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China First 

Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert

von Theo Sommer

Verlag: C.H.Beck
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.01.2019
Preis: € 26,80

 

"Wenn heute in China ein Sack Reis umfällt, bebt die ganze Welt."

Theo Sommer

China hat sich in wenigen Jahrzehnten vom Armenhaus im Mao-Look zur Hightech-Nation gewandelt. Vielspurige Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszüge verbinden die Zentren. Oft heißt es, die Technologie sei nur importiert, ja geraubt, und die sozialen und ökologischen Probleme seien übermächtig. Doch das ist eine gefährliche Täuschung, wie Theo Sommer eindrucksvoll zeigt. Wer sein luzides Buch voller überraschender Fakten und Zusammenhänge gelesen hat, wird China und den Westen mit anderen Augen sehen.
In immer mehr Zukunftssparten wie erneuerbare Energien oder Elektromobilität übernimmt China die Führung. Das Seidenstraßen-Projekt stellt wichtige Handelswege unter chinesische Kontrolle. Außenpolitisch trumpft China immer mehr auf, in Asien auch militärisch. Der neue starke Mann Xi Jinping hat sich eine Machtfülle gesichert, wie sie nicht einmal Mao hatte. Er perfektioniert den Überwachungsstaat mit digitaler Gesichtserkennung und einem an Orwell gemahnenden "Sozialkreditsystem". Auch hier spielt China eine beängstigende Vorreiterrolle. Das chinesische Jahrhundert hat begonnen. Es kommt jetzt darauf an, es zu verstehen und sich zu behaupten. Theo Sommer, Journalist und Historiker, war 20 Jahre lang Chefredakteur der ZEIT und zusammen mit Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung. Asien ist eines seiner großen Lebensthemen. Er reist seit fast fünf Jahrzehnten immer wieder nach China, oft als Begleiter hochrangiger politischer Delegationen, und hat vielfach zur Rolle Chinas in Asien publiziert.

Posted by Wilfried Allé Monday, March 4, 2019 10:14:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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BECOMING 

Meine Geschichte

von Michelle Obama

Übersetzung: Harriet Fricke
Übersetzung: Tanja Handels
Übersetzung: Elke Link
Übersetzung: Andrea O'Brien
Übersetzung: Jan Schönherr
Übersetzung: Henriette Zeltner
Verlag: Goldmann
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Biographien, Autobiographien
Umfang: 544 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.11.2018
Preis: € 26,80

 

Rezension aus FALTER 1-2/2019

Bei den Obamas im Wohnzimmer

Ja, es ist eine massentaugliche, schnell gelesene Weichspüler-Erzählung eines perfekten Aufstiegs. Und trotzdem lohnt sich die Lektüre: In „Becoming“ erzählt die ehemalige First Lady Michelle Obama ihre Lebensgeschichte.

Diese beginnt in Southside Chicago, wo Michelle in einer schwarzen Mittelklasse-Familie aufwächst. Der Vater arbeitet beim städtischen Wasserwerk, die Mutter ist Hausfrau. Im Stockwerk unter ihnen wohnt die Tante, die sich mit Klavierstunden über Wasser hält. Obama beschreibt, wie sie es durch eine fürsorgliche Mutter, eine strenge Tante, gute Lehrer und staatliche Förderungen schaffte, auf der Eliteuniversität Princeton zu studieren. Und wie sie dort stets die Schwarze unter weißen Studierenden und der Rassismus ihr Begleiter blieb.

Es folgt eine Karriere in einer renommierten Anwaltskanzlei, wo ihr ein gewisser Barack Obama als Mentée zugeteilt wird. Das Buch erzählt den Aufstieg des ersten schwarzen Präsidentenpaares. Es sind die kleinen Details, die es interessant machen, etwa der Schlüssellochblick in das Weiße Haus (wer wusste, dass es dort schräge Flure gibt, die die Präsidentenkinder als Rutschbahn verwenden?). Das politische Motto der Obamas, das sich durch das Buch zieht, „When they go low, we go high“, wäre etwas, was der österreichischen Politik guttun würde.

Nina Horaczek in FALTER 1-2/2019 vom 11.01.2019 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, January 9, 2019 10:01:00 PM Categories: Autobiographien Sachbücher/Politik Wirtschaft/Biographien
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Grenzen der Privatisierung 

Wann ist des Guten zu viel?

von El Hassan Bin Talad, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Oran R. Young, Matthias Finger, Marianne Beisheim, Harald G. Woeste

Ernst Ulrich von Weizsäcker über die Zukunft der Welt: Was wir angesichts Klimawandel, stetig wachsender Bevölkerung und knapper Ressourcen ändern müssen, wenn wir bleiben wollen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Naturwissenschaftler, Ex-Politiker und Co-Präsident des Club of Rome (2012 bis 2018), ist Optimist: Trotz der Probleme und Herausforderungen der Gegenwart wie dem Klimawandel, dem Artensterben und der Armut hält er eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Zukunft der Menschheit für möglich. Seine These ist, dass wir über genügend Wissen und Ressourcen verfügen, die erforderlichen Veränderungen für den Erhalt der Welt zu schaffen und den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte und nachhaltige Basis aufzubauen.

Verlag: Hirzel, S., Verlag
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 376 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.08.2006
Preis: € 30,70


Auf dem Prüfstand
Seit über zwei Jahrzehnten ist die Privatisierung auf Siegeszug - mit dem erklärten Ziel, die Menschheit aus dem Elend zu befreien. Sie hat in der Tat etwas Befreiendes und wirkt manchmal segensreich, doch leider tut sich die Fachwelt schwer damit, auch die Schattenseiten wahrzunehmen.

Dieses Buch präsentiert sowohl positive als auch negative Beispiele, und es versucht, politische Schlussfolgerungen aus diesen Erfahrungen zu ziehen. Dabei entzaubert es die weit verbreitete Vorstellung, Privatisierung sei generell Fortschritt und bringe Wachstum.

Posted by Wilfried Allé Friday, December 7, 2018 11:59:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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21 Lektionen für das 21. Jahrhundert 

Können wir die Welt, wie wir sie erschaffen haben, überhaupt noch verstehen?

von Yuval Noah Harari

Übersetzung: Andreas Wirthensohn
Verlag: C.H.Beck
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 459 Seiten
Erscheinungsdatum: 19.11.2018
Preis: € 25,70


In «Eine kurze Geschichte der Menschheit» erzählte er vom Aufstieg des Homo Sapiens zum Herrn der Welt. In «Homo Deus» ging es um die Zukunft unserer Spezies. Mit seinem neuen Buch schaut Yuval Noah Harari, einer der aufregendsten Denker der Gegenwart, nun auf das Hier und Jetzt und stellt die drängenden Fragen unserer Zeit. Warum ist die liberale Demokratie in der Krise? Ist Gott zurück? Soll Europa offen bleiben für Zuwanderer? Kann der Nationalismus eine Antwort geben auf Klimawandel und soziale Ungleichheit? Was sollen wir unseren Kindern beibringen? Und können wir die Welt überhaupt noch verstehen, die wir erschaffen haben?Yuval Noah Harari hat Millionen Leser auf der ganzen Welt in seinen Bann geschlagen. In seinem neuen Buch lädt er dazu ein, über Werte, Bedeutung und persönliches Engagement in einer Zeit voller Lärm und Ungewissheit nachzudenken. In einer Welt, die überschwemmt wird mit bedeutungslosen Informationen, ist Klarheit Macht. Doch Milliarden von uns können sich kaum den Luxus leisten, sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart zu beschäftigen, weil wir Dringenderes zu erledigen haben. Leider gewährt die Geschichte keinen Rabatt. Wenn über die Zukunft der Menschheit in unserer Abwesenheit entschieden wird, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, unsere Kinder zu ernähren und mit Kleidung zu versorgen, werden wir und sie dennoch nicht von den Folgen verschont bleiben. Dieses Buch versorgt die Menschen nicht mit Kleidung oder Nahrung. Aber es kann helfen, die Dinge ein wenig klarer zu sehen, und damit das globale Spielfeld etwas einebnen. Wenn es auch nur ein paar mehr von uns in die Lage versetzt, sich an der Diskussion über die Zukunft unserer Spezies zu beteiligen, so hat es seine Aufgabe erfüllt. Yuval Noah Harari, wurde 1976 in Haifa, Israel, geboren. Er promovierte 2002 an der Oxford University. Aktuell lehrt er Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte. Seine Bücher «Eine kurze Geschichte der Menschheit» und «Homo Deus» wurden zu Weltbestsellern.

Posted by Wilfried Allé Thursday, December 6, 2018 1:21:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Anbruch einer neuen Zeit 

Wie Virtual Reality unser Leben und unsere Gesellschaft verändert

von Jaron Lanier

»Pflichtlektüre für alle, die wissen wollen, warum unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist, und wohin sie steuert.« The Economist

Übersetzung: Sigrid Schmid
Übersetzung: Heike Schlatterer
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: 15.09.2018
Preis: € 25,70
 
BOOK OF THE YEAR 2017: The Wall Street Journal & The Economist

Jaron Lanier, Tech-Guru und Vater der Virtual Reality, gibt einen faszinierenden Einblick in sein Leben, die Anfänge des Silicon Valleys, den großen Traum von der virtuellen Realität, und warum sie in Kürze unser aller Leben grundlegend verändern wird. In einem fesselnden Mix aus Autobiografie, Fachwissen und philosophischen Überlegungen schildert er seinen außergewöhnlichen Werdegang – von seiner ärmlichen Kindheit als Kind von Holocaust-Überlebenden in der Wüste New Mexicos, über die ersten Schritte in der virtuellen Realität bis hin zu ihren modernen Einsatzmöglichkeiten. Sein neues Buch ist eine visionäre Liebeserklärung an eine Technologie, die ungeahnte Chancen bietet und gleichzeitig ein immenses Missbrauchspotential birgt. Dabei wirft er einen unvergleichlichen Blick darauf, was es im Angesicht unbegrenzter Möglichkeiten heißt, heute Mensch zu sein.
Posted by Wilfried Allé Thursday, December 6, 2018 1:06:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Das Kapital des Staates 

Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum

von: Mariana Mazzucato

Freie Märkte, smarte junge Erfinder und Wagniskapital treiben die Wirtschaft voran; der Staat stört dabei nur und muss daher nach Kräften zurückgedrängt werden. Wie ein Mantra wird dieser oberste Glaubensartikel des Neoliberalismus seit Jahrzehnten wiederholt – aber stimmt er auch?
Die Ökonomin Mariana Mazzucato, die seit Jahren über den Zusammenhang zwischen Innovation und Wachstum forscht, beweist das Gegenteil: Wann und wo immer technologische Innovationen zu wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand geführt haben, hatte ein aktiver Staat die Hand im Spiel. Von der Elektrifizierung bis zum Internet – Motor der Entwicklung, oft bis zur Markteinführung, war stets der Staat. Apples Welterfolg gründet auf Technologien, die sämtlich durch die öffentliche Hand gefördert wurden; innovative Medikamente, für die die Pharmaindustrie ihren Kunden gern hohe Entwicklungskosten in Rechnung stellt, stammen fast ausnahmslos aus staatlicher Forschung.
Innovationen und nachhaltiges Wachstum, das derzeit alle fordern, werden also kaum von der Börse kommen. Viel eher von einem Staat, der seine angestammte Rolle neu besetzt, sein einzigartiges Kapital nutzt und mit langem Atem Zukunftstechnologien wie den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibt.
Ein brandaktuelles Buch, das die aktuelle Diskussion über die Zukunft der Wirtschaft und die Rolle des Staates vom Kopf auf die Füße stellt.

Mariana Mazzucato lehrt als R.M. Philips Professor in Science and Technology Policy an der Universität Sussex und ist Gastprofessorin der Open University. Sie berät die Europäische Kommission zu Fragen wirtschaftlichen Wachtums und ist im Vorstand des renommierten britischen Umwelt-Thinktanks Green Alliance. 2013 hielt sie einen vielbeachteten Vortrag auf der TED-Konferenz.

Übersetzung: Ursel Schäfer
Originaltitel: The Entrepreunerial State
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Verlag: Kunstmann, A
ISBN: 978-3-95614-000-6
Umfang: 304 Seiten
Erscheinungsdatum: 20.08.2014

 

Rezension aus FALTER 3/2017

Es gibt ihn, den guten Staat

Der Staat ist träge, innovativ sind die Unternehmen? Mariana Mazzucato macht Schluss mit diesem Märchen

Was kann der Staat? Darüber gehen die Meinungen auseinander, aber sehr häufig sind die Deutungen nur verschiedene Varianten von: nicht viel. Das gilt natürlich zunächst und primär für Wirtschaftsfragen. Da ist der wirtschaftsliberale Mainstream der Meinung, dass der Staat ohnehin nur Schaden anrichtet und die Innovationskraft des freien Unternehmertums hemmt, während die – nennen wir sie jetzt einmal – „keynesianische Mitte“ einwenden würde, dass der Staat zwar gewiss dazu tendiert, ein bürokratisches Monstrum zu sein, man aber seine Regulierungen zwecks Vermeidung von Katastrophen benötigt und man ihn im Notfall braucht, um kollabierende Banken zu retten oder eine abschmierende Konjunktur anzukurbeln. Außerdem kann er sich mit Anreizen nützlich machen, um das Handeln der Wirtschaftsakteure zu beeinflussen. Aber selber handeln – das sollte er natürlich eher nicht. Denn Wirtschaft – das könne „die Wirtschaft“, vulgo Unternehmen, besser.
Geht es zudem um das weitere Feld des Gesellschaftlichen, dann wird der Staat ohnehin gerne als bloßes gängelndes, bevormundendes Institutionenwerk gesehen, gegen das sich Freiheit und der Eigensinn des Einzelnen behaupten müssen – und nur sehr selten als Quelle und Garant der Freiheit.
Diese vorherrschenden Deutungen sind von hübschen Geschichten illustriert: von den märchenhaften Storys kleiner Start-ups, die in Garagen innovative Ideen ausbrüten und mit diesen Erfindungen die Welt verändern – gänzlich am Staat vorbei, der sie im besten Fall dabei nicht stört, ihnen im schlimmsten Fall Steine in den Weg legt.

Wie die Dinge wirklich liegen, beschreibt die in Großbritannien forschende Ökonomin Mariana Mazzucato in ihrem Buch „Das Kapital des Staates“. Sie gilt schon als der „neue Star in der ökonomischen Debatte“ (Manager-Magazin). Der deutsche Titel ihres Buches ist etwas verblasen, im Original heißt es: „The Entrepreneurial State“ (Der unternehmerische Staat). Unternehmen werden heute mit Attributen wie „wettbewerbsfähig“ und „innovativ“ belegt, der Staat gilt als „träge“ oder „schwerfällig“, doch mit Geschichte und Gegenwart von Innovation hat all das nichts zu tun, schreibt sie.
Die ganze Geschichte der großen Innovationen, von der Eisenbahn-Revolution bis zur Energiegewinnung, von der Atomenergie bis zur massiven Ausbeutung der Wasserkraft, zeigt nachdrücklich: Die massive Mobilisierung von Ressourcen, ganz zu schweigen von der vorangehenden Grundlagenforschung, wurde vom Staat geleistet, und in diesem innovativen Gärhaus ist die profitable Anwendung durch Privatfirmen am Ende nur mehr die Bubble obendrauf.
Und das gilt erst recht für die großen Innovationen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart wie Computertechnologie, Internet, Pharmarevolution, Nanotechnologie, Raumfahrt. Das hat auch einen systemischen Grund, so Mazzucato: Große technologische Revolutionen verschlingen zunächst einmal ungeheuer viel Kapital; ob daraus aber irgendwann einmal Renditen entspringen, ist dagegen meist unklar. Für private Investoren ist das viel zu riskant, ein solches Großrisiko kann nur der Staat tragen. Nicht der Staat ist träge und die Unternehmen unternehmerisch, das Gegenteil ist der Fall: Die Unternehmen sind viel zu vorsichtig, solche Risiken übernimmt nur der Staat, der viel „tollkühner“ ist als Unternehmen, die meist schon die Rendite im nächsten Quartal im Auge haben: „Selbst in Boomphasen gibt es viele risikobehaftete Bereiche, vor denen Privatunternehmen zurückscheuen, in denen jedoch der Staat als Pionier vorangeht.“
Mazzucatos nachdrückliche Botschaft: Vergesst die Start-ups! Ihre Rolle wird systematisch übertrieben!

Exemplarisch für all das ist die Firma Apple,
der sich Mazzucato detailliert widmet, nicht weil sie Apple nicht mögen würde, sondern weil die Firma als Paradefall des innovativen Genies freien Unternehmertums gilt. Dabei ist eher das exakte Gegenteil der Fall. „Tatsächlich steckt im iPhone nicht eine einzige Technologie, die nicht staatlich finanziert wurde.“ Die Computertechnologie wurde in Labors gemeinsamer staatlicher und privater Forschungen in den 1960er- und 70er-Jahren entwickelt. Mikroprozessoren, Halbleitertechnik, alles beruht auf staatlicher Grundlagenforschung und staatlich orchestrierter Innovation. Das Internet entsprang ohnehin, wie jeder weiß, einem Megaprojekt des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Der Touchscreen wurde wesentlich in britischen Labors entwickelt, die sich verteidigungsrelevanten Technologien widmeten. GPS-Satellitentechnologie usw., die Liste ließe sich fortsetzen. Die private unternehmerische Leistung liegt allenfalls in der finalen Bastelei und im genialen Design.
Seitdem Christian Kern diese Geschichte an dem Tag, an dem er zum Kanzler bestellt wurde, im „ZiB 2“-Studio bei Armin Wolf erzählte, ist Mazzucato auch in Österreich mehr als nur Insidern bekannt – als die Ökonomin, von der der Kanzler seine Thesen hat. Im Herbst dann besuchte die Professorin den SPÖ-Chef im Kanzleramt, danach ging es in die WU zu Doppel-Lecture und Wirtschaftstalk ins vollgefüllte Audimax. Wie bei einem Popevent hatten die jungen Studierende von der „Gesellschaft für plurale Ökonomik“ Armbänder mit der Aufschrift „Mazzukern“ drucken lassen. „Das klingt ja wie Brangelina“, lachte die Starökonomin.
Mazzucatos These ist, dass wir alle ein falsches Bild vom Staat und von Unternehmen im Kopf haben, das nichts als die Folge ideologischer Verblendung ist. Ein erfolgreicher, innovativer Kapitalismus brauchte immer einen starken, aktivistischen Staat, und das umso mehr, je komplexer die Aufgaben und die Gesellschaften waren. Nicht der Staat ist innovativ und auch nicht die Unternehmen, sondern eine Kombination von staatlichem und unternehmerischen Aktivismus. Und dafür braucht es eben gute Unternehmen und einen klug agierenden, finanziell gut ausgestatteten Staat.
Aber die staatsfeindliche Ideologie untergräbt diese Erfolgsbedingungen, denn damit all das gut funktioniert, muss es beispielsweise auch attraktiv sein, für den Staat zu arbeiten. Macht man den Staat chronisch schlecht (und trocknet man ihn finanziell aus), werden die besten Talente eher nicht in staatlichen Behörden arbeiten wollen, dann werden Innovationen, die die Zukunft prägen würden, eben nicht getätigt – dann wird der unfähige Staat gewissermaßen zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Absurd: Während die eigentlichen bahnbrechenden Innovationen in staatlichen Labors ausgebrütet werden, jazzt man täglich Start-ups medial hoch, die irgendwelche Apps programmieren, für die es keine besondere Genialität mehr braucht und die die Welt oft gar nicht benötigt.

Der moderne, komplexe Staat hat eine Vielzahl von Aufgaben, die gerade auch eine kapitalistische Marktwirtschaft braucht, um funktionstüchtig zu bleiben – das war schon die These des legendären Werkes „Die große Transformation“ des vor exakt 50 Jahren verstorbenen Gesellschaftstheoretikers Karl Polanyi. Polanyi sprach von der „etablierten Gesellschaft“, die mehr ist als bloß Markt oder Staat, ein komplexes Netzwerk, hinter das wir nicht mehr zurückkönnen, ob wir wollen oder nicht. Der Lonely Hero, der reine Selfmade-Man, wie ihn sich der Ultraliberalismus zusammenfantasiert, die sind heute einfach nicht mehr im Angebot. „Wenn man den Marktmechanismus als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt (…) zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen“, schrieb Polanyi, und weiter: „Paradoxerweise müssen nicht nur die Menschen und ihre natürlichen Ressourcen, sondern auch die Organisationsweise der kapitalistischen Produktion an sich vor den verheerenden Auswirkungen eines selbstregulierenden Marktes geschützt werden.“ Polanyi war so etwas wie der intellektuelle Wegbereiter eines Linksliberalismus, was auch ein Grund dafür sein dürfte, dass er heute relativ in Vergessenheit geraten ist. Er war den echten Linken zu prokapitalistisch und den Wirtschaftsliberalen zu links.
Polanyi war auch einer der Ersten, der einige Grundprinzipien des modernen Linksliberalismus durchbuchstabierte, der sowohl die Staatsgläubigkeit der Linken als auch die Staatsfeindlichkeit des Liberalismus hinter sich ließ: Da man in komplexen Gesellschaften einen aktivistischen Staat braucht, muss man die paternalistischen, bürokratischen und autoritären Versuchungen eines solchen Staates bekämpfen: Er sprach von einem „Recht auf Nonkonformismus“ und: „Jeder Schritt zur Integration der Gesellschaft sollte somit von einer Zunahme der Freiheit begleitet sein; Schritte in Richtung auf Planung sollten die Stärkung der Rechte des Einzelnen“ nach sich ziehen. „Die echte Antwort auf die drohende Bürokratie als Quelle des Machtmissbrauchs besteht darin, Bereiche unumschränkter Freiheit zu schaffen, die durch eiserne Regeln geschützt sind.“

Der Staat nicht als Antipode, sondern als Garant von Freiheit – insbesondere gegen Machtkonzentration, die aus wirtschaftlicher Macht resultiert, das wäre eine Sache eines modernen „Linksliberalismus 2.0“, der auf der Höhe der Zeit wäre, und der gerade da und dort durchbuchstabiert wird. Der „neue Liberalismus“ muss erkennen, schreibt etwa die Frankfurter Ökonomin und Philosophin Lisa Herzog, dass nicht nur staatlicher Zwang freiheitseinschränkend sein kann, sondern „auch der Mangel an Zugangsmöglichkeiten und Ressourcen, der im Kapitalismus weite Teile der Bevölkerung bedrohen kann (…) Für den neuen Liberalismus ist gerade der ungezügelte Markt ein Feind der Freiheit. Besonders ist er es, wenn er extreme Ungleichheiten erzeugt, die Machtverhältnisse und einseitige Abhängigkeiten zementieren (…) und wenn bestimmte Personengruppen durch Machtstrukturen besonders benachteiligt werden und es ihnen schwer gemacht wird, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ In modernen, komplexen Gesellschaften hängen wir alle voneinander ab, sodass die Vorstellung, das freie Individuum sei ein asoziales Atom, einfach absurd sei, schreibt Herzog in ihrem „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“ („Freiheit gehört nicht nur den Reichen“, C.H. Beck, 2013).
Das Verhältnis von Staat und großen Unternehmen sollte symbiotisch sein, wird aber zunehmend parasitär. Apple, aber auch große Pharmakonzerne und andere Technikriesen verwandeln Forschung und technologische Innovationen, die mit Steuergeld vorangetrieben wurden, in private Gewinne, erzählen denselben Steuerzahlern aber dann, „Innovation und Wirtschaftswachstum seien dem Genie Einzelner zu verdanken“ (Mazzucato) und organisieren ihre globale Produktion dann so, dass ihre Gewinne nur mehr in Steuerparadiesen anfallen. Gerade das Verschweigen der wirklichen Innovationsgeschichte, so Mazzucato, half dabei, „dem Staat, der mit seinem Geld ganz wesentlich zum Erfolg beitrug, einen Teil seiner Gewinne vorzuenthalten“.
„In einer modernen Welt, das hat schon Polanyi gezeigt, ist das Konzept eines ‚freien‘ Marktes das Konstrukt der ökonomischen Theorie, nicht einer empirischen Beobachtung“, schreibt Mariana Mazzucato folgerichtig in dem jüngst von ihr herausgegebenen Sammelband „Rethinking Capitalism“. In dieser Studiensammlung, die wichtige Teilaspekte einer neuen Wirtschaftstheorie ausformuliert, systematisiert Mazzucato ihre Kritik an den falschen Auffassungen gängiger Wirtschaftstheorie weiter – und macht damit ihre Einwände noch klarer.

Die heutige wirtschaftspolitische Debatte kennt, so beginnt Mazzucato ihre Argumentation, im Grunde zwei Stränge: einerseits das wirtschaftsliberale Postulat, dass Märkte, lasse man sie nur wirken, ohne ihnen ins Zeug zu pfuschen, schon optimale Ergebnisse produzieren würden. Andererseits die post- oder quasikeynesianische Auffassung, dass Märkte auch immer von einem „Marktversagen“ bedroht sind, sodass der Staat gewissermaßen als Helfer in der Not immer parat stehen muss – etwa, um Marktversagen zu korrigieren und um Krisen, die aus dem Marktversagen resultieren, zu überwinden.
Aber letztlich seien das nur zwei Spielarten einer fragwürdigen Orthodoxie. „Die Probleme sind aber nicht das Ergebnis von Fehlentwicklungen von Märkten, die ‚normalerweise‘ ordentlich funktionieren, sondern resultieren aus fundamentalen Charakteristika und Strukturen (des Kapitalismus). Um zu verstehen, wie sie arbeiten, und um zu erklären, welche Rolle Politik spielen kann, damit diese Strukturen bessere Ergebnisse zeitigen, braucht man einen viel umfassenderen Zugang.“
Der Staat ist nicht nur dafür da, Märkte zu regulieren, wenn sie versagen, oder den Schutt wegzuräumen, wenn es mal wieder zu einer ökonomischen Havarie gekommen ist. Märkte in dem romantischen Sinn, wie sich die orthodoxe Wirtschaftstheorie das vorstellt, gibt es gar nicht – denn sie sind immer schon Produkt staatlichen Handelns. „Die Rolle des Staates kann sich nicht darauf beschränken“, schreibt Mazzucato, „im Falle von Marktversagen zur Reparatur anzutreten. Er muss vielmehr auf aktive Weise Märkte strukturieren und erst herstellen, damit sie nachhaltige und inklusive Formen ökonomischen Wachstums hinkriegen.“
Märkte sollte man also besser nicht als etwas verstehen, was irgendwie jenseits des Staates existiert, sondern „als Resultate der Interaktion verschiedener ökonomischer Akteure und Institutionen, sowohl privater als auch staatlicher“.
Kurzum: Märkte entstehen ja nicht aus sich heraus. Der „Markt“ für Internet- und Telekommunikation, um bei Mazzucatos berühmtesten Exempel zu bleiben, wurde von Staaten ja erst durch eine Reihe von Politiken hergestellt. Von der Ausbildung von Technikern über Finanzierung von Forschung und Entwicklung, über die Investition in die verschiedensten verbundenen Technologien vom Touch-Screen bis zum Breitbandnetz haben öffentliche Institutionen ja erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass diese „Märkte“ entstehen konnten. Und es ist auch mehr als nur ein bloßes Ineinanderwirken von öffentlichen und privaten Akteuren: Die Staaten hätten ja auch die Großinvestitionen in andere Technologien lenken können, dann gäbe es jetzt womöglich „Märkte“ in Branchen, die es heute eben nicht gibt. All das ist schon die Folge von staatlicher Prioritätensetzung.

„Es ist also keineswegs so“, schreibt Mazzucato, „dass der private Sektor ‚Wachstum produziert‘, während der öffentliche Sektor via Steuern den Wohlstand nur ‚konsumiert‘. Der Staat reguliert auch nicht einfach nur die Wirtschaft. Vielmehr ist das ökonomische Output einer Volkswirtschaft durch die Interaktion von öffentlichen und privaten Akteuren koproduziert.“
Sowohl das Konzept des „Unternehmers“ als auch das der „Märkte“ ist so gesehen ziemlich fragwürdig. Oder anders gesagt: Der Kapitalismus ist, wie eh und je schon, eine kollektive, gesellschaftliche Unternehmung. Aber das wusste schon Karl Marx, der vom „gesellschaftlichen Charakter der kapitalistischen Produktion“ sprach.

Robert Misik in FALTER 3/2017 vom 20.01.2017 (S. 49)

Posted by Wilfried Allé Thursday, November 22, 2018 6:43:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus 

Shoshana Zuboff rechnet mit Big Other ab, dem neoabsolutistischen Regime von Google & Co

Big Brother schaut dir zu. Und nicht nur das – längst bedrohen neue Methoden der Verhaltensauswertung und -manipulation unsere Freiheit. In ihrem neuen Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ wirft die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff einen kritischen Blick auf die neuen Märkte, auf denen Menschen nur noch Quelle eines kostenlosen Rohstoffs sind: LieferantInnen von Daten. Kann die Politik die wachsende Macht der High-Tech-Giganten zügeln und neue Formen sozialer Ungleichheit minimieren – oder ist Widerstand ohnehin zwecklos?

Übersetzung: Bernhard Schmid
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 727 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
Preis: € 30,80

 

Was ist Überwachungskapitalismus?

 

Rezension aus FALTER 41/2018

Die Hunde der Dreistigkeit
Wirtschaft: Shoshana Zuboff rechnet mit Big Other ab, dem neoabsolutistischen Regime von Google & Co

Dieses Buch ist ein Hammer. Nicht nur, weil es mehr als 700 mit nicht eben riesigen Lettern bedruckte Seiten umfasst und satte 1,2 Kilogramm wiegt. Nicht nur, weil die deutsche Fassung ungewöhnlicherweise vor der englischen erscheint (der Verlag war schneller in der Produktion). Nein, dieses Buch ist ein Hammer, weil es unser Zeitalter auf einen Begriff bringt: Wir leben im Überwachungskapitalismus. Hier wird dieser Begriff in so vielen Facetten ausgeleuchtet wie in keinem anderen mir bekannten Werk zum Thema.

Shoshana Zuboff, eine emeritierte Ökonomieprofessorin, war an der Harvard Business School eine der ersten ordentlichen Professorinnen. Zuboff sprach als Erste von „Dark Google“ und brachte das Internet in Zusammenhang mit einem neoabsolutistischen Regime. Auch den Begriff Überwachungskapitalismus (Surveillance Capitalism) hat Zuboff geprägt. Der Überwachungskapitalismus durchdringt alle Lebensbereiche und stülpt sie um. Er fegt alle Beziehungen in einer Weise hinweg, wie es Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ für den Kapitalismus beschrieben haben. Nur, dass kein Gespenst umgeht, das gegen diese Umwälzung aufsteht.

„Digitalisiert euch!“, lautet vielmehr der Schlachtruf der Konformisten aller politischen Lager, und wer vor den totalitären Aspekten der Digitalisierung warnte, wurde gern ins Lager der Rückschrittler gestellt und als Reaktionär und Maschinenstürmer angeprangert. Zuboff ist diesbezüglich nicht zimperlich. Dass die Herschaft der Digitalkonzerne eine Form totalitärer Herrschaft darstellt oder sie zumindest herbeiführen will, darüber besteht für die Autorin kein Zweifel. Statt in der Dystopie des Big Brother leben wir in jener des Big Other, sagt sie.

Was ist das, Big Other? Zuboff: „Ich verstehe darunter die wahrnehmungsfähige, rechnergestützte und vernetzte Marionette, die das menschliche Verhalten rendert, überwacht, berechnet und modifiziert.“ „Rendert“ wäre mit „vorgibt“ besser übersetzt. Aber man versteht die saftige Diagnose. Das Regime der digitalen Konzerne läuft hinaus auf eine neue „kollektive Ordnung auf Basis totaler Gewissheit, auf die Enteignung kritischer Menschenrechte, die am besten als Putsch von oben zu verstehen ist – als Sturz der Volkssouveränität“.

Wie konnte es so weit kommen? Zuboffs Buch schlägt einen großen Bogen von den Bedingungen der Digitalisierung zu deren Wirkungen. Die Bedingungen schuf die zweite Moderne. Das ist jener Zustand, in dem der Einzelne nicht mehr von Fabrik und Familie geprägt wird wie in der ersten Moderne, sondern von einer durch und durch individualisierten Gesellschaft mit starkem Selbstwertgefühl und starkem Bedürfnis nach Selbstbestimmung; ihr entspricht die frühe Apple-Phase und der Beginn von Social Media. Genau diese Bedürfnisse werden allerdings im neoliberalen Regime frustriert, sagt Zuboff. Auf der Suche nach Ausweg und Hilfe flohen wir ins Internet, wo wir in die Hände von Leuten fielen, die man im Amerika des späten 19. Jahrhunderts Räuberbarone nannte und deren Konzerne man zerschlug.

Diese digitalen Raubritter haben, unbesorgt um Gesetz und moralische Grenzen, Rechte und intime Schranken überschritten und sind so weit in unser Leben eingedrungen, dass sie nicht nur mit unseren intimsten Regungen Geschäfte machen, dass sie nicht nur voraussagen, was wir tun und denken werden, sondern dass sie auch daran gehen, es uns vorzuschreiben. Der Gedanke, uns zu beherrschen, folgt dabei nur dem kommerziellen Imperativ, den Gewinn zu maximieren. Willkommen in der dritten Moderne!

Zuboff beschreibt eine neue Conditio humana, in der wir begeistert dabei mitarbeiten, unsere eigene Würde aufzugeben. Der neue, sanfte Totalitarismus operiert nicht durch Zwang, sondern durch die Verführung technischer Machbarkeit. Es ist ein Totalitarismus der Instrumentalisierung. Er heißt so, weil er unser Verhalten modifiziert. Zuboff zeigt, wie der Behaviorismus ihres Harvard-Kollegen Bernhard F. Skinner, also die Utopie der kompletten Verhaltenssteuerung des Menschen, mit der neoklassischen Idee des Homo oeconomicus zusammenfällt, der angeblich alles rational entscheidet. Die beiden vereinen sich im Algorithmus, der das Verhalten des Menschen rational vorausberechnet und ökonomisch perfekt ausbeutet.

Wir sind nicht das Produkt, sagt Zuboff, wir sind der Kadaver des Produkts, wir sind das, was übrig ist, nachdem man uns ausgeweidet hat. Wir sind nicht das Produkt, wir sind Rohstoff, den man erntet. Wir sind wie Getreide auf dem Feld. Was derart poetisch klingt und sparsam und schön durch Gedichte von W.H. Auden kontrastriert wird, zeichnet Zuboff faktenreich und in originellen Befunden nach. Was Google an Werbekunden verkauft, sind „Derivate von Verhaltensüberschuss“. Apples i-Tunes war ein Big Hack, Google Maps und Google Glass waren „losgelassene Hunde der Dreistigkeit“ und so weiter. Das alles ist materialreich zusammengefasst und glänzend analysiert.

Müssen wir die Hoffnung aufgeben? Nein, wie die Autorin müssen wir uns über den Missbrauch der besseren Möglichkeiten der Digitalisierung empören. Zuboff zitiert den Aufklärer Thomas Paine, der sagte, die Lust einer Generation, Sklaven zu sein, mindere nicht das Recht einer kommenden Generation auf Freiheit. Dieses Buch macht
Lust, am Ende hinzuschreiben: Im Übrigen bin ich der Meinung, die Big Five müssen zerschlagen werden. Aber das ist nicht die Lösung, sagt Zuboff. Wir müssen das Prinzip verstehen, um ihm zu widerstehen.

Armin Thurnher in FALTER 41/2018 vom 12.10.2018 (S. 35)

Posted by Wilfried Allé Tuesday, October 30, 2018 10:04:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Für einen linken Populismus 

von Mouffe, Chantal

Kann es das geben, einen guten, linken Populismus? Chantal Mouffe vertritt die Auf­fas­sung, dass dies mög­lich und sogar not­wen­dig ist – eine Po­si­tion, die ihr auch Kri­tik ein­ge­tra­gen hat. Führt das nicht zu einer ge­fähr­lichen Emo­ti­ona­li­sierung? Läuft das nicht eben­falls auf eine Unter­schei­dung zwi­schen gutem Volk und bösem Es­ta­b­lish­ment hi­n­­aus? Po­li­tik, so Mouffe, funk­tio­niere nun ein­mal über kon­fron­ta­tive Wir/sie-Kon­struk­tionen; und ja, es gebe eine Art »Oli­gar­chie«, die eine Ver­wirk­lichung demo­kra­ti­scher und öko­lo­gischer Ziele ver­hin­dere. Dies mache klare po­li­ti­sche Alter­na­tiven und neue pro­gres­sive Alli­an­zen er­for­der­lich. Eine so prä­zi­se wie pro­vo­kan­te In­ter­ven­tion, die an­ge­sichts der Krise so­zial­li­beraler Par­teien und der De­bat­te um »Iden­ti­täts­po­li­tik« für Ge­sprächs­stoff sor­gen wird.

Übersetzung: Richard Barth
Verlag: Suhrkamp
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Taschenbuch: 111 Seiten
Erscheinungsdatum: 10.09.2018
Preis: € 14,40
Erhältlich auch als eBook

Rezension aus FALTER 43/2018

Gegen die Lauheit der Mitte: Her mit dem Feindbild!

Sozialdemokraten aufgepasst: Die Theoretikerin Chantal Mouffe legt ein leserfreundliches Plädoyer für einen linken Populismus vor

Es geschehen Wunder. Chantal Mouffe hat ein lesbares Buch geschrieben. Die 75-jährige Belgierin wurde durch die gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Ernesto Laclau verfassten Bücher bekannt, in denen sie jargonreich Marxismus mit Ideen von Antonio Gramsci und Jacques Lacan verknüpfte. Linkspopulisten in Lateinamerika oder Spanien beriefen sich auf Mouffe und Laclau, ohne dass deren Dekonstruktionen und Diskursanalysen eine breitere Leserschaft erreicht hätten.

Nun legt Mouffe eine Schrift vor, deren Argumente erstaunlich stringent sind. „Für einen linken Populismus“ ist das gelassene Ergebnis einer 50-jährigen Forschungsarbeit und liefert Zunder für das politische Thema der Gegenwart: Wie lässt sich ein linkes Programm nach dem Ende der Arbeiterklasse formulieren?

Wir gegen die Oligarchen

Mit dem Begriff des Populismus greift Mouffe ein heißes Eisen an, denn der Begriff steht für Radikalisierung und Antipluralismus. Das Schlagwort ließe sich für eine Erneuerung der Demokratie stark machen, argumentiert Mouffe. Die sozialdemokratisch sedierte Mitte der Gesellschaft soll durch Streit („Agonismus“) aus dem Dämmerschlaf gerissen werden, mehr noch: Im Sinne des rechten Vordenkers Carl Schmitt muss ein Feind her. Er heißt neoliberale Oligarchie.

Mouffe spricht von der Krise der Finanzmärkte, die ein populistisches Moment eröffne. Ein aus dem Ruder gelaufener Ökonomismus biete sich als jenes Feindbild an, das ein Gemeinschaft stiftendes „Wir“ ermögliche. Mouffes Analyse fasst scharfsinnig die Alternative zusammen. Entweder „das Volk“ (ein ebenfalls heikler Begriff) bekommt ein Angebot, das die Hegemonie der Oligarchen beendet, oder es läuft zu jenen über, die – wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro – die Demokratie von rechts bekämpfen.

Von Thatcher lernen

Dabei betont Mouffe den Wert der Emotionen und der Moral, die vom Marxismus stets als Verblendung der wahren Klassenverhältnisse abgetan wurden. Mouffe empfiehlt den linken Strategen, die Werkzeugkiste der Rechtspopulisten zu plündern und Begriffe wie Heimat und Nation zu entwenden. Das Kapitel „Vom Thatcherismus lernen“, ebenfalls ein Konzentrat älterer Publikationen, verneigt sich vor der Staatskunst der Eisernen Lady, die es schaffte, einen Keil zwischen Gewerkschaften und den kleinen Mann zu treiben und damit den Siegeszug des Neoliberalismus zu ermöglichen.

Anders etwa als Sahra Wagenknecht in Deutschland spielt Mouffe den Sozialismus nicht gegen linke Identitätspolitik aus. Um die Gesellschaft wieder gleicher und gerechter zu machen, sei eine „Äquivalenzkette“ notwendig, die Forderungen der Arbeiter und Einwanderer mit den Anliegen der vom Abstieg bedrohten Mittelschicht und der LGBT-Community verknüpft. „Das Ziel einer solchen Kette ist die Errichtung einer neuen Hegemonie, die die Radikalisierung der Demokratie ermöglichen wird“, schreibt Mouffe.

Wie sich dieses politische Subjekt konstituieren soll, bleibt unklar. Etwas vage spricht Mouffe von neuen Organisationsformen, wie sie etwa von der Podemos-Bewegung in Spanien entwickelt wurden. Der Umweltschutz ist ein Thema, das eine „populistische Anrufung“ ermöglichen könnte. Mouffe führt diesen Ansatz nicht weiter aus, aber die Botschaft ist klar: Wenn der Planet den Bach runtergeht, finden Antikapitalisten, queere Aktivistinnen und besorgte Kleinbürger zueinander. Mit Spannung wartet man auf Mouffes großen Wurf zur Ökokratie.

Matthias Dusini in FALTER 43/2018 vom 26.10.2018 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, October 24, 2018 12:01:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Der Weg in die Unfreiheit 

Russland - Europa - Amerika

von: Timothy Snyder
Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University. Er hat u. a. den Hannah-Arendt-Preis und den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhalten. Seine Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt.

Übersetzung: Ulla Höber
Übersetzung: Werner Roller
Verlag: C.H.Beck
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Biographien, Autobiographien
Umfang: 381 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.08.2019
Preis: € 16,50

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Der Autor des Weltbestsellers "Über Tyrannei" schreibt die Chronik einer über uns hereinbrechenden politischen Katastrophe - der Aufstieg autoritärer Regime in Russland, Europa und den USA. Timothy Snyder zeigt in seinem furchtlosen Buch, wie Putins Russland freie Wahlen manipuliert, Fake News verbreitet, Cyberangriffe startet, Schwule verfolgt und rechtsradikale Parteien finanziert - und warum es das tut. Er schildert die beängstigenden Kontakte zwischen russischen Oligarchen und Donald Trump, und er warnt uns vor den Konsequenzen: Wenn wir nicht endlich aufwachen, dann wird die freie Welt vielleicht schon bald Vergangenheit sein.

Gleichheit oder Oligarchie, Individualismus oder Unfreiheit, Wahrheit oder Fake News – die Welt, wie wir sie kannten, steht am Scheideweg. Viel hat der Westen selbst dazu beigetragen. Aber er hat auch mächtige Feinde, die seine Institutionen mit allen Mitteln – von der Finanzierung des Rechtspopulismus in Europa bis zum Cyberwar – untergraben wollen. Wer diese Gegner sind, wie sie vorgehen und wie bedrohlich die Lage ist, das beschreibt das aufsehenerregende neue Buch von Tim Snyder. Mit dem Ende des Kalten Krieges hatten die liberalen Demokratien des Westens gesiegt. Von nun an würde die Menschheit eine friedvolle, globalisierte Zukunft erwarten. Doch das war ein Irrtum. Seit Putin seine Macht in Russland etabliert hat, rollt eine Welle des Autoritarismus von Osten nach Westen, die Europa erfasst hat und mit Donald Trump auch im Weißen Haus angekommen ist. Tim Snyder, Autor des Weltbestsellers «Über Tyrannei», beschreibt in seinem Buch den Aufstieg dieser neuen «rechten Internationalen», schildert ihre bedrohlichen Ziele und zeigt, wie sehr die Grundlagen unserer Demokratie in Gefahr sind.

ZUM BUCH

«Jeder, der die politische Krise verstehen will, die gegenwärtig die Welt erfasst hat, sollte diese brillante und beunruhigende Analyse lesen.»
Yuval Noah Harari

Posted by Wilfried Allé Monday, September 24, 2018 12:29:00 AM Categories: Autobiographien Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Biographien
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Jacobin 

Die Anthologie

von Loren Balhorn, Bhaskar Sunkara, Stefan Gebauer

Aus dem Buch

»Eine Gewissheit haben wir: Der Kapitalismus wird enden. Vielleicht nicht in naher Zukunft, aber über kurz oder lang. Die Frage lautet also, was als Nächstes kommen wird.«

Pressestimmen

»Eine erste Bilanz von fast zehn Jahren Jacobin zieht die nun erschienene, gleichnamige Anthologie, die als schöner Sonderdruck in der edition suhrkamp vorliegt. Sie lädt zum Vertiefen ein in Themen wie Identitätspolitik, Marx, aber als Zombie gedacht, Donald Trumps Weg zur Macht und Bernie Sanders' Sicht auf den demokratischen Sozialismus.«
Fabian Thomas, The Daily Frown

Übersetzung: Stefan Gebauer
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 311 Seiten
Erscheinungsdatum: 10.09.2018
Preis: € 18,50
E-Book: € 18,00

 

»Ein Licht in dunklen Zeiten.« Noam Chomsky
Enthält ein Interview mit Bernie Sanders!
Seit 2010 mischt Jacobin als Sprachrohr der neuen amerikanischen Linken die intellektuelle Szene in den USA auf. In dem Magazin treten junge Autorinnen und Autoren offen für den Sozialismus ein, und das im Land des Hyperkapitalismus. Mit polemischen Artikeln entwickelte sich Jacobin schnell zu einem einflussreichen Ideengeber für Occupy Wall Street und die Bewegung um Bernie Sanders. Inzwischen erscheint die Zeitschrift in einer Auflage von 30.000 Exemplaren, online erreicht sie jeden Monat rund eine Million Leser.
Dieser Band versammelt erstmals eine Auswahl von Beiträgen auf Deutsch. In den Texten zur Identitätspolitik und zu Black Lives Matter, zum Stand des Kapitalismus und der Kapitalismuskritik sowie zum »Zombie-Marxismus« und dem Aufstieg Donald Trumps zeichnen sich die Konturen eines politischen Programms ab, das fraglos auch hierzulande die Diskussionen um eine strategische Neuausrichtung der Linken befruchten wird.
Loren Balhorn, geboren 1987, ist Chefredakteur des Online-Magazins Ada und Redakteur bei Jacobin. Zudem arbeitet er als Lektor und Übersetzer. Er lebt in Berlin. Bhaskar Sunkara, geboren 1989, ist der Gründer und Herausgeber von Jacobin und Catalyst: A Journal of Theory and Strategy. Daneben schreibt er regelmäßig für amerikanische Zeitungen und Magazine wie The New York Times, Washington Post und The Nation. Er lebt in New York.

Posted by Wilfried Allé Saturday, September 22, 2018 10:29:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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