­si­ven Land­wirt­schaft wäre Selbst­mord für die Mensch­heit. Warum das?

Küntzle: Jahrtausendelang konnten Menschen mehr Nahrungs­mit­tel nur er­zeu­gen, in­dem sie mehr Flächen in Be­wirt­schaf­tung na­hmen. Also Wälder ro­de­ten, Feucht­ge­biete trocken­leg­ten, Savan­nen um­pflüg­ten. Erst in der mo­der­nen Land­wirt­schaft ist es den Men­schen ge­lun­gen, pro Fläche deut­lich mehr zu ern­ten. Für eine Ton­ne Wei­zen brau­chen wir heute viel weni­ger Flä­chen als frü­her. Und wenn die Welt­be­völ­ke­rung mas­siv wächst und mit wach­sen­dem Wohl­stand wahr­schein­lich mehr Men­schen Fleisch kon­su­mie­ren wer­den, dann geht das ein­fach nicht ohne Pflanzen­schutz­mit­tel und syn­the­ti­schen Stick­stoff­dün­ger. Ohne die­sen wäre die Hälf­te der Mensch­heit gar nicht am Leben.

Herr Krön, Ihr Einwand?

Krön: Die historische Analyse halte ich für komplett richtig. Aller­dings ver­ur­sacht die inten­si­vierte Land­wirt­schaft auch viele Pro­bleme, Stich­wort Insek­ten­ster­ben. Und die Fra­ge, wie viel Nah­rung wir brau­chen, ist auch eine Frage des­sen, was wir es­sen. Wenn welt­weit alle so viel Fleisch es­sen wie die Öster­rei­cher, dann brau­chen wir selbst mit einer sehr inten­si­vier­ten Land­wirt­schaft noch mehr Flä­chen. Ich finde es aber gut, dass Herrn Küntzles Buch er­schie­nen ist, weil wir mehr De­bat­ten über die Land­wirt­schaft brau­chen. Viele Öster­rei­cher, auch viele In­tel­lek­tuel­le, sind stolz da­rauf, wenn sie da­von nichts ver­ste­hen. Ich war selbst so ei­ner: Ich kom­me aus einer Stadt­fa­mi­lie, habe ein huma­nis­ti­sches Gym­na­sium be­sucht, und frü­her hat mich das Thema über­haupt nicht inter­es­siert.

Die EU-Kommission will nun mit ihrem Green Deal den Einsatz von Pesti­ziden hal­bie­ren, Anti­bio­ti­ka und Dün­ge­mit­tel re­du­zie­ren und die Bio­land­wirt­schaft kräf­tig aus­bauen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nach­richt?

Küntzle: Das Ziel ist auf jeden Fall richtig. Ich ver­gleiche es gern mit Medi­ka­men­ten. Es ist gut, wenn ich mög­lichst wenig da­von brau­che. Schlecht wäre aber, wenn ich nicht da­rauf zu­rück­grei­fen könnte. Ähn­lich ist es mit Pflan­zen­schutz­mit­teln. Natür­lich wäre es für die Na­tur am bes­ten, wir wür­den gar keine ein­set­zen. Das steht völ­lig außer Fra­ge. Weil die­se Mit­tel da­zu ge­macht sind, Or­ga­nis­men ab­zu­tö­ten, übri­gens auch die bio­kon­for­men Wirk­stof­fe. Aber wenn die­se Ini­tia­tive da­zu führt, dass man in Euro­pa weni­ger pro­du­zie­ren kann und da­für anders­wo in der Welt mehr Wald ge­ro­det wer­den muss und wir die feh­len­den Pro­dukt­men­gen wie­der im­por­tie­ren, dann ist für nie­man­den et­was ge­won­nen. Wenn, dann muss man es mit Ver­stand ma­chen. Und da wäre die Neue Gen­tech­nik eine Mög­lich­keit, Pesti­zide zu re­du­zieren.

Krön: Derzeit werden zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen für die Pro­duk­tion von Tie­ren ver­wendet. Wür­den wir unse­re Er­näh­rungs­ge­wohn­hei­ten so än­dern, wie es die Ärzte em­pfeh­len, näm­lich nur ein Drit­tel des Flei­sches und der tieri­schen Pro­duk­te ge­gen­über dem heu­ti­gen Kon­sum es­sen, könnten wir mehr Platz für Insek­ten schaf­fen, mehr Blüh­strei­fen und Hecken, Tüm­pel und Moore. Wir könnten al­les auf Bio um­stel­len. Und Bio ist nicht im­mer weni­ger ef­fi­zient. Die öster­rei­chi­schen Bio­land­wirte ha­ben zum Bei­spiel beim Soja die glei­chen Er­träge wie die kon­ven­tio­nellen.

Küntzle: Sieben Prozent weniger laut einer Studie der Boku (Univer­sität für Boden­kul­tur in Wien, Anm.). Und im Schnitt ha­ben wir in der Bio­land­wirt­schaft 20 bis 30 Pro­zent ge­rin­gere Er­träge. Für die­sel­ben Er­trä­ge brau­chen wir also 30 Pro­zent mehr Flä­che. Das ist sehr, sehr viel. Auf die­ser Flä­che könnte ich auch einen Wald wach­sen las­sen, der ist fürs Klima viel wert­vol­ler als das schönste Biofeld.

Krön: Herr Küntzle, Sie haben einen sehr statischen Blick auf die Welt.

Küntzle: Nein, gar nicht.

Krön: Weltweit gesehen sind 80 Prozent der Bio­land­wirte erst in den letz­ten zehn Jah­ren um­ge­stie­gen. In vie­len Ge­bie­ten der Welt ist Bio et­was Neues. Ich bin sehr viel in Un­garn, Rumä­nien, Ser­bien unter­wegs, da lie­gen die Bio­an­teile bei etwa ei­nem hal­ben Prozent. Da ist ein irr­sin­ni­ger Lern­pro­zess im Gange. Das dau­ert eben zehn Jahre, aber die Bio­bauern wer­den bes­ser. Der Ab­stand zwi­schen kon­ven­tio­nell und bio sinkt.

Herr Küntzle, müssen der Konsum tierischer Lebensmittel und die Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung nicht so­wie­so sin­ken, weil wir sonst wirk­lich kei­ne zehn Mil­liar­den Men­schen er­näh­ren können?

Küntzle: Dass wir global weniger Fleisch essen sollten, ist voll­kom­men rich­tig. Nur: Die Pfeile zei­gen in die ande­re Rich­tung. In China sind in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehnten bis zu 300 Mil­lio­nen Men­schen aus der Ar­mut in die Mit­tel­schicht auf­ge­stie­gen, und über­all, wo die Men­schen zum Glück mehr Wohl­stand er­fah­ren, kon­su­mie­ren sie auch mehr tieri­sche Pro­dukte. Ich kann mir na­tür­lich das Ge­gen­teil wün­schen, aber: Die Welt ist ein­fach kein Wünsch-dir-was.

Krön: Allerdings essen wir auch deswegen so viel Fleisch, weil es so bil­lig ist. Ich bin jetzt 53 Jahre alt, und seit mei­ner Ge­burt kos­tet das Schnit­zel in Öster­reich gleich viel. Wäh­rend das Brot um 800 Pro­zent teu­rer ge­wor­den ist und das Ge­müse um 500 Pro­zent. Wir sub­ven­tio­nie­ren die Land­wirte da­für, dass sie bil­li­ges Ge­trei­de und Mais er­zeu­gen, die dann den Tieren ver­füt­tert wer­den. Fleisch ist also das höchst­sub­ven­tio­nier­te Pro­dukt in Europa.

Herr Krön, Sie glauben sogar, dass Peak Meat bald bevorsteht, also der Zeit­punkt, ab dem der glo­ba­le Fleisch­kon­sum sin­ken wird. Was macht Sie so opti­mis­tisch?

Krön: Es wird hauptsächlich aus ethischen Gründen dazu kom­men. Lange Zeit ha­ben wir große Land­gü­ter mit Skla­ven be­trie­ben. Ohne Skla­ven, hieß es, kön­ne man die Welt nicht er­näh­ren. Im 18. Jahr­hun­dert hat man da­rü­ber zu dis­ku­tie­ren be­gon­nen, Euro­pa hat Pro­dukte aus Skla­ven­hal­tung boy­kot­tiert. Man führte eine zer­ti­fi­zier­te Skla­ven­hal­tung ein: ein Skla­ve weni­ger pro Zim­mer. Reli­giö­se Be­treu­ung, ein Tag Aus­gang pro Wo­che. Es gibt da al­so große Pa­ral­le­len zum Tier­schutz. Ich ver­glei­che be­wusst nicht die Tier­hal­tung mit der Skla­ven­hal­tung, aber schon ein­mal ha­ben rein ethi­sche Gründe die Land­wirt­schaft mas­siv ver­än­dert. Und jetzt ste­hen wir am Be­ginn einer Ent­wick­lung, in der Tiere Per­so­nen­rechte be­kom­men. Schon gibt es Dis­kus­sio­nen, ob Schim­pan­sen Sach­wal­ter be­kom­men sollen.

Aber was ist mit der Tendenz, dass global gesehen Menschen mit zu­neh­men­dem Wohl­stand mehr Fleisch essen?

Krön: Das ist nicht zwingend so. Sprechen Sie heute mit jungen Men­schen, ganz vie­le fin­den, dass man Tiere nicht mehr ein­fach nut­zen und tö­ten darf. Meine Frau stammt aus China, dort fin­det die glei­che Ent­wick­lung statt. Die rei­chen Ja­pa­ner neh­men nur ein Zehn­tel ihrer Kalo­rien aus tieri­schen Pro­dukten zu sich.

Kommen wir zum Streitthema Pestizide. Herr Küntzle, Sie brechen eine Lanze für Glyphosat. Warum?

Küntzle: Es ist natürlich einfach zu sagen, ich will das nicht, weg damit. Aber dann muss ich auch sa­gen, wie ich es er­set­zen kann. Bei­spiel ÖBB: Die ha­ben sich groß auf die Fah­nen ge­schrie­ben, kein Glypho­sat mehr zu ver­wen­den. We­gen der Sicher­heit des Fahr­be­triebs müs­sen sie ihre Gleis­an­lagen frei von Be­wuchs hal­ten. Aber jetzt ver­wen­den sie ein­fach vier ande­re Herbi­zide, von de­nen zu­min­dest eines akut toxi­scher ist als Glypho­sat. Was ist damit gewonnen?

Ist Glyphosat also doch das kleinere Übel, Herr Krön?

Krön: Glyphosat ist zwar besser als andere Mittel, die vorher ge­spritzt wur­den. Aber es ist ein Total­herbi­zid, es tö­tet al­le Pflan­zen mit Aus­nahme derer, die spezi­fisch da­ge­gen resis­tent sind. Und ich habe viele Freunde in Ar­gen­ti­nien und Brasi­lien, dort kann man nach 30 Jah­ren die Pro­bleme gut beo­bachten.

Welche?

Krön: Der Glyphosatverbrauch pro Hektar ist massiv gestiegen. Die Ver­spre­chun­gen der Gen­tech­nik, den Pesti­zid­ver­brauch zu re­du­zie­ren, ha­ben also nur am An­fang ge­stimmt. Vie­le Un­kräu­ter kön­nen mit Glypho­sat nicht mehr be­kämpft wer­den, weil sie resis­tent ge­worden sind.

Herr Küntzle, Sie werfen NGOs und Medien vor, dass sie schwarz-weiß malen. Aber nei­gen Sie nicht selbst zur Pole­mik, wenn Sie schrei­ben, Kof­fe­in sei 13-mal gif­ti­ger als Glypho­sat? Wenn ein Insekt den Kaf­fee­strauch an­knab­bert, er­klä­ren Sie, tö­tet oder lähmt das Kof­fein das Insekt.

Und die Dosis, die im Tierversuch die Hälfte der Tiere tötet, sei beim Glypho­sat 13-mal hö­her als beim Kof­fein. Aber was hat das eine mit dem ande­ren zu tun?

Küntzle: Dieser Vergleich soll veranschaulichen, dass Glypho­sat nicht das Hor­ror­gift ist, als das es oft be­zeich­net wird. Natür­lich ver­ein­fache ich auch, ein Buch ist keine wis­sen­schaft­li­che Ab­hand­lung. Aber dass ich dif­fe­ren­zier­ter unter­wegs bin als manche NGO, kann ich guten Ge­wis­sens be­haup­ten. Denn im Gegen­satz zu den NGOs, die gene­rell Pesti­zide ver­bie­ten wol­len und Gen­tech­nik als schlecht em­pfin­den, zeige ich die Vor-und Nach­teile der Dinge auf.

Laut Weltgesundheitsorganisation ist Glyphosat wahr­schein­lich krebs­er­regend.

Küntzle: Alle Zulassungsbehörden der Welt haben gesagt, dass es bei ordnungs­ge­mäßer An­wen­dung nicht krebs­er­regend ist.

Wobei etliche Forscher kritisieren, die von den Herstellern eingebrachten Studien wür­den die wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­rien nicht er­fül­len. Und wenn wir auf die Öko­lo­gie schauen: Es birgt doch of­fen­sicht­lich hohe Risi­ken, wenn Pesti­zi­de, also Mit­tel, die Orga­nis­men tö­ten, in die Um­welt aus­ge­bracht wer­den, dann in Bö­den und Ge­wäs­sern auf­tau­chen und in Wechsel­wir­kung zu­einan­der treten.

Küntzle: Die EU-Behörden kontrollieren, wie in der Medizin, die Ein­hal­tung wis­sen­schaft­li­cher Kri­te­rien. Risi­ken gibt es über­all im Leben.

Aber manches muss sein und manches nicht.

Küntzle: Dass Pflanzenschutzmittel sein müssen, kann ich al­lein an der Tat­sache ab­le­sen, dass im Jahr 2020 43 Pro­zent al­ler in Öster­reich ver­kauf­ten Wirk­stof­fe bio­kon­form wa­ren. Das ist auch so eine Ge­schichte, die mich mas­siv stört: Nahe­zu je­den Tag finde ich Be­richte, in de­nen be­haup­tet wird, in der Bio­land­wirt­schaft wür­den keine Pesti­zide ein­ge­setzt. Das ist schlicht und er­grei­fend nicht wahr.

Krön: Das heißt aber nicht, dass 43 Prozent aller Pestizide in der Bio­land­wirt­schaft aus­ge­bracht werden.

Küntzle: Das habe ich auch nicht gesagt.

Krön: Und in der Biolandwirtschaft werden deutlich weniger Mittel, ge­rin­gere Men­gen und deut­lich weni­ger ge­fähr­liche Mit­tel ein­ge­setzt.

Küntzle: Im Obst-und Gemüsebau fahren die Landwirte zum Teil sogar öf­ter mit der Spritze raus. Kupfer zum Bei­spiel, ein weit­ver­brei­te­tes Bio­pesti­zid, muss ich im­mer wie­der neu aus­brin­gen, weil es der Re­gen aus­wäscht. Und dieses Mit­tel schä­digt wie Glypho­sat Was­ser­orga­nismen.

In Summe gelten aber die chemischsynthetischen Pestizide, die in der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft zu­ge­las­sen sind, als schäd­li­cher als die für den Bio­land­bau zu­ge­las­se­nen. Das sagt auch Johann Zaller, Zoolo­gie-Pro­fes­sor und Pesti­zid­ex­per­te an der Boku: Von 389 Wirk­stof­fen, die er ana­ly­siert hat, seien 22 hoch­toxisch für den Men­schen. Kei­nes da­von sei ein Biomittel.

Küntzle: Es mag ja sein, dass konventionelle Pestizide zum Teil toxi­scher sind als Bio­pesti­zide. Tat­sache ist: Auch bei den kon­ven­tio­nell er­zeug­ten Pro­duk­ten lie­gen die Kon­zen­tra­tio­nen weit unter je­dem Ge­fahren­po­ten­zial. Dass wir nicht alle schlei­chend ver­gif­tet wer­den, be­weist doch schon die Tat­sache, dass wir im­mer äl­ter werden.

Krön: Wobei die Lebenserwartung in Österreich sinkt.

Küntzle: Weltweit gesehen steigt sie.

Herr Krön, bei Donau Soja müssen die Bauern ohne Gentechnik aus­kommen. Wa­rum ist Ihnen das so wichtig?

Krön: Weil die Bevölkerung in Europa massiv gegen Gen­tech­nik ist. Und laut der Sta­tis­tik der UN-Er­näh­rungs­organi­sa­tion FAO ha­ben die öster­rei­chi­schen Land­wirte zum Bei­spiel beim Soja die glei­chen Er­träge wie Land­wirte in Bra­si­lien oder den USA. Ob­wohl die­se Gen­tech­nik einsetzen.

Sie lehnen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirt­schaft nicht prin­zi­piell ab?

Krön: Na ja, ich bin mit gentechnisch veränderten Impfstoffen geimpft. Es wäre Blöd­sinn, eine Techno­lo­gie zu ver­dam­men. Aber Gen­tech­nik führt sehr oft dazu, dass an den Stand­ort nicht an­ge­passte Pflan­zen an­ge­baut wer­den. Ob die Grüne Gen­tech­nik ihre Ver­spre­chun­gen in Zu­kunft er­füllt, kann man noch nicht sagen. In den letz­ten 30, 40 Jah­ren hat sie sie nicht er­füllt. Es wur­de eine deut­li­che Re­duk­tion des Pes­ti­zid­ein­sat­zes ver­sprochen.

Küntzle: Die ist sehr wohl erfolgt. Dass die Versprechen nicht ein­ge­hal­ten wur­den, ist so ein Steh­satz der NGOs, der den Fak­ten kom­plett wider­spricht. Es gibt eine Meta­ana­lyse über cir­ca 140 Einzel­stu­dien aus Deutsch­land, finan­ziert vom deut­schen Ent­wicklungs­hilfe­minis­te­rium und der EU. Er­geb­nis: Über alle Gen­technik­sor­ten ist der Pesti­zid­ein­satz um 37 Pro­zent ge­sunken. Der Er­trag hat sich um 22 Pro­zent er­höht, und die Ein­kom­men der Land­wirte sind ge­stie­gen. Ne­ben der Herbi­zid­resis­tenz gibt es ja auch die BT-Techno­lo­gie. Sie führt da­zu, dass die Pflanze ein Insekti­zid selbst pro­du­ziert; es braucht also nicht mehr aus­ge­bracht zu wer­den und schadet nur je­nen In­sek­ten, die die­se Pflanze an­knab­bern. Das nüt­zen etwa Baum­woll­bauern in Indien und Mais­bauern in den USA.

Krön: Viele Menschen haben das Gefühl, die Landwirtschaft sei zu weit ge­ga­ngen. Die Gen­technik ist ein Sym­bol da­für. Es gab ja Fort­schrit­te im Züch­tungs­be­reich, aber die las­sen sich nicht un­end­lich weiter­spin­nen. Bei Soja gibt es jetzt Sor­ten mit 50 Pro­zent Ei­weiß, frü­her waren es 38 Pro­zent. Irgend­wann ha­ben wir 70 Pro­zent, aber da sind dann keine ande­ren Nähr­stof­fe mehr drin.

Küntzle: Sie sagen zu Recht, die Leute haben das Gefühl, die Land­wirt­schaft sei zu weit ge­ga­ngen. Und das ist sie sicher auch an der einen oder ande­ren Stel­le. Aber so wich­tige Ent­schei­dun­gen dür­fen nicht allein auf Ge­fühl­en ba­sie­ren. Der Welt­klima­rat schreibt an mehre­ren Stel­len, dass die nach­hal­ti­ge Inten­si­vie­rung not­wen­dig ist. Und Gen­tech­nik ist ein Werk­zeug, um die Land­wirt­schaft nach­hal­tiger zu machen.

Herr Küntzle, wie werden unsere Supermärkte und Speisepläne in 50 Jahren aussehen?

Küntzle: In Europa wird vermutlich weniger Fleisch gegessen werden, kom­plett da­rauf ver­zich­ten werden wir aber nicht.

Werden Sie dann vielleicht Mehlwürmer und Schnecken essen?

Küntzle: Sag niemals nie. Wenn der Insektenburger schmeckt, warum nicht?

Herr Krön?

Krön: Die Niederländer, Dänen und Kanadier investieren gerade wie ver­rückt in pflanz­li­che Er­näh­rung. Da wer­den ganz neue, tolle Pro­duk­te kom­men. Bei uns schläft man da noch ein biss­chen. Ich sage jetzt vor­aus: In 50 Jah­ren wird in Öster­reich die Pro­duk­tion von Nutz­tie­ren ver­boten sein, und wir wer­den in der Kronen Zei­tung, so es sie noch gibt, oder im Falter Inse­rate se­hen: "Flie­gen Sie zum Gril­len nach Nami­bia, dort ist es noch erlaubt."

Posted by Wilfried Allé Thursday, June 27, 2024 8:22:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Natur Technik/Natur
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