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Wien für Entdecker 

Schotti to go

von Michael Schottenberg

Verlag: Amalthea Signum
ISBN: 9783990502211
Umfang: 224 Seiten
Genre: Reisen/Reiseberichte, Reiseerzählungen/Europa
Erscheinungsdatum: 21.04.2022
Format Hardcover
Preis: € 25,00
Reihe: Schotti to go

 

Kurzbeschreibung des Verlags

WIEN IST ANDERS
»Wien ist Orient und Okzident, Gemütlichkeit und Perfidie, eine Melange aus himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, eine Personalunion zwischen Ratte und sinkendem Schiff.« Reisephilosoph Michael Schottenberg hat eine besondere Beziehung zu der Stadt, in deren schummrig beleuchteten Nachkriegsgassen er einst das Licht der Welt erblickte. Mit liebevoller Zuneigung und doch kritischem Blick trifft er hier neben Wiener Grant und Heurigenglück auf alteingesessene Originale, versteckte Friedhöfe und Märkte sowie bewegende Orte der Erinnerung …
»Wien für Entdecker« ist die Liebeserklärung eines Weltenbummlers an seine Heimatstadt: ein Kaleidoskop von menschlichen Begegnungen, persönlichen Momentaufnahmen und überraschenden Entdeckungen.

Posted by Wilfried Allé Monday, May 16, 2022 9:07:00 AM Categories: Reisen/Reiseführer/Europa
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Putins Netz 

Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste

von Catherine Belton

Verlag: HarperCollins
ISBN: 9783749903283
Umfang: 704 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Erscheinungsdatum: 07.02.20221
Format Hardcover
Ausgabe: 5. Auflage
Übersetzung: Elisabeth Schmalen, Johanna Wais
Preis: € 26,80

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammen­brach, ahnte nie­mand, dass ein ehe­ma­liger KGB-Agent sich über Jahr­zehnte als russi­scher Prä­si­dent be­haup­ten würde. Doch ein Allein­herr­scher ist Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich auf ein Netz­werk ehe­ma­li­ger sowje­ti­scher KGB-Agen­ten, dessen Ein­fluss weit über Russ­land hinaus­reicht.
Catherine Belton, ehemalige Moskau-Korres­pon­den­tin der Finan­cial Times, hat mit zahl­rei­chen ehe­ma­li­gen Kreml-In­si­dern ge­spro­chen. Etwas, das bisher ein­ma­lig sein dürfte. Es sind Män­ner, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml »ge­jagt« wer­den.
Belton beleuchtet ein mafiöses Geflecht aus Kon­trol­le, Kor­rup­tion und Macht­be­sessen­heit, und das ge­fällt nicht allen Pro­ta­go­nis­ten. Vier Oli­gar­chen haben sie des­wegen wegen Ver­leumdung ver­klagt.
Ihr Buch liest sich in all seiner Kom­plexi­tät so span­nend wie ein Agenten­thriller, doch vor allem ent­hüllt es, wie das Sys­tem Putin uns alle mehr be­trifft, als uns lieb ist.
 

FALTER-Rezension
Putins Machtbasis: Geheimdienst, Kleptokratie

Die ehemalige Moskau-Korres­pondentin der Financial Times, Catherine Belton, re­kons­truiert den Auf­stieg Wladimir Putins

Wladimir Putin hat nicht wenige Sympa­thi­santen unter west­euro­päi­schen Lin­ken, trotz sei­ner Unter­stützung rechts­ex­tre­mer Par­teien. Sie sehen in ihm eine Bar­ri­ere ge­gen die gren­zen­lose Ex­pan­sion der Nato und der USA. Eine Ana­ly­se sei­nes Auf­stiegs unter der Schirm­herr­schaft des KGB vom un­be­deu­ten­den Agen­ten in Dresden über das Kabi­nett des Peters­bur­ger Re­form-Bür­ger­meis­ters bis zum Nach­fol­ger Boris Jelzins wirft ein neues Licht auf ihn.

Putin hat die chaotische neo­li­bera­le Trans­for­ma­tion der russi­schen Wirt­schaft ge­stoppt, die so­zia­le Gegen­sätze und eine ge­setz­lose Oli­gar­chie er­zeugt hatte. Er hat dieses Sys­tem aber nur um­ge­lei­tet, die Oli­gar­chen in sei­nen Dienst ge­zwun­gen und seine ei­ge­nen Leute be­rei­chert. Und er unter­wan­dert die libe­ralen Demo­kra­tien des Westens.

In ihrem sorgfältig recherchierten Buch zeigt die ehe­ma­li­ge Mos­kau-Korres­pon­den­tin der Finan­cial Times, Catherine Belton, wie das alte KGB-Netz­werk durch Putin seine Macht­po­si­tion zu­rück­er­obert hat. Frü­her als andere hatte der Geheim­dienst den Zu­sammen­bruch der Sowjet­union kom­men sehen und Mil­liar­den aus dem Land ge­schafft sow­ie ein Netz­werk für die Zeit da­nach auf­ge­baut.

Detailliert zeichnet Belton nach, wie dieses Netz­werk die Macht zu­rück­ero­bert und sei­nen Ein­fluss auf Fi­nanz-und Macht­zen­tren in Lon­don, New York und auch Wien aus­ge­baut hat. Die Vor­gangs­weise war skru­pel­los: un­lieb­same Wirt­schafts­ak­teure wur­den aus dem Weg ge­räumt, Unter­nehmen ent­eig­net und wie­der unter die großen Staats­kon­zerne ge­zwun­gen. Namen aus der Peters­burger Unter­welt, derer sich der KGB schon zu Sowjet­zeiten be­dient hatte, tau­chen in den ak­tuel­len Fällen von Geld­wäsche, Kor­rup­tion und Mor­dan­schlä­gen ge­gen Kri­ti­ker im Exil wie­der auf. Auch Wien bildet eine Kon­stante im kor­rum­pie­ren­den Ein­fluss auf west­liche Demo­kra­tien. Man denke nur an die Rol­le eini­ger Ban­ken und Mit­tels­män­ner bei du­bio­sen Geld­trans­fers bis hin zu den russi­schen Ver­sorgungs­posten für ehe­ma­lige öster­rei­chi­sche Spitzen­po­li­ti­ker diver­ser Par­teien.

Ursprünglich, schreibt Belton, habe sie nur die Über­nahme der Wirt­schaft durch Putins frü­here KGB-Kol­legen doku­men­tieren wollen. Ihre Recher­chen hät­ten aber einen noch be­un­ruhi­gen­deren Hinter­grund auf­ge­deckt: "Die Über­nahme der Wirt­schaft - und der Jus­tiz und des po­li­ti­schen Sys­tems - durch die KGB-Kräfte führte zu ei­nem Re­gime, in dem die Dollar-Mil­li­arden, die Putins Kum­pa­nen zur Ver­fü­gung ste­hen, ak­tiv da­für ge­nützt wer­den, die Insti­tu­tio­nen und Demo­kra­tien des Wes­tens zu unter­gra­ben."Die alte KGB-Tak­tik, libe­rale Ge­sell­schaf­ten durch Des­in­for­ma­tion, Kor­rup­tion von Poli­ti­kern und Unter­stüt­zung radi­kaler Or­ga­ni­sa­tionen zu de­sta­bi­li­sieren, er­lebe unter Putin eine Neu­auf­lage. Was per­fekt zu sei­ner geo­po­li­ti­schen Stra­te­gie passt, die alten Ein­fluss­sphä­ren mit Ge­walt wieder­her­zu­stellen. Die eng­lische Aus­gabe des Buchs er­schien 2020 und wurde als eine der am bes­ten doku­men­tier­ten Ana­ly­sen des Sys­tems Putin ge­prie­sen.

hre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Belton hat für ihre Re­cher­che auch ehe­mals engste Ver­trau­te Putins inter­viewt. Sie haben pro­fun­des In­sider­wis­sen und sich zu Putin-Kri­ti­kern ge­wan­delt, ten­die­ren aber da­zu, ihre eigene Rolle zu be­schönigen. Selbst wenn man Beltons These einer per­fekt ge­plan­ten Zu­rück­er­obe­rung Russ­lands durch eine neue Klepto­kra­tie nicht teilt, bietet das Buch einen auf­schluss­rei­chen Ein­blick in die Macht­struk­turen unter Putin.

Franz Kössler in Falter 8/2022 vom 25.02.2022 (S. 22)
 

Putin wirklich verstehen

Ein Hooligan" sei er gewesen, erzählte Wladimir Putin in einem Inter­view vor mehr als 20 Jahren, auf seine Jugend­tage an­ge­spro­chen. Auf die un­gläu­bige Frage des Inter­viewers, ob er damit nicht ein wenig flun­kere, er­wi­derte Putin: "Wollen Sie mich be­lei­digen? Ich war ein echter Schläger."

Putin selbst ist immer wieder auf diese Geschichten zu­rück­ge­kom­men, hat die Straße "meine Uni­ver­si­tät" ge­nannt. Unter den vier Grund­sätzen, die er aus sei­ner Gangster­zeit mit­ge­nom­men habe, ist auch "Schluss Num­mer drei: Ich habe ge­lernt, dass man - egal ob ich im Recht war oder nicht -stark sein müsse. Ich musste in der Lage sein, da­gegen­zu­halten Schluss Nummer vier: Es gibt kei­nen Rück­zug, du musst bis zum Ende kämpfen. Letzt­end­lich war es das auch, das ich später im KGB ge­lernt habe, aber im Grunde wurde mir das schon viel früher bei­ge­bracht - in die­sen Kämp­fen als Junge."

Vielleicht gibt uns diese Geschichte einen Ein­blick in das Den­ken von Wladimir Putin, wie er "tickt". Viel­leicht aber auch nur, wie er ge­sehen wer­den will. Putin er­zählt Ge­schich­ten nicht ohne Ab­sicht, seit Be­ginn sei­nes Auf­stiegs bas­teln er, seine Entou­rage und seine Spin­dok­to­ren an seinem öffent­lichen Image.

Was aber sind seine ideo­lo­gi­schen An­schauungen? Wen schart er im inne­ren Macht­appa­rat um sich? Wer ist also dieser Putin? Was treibt ihn an?

Spulen wir zurück. Es ist der 31. Dezem­ber 1999. Der letzte Tag des Jahr­tausends. Boris Jelzin, der erste Prä­si­dent der Rus­si­schen Föde­ra­tion, tritt über­raschend zu­rück. Nie­mand hatte damit ge­rech­net. Aber Jelzin - und seine Entou­rage, be­kannt als "die Fami­lie" - ver­fol­gen einen Plan. Jelzin über­gibt die Prä­si­dent­schaft ver­fas­sungs­gemäß an den Minis­ter­prä­si­denten, an Wladimir Putin, der zu diesem Zeit­punkt noch keine fünf Monate als Minis­ter­prä­si­dent amtiert. Putin ist tat­säch­lich ein "Mann ohne Ge­sicht". Ein un­be­schrie­benes Blatt. Sie glau­ben, ihn kon­trol­lie­ren zu kön­nen.

Jelzins Umfragewerte liegen im Keller. Er war in den 80er-Jahren der Un­ge­stümste der Re­former in der KPdSU, war Mos­kauer Par­tei­chef, gilt als der Demo­krat unter den Spitzen­kom­mu­nis­ten. Als die alte Garde ge­gen Michail Gor­bat­schow und seine Öffnungs­poli­tik putscht, ist es Jelzin, der den Um­sturz zum Schei­tern bringt. Die Sowjet­union löst sich auf, auch an der Peri­pherie Russ­lands be­gin­nen Ab­spal­tungen. Es sind die Jahre des chao­ti­schen Zer­falls an den Rän­dern, aber auch im Inne­ren. Die Wirt­schafts­leis­tung fällt, einige wer­den schnell reich.

Putin, zuvor als KGB-Mann in Dresden, landet als stell­ver­tre­ten­der Bür­ger­meis­ter in Sankt Peters­burg, sei­ner Heimat­stadt, wo er am Stadt­rand, in Tra­ban­ten­städten, in einer Arme-Leute-Ge­gend auf­ge­wachsen ist. Der Bür­ger­meis­ter, Putins Chef, ist da­mals Ana­toli Sobt­schak, ein ehe­ma­li­ger Rechts­pro­fes­sor, der An­führer der Demo­kra­ten, der be­rühm­tes­te rus­sische pro-west­liche Re­former.

Er ist eine strahlende Figur, doch kein be­son­ders guter Or­ga­ni­sator, aber auch ein Trick­ser, der sich als Li­be­raler gibt und hinten­rum mit den al­ten Macht­ha­bern pak­tiert. Da­für hat er Putin, sei­nen Stell­ver­tre­ter, zu­stän­dig für alles, wo­für Sobt­schak kein be­son­deres Ta­lent hat. Putin ist Sobt­schaks "Fixer", der, der die Dinge er­ledigt.

Putin tut sich mit der Mafia zusammen, die da­mals den Großen Hafen in Sankt Peters­burg in der Hand hat. Putin ist mit sei­nen KGB-Leu­ten ver­bun­den, nutzt sein Netz­werk, zu­gleich schließt er Bünd­nis­se mit dem or­gani­sier­ten Ver­bre­chen. Es wird ein Muster.

Als Sobtschak später abgewählt wird, wech­selt Putin nach Mos­kau in den Kreml, auf einen Or­gani­sations­posten im Prä­si­den­ten­stab. Dort steigt er schnell auf. "Er war folg­sam wie ein Hünd­chen", be­rich­tet Ser gei Pugat­schow, da­mals im Kreml eine große Num­mer, in ei­nem Ge­spräch mit der Au­to­rin Catherine Belton.

Putin rückt zum stellvertretenden Stabs­chef auf, da­nach zum Chef des In­lands­ge­heim­dienstes FSB, des Nach­folgers des KGB. Als er Ministerpräsident wird, übernimmt sein Kumpan Nikolai Patruschew seinen Posten. Mit Putin holen sich die alten KGB-Seilschaften die Macht. Aber noch gilt Putin als Demo­krat und Libe­ra­ler. Immer­hin kommt er aus Sobt­schaks Stall. Und Sobt­schak war der Poster­boy der Demo­kra­ten.

Jelzin macht Putin zu seinem Nach­folger, um den Demo­kra­ten die Macht zu ret­ten. Denn ohne wag­hal­si­ges Ma­nö­ver hät­ten, so die Be­fürch­tung, Leute wie KP-Chef Sjuga­now, der Mos­kauer Bür­ger­meis­ter Lusch­kow oder der alte KP-Hau­degen Prima­kow die bes­ten Chan­cen auf einen Sieg bei der Prä­si­dent­schafts­wahl ge­habt. Die Jelzin-Leute hatten Angst, dass dann das Rad zu­rück­ge­dreht würde. Es ist ein Trep­pen­witz der Ge­schich­te: Putin wur­de in­stal­liert, um die Li­be­ralen zu ret­ten.

Was Putin und seine KGB-Truppe auszeichnet, ist mehrer­lei: List, die Fähig­keit, lang­fris­tige Pläne zu ver­fol­gen, und aus­rei­chen­de Bru­ta­li­tät.

Putin legt in einer Fernsehansprache und einem großen Essay - bekannt unter dem Titel "Millen­nium Bot­schaft" - zum Zeit­punkt sei­ner Amts­über­nahme 1999 seine Sicht dar. Russ­land ist als Macht ab­ge­stie­gen, spielt nicht ein­mal mehr eine zweit­sondern eine dritt­ran­gi­ge Rol­le, die Ord­nung im Staat ist zer­fallen.

"Es wird nicht so bald geschehen - falls es über­haupt jemals ge­schieht -, dass Russl­and eine zweite Aus­gabe von bei­spiels­weise den USA oder Groß­bri­tan­nien wird, deren libe­ra­le Werte tiefe his­to­ri­sche Tra­di­tionen haben", schreibt er. "Für Rus­sen ist ein star­ker Staat keine Ab­nor­ma­li­tät, die man los­wer­den will. Im Gegen­teil, sie sehen ihn als Quelle und Ga­rant der Ord­nung an und als Ini­tia­tor und haupt­säch­liche Trieb­kraft für je­den Wan­del."

Bereits 1993 hatte Putin keinen Hehl aus seinen Auffassungen gemacht. Da­mals hat­te das Neue Deutsch­­land, die ehe­ma­lige Tages­zei­tung der DDR-Staats­par­tei SED, über eine öffent­liche De­batte Fol­gen­des zu be­rich­ten gewusst:

"Wladimir Putin hat vor deutschen Wirt­schafts­ver­tretern deut­lich ge­macht, dass eine Mili­tär­dik­tatur nach chile­nischem Vor­bild die für Russ­land wün­schens­werte Lö­sung der ge­gen­wär­ti­gen po­li­ti­schen Pro­ble­me wäre. Er, Putin, bil­lige an­ge­sichts des schwie­ri­gen pri­vat­wirt­schaft­lichen Weges even­tuelle Vor­be­rei­tun­gen Jelzins und des Mili­tärs zur Her­bei­füh­rung einer Dik­ta­tur nach Pinochet-Vor­bild aus­drück­lich."

Es ist ein Kreis von Hardlinern aus den Sicher­heits­diensten, allen voran aus Putins KGB-Seil­schaf­ten, der nach dem Amts­an­tritt Putins zur Jahr­tausend­wende vor 22 Jahren die Ge­schicke im Kreml be­stimmt und die Macht suk­zes­sive kon­so­li­diert. Und am Aus­gangs­punkt von all­dem steht Krieg. Mit dem Krieg ge­gen Tschet­sche­nien, der ab­trün­ni­gen Pro­vinz im Nord­kau­ka­sus, be­gann Putins Macht­spiel.

Bombenanschläge in mehreren Wohnhaus­anlagen in Moskau am Be­ginn sei­nes Auf­stiegs im Herbst 1999 wurden tschet­sche­nischen Ter­ro­risten an­ge­lastet, und es ist nie völ­lig auf­ge­klärt wor­den, ob diese An­schlä­ge nicht vom KGB ins­zeniert wor­den waren, um eine Inter­ven­tion in Tschet­schenien zu recht­fertigen. Jeden­falls er­laubte der Tschet­schenien­krieg Putin, sich als coura­gier­ten und ent­schlos­senen Kriegs­herrn mit volks­tüm­li­cher Sprache zu prä­sen­tieren. "Wir werden sie in ihren Scheiß­häusern aus­räu­chern", er­klärte er.

Tschetschenien wird, wie das einmal eine Journalistin for­mu­lierte, zu einem "Schlacht­haus, das 24 Stunden am Tag in Betrieb ist".

Die "Oligarchen", also jene Freibeuter, die die Jahre der chaoti­schen Pri­va­ti­sierung ge­nützt hat­ten, ent­mach­tet Putin, be­son­ders jene, die unter Ver­dacht stehen, sie könnten in die Poli­tik oder auch nur in die öffent­liche Mei­nung ein­grei­fen wollen -sie gehen ins Exil oder landen im Straf­lager.

Die anderen dürfen ihr Vermögen behalten, wenn sie sein Primat akzeptieren.

Die neuen "Oligarchen" sind eigentlich keine mehr, sondern KGB-Funk­tio­näre, die an die Spitze von Staats­be­trieben plat­ziert wer­den und dort Putins kor­ruptes Sys­tem ab­sichern. Sie üben nur den Job des Oli­gar­chen aus, was nicht heißt, dass sie nicht Mil­li­ar­den auf die eige­nen Kon­ten ver­schie­ben dür­fen.

Die pluralistische, offene Gesellschaft? Sie wird in einem schlei­chen­den Putsch ab­ge­würgt. Dissi­denten und Mit­wisser wer­den ver­gif­tet, Oppo­si­tio­nelle auf of­fener Straße er­schos­sen, wie Boris Nemzow oder die legen­däre Journa­listin Anna Polit­kows­kaja, die 2006 in ihrem Trep­pen­haus ab­ge­knallt wird.

Wer im "System Putin" heute wirklich die Macht hat, weiß nie­mand so genau. Sicher ist nur: Da ist Niko­lai Patru­schew, der Chef des Natio­nalen Sicher­heits­rates, ein KGB-Mann, der seit bald 30 Jahren an Putins Seite agiert; da ist Sergei Nary­schkin, der Chef des Aus­lands­geheim­diens­tes, der aber vor dem Ein­marsch in die Ukraine bei einer ins­ze­nier­ten öffent­lichen Sitzung des Natio­nalen Sicher­heits­rates vor lau­fen­den TV-Kame­ras selbst von Putin lächer­lich ge­macht wurde; da ist Sergei Shoigu, der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter; da ist Igor Set­schin, der schon in Sankt Peters­burg als Putins Sekre­tär ar­bei­tete, mit ihm dann in Jelzins Präsi­dial­kabi­nett über­sie­delte und nun das Öl­kon­glo­merat Ros­neft lei­tet, das nach der Bünde­lung von eins­ti­gen Oli­gar­chen-Fir­men zu ei­nem staat­lichen Mega-Kon­zern wurde.

Da ist Gazprom-Chef Alexei Miller, auch er aus Jelzins Sankt Peters­burger Seil­schaft - als Chef des Hoch­see­hafens war er ge­wisser­maßen Ver­bindungs­mann zur or­gani­sier­ten Kri­mi­na­li­tät. Da ist Putins Sprecher Dimitrij Peskow, längst mehr als ein Presse­sekre­tär -seit 22 Jahren steht er schon dem Auto­kraten zur Seite.

Die meisten aus dieser Seilschaft stammen aus dem Sankt Peters­burger Klüngel und aus den Sicher­heits­appa­ra­ten. Sie se­hen sich als "Out­sider" am Kreml-Par­kett, sind Pro­vinz­ler, die Mos­kau "über­nehmen". Sie sind leise, ent­schlos­sene Macher, die "die Poli­ti­ker" ver­achten.

Die Führungsfiguren aus KGB-und Sicherheits­appa­raten, die mit Putin ge­mein­sam an die Macht kamen, sind all­gemein als die "Siloviki" be­kannt, was so viel heißt wie "die Harten", die "harten Männer".

Allesamt sind sie radikale Konservative mit Schlag­seite Rich­tung Fa­schis­mus, die Russ­land als anti­west­liche Macht sehen, das Land als ideo­lo­gi­schen Ge­gen­spie­ler der libe­ralen, plura­len Geistes­welt des Westens. Patru­schew ver­tritt die anti­west­lichen Ideen noch be­geis­terter und durch­ge­knallter, als das Putin tut. "Vater und Mutter wer­den im Westen in Eltern Nummer eins und Eltern Nummer zwei um­be­nannt", fan­ta­siert Patru­schew schon einmal, "Kinder dürfen sich ihr Ge­schlecht aus­suchen und in man­chen Ge­gen­den ist man schon so weit, dass die Ehe mit Tieren legali­siert wird."

Wie genau die Machtfäden in diesem Netz laufen, weiß nie­mand so recht. Gelegent­lich ist von einem "One-Boy-Net­work" im Kreml die Rede, also einem Beziehungs­ge­flecht, in dem Putin das allei­nige Zen­trum ist, mit Fä­den zu den an­deren, aber ohne be­last­bare Fäden zwi­schen den an­deren.

Dass Putin von jemandem aus dieser Macht­clique ge­stürzt wird, ist un­wahr­schein­lich. Noch un­wahr­schein­licher scheint ein Volks­auf­stand. Nicht ein­mal ein logi­scher Nach­fol­ger ist in Sicht -und das, ob­wohl Putin im Herbst 70 Jahre alt wird und zumin­dest äußer­lich ra­pi­de altert. Jeden­falls sieht er sicht­lich un­ge­sund aus.

"In Russlands Geschichte während des 20. Jahr­hunderts hat­ten wir die unter­schied­lichsten Peri­oden", hatte Boris Jelzin Mitte der 90er-Jahre in einem hell­sich­tigen Moment er­klärt. "Monarchis­mus, Totalitari­smus, Peres­troika, und, schließ­lich, den demo­kra­ti­schen Ent­wick­lungs­weg. Jede dieser Etap­pen", be­merkte Jelzin, "hatte ihre eigene Ideo­logie. [] Aber jetzt haben wir keine."

Vom ersten Tag der Herrschaft an konso­li­diert die Putin-Trup­pe nicht nur den Griff über das Land, sie ent­wickelt auch eine neue "Staats­ideo­lo­gie". Was Putin in sei­ner Millen­niums-Bot­schaft schon an­legte, wird im­mer mehr radi­kali­siert. Vier Kom­po­nen­ten hat diese Ideo­lo­gie: ers­tens die Idee von der "sou­veränen Demo­kra­tie", also einer ge­lenk­ten Schein­demo­kra­tie, in der ein star­ker Ein­ziger an der Spitze steht - der An­führer, Prä­si­dent, Zar.

Das zweite Element ist Patriotismus ver­bunden mit Volks­tüm­lich­keit. Das "Narod", ver­stan­den als "ein­faches Volk", mit sei­nem ge­sun­den Patrio­tis­mus.

Drittens: Territorium, das Reich, das Imperium des russi­schen Viel­völker­staates. 2005 be­zeich­net Putin den Zu­sammen­bruch der Sowjet­union als "die größte geo­po­li­ti­sche Katas­trophe" des 20. Jahr­hunderts. Min­des­tens Belarus, Geor­gien und vor allem die Ukraine werden als his­to­ri­scher Teil einer "Russkyj Mir", der "russi­schen Welt", ver­standen.

Das vierte Element dieser neuen imperialen Staatsidee ist ein Kon­ser­va­ti­vis­mus, der die Wer­te und die Spiri­tua­li­tät des "Narod" hoch­hält und eng mit der christ­lich­ortho­doxen Kir­che ver­bunden ist.

Und über all dem liegt, gewissermaßen als Guss, ein Gefühl der aggres­si­ven Ge­kränkt­heit. Putin, for­mu­liert der Slawist Riccardo Nicolosi, be­schreibt Russ­land als ein Volk der "Er­nied­rig­ten und Be­lei­dig­ten", er model­liere in seiner Rhe­torik Russ­land "als ein zu­tiefst ge­kränk­tes Land, das vom Westen wieder­holt be­leidigt und be­tro­gen worden sei".

2014, nach der Annexion der Krim, sagt Putin: "Wir wurden ein ums andere Mal be­trogen. Aber alles hat seine Grenzen."

Bei der Ausformulierung dieser Staatsphilosophie greift Putin auf reak­tio­näre Den­ker wie Iwan Iljin zu­rück, der in den 20er-Jahren von Lenin ins Exil ge­trie­ben und zu einem Bewun­derer Musso­linis und Hitlers wurde. "Putins Philo­soph eines russi­schen Fa­schis­mus", nennt ihn der His­to­ri­ker Timothy Snyder. Der Fa­schis­mus habe "ein ret­ten­des Über­maß an patrio­ti­scher Will­kür", attes­tiert Iljin -und er meint das po­si­tiv.

Je kleiner der Kreis einer verschworenen Truppe ist, deren Ideo­logie von der Vor­stel­lung ge­tra­gen ist, dass Russ­land vom Westen über­rumpelt, ge­fähr­det und im Inneren von Intri­ganten und Separa­ti­sten be­droht ist, umso größer kann auch die Paranoia sein, in die sich ein immer kleiner werden­des Küchen­kabi­nett selbst hinein­schraubt.

Dass Putin seit Jahren nur von Jasagern umgeben ist, neben seiner höf­lichen Seite auch eine sehr jäh­zor­nige Ader hat und die Speichel­leckerei ge­nießt, ist all­ge­mein be­kannt. "Irgend­wann stieg ihm das zu Kopf", meint Sergei Pugat­schow. Leute hiel­ten Toasts auf Putin mit Wen­dungen wie "du bist ein Geschenk Gottes", wundert sich Pugat­schow, "und er genoss das richtig­gehend".

Über Jahre hinweg gelingt es Putin und seiner Truppe, viele zu täu­schen und zu ver­wir­ren, da sie eine Art "post­moder­ne Dik­ta­tur" ent­wickeln. Sie ent­fachen einen Nebel, trom­meln eine Staats­ideo­logie, ver­sehen sie aber regel­mäßig mit einem Augen­zwinkern.

Eine Schlüsselrolle nimmt darin Wladislaw Surkow ein, ein ver­krach­ter Künstler und Theater­mann, aber auch ein genia­ler Krea­tiver, der als "Er­fin­der der russi­schen PR" und als "graue Emi­nenz" des Kremls be­zeich­net wurde. Sur­kow hört Punk­musik und Rap, schreibt Song­texte und model­liert das Image von Putin. Über lange Jahre ist er Vize­chef der Kreml-Ver­waltung und so etwas wie der oberste Spin­dok­tor, der ganz be­geis­tert ist von der Idee, man könne mit Spin­nen­netzen von Nar­ra­tiven die Öffent­lich­keit völlig mani­pu­lieren. "Ver­wir­ren ist das Ziel, Täu­schung ist Wahr­heit", schreibt er.

Er etabliert eine Wirklichkeit, in der sich niemand mehr aus­kennt, ist ein "Mario­net­ten­spieler", der das Land "aus der De­ka­denz Rich­tung Wahn­sinn treibt", so der bri­ti­sche TV-Jour­na­list Peter Pome­rant­sev, einer der besten Kenner dieses Sys­tems der Meinungs­mani­pu­lation: "Dies ist die Ge­sell­schaft, in der wir leben (eine Dikta­tur), aber wir be­trach­ten sie als eine Art Spiel."

Oppositionelle werden vergiftet und erschossen, der Anführer zu­gleich als "guter Dik­ta­tor" ins­ze­niert, die Des­po­tie senkt sich herab, und zu­gleich herrscht in der Kunst­welt ab­so­lute Frei­heit -solange nie­mandem auf die Zehen ge­tre­ten wird. Die Dik­ta­tur ist real, tut aber so, als wäre sie eine Show, eine Soap-Opera.

Über die Staatsmedien laufen nur mehr Fake News, bis ein­fach die to­tale Lüge herrscht, was zwar jeder weiß, aber nur zur Folge hat, dass jeder zynisch wird. Nichts ist ernst, am Ende aber doch töd­lich. Man redet den Men­schen ein, die Ukrainer er­morden sich ge­gen­seitig, und man inter­veniert, um ihnen Frie­den zu brin­gen. Zwei­fel säen, die Reali­tät als Simu­lakrum be­haup­ten, in der ja alles wahr sein kann, Lüge und Wahr­heit ein­fach nur gleich­wertige "Nar­rative".

Knapp vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe schlug die Nach­richt ein, Surkow, dieser wahr­schein­lich dämoni­schste Spin­doktor der Welt, sei von Putin unter Haus­arrest ge­stellt worden.

Putin spricht in einer Gossensprache, aber auch, um sich als "Normaler" zu positio­nieren, als harter Hund, als "einer von euch". Den Oli­gar­chen Oleg Deri­pas­ka nennt er schon ein­mal eine "Kaker­lake", er klopft Macho­sprüche, macht Ver­ge­walti­gungs-Witz­chen, Georgiens seiner­zeitigem Präsi­den­ten Michail Saakas­chwili droht er, er werde ihn "an den Eiern auf­hän­gen", und kri­ti­schen Jugend­lichen möge man "mit dem Knüp­pel eins über­ziehen", empfiehlt er.

Es ist stets spekulativ zu fragen, inwiefern die Struktur der Macht -also das "System", das eine Macht­clique eta­bliert -und die Per­sön­lich­keit, also indi­vi­duelle Charakter­züge des An­führers, auf­ein­ander ein­wir­ken. Offen­sicht­lich ist aber, wie per­fekt sie sich im Falle Putins er­gänzen. Putin ist routi­niert darin, eine freund­liche Miene auf­zu­setzen und zu­gleich Feinde zu ver­folgen. "Er ist ein klei­ner, rach­süch­ti­ger Mann", wie eine russi­sche Journa­lis­tin über ihn sagte.

Nur ganz selten blitzt das bei öffentlichen Auf­trit­ten auf, etwa bei Journalis­ten­fragen. Aber wenn, dann spürt man mit einem Mal den "un­ver­hoh­le­nen Hass" in Putin. Masha Gessen sagt: "Seine Freunde kannten ihn als jeman­den, der seinen Geg­nern fast die Augen aus­kratzte, wenn er wütend wurde."

Zahllose Episoden zeigen, mit welchem Vergnügen Putin "jeman­den vor Pub­li­kum demü­tigt", ohne die Stimme zu heben, wo­bei er eine kalte Ruhe aus­strahlt.

Ein Vertrauter aus jungen Tagen, dem Putin schon früh ent­hüllte, für den KGB zu ar­bei­ten, fragte sich immer wieder, was genau sein Be­kannter denn mache, was exakt seine Fähig­kei­ten seien. Irgend­wann merkte er, dass er nichts über Putin wusste. "Was kön­nen Sie?", fragte er Putin eines Tages. Der ant­wor­tete: "Ich bin ein Ex­perte für zwischen­mensch­liche Be­ziehungen."

Robert Misik in Falter 16/2022 vom 22.04.2022 (S. 11)

Posted by Wilfried Allé Sunday, May 1, 2022 11:31:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Welt in Bewegung 

Warum das 21. Jahrhundert so gefährlich geworden ist

Raimund Löw

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854397069
Umfang: 224 Seiten
Genre: Outdoor, Radeln, Rasten&Genießen
Erscheinungsdatum: 21.04.2022
Format Taschenbuch
Preis: € 22,90

 

Der bekannte Journalist, Historiker und Buchautor Raimund Löw bietet eine journalistische Reise durch die Umwälzungen der internationalen Politik, die in die Zeitenwende des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 münden. Er beschreibt Russlands Phantomschmerz nach dem Zerfall der Sowjetunion, die Widerstandsfähigkeit Europas gegen Finanzkrisen und den Nationalismus der Rechten. Er analysiert die Pendelschläge Amerikas zwischen 9/11, Donald Trump und Joe Biden. 

Löw hat als Asien-Korrespondent des ORF Chinas unheimlichen Aufstieg mitverfolgt. Als einem der wenigen europäischen Journalisten gelang es ihm auch, live aus der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang zu berichten.

Pressetext

Welt in Bewegung - warum das 21. Jahrhundert so gefährlich geworden ist

Der vielfach ausgezeichnete Journalist, Historiker und Autor Raimund Löw hat ein neues Buch geschrieben.

 In „Welt in Bewegung“ erzählt Raimund Löw von der krisenhaften Entwicklung der Weltpolitik, die zur bisher gefährlichsten Situation des 21. Jahrhunderts geführt hat. Im Zentrum stehen Themen, so aktuell wie kaum andere: Russlands Konfrontationen mit dem Westen seit den demokratischen Revolutionen von 1989, Putins Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022, die Turbulenzen der USA - von Barack Obama, über Donald Trump bis hin zu Joe Bidens Weg zum Präsidenten der USA und von der Resilienz Europas gegen zentrifugale Kräfte, der dieser Titel besondere Bedeutung beimisst.

Das Buch umfasst auf 224 Seiten exklusive Reportagen von Raimund Löw aus zahlreichen Regionen der Welt, die er laufend für die Wiener Wochenzeitung FALTER verfasst und nun überarbeitet hat. Der Autor war 1989 in Moskau Zeuge der Umwälzungen in der Sowjetunion und hat den Totalitarismus Nordkoreas erlebt. Er konnte im Presseraum des Weißen Hauses in Washington, D. C., am Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel und auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking beobachten, wie die Welt auf ein sich veränderndes 21. Jahrhunderts zutreibt. Mit „Welt in Bewegung“ schafft es Raimund Löw, den Blick auf das große Ganze treffsicher zu vermitteln. Es werden Zusammenhänge hergestellt und hinterfragt, die nachdenklich stimmen.

“Die liberale Demokratie erweist sich selbst in den reichsten und ältesten Demokratien nicht so unumstößlich wie angenommen. Fakt ist, die Welt ist immer in Bewegung, zuweilen langsamer, zuweilen schneller”, formuliert Georg Hoffmann-Ostenhof in seinem Vorwort.

Barbara Coudenhove-Kalergi findet die richtigen Worte zur Neuerscheinung: „Raimund Löw ist der führende außenpolitische Analytiker in Österreich. Seine Beobachtungen sind ein Schlüssel zum besseren Verständnis der ersten 20 Jahre unseres von ihm so genannten ,gefährlichen‘ 21. Jahrhunderts.“

Der Autor steht für Interviews, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen bei vorheriger Kontaktaufnahme und Abstimmung mit dem Falter Verlag zur Verfügung.

Pressekontakt:
Julia Gerber
gerber@falter.at
T: +43 1 53660 977


Einladung zur Präsentation

Der Falter Verlag und das Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog laden zur Präsentation des neuen Buchs Welt in Bewegung

Donnerstag 28. April 2022, 19 Uhr
Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog

Armbrustergasse 15
1190 Wien

Tessa Szyszkowitz im Gespräch mit Raimund Löw, Barbara Wolschek und Georg Hoffmann-Ostenhof
E I N T R I T T F R E I
Anmeldung unter www.kreisky-forum.org

Ich freue mich auf Ihr Kommen!

Christa Thurnher
Falter Verlag
christa.thurnher@falter.at

Posted by Wilfried Allé Friday, April 22, 2022 8:50:00 PM Categories: Fachbücher Politikwissenschaft/Politik
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Vienna Biking 

Radeln, Rasten & Genießen. 5 Routen - vom Zentrum zu neuen Vierteln der Stadt. Geschichte, Kultur, Architektur, Natur, Essen und Trinken

Irene Hanappi

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854396925
Umfang: 136 Seiten
Genre: Outdoor, Radeln, Rasten&Genießen
Erscheinungsdatum: 11.05.2021
Format Buch (Kartoniert, Paperback)
Preis: € 14,90
Reihe: City-Walks

 

Jetzt neu mit GPS-Daten!

Fünf Touren verführen dazu, sich aufs Rad zu schwingen und nach dem Hop-on-Hop-off-Prinzip anzuhalten, um Sehenswertes zu betrachten, die Natur zu genießen oder sich zu stärken.
Die Routen schlagen einen Bogen vom Herzen zur Außenhaut der Stadt. Ausgehend vom historischen Wien mit seinen barocken Gesamtkunstwerken Schönbrunn, Karlskirche und Belvedere werden Arbeiterbezirke und Villenviertel der Bourgeoisie durchquert, hin zu neuen visionären Stadtteilen und früheren experimentellen Bauten. Entlang der Donau geht es vorbei an Wiens Skyline, in den Dschungel der Stadt, die Lobau. Es ist ein Crossover in jeder Hinsicht, ein Querschnitt durch das alte und das neue Wien.
Mit „Vienna Biking“ lässt sich die Stadt vom Sattel aus erkunden.

Posted by Wilfried Allé Monday, April 18, 2022 9:10:00 PM Categories: Outdoor Radeln Rasten&Genießen
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Botanische Spaziergänge 

11 Routen durch die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte

von Cristina-Estera Klein, Birgit Lahner, Silvia Ungersböck

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854397052
Umfang: 224 Seiten
Genre: Outdoor, Naturführer
Erscheinungsdatum: 23.03.2022
Format Gebundene Ausgabe
Preis: € 29,90
Reihe: Kultur für Genießer

 

Beschreibung

Anhand von 11 Spaziergängen und Wanderungen in und an den Grenzen von Wien werden verschiedene botanische Kapitel in der Stadtgeschichte aufgeschlagen.
Die beschriebenen Wege laden ein, den städtischen Raum neu zu betrachten und zu erfahren. Die Verknüpfung konkreter Orte mit geschichtlichem botanischem Wissen bietet sich an, um in der Zeit zurückzugehen. Ein mächtiger, mehrere hundert Jahre alter Baum im Stadtzentrum spielt dabei ebenso eine Rolle wie das Angebot essbaren Grüns historischer Märkte oder das genügsame, aber hartnäckige Pflänzchen zwischen den Pflastersteinen. Beim Blick in die Vergangenheit finden sich auch aktuelle Bezüge zu den brennenden Themen Naturschutz und Klimawandel.
Mit dem Buch wird dem vermehrten Bewusstsein und Interesse am Thema Naturraum in der Stadt Rechnung getragen.

Die Spaziergänge:
  • Wein in der Stadtlandschaft
    Vom Franz-Josefs-Kai über das Blutgassenviertel in die Ballgasse
  • Stadtwildnis
    Vom Minoritenplatz bis nach Heiligenstadt
  • Historische Märkte und ihr pflanzliches Angebot
    Vom Donaukanal zum Neuen Markt quer durch die Innere Stadt
  • Städtisches Grün
    Vom Palais Coburg über die Ringstraße zum Planquadrat Park
  • Barocker Garten und Pflanzensammlungen
    Belvederegarten und Botanischer Garten der Universität Wien
  • Naturdenkmäler
    Eine Rundwanderung durch Hietzing
  • Bürgerliche Gartenlust
    Von Gersthof durch das Cottageviertel zum Wertheimsteinpark
  • Sozialer Grünraum und Streuobstwiese
    Von Neuwaldegg über den Heuberg zum Kongresspark
  • Wald und Landschaftsgarten
    Über den Dehnepark und die Steinhofgründe zum Schwarzenbergpark
  • Auwald, Heißlände und Ackerrand
    Durch die Lobau
  • Bachsaum, Wiese und Trockenwald
    Von Rodaun entlang der Liesing ins Gütenbachtal und zur Himmelswiese
Posted by Wilfried Allé Monday, April 11, 2022 11:01:00 AM Categories: Kultur für Genießer Naturführer Outdoor
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Pandemia 

Einblicke und Aussichten

von Rudi Anschober

Verlag: Zsolnay, Paul
ISBN: 9783552072886
Umfang: 272 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 11.04.2022
Format Hardcover
Preis: € 24,70
ebook / epub: € 17,99

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Die erste Innenansicht eines europäischen Gesundheitsministers in der Pandemie: Rudi Anschober schildert die Herausforderungen des Ausnahmezustandes unter Corona.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie steht für den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Weltweit erkranken und sterben Millionen Menschen, ein Ende ist trotz Impfungen nicht abzusehen. Jetzt berichtet erstmals ein verantwortlicher Politiker aus dem Maschinenraum der Macht. Begeisterte Zustimmung von der einen, leidenschaftliche Kritik von der anderen Seite – als frisch angelobter grüner Gesundheitsminister Österreichs stand Rudi Anschober vor einer der größten Krisen des 21. Jahrhunderts.
Nun, einige Monate nach seinem aus Gesundheitsgründen erfolgten Rücktritt, schildert Anschober am Beispiel von fünf Personen – einer Intensivmedizinerin, einer Forschungskoordinatorin, einer Long-CovidPatientin, einer alleinerziehenden Buchhändlerin und eines Ministers –, die beispiellosen Herausforderungen durch die Pandemie. Die Innenansicht eines Ausnahmezustandes.

FALTER-Rezension

Der Moment, in dem einem die Kraft ausgeht

Rudi Anschober verlangte schon als grüner Gesundheitsminister immer zu viel von sich, und als Autor ergeht es ihm ähnlich. "Pandemia" heißt sein neues Buch, das im Untertitel "Einblicke und Aussichten" verspricht. Der Titel klingt nach einem fiktiven Roman, der Untertitel eher nach einem persönlichen Bericht der letzten drei Jahre im Ausnahmezustand. Anschobers Werk ist dann genau beides zugleich und nichts davon wirklich. Das ist schade, denn beide Ansätze - der literarische wie der autobiografisch-persönliche -für sich hätten gereicht, um ein packendes Buch zu schreiben. So ist es ein zwar streckenweise spannendes, am Ende aber unentschlossenes Pandemie-Zeugnis geworden.

Anschober schildert in "Pandemia" Schlüsseltage zwischen dem 10. März 2020 und dem 1. Jänner 2022 aus der Sicht verschiedener Protagonisten. Manche sind echt, wurden aber anonymisiert, wie Andrea und Miriam, zwei an Long Covid Erkrankte. Andere sind fiktive, aber nahe an der Realität gebaute Figuren, wie die Wissenschaftlerin Astrid Norton oder die Oberärztin Kathrin Hinz. Sie bleiben besonders abstrakt, viel lieber hätte man stattdessen gelesen, was die tatsächlichen Berater und Wissenschaftler in Anschobers Umfeld zum jeweiligen Zeitpunkt geraten haben. Dazu kommen Anschobers persönliche Aufzeichnungen unter dem Titel "Aus dem Maschinenraum".

Nicht nur für politisch Interessierte sind sie die aufschlussreichsten und spannendsten Abschnitte, auch wenn Anschober selbst im Rückblick milde bleibt. Aber immerhin erfahren wir, wie früh Ex-Kanzler Sebastian Kurz beginnt, Anschober auszubremsen. "Kommt öffentliche Kritik, habe ich den Eindruck, dass sich Kurz wegduckt. Anstatt sich gegen die Welle der Kritik zu stellen oder von der Welle erfasst zu werden, surft er auf ihr. Das macht die Zusammenarbeit - höflich formuliert -schwierig", notiert Anschober am 5. Jänner 2021.

Kurz habe sein Verhalten schon ab Sommer 2020 an der Stimmung im Volk und nicht an der Vernunft ausgerichtet, erkennt Anschober im Rückblick. "Ich habe einen Politiker kennengelernt, der auf ein kleines Team eingeschworener Mitarbeiter setzte, einen Politiker, der ungewöhnlich oft, vielfach wöchentlich, die Stimmung der Bevölkerung ausleuchten ließ -von einem eigenen Umfrageinstitut; der laufend damit beschäftigt war, seine Macht zu vermessen; und der darauf aufbauend seine politischen Positionen adaptierte und weiterentwickelte, manchmal ungewöhnlich rasch. Und dabei immer wieder zuallererst an sich und seine eigene Karriere dachte."

Besonders eindringlich sind die Passagen, in denen Anschober offen darüber schreibt, wie ihm die Kraft ausgeht. Seine Ansprüche sind zu hoch, er wollte alle Informationskanäle selber bedienen, Twitter, Instagram, Facebook, SMS, E-Mails. "Damit bin ich weitgehend allein in der Spitzenpolitik, alle Berater raten mir davon ab, dieser Politikstil sei nicht durchzuhalten", schreibt er. Die Bedrohungen und die Sicherheitsmaßnahmen zwängen in ein Leben in Dienstwägen und Dauer-Personenschutz, er leidet darunter, den in Pandemiezeiten ohnehin schon eingeschränkten Kontakt zur "normalen" Außenwelt fast völlig zu verlieren. "Als ich eines Abends in der Dunkelheit durch einen Kordon von Demonstranten zu meinem Dienstwagen muss, gelingt es mir nur knapp, vor der brüllenden Menge die Wagentür zu schließen. So eine Schande, du bist auf der Flucht vor den Menschen!", hält er im November 2020 fest. Bis zu seinem Rücktritt waren es da noch quälend lange fünf Monate.

Barbaba Tóth in Falter 14/2022 vom 08.04.2022 (S. 26)

Posted by Wilfried Allé Saturday, April 9, 2022 8:42:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Der Oligarch 

von Wolfgang Kemp

Verlag: zu Klampen Verlag
EAN: 9783866745346
Reihe: zu Klampen Essays
Umfang: 176 Seiten
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Erscheinungsdatum: 01.10.2016
Format Hardcover
Herausgegeben von Anne Hamilton
Preis: € 18,50


FALTER-Rezension

Physiologie einer Sozialfigur

Als vor knapp 200 Jahren die Städte zu modernen Metropolen wurden und die industrielle Revolution die unterschiedlichsten neuen Berufe entstehen ließ, blühte das literarische Genre der "Physiologien" auf, kleine, literarisch geschriebene Bändchen, die die neu entstehenden "Sozialcharaktere" beschrieben. Eine Art "sozialer Fremdenführer". Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Kemp nahm sich diese Gattung zum Vorbild, als er 2016 einen brillant geschriebenen Essay mit dem Titel "Der Oligarch" veröffentlichte.

Plutokrat, Tycoon, Mogul, Magnat -es gäbe viele Begriffe für den "klassisch russischen und ukrainischen Oligarchen der postsowjetischen Ära". Kemp definiert ihn als "kleine Gruppe der großen Gewinner der Transformationsperiode der neunziger Jahre in Russland und der Ukraine", die anzeigen, "was an Klassengesellschaft heute noch möglich ist", die "soziale Ungleichheit in Person".

"Oligoi" heißt "die wenigen". Die Oligarchie steht bei Platon, Aristoteles und Polybios für eine Entartung der Aristokratie. Die Aristokratie ist -theoretisch -die Herrschaft der Besten. Sie handeln zum Wohle aller. In der Oligarchie hingegen haben ein paar wenige die Macht, die keinen Gemeinschaftssinn kennen, sondern die nur ihr eigenes Fortkommen interessiert. Sie wechseln ihre politischen Loyalitäten nach Geschäftsinteresse und umgekehrt. Das Wort "Oligarch" taucht Ende der 1990er-Jahre im Russischen wie Ukrainischen als Beschreibung der neuen Superreichen auf.

Was Rom für Goethe war, ist dem Oligarchen London. Kemp nimmt den Leser mit auf die "Kleptokratie-Tour" durch "Londongrad", er lebt "Shore, Offshore und Save Haven". Er verdient sein Geld in seiner Heimat, in Rohstoffbranchen wie Öl, Gas oder in Banken, Medien. Er wäscht es in Zypern und verteilt es an Offshore-Adressen. Sicher fühlt er sich in Israel. Der Oligarch selbst würde sich wohl am liebsten als "Philanthrop" sehen, am Ende zeichnet ihn aber eher etwas anderes aus, wie Kemp es scharfsinnig formuliert: "der Wille zur Yacht".

Barbara Tóth in Falter 12/2022 vom 25.03.2022 (S. 24)

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.11.2016

Was einen Oligarchen ausmacht, das erfährt Hanno Rauterberg aus Wolfgang Kemps Essay: maßlose Gier natürlich, Skrupellosigkeit ebenso, eine Vorliebe für prunkvoll verschnörkelten Kitsch und nicht zuletzt eine Jacht. Im "lakonischen Plauderton" und mit "gesteigerter Freude an absurden Zahlen und surreal anmutenden Begebenheiten" legt der als Kunsthistoriker bekannte Kemp seine Beobachtungen dar und öffnet damit dem Rezensenten ein ums andere Mal die Augen - nicht zuletzt in der Einschätzung Donald Trumps (dem es für einen richtigen Oligarchen an einer Jacht mangelt).

Posted by Wilfried Allé Monday, March 28, 2022 10:52:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Inside Fridays for Future 

Die faszinierende Geschichte der Klimabewegung in Österreich

von Benedikt Narodoslawsky
Benedikt Narodoslawsky recherchiert und schreibt seit mehreren Jahren regelmäßig zum Thema Klima. Dieses Wissen und seine Erfahrung hat es ihm ermöglicht, als einer der wenigen, direkten Kontakt zu den Initiator*innen von Fridays for Future zu knüpfen und in ihre Arbeit exklusive Einblicke zu bekommen.
Inklusive praktischer Tipps.

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854396666
Reihe: Fachbücher
Umfang: 240 Seiten
Genre: Umwelt Ökologie
Erscheinungsdatum: 09.03.2020
Format Gebundene Ausgabe
Preis: € 24,90


FALTER-Rezension

Die Revolution

Vor einem Jahr wurden Fridays for Future zum politischen Faktor in Österreich. Die unglaubliche Geschichte einer Jugendbewegung.

Dezember 2018. Österreichs heißestes Jahr der Messgeschichte geht zu Ende. Die klimaschädlichen Gase sind auf ein Rekordhoch gestiegen. Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) leugnet in einem Interview den menschengemachten Klimawandel. Österreichs Umweltpartei – die Grünen – ist politisch am Boden.

Seit drei Jahrzehnten liegt das Land im klimapolitischen Koma, trotz immer besserer Technologie werden hierzulande so viele Tonnen an Treibhausgasen wie 1990 in die Luft geblasen. Dabei werden die wissenschaftlichen Vorhersagen immer dramatischer: Die Klimakrise gilt als eine der größten Bedrohungen der Erde, sie wird zur Überflutung bevölkerungsreicher Küsten führen, Dürre- und Hungerwellen auslösen, Pflanzen- und Tierarten auslöschen, hunderttausende Hitzetote fordern und Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen. Doch Staatenlenker aus aller Welt setzen im polnischen Katowice gerade die nächste UN-Klimakonferenz in den Sand.

Es scheint in diesem Dezember 2018 alles so zu sein wie immer. Bis auf eine Kleinigkeit. Während der Klimakonferenz in Katowice tritt ein Mädchen ans Rednerpult, das schon einiges hinter sich hat: von Klassenkameraden ausgegrenzt, gemobbt und geschlagen, Depression, Essstörungen. Greta Thunberg, 15 Jahre alt, Asperger-Syndrom, hat den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Klimakrise studiert und unerträgliche Angst vor dem Weltuntergang bekommen. Die Schwedin ist unscheinbar, aber hinter dem Mikrofon in Katowice entfaltet sie eine Urgewalt, die bald Europa erschüttern wird.

„Wir sind nicht hergekommen, um die Regierungschefs der Welt zu bitten, dass sie sich kümmern. Sie haben uns in der Vergangenheit ignoriert und werden uns wieder ignorieren“, sagt sie. „Ihnen gehen die Entschuldigungen aus, und uns geht die Zeit aus. Wir sind hergekommen, um Sie wissen zu lassen, dass der Wandel kommt, ob ihnen das gefällt oder nicht.“ Ein Mädchen liest den Mächtigen die Leviten. Das Video ihrer Rede verbreitet sich viral.

Ein Jahr später. Dezember 2019. In wenigen Tagen endet Österreichs innenpolitisch heißestes Jahr der jüngsten Geschichte. Die FPÖ liegt politisch am Boden, die Partei hat sich mit dem Ibiza-Skandal aus der Regierung gesprengt und Neuwahlen ausgelöst. Die Grünen sind aus dieser Wahl so stark wie nie zuvor hervorgegangen, sie verhandeln gerade mit der ÖVP das Klimakapitel für ein neues Koalitionsprogramm.

Eine Woche nach dem Jahreswechsel gelobt Bundespräsident Alexander Van der Bellen die türkis-grüne Bundesregierung an – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sitzen die Ökos an den Schalthebeln der Macht. Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Gelingt das, wird Österreich in Sachen Klimaschutz vom Sorgenkind zum Musterschüler in Europa.

Es scheint, als hätte eine unsichtbare Macht die Republik an den Beinen gepackt, durchgerüttelt und auf den Kopf gestellt. Was ist da passiert?

Blicken wir noch einmal zurück, in den Dezember 2018. Nicht nur Thunberg ist ins Tagungszentrum von Katowice zur UN-Klimakonferenz gekommen, auch drei österreichische Studierende sind angereist, um dort etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen. Sie treffen dort Thunberg, die mit ihrem Schild „Skolstrejk för klimatet“ auf dem Gang sitzt. Nur wenige Tage nachdem die Schwedin ihre Rede bei der Klimakonferenz gehalten hat, gehen die drei Studierenden mit selbstgebastelten Schildern in Wien auf die Straße. Sie haben sich Thunbergs Schulstreik fürs Klima angeschlossen, obwohl sie selbst längst nicht mehr zur Schule gehen.

Die neu gegründete Bewegung Fridays for Future Vienna ist in einem Wiener Café eher spontan entstanden und besteht zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen aus einer Facebook- und einer Instagram-Seite. Die erste Fridays-Demo in Österreich am 21. Dezember 2018 auf dem Wiener Heldenplatz dauert sechs Stunden, aber zu keinem Zeitpunkt werden gleichzeitig mehr als 50 Demonstranten zu sehen sein. Das sieht nicht so aus, als ob hier gerade Geschichte geschrieben würde, sondern eher wie zwei Maturaklassen, die sich dazu entschlossen haben, heute ein bisschen Lärm zu schlagen.

Genau daraus entwickelt sich binnen weniger Wochen eine Massenbewegung, die Österreichs politische und mediale Landschaft verändern wird. Von Wien schwappt die Protestwelle in die Landeshauptstädte, zunächst nach Innsbruck, dann Linz, dann Salzburg und Graz. Bis auf eine große Veranstaltung in der Steiermark bleiben die Demonstrationen bis Anfang März 2019 allesamt nahezu unter der Wahrnehmungsschwelle. Obwohl Greta Thunberg und Fridays for Future immer berühmter werden, kommen zu den Demos in Österreich nur einige Menschen. Wenn es sehr gut läuft, über 100.


Und dann macht es bumm. 15. März 2019, der erste globale Klimastreik. Rund 1,6 Millionen Menschen demonstrieren an diesem Tag auf der Welt für mehr Klimaschutz. Allein in Wien sind es – je nach Zählung – zwischen 10.500 und 30.000. Es ist die größte Klimakundgebung, die die Repu­blik bis dahin gesehen hat.

Der 15. März 2019 ist der D-Day der jungen Bewegung, er macht sie über Nacht zum innenpolitischen Faktor. Die Klimaschützer bekommen Audienzen beim Bundespräsidenten, beim Bildungsminister und bei der Umweltministerin. Mit dem Gewicht kommen die ersten Unstimmigkeiten innerhalb der einzelnen Fridays-Ortsgruppen in Österreich. Sie beginnen, sich zu vernetzen und gemeinsam das Land zu verändern. Und sie tun das gleich mehrfach.

Da ist zum Beispiel die Wissenschaftscommunity. Jahrzehntelang sprachen die Forscher zurückhaltend und leise über die zunehmend alarmierenderen Erkenntnisse zur Klimakrise. Im Jahr der Fridays verlassen sie ihren Elfenbeinturm. Als Politiker der jungen Klimabewegung die Kompetenz in Klimafragen absprechen, reicht es den Wissenschaftlern. Sie beschließen anlässlich des ersten globalen Streiks Mitte März, gemeinsam ein starkes Zeichen zu setzen und der jungen Klimabewegung den Rücken zu stärken. Sie gründen – angelehnt an den Namen der Klimabewegung – die Scientists for Future und erklären öffentlich, dass die Jugendlichen mit ihrer Kritik an der Politik recht haben. Mehr als 26.800 Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum schließen sich Scientists for Future an.

Die Dynamik entwickelt eine derartige Wucht, dass manche von ihnen in Österreich sogar Wahlwerbung für die Grünen machen. Der Klimaforscher Gottfried Kirchengast, der als einziger Wissenschaftler im Nationalen Klimaschutzkomitee sitzt, macht hingegen genau das Gegenteil von Wahlwerbung. Er kanzelt ÖVP-Chef Sebastian Kurz öffentlich ab. Kurz sei „nicht staatsmännisch“, das Klimaschutzprogramm der ÖVP eine „ziemlich dreiste Irreführung der Bevölkerung“. Das sind völlig neue Töne aus den Universitäten. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Wissenschaftler habe „durch Fridays for Future eine enorme Blüte erlebt“, sagt Kirchengast rückblickend, „das war eine Formung in der Community“.

Die Dynamik entwickelt eine derartige Wucht, dass manche von ihnen in Österreich sogar Wahlwerbung für die Grünen machen. Der Klimaforscher Gottfried Kirchengast, der als einziger Wissenschaftler im Nationalen Klimaschutzkomitee sitzt, macht hingegen genau das Gegenteil von Wahlwerbung. Er kanzelt ÖVP-Chef Sebastian Kurz öffentlich ab. Kurz sei „nicht staatsmännisch“, das Klimaschutzprogramm der ÖVP eine „ziemlich dreiste Irreführung der Bevölkerung“. Das sind völlig neue Töne aus den Universitäten. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Wissenschaftler habe „durch Fridays for Future eine enorme Blüte erlebt“, sagt Kirchengast rückblickend, „das war eine Formung in der Community“.

Im Jahr 2017: 5202 Artikel.

Im Jahr 2017: 5202 Artikel.

Im Jahr 2019: 14.323 Artikel.

„Es sind irre Zugriffszahlen, die sich da entwickelt haben“, sagt Standard-Redakteurin Nora Laufer, die regelmäßig über Klimathemen berichtet, „das können wir genau nachverfolgen. Ich schreibe die gleichen Klimageschichten wie vor zwei Jahren, aber auf einmal lesen das um ein Vielfaches mehr Leute.“

International schließen sich 250 Medien zur Klimajournalismus-Initiative „Covering Climate Now“ zusammen. Auch hierzulande setzt es Schwerpunkt um Schwerpunkt. Der ORF erschafft etwa den „Klima-Tag“ und sendet zehn Stunden Programm zum Klimawandel, die Kronen Zeitung startet die Kampagne „Klimakrise“ und ändert ihre Sprache. „Die Formulierung ,Klimawandel‘ wird man in der Krone in der Regel jetzt nicht mehr finden“, sagt Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann, „wir sehen das als Klimakrise oder Klimaschock.“ Österreichs bekannteste Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb bekommt eine eigene Krone-Kolumne – und das ist ihre Idee. „Es war uns irgendwie klar, dass wir an die Menschen herankommen müssen, an die wir sonst nie herankommen“, sagt die Klimaforscherin, „denn die kommen nicht zu unseren Vorträgen.“

Zwei Tage vor der Nationalratswahl 2019 geht die bislang größte Machtdemonstration der Klimabewegung über die Bühne. Je nach Zählung bringen die Fridays mit ihren Allianzpartnern beim Earth Strike zwischen 70.000 und 150.000 Menschen in Österreich auf die Straße. Am 28. September 2019 – also einen Tag vor der Wahl – füllen die Bilder der Massenkundgebung die Titelseiten quer durch die Zeitungslandschaft.

Die Nationalratswahl einen Tag später wird zur Klimawahl. Die Wahlbefragung zeigt: Über kein Thema haben die Menschen mehr gesprochen als über Umwelt- und Klimaschutz. „Es wäre ja nicht so gewesen, dass dieser Wahlkampf nicht ein Thema gehabt hätte: Ibiza, die Parteifinanzen, die Spesendebatte um Strache – das war durchaus ein starkes Konkurrenzthema“, sagt der Politikexperte Christoph Hofinger vom Sora-Institut, „aber Umwelt- und Klimaschutz sind im Verlauf des Sommers über die anderen Themen hinausgewachsen.“

Noch am Wahlabend des 29. September stellt ein ORF-Journalist dem grünen Spitzenkandidaten Werner Kogler folgende Frage: „War das eigentlich Ihr Sieg, oder ist das auch ein bisschen der von Greta Thunberg?“ Kogler, der drei Monate später als erster grüner Vizekanzler der Republik angelobt wird, antwortet: „Es war jedenfalls ein ,Sunday for Future‘.“

Benedikt Narodoslawsky in Falter 11/2020 vom 2020-03-13 (S. 22)

Posted by Wilfried Allé Friday, March 25, 2022 11:48:00 PM Categories: Biologie Fachbücher Klimawandel Ökologie
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Grenzenlos Radeln - Band 1 

Die schönsten Touren zwischen Österreich und Tschechien. Orte entdecken, Natur erleben, Geschichte erfahren

von Julia Köstenberger

Verlag: Falter Verlag
EAN: 9783854395911
Reihe: Kultur für Genießer
Umfang: 352 Seiten
Erscheinungsdatum: 22.05.2018
überarbeitete Neuauflage: 03.02.2022
Preis: € 29,90

 

Jetzt neu mit GPS-Daten zu den einzelnen Touren.

Die Lieblingsstrecke der Autorin entlang der gesamten Grenzroute ist die Strecke von Retz über Znaim nach Laa an der Thaya. Rund 70 Kilometer, die sich gut an einem Tag fahren lassen. Insgesamt wird die österreichisch-tschechische Grenze in acht grenzüberschreitende Abschnitte eingeteilt. Für jedes dieser acht Kapitel wird eine Route durch die interessantesten Orte und Landschaften vorgeschlagen. Manche Touren sind in einem Tag zu bewältigen, die meisten lassen sich ein Wochenende lang geniessen. Es geht von Aigen-Schlägl, über Weitra, Znojmo und Breclav bis Hohenau.
Anfang und Ende jeder Route sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Der Radreiseführer weist den Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in den Orten, beschreibt Naturschönheiten sowie historische Ereignisse und stellt für die Region charakteristische Themen in kurzen Lesetexten vor. Zudem enthält er einen kleinen Sprachführer und wichtige Informationen zur Reiseplanung.
 

FALTER-Rezension

Früher war hier das Ende der Welt

Der ehemalige Eiserne Vorhang an der österreichisch-tschechischen Grenze wird zum Radler-Hotspot. Eine Rundfahrt

Julia Köstenberger ruft: „Ahoi!“, obwohl sie auf einem Fahrrad sitzt und sich nicht auf hoher See befindet. Links Weingärten, rechts Maisfelder, in der Mitte die Historikerin mit dem Citybike auf einem ehemaligen Begleitweg des Eisernen Vorhangs. Weil sie sich auf der tschechischen Seite der Grenze befindet, grüßt sie wie Seemänner und Tschechen es tun, wenn ihr Radfahrer entgegenkommen, und winkt freundlich. Wenn ihr niemand entgegenkommt – was ihr am liebsten ist –, schließt sie für kurze Momente die Augen, spürt den Fahrtwind, der ihr Shirt und die Haare zum Flattern bringt, und so etwas wie Freiheit.

Die Grenze zwischen Österreich und Tschechien, an der sich bis 1989 der Eiserne Vorhang wand, verläuft als grünes Band durch Europa. Die rund vier Kilometer breite Sperrzone entlang des Zaunes lag so lange brach, dass sich die Natur Territorien zurückerobern konnte, die jahrhundertelang von regem Verkehr geprägt waren. Nun begegnet man dort, wo früher Soldaten patrouillierten und mit scharfer Munition geschossen wurde, immer häufiger Radfahrern, die entlang des insgesamt 466 Kilometer langen Grenzstreifens auf Tages- oder Mehrtagestouren in die Pedale treten, inmitten von Natur, wie es sie an Radrouten in ganz Österreich nur noch selten gibt, umgeben von Geschichte.

Als Julia Köstenberger das erste Mal mit dem Rad vom niederösterreichischen Retz ins tschechische Znaim fuhr, war das ein ziemliches Desaster. Der Zettel, auf dem sie vor der Abfahrt Wegbeschreibungen ausgedruckt hatte und nun hilflos nach Orientierung suchte, flatterte nutzlos im Wind. Irgendwo war sie von der geplanten Strecke abgekommen. Die Mittagshitze drückte ihr auf den Radhelm, die Trinkflasche war längst leer, und als sie dastand, irgendwo zwischen Äckern, Fluss und Auwald, und ihr der Schweiß in die Augen rann, dachte sie: „So, hier verdurste ich jetzt!“

Die 44-Jährige lacht, wenn sie von dieser Fahrt erzählt, und die ihr seither 2500 Kilometer entlang der Grenze eingebracht hat. Denn: Julia Köstenberger verdurstete nicht und die Freiheit, die sie gespürt hatte – die so greifbar war, weil jung und nicht selbstverständlich –, trieb sie wieder in den Sattel. Genauso wie die Geschichte, die der Boden hier atmet, der Meter um Meter erzählt von künstlich gezogenen Grenzen, von Weltpolitik und von Menschen, deren Leben auf den Kopf gestellt wurde, weil Machthaber in entfernten Städten eine Entscheidung getroffen hatten.

Die Grenze, die Südböhmen, Südmähren, das nördliche Mühlviertel sowie Wald-und Weinviertel in zwei Länder teilt, bedeutete bis vor 30 Jahren das Ende der Welt, wie Julia Köstenberger in ihrem Buch „Grenzenlos Radeln“ schreibt, das Ende April im Falter Verlag erscheint: Auf 350 Seiten zeichnet die Wienerin Radrouten vor, mit Ratschlägen und Wegbeschreibungen, die es Nachahmern ersparen sollen, selbst orientierungslos im Auwald an der Grenze zu stehen. Aus anfänglicher Neugier für die Region wurde rasch professionelles Interesse, das die Historikerin neben Flickzeug, Proviant und Regenjacke auch Stift und Notizblock in die Seitentaschen ihres Fahrrades packen ließ, um Tipps für ihren Rad-Ratgeber festzuhalten. So strampelte sie seit 2012 rund 2500 Kilometer zwischen Plöckensteiner See und Hohenau an der March ab, um insgesamt acht Touren festzulegen, die an Bus- und Zugbahnhöfen beginnen und enden und die zum Teil zwischen den Orten weite Schlingen ziehen und lange Umwege – dafür an Schauplätze führen, die, von den Schnell-Fahrern unentdeckt, entlang der Strecke liegen.

Wenn Köstenberger nun im Thayatal den Radweg entlangfährt und in Hardegg die Brücke quert – unter sich Holzbalken, die rhythmisch knattern –, dann kann sie nach sechs Jahren Recherche jede Menge Anekdoten erzählen. Die vom Hardegger Hauptschullehrer zum Beispiel, der sich bei einem gemeinsamen Achterl Grünem Veltliner erinnerte, wie er als junger Mann mit seinen Freunden genau diese Brücke für Mutproben nutzte: Weil die österreichisch-tschechoslowakische Staatsgrenze mitten durch den Fluss verläuft, entfernten tschechoslowakische Soldaten irgendwann auf ihrer Seite die Holzblanken vom Stahlgerüst und die Österreicher taten es ihnen bald darauf gleich. Bis am Ende nur noch die Eisenkonstruktion als Brückenskelett über der Thaya ragte. Die jungen Männer, die mutig genug waren, balancierten auf dem Gerüst Richtung Kontrollhäuschen, wo ihnen einmal auf tschechoslowakischer Seite die Wache habenden Soldaten winkten. Irgendwann seien die jungen österreichischen Männer mit den Flausen im Kopf neben den jungen tschechischen Männern mit den Abzeichen auf der Brust auf den Stahlstreben gesessen, hätten gemeinsam Bier getrunken und die Füße ins Leere baumeln lassen. Allerdings nur das eine Mal: Die mangelnde Disziplin trug den Uniformierten eine Versetzung ein.

Köstenbergers Lieblingsstrecke entlang der gesamten Grenzroute ist die, die sie auch bei ihrem ersten Versuch bewältigen wollte: Retz – Znaim – Laa. Rund 77 Kilometer, die sich gut an einem Tag fahren lassen. Zieht Köstenberger auf ihrer tschechischen Radkarte, die – wie sie sagt – die beste, weil detaillierteste ist, mit dem Finger die Strecke nach, die sie entlangfährt, markieren Dutzende feiner Haken und dünner Linien den Plan.

Die Haken stehen für Bunker, die streckenweise wie eine Kette im Abstand von 500 Metern entlang des Radweges zu finden sind: Unter aufgeschütteten Erdhügeln richtete sich das tschechoslowakische Militär Mitte der 1930er-Jahre Refugien ein, aus Angst vor Nazi-Deutschland: enge Behausungen, in denen Maschinengewehre, Gasmasken und Essbesteck für den Ernstfall bereitlagen, allerdings nie eingesetzt wurden, weil die Grenzgebiete der Tschechoslowakei 1938 im Zuge des Münchner Abkommens zum Schrecken der Bevölkerung ans Deutsche Reich abgetreten werden mussten. Einige der Bunker sind leicht zu erkennen, wie jener in Schattau, andere, gut getarnt, kaum auszumachen.

Die Linien auf den Karten kennzeichnen Stromleitungen. Andernorts maximal zur Orientierung interessant, erzählt hier auch der Blick gen Himmel eine Geschichte: Irgendwo nach Znaim, nach dem kleinen Ort Tasovice und kurz vor dem Schatzberg fährt man an jenem Strommast vorbei, auf den 1986 zwei Tschechen kletterten, um eine der spektakulärsten Fluchtaktionen aus dem kommunistischen Regime zu wagen: Kurz nach Mitternacht schlichen die beiden mit zwei selbst gebauten Gefährten, die an eine Art Sessellift erinnerten, zur Hochspannungsleitung, hängten ihren Sitz in der Blitzschutzleitung ein, die keinen Strom führt, und zogen sich so über die Grenze. Hätten sie die unten patrouillierenden Soldaten erwischt, wäre das ihr Todesurteil gewesen. Der von alten Bäumen und weiten Feldern gesäumte Radweg führt weiter nach Seefeld-Kadolz und damit vorbei an dem Gasthaus, das nach dem Bürgerkrieg 1934 für viele Österreicher Zufluchtsort war: Wer dem Wirt im Ort das Losungswort – „Hase“ – nennen konnte, wurde als Flüchtling weitergeschleust in Richtung Sow­jetunion. Für rund 3000 österreichische Schutzbündler und Kommunisten der einzige Weg ins rettende Exil.

Legt Julia Köstenberger hier im Gasthaus eine Pause ein, bestimmt, was der Wirt auf den Tisch stellt, den weiteren Verlauf ihrer Tour. Ein Achterl Wein hieße: Das Fahrrad schieben, wenn sie wenige Kilometer später wieder nach Tschechien kommt – die „Policie“ straft, wer mit über 0,0 Promille Alkohol im Blut auf dem Rad sitzt.

Julia Köstenberger trinkt Traubensaft und fährt dann den Grenzweg hinunter, der den Wachsoldaten ab 1965 – als der Eiserne Vorhang keinen Starkstrom mehr führte, sondern reiner Signalzaun war – den schnellsten Weg zur Alarm gebenden Quelle ermöglichte. „Geht man weiter in die Vergangenheit zurück, viel weiter“, scherzt sie, „würde man hier die Promenade des Urmeeres entlangradeln.“ Vor 16 Millionen Jahren hätte die Historikerin an dieser Straße Schildkröten, Riesenaustern und Haie beobachten können.

Vor 29 Jahren hingegen hätte sie ein Stück weiter, an der Ortseinfahrt zum tschechischen Höflein, Folgendes gesehen: Außenminister Alois Mock und seinen tschechoslowakischen Amtskollegen Jiří Dienstbier, wie sie versuchen, mit stumpfen Drahtscheren Bahnen aus Stacheldraht zu zerschneiden, um dabei jene gut inszenierte Bild­ikone zum Fall des Eisernen Vorhangs zu schaffen, die um die Welt ging. Zufällig lernte Köstenberger vor ein paar Jahren in einem Heimatmuseum einen der Männer kennen, die damals unter den Anwesenden waren, sonst hätte sie die Stelle nie gefunden, erzählt sie. Keine Markierung erinnert an den Ort, deswegen sei sie mit dem Zeitzeugen tief in der Ackererde vor der Ortseinfahrt gestanden, wo er ihr jenen Platz zeigte, an dem die letzten Reste Stacheldraht gestanden hatten, die die Delegation durchschneiden hatte können. Als Mock an die Grenze kam, hatten Soldaten schon einen Großteil des Eisernen Vorhanges abgebaut.

Wenn Julia Köstenberger nun bei Laa an der Thaya zum vierten Mal an diesem Tag die Grenze passiert, bemerkt sie nur an der sich unterscheidenden Farbe des Straßenbelages, dass sie von einem Land ins andere wechselt. „Zu wissen, dass Leute hier vor dreißig Jahren stundenlang an der Grenze gestanden sind und ein Visum brauchten, dass bewaffnete Grenzsoldaten Koffer durchsuchten und Autos auf der Suche nach Flüchtlingen regelrecht auseinandernahmen, ist schon ein merkwürdiges Gefühl.“

Am Hauptplatz in Laa an der Thaya bestellt die Autorin beim Wirt einen Spritzer. Sie hat noch Zeit, der letzte Zug Richtung Wien fährt erst gegen 22 Uhr. Köstenberger hängt ein massives Vorhängeschloss um ihr Fahrrad, streckt Arme und Beine durch, dann nimmt sie Platz und schaut den Neuankömmlingen zu, wie sie unter Stöhnen ihre gepolsterten Radlerhosenhintern in Sitzkissen fallen lassen. Die Historikerin blättert in ihren Notizen, nimmt einen Schluck Wein und behält jene Lektion, die auch sie in den vergangenen sechs Jahren lernen musste, still für sich: Besser als Pölster in der Hose sind einfach 2500 Kilometer im Hintern.

Verena Randolf in Falter 21/2018 vom 2018-05-25 (S. 52)

Posted by Wilfried Allé Sunday, March 13, 2022 7:47:00 PM Categories: Kultur für Genießer Radeln
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Verlockende Oasen 

Parks, Grünräume und malerische Gärten in Wien

von Viola Rosa Semper, Charlotte Schwarz

Ein Buch über ganz besonders bezaubernde Flecken Wiens: verborgene Durchhäuser, romantische Innenhöfe und stille Gassln, durch die man abseits der Touristenströme entspannt schlendern kann.  Legenden, Anekdoten und viele interessante Geschichten zu den historischen Orten ergänzen die Beschreibungen und die beeindruckenden Fotos machen Lust auf das Erkunden dieser einmaligen Kleinode und Farbtupfen im Grau der Großstadt.

EAN: 9783854396970
Verlag: Falter Verlag
Format: Gebundene Ausgabe
Umfang: 272 Seiten
Erscheinungsdatum: 08.09.2021
Preis: € 29,90

Die Entdeckungsreise von Geheime Pfade und Faszinierende Wege geht weiter. Dieses Mal werden die schönsten öffentlich zugängliche Grünanlagen der Stadt vorgestellt. Diese bezaubernd, stillen Orten sind grüne Wohlfühloasen, wo man die Seele baumeln lassen, ein Buch genießen, spazieren gehen oder auch Geschichte erleben kann. Anekdoten von „Stammgästen“, Geschichten aus dem Grätzl sowie handfeste Informationen zu Architektur, Geschichte und Gestaltung ergänzen die umwerfenden Fotos und laden zum Flanieren durch die grünen Inseln Wiens.

Die Kapitel sind nach unterschiedlichen Park-/Grünraumtypen gegliedert:

  • Englische Landschaftsgärten
  • Schlossgärten
  • Schwerpunktparks und Themenräume
  • Gartenvielfalt: Schul- und Schaugärten
  • Grätzelparks, Quartierparks und städtische Parkanlagen
  • Naturbelassene Parkanlagen, Wälder und Schutzgebiete

zur Leseprobe ->

Posted by Wilfried Allé Sunday, March 6, 2022 8:19:00 PM Categories: Bezaubernde Flecken Wiens Kultur für Genießer
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