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Das Glücksdiktat 

Und wie es unser Leben beherrscht

von Edgar Cabanas, Eva Illouz

Übersetzung: Michael Adrian
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 242 Seiten
Erscheinungsdatum: 27.10.2019
Preis: € 15,50

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Glück lässt sich lernen. Das will uns die boomende Glücksindustrie weismachen. Und so explodiert seit den neunziger Jahren die Zahl der Glücksseminare, Glücksratgeber und Happiness-Indizes. Heute liegt es an uns selbst, negative Gefühle zu blockieren, uns selbst zu optimieren und Achtsamkeit zu praktizieren. Dann – so das Heilsversprechen – kommt auch das Glück. Doch was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn der Staat sich zunehmend nicht mehr für soziale Gerechtigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem zuständig fühlt und den Bürgerinnen und Bürgern einer ultra-individualistischen Gesellschaft die gesamte Verantwortung für das eigene Schicksal übertragen wird?Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt – und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind. Edgar Cabanas ist Professor für Psychologie an der Camilo-José-Cela-Universität in Madrid und assoziierter Wissenschaftler am Zentrum für Geschichte der Gefühle des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Eva Illouz, geboren 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique, CSE-EHESS in Paris.

 

Rezension von Stephanie Metzger

Jeder ist seines Glückes Schmied: Dieses Sprichwort hat derzeit Hochkonjunktur. Glück ist eine Art Lifestyle geworden, wer keins hat, ist selbst Schuld. In "Das Glücksdiktat" zeigen Eva Illouz und Edgar Cabanas, wie verhängnisvoll dieses Ideen sind.

Es gibt sie, die Formel für das Glück: Glück = V + L + W. Aufgestellt hat sie Martin Seligman, Chefalchimist der sogenannten "Positiven Psychologie". Die Ingredienzien: vererbtes Glückspotential, Lebensumstände und der Willen zum Glück. Gemischt im prozentualen Verhältnis von 50 zu 10 zu 40 wird Glück in dieser Formel zu einer ziemlich individuellen Sache, die wir herstellen können – und die nur wenig von sozialen Umständen abhängt.

Die Message: Glück ist steuerbar

Eine echte Glücks-Verheißung, diese Glücksformel, könnte man meinen. Und in Zeiten analoger, viel lieber aber noch digitaler Selbstdarstellung und Selbstoptimierung der Baustein für ein gelungenes Leben. Denn, so die Diagnose von Eva Illouz und Edgar Cabanas in ihrem Buch "Das Glücksdiktat": Wir alle wollen oder besser sollen heute vor allem eines: glücklich sein! Oder mit anderen Worten: narzisstische Konsumenten. "Glück ist zu einer Art Lifestyle geworden," erklärt Edgar Cabanas, "individualistisch, konsumorientiert und uns immer auf unser Innenleben zurückwerfend. Permanent sollen wir auf unsere Gefühle, Gedanken, Empfindungen usw. hören. Das ist auch eine sehr konservative Idee, die sagt, man kann sein Leben einfach dadurch ändern, dass man sich selbst ändert und nicht die Verhältnisse".

"Glücksdiktat" nennen der spanische Psychologe Cabanas und die israelische Soziologin Illouz den Motor hinter einem Lifestyle, der die Kategorie "Glück" zu seinem obersten Prinzip erklärt. Sie zeichnen nach, wie sich die Positive Psychologie seit den 1990er-Jahren mit ihren Lehren von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und der Transformation negativer Gefühle im akademischen Feld etablieren konnte. Und wie sie zugleich im Verbund mit Glücksforschung und Glücksökonomie Glück zu einer steuerbaren, berechenbaren und vor allem verkäuflichen Variablen formte. Ein Prozess, methodisch gestützt von Stimmungsanalysen und digitaler Selbstvermessung, bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung und Big Data. Erst so konnte Glück überhaupt zum messbaren Gegenstand einer ganzen Industrie werden.

Das Geschäft mit dem Glück

Glück bestimmt den Markt und wird ein Mitspieler der Macht, so Edgar Cabanas: "Glück ist tief verstrickt in die Strukturen der Macht. Es wird zum Argument in Entscheidungsprozessen, etwa im Unternehmensmanagement. Dann soll Glück dafür stehen, was gut für uns ist, was gesund ist, was uns zum Erfolg bringt. Mit Glück wird aber auch Ungerechtigkeit gerechtfertigt. Und es wird zum Schlüsselbegriff bei der Lösung komplexer politischer Probleme, die aber eben nicht nur dadurch gelöst werden können, dass man sich auf das Wohlergehen oder die Gefühlslage der Bevölkerung beruft."

Wenn Glück höchst individualistisch aufgefasst, als solches aber zugleich zum Index des gesellschaftlichen Gemeinwohls erklärt wird, ist Sozialabbau leicht zu rechtfertigen. Wenn Entlassungen zur Chance in der persönlichen Entwicklung und diese wiederum zur Voraussetzung von Glück mutiert, können sich Arbeitgeber aus sozialer Verantwortung zurückziehen. Noch dazu, wenn der neue "Psychobürger", den die Autoren mit dem Glücksdiktat aufsteigen sehen, gerade deshalb glücklich ist, weil er seine Gefühle im Griff hat, sich im "personal branding" seinem authentischen Selbst anzunähern glaubt oder nach persönlicher Optimierung strebt. Alles Eigenschaften, die sich sehr geschmeidig ins neoliberale Narrativ von Flexibilität, Mobilität und Wettbewerb einpassen. Wer glücklich ist, ist selbst dafür verantwortlich. Aber, wer leidet eben auch. Eine gefährliche Idee: "Wenn man Glück als eine Wahl versteht," so Canabas, "dann wird auch das Leiden zu einer Wahl. Dann leidet man entweder, weil man leiden möchte, oder, weil man es verdient hat, weil man eben nicht alles dafür tut, das Leid zu überwinden."

Die Jagd nach Glück entpolitisiert und entsolidarisiert

Mit viel Engagement für eine solidarische Gesellschaft machen Eva Illouz und Edgar Cabanas die Jagd nach dem Glück als Prozess der Entpolitisierung transparent. Soziale Verantwortung, Empathie oder gesellschaftskritisches Denken gehen in diesem Prozess verloren, der selbst nur immer mehr Unglück erzeugt. Weil es eben immer noch besser, harmonischer und authentischer geht. Es sind keine unbekannten Diskurs-, Macht- und Marktmechanismen, die die Autoren aufschlüsseln. Aber wie präzise und mit welcher politischen Schärfe sie aufzeigen, was eine reduktionistische Auffassung von Glück an sprachlicher Manipulation in Unternehmenskulturen, an Entsolidarisierung oder Vermarktung ermöglicht, ist so erhellend wie alarmierend.

Denn eigentlich wissen wir ja nicht erst, seitdem wütende junge Menschen eine entschiedene Klimapolitik einfordern, dass "unglückliche" Gefühle wie Frust, Angst oder Wut sozialen Wandel, oder sollte man sagen "Glück" befördern können. Glück, so anstrengend das sein mag, ist eben doch keine Formel, sondern das Ergebnis politischer Aushandlung: "Wir sehen ja, dass die Menschen Veränderung wollen und gegen diese Ideen zu kämpfen beginnen. Sie wehren sich gegen all die Konzepte und falschen Versprechungen. Nur so kann das Glücksdiktat torpediert werden. Und um das zu befördern, muss man diese falschen Versprechungen erst einmal durchdringen, die Lügen und die Konzepte von Glück dahinter. Wir Wissenschaftler können keine Definition von Glück liefern, denn Glück ist eine politische Idee, sie muss demokratisch ausgehandelt werden. Die Bürger, nicht Soziologen müssen entscheiden, was Glück ist."

Posted by Wilfried Allé Wednesday, June 3, 2020 9:11:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Das große Welttheater 

Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs

von Philipp Blom

Verlag: Zsolnay, Paul
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 128 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.05.2020
Preis: € 18,50

 

Kurzbeschreibung des Verlags:


„Das große Welttheater ist ein Ort, an dem die Welt sich neu erfinden kann.“ Philipp Bloms Analyse der gegenwärtigen Umbrüche

Wir leben in der besten aller Welten: Nie zuvor gab es so lange Frieden bei uns, nie waren wir so reich, so sicher. Diese Geschichten erzählen wir uns selbst. Was aber, wenn sie nicht der Wirklichkeit entsprechen? Wenn die Demokratien bröckeln, der Hass zwischen den sozialen Gruppen wächst, das Wirtschaftswachstum stagniert, die Gefahr einer Klimakatastrophe steigt? In seinem großen Essay zeigt Philipp Blom, wie es möglich ist, dass der Westen nicht trotz, sondern wegen Frieden und Wohlstand in einer Krise steckt. Nichts in unserer Vergangenheit hat uns darauf vorbereitet. Die Zeichen stehen auf Sturm, und der Kampf um die Zukunft wird auch ein Kampf der Geschichten sein, vor aller Augen, auf der Bühne des Welttheaters.

Posted by Wilfried Allé Saturday, May 30, 2020 11:55:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Warten 

Eine verlernte Kunst

von Timo Reuter

Verlag: Westend
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 240 Seiten
Erscheinungsdatum: 04.11.2019
Preis: € 18,50

 

Rezension aus FALTER 20/2020


Warten müssen wir alle lernen: sei es auf den Zug, den mächtigen Ansprechpartner oder auf bessere Zeiten. Timo Reuter, der zuletzt ein Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen vorgelegt hat, beschäftigte sich bereits vor dem Ausbruch der Corona-Krise, die viele als kollektiven Wartesaal erleben, mit der Unruhe, die durch äußere Ruhigstellung entsteht. Dabei verarbeitet er psychologische Studien und ergänzt sie durch viele präzise Alltagsbeobachtungen, historische Beispiele sowie griffige Zitate.

„Geduld ist die Tür zur Freude“ lautet ein altes Sprichwort. Und so gibt es abschließend noch zehn „Lektionen gegen die Zeitnot“: Bei Empfehlungen von Achtsamkeit bis Langsamkeit neigt sich das Ende des Buchs steil Richtung Ratgeber. Doch man kann es dem ambitionierten Autor nicht übelnehmen. Reuters Auseinandersetzung mit allen Schattierungen des Wartens verleiht der zähen Zeit Farbe.

Andreas Kremla in FALTER 20/2020 vom 15.05.2020 (S. 34)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, May 13, 2020 12:08:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Fremd in ihrem Land 

Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten

von Arlie Russell Hochschild

Übersetzung: Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 429 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.09.2017
Preis: € 30,80

Kurzbeschreibung des Verlags:

In vielen westlichen Ländern sind rechte, nationalistische Bewegungen auf dem Vormarsch. Wie ist es dazu gekommen? Arlie Russell Hochschild reiste ins Herz der amerikanischen Rechten, nach Louisiana, und suchte fünf Jahre lang das Gespräch mit ihren Landsleuten. Sie traf auf frustrierte Menschen, deren "Amerikanischer Traum" geplatzt ist; Menschen, die sich abgehängt fühlen, den Staat hassen und sich der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung angeschlossen haben. Hochschild zeigt eine beunruhigende Entwicklung auf, die auch in Europa längst begonnen hat. Hochschilds Reportage ist nicht nur eine erhellende Deutung einer gespaltenen Gesellschaft, sondern auch ein bewegendes Stück Literatur.

"Jeder, der das moderne Amerika verstehen möchte, sollte dieses faszinierende Buch lesen." Robert Reich
"Ein kluges, respektvolles und fesselndes Buch." New York Times Book Review
"Eine anrührende, warmherzige und souverän geschriebene, ungemein gut lesbare teilnehmende Beobachtung. … Wer ihr Buch liest, versteht die Wähler Trumps, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht über sie spricht." FAZ

Stimmen zum Buch

Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung - Prantls Blick, 13.05.2018
Es ist ein faszinierendes, ein erschreckendes, ein aufklärendes Buch. Die Autorin verurteilt nicht, sie will verstehen und begreifen – um reagieren zu können.

Susanne Kippenberger, Der Tagesspiegel, 01.10.2017
Als Trump gewählt wurde, packten sich viele an den Kopf: Wer sind die Leute, die diesen Verrückten an die Macht brachten? Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hat bei ihnen im brutal armen Louisisiana gelebt, zugehört, beobachtet. Klug.

Gabi Biesinger, NDR Info, 20.09.2017
Es sind diese paradoxen Geschichten, die Widersprüche, die Hochschild aufspürt. Sie begegnet ihren Gesprächspartnern auf Augenhöhe, redet mit ihnen, nicht über sie. Sie will verstehen, nicht bewerten. Sie will begreifen und nicht belehren.

Daniel Windheuser, der Freitag, 07.09.2017
Mit ihrem Buch gelingt Arlie Hochschild ein verständnisvolles und zugleich kritisches Psychogramm einer Welt im permanenten Widerspruch, und wer es liest, wird die Wähler Trumps ein wenig besser verstehen, unter anderem auch, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht nur über sie spricht.


Arlie Russell Hochschild ist eine der bedeutendsten Soziologinnen der Gegenwart und emeritierte Professorin an der University of California, Berkeley. »Strangers in Their Own Land« stand auf der Shortlist für den National Book Award 2016..

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 16, 2020 12:07:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Der globale Green New Deal 

Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann

von Jeremy Rifkin

Übersetzung: Bernhard Schmid
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 319 Seiten
Erscheinungsdatum: 09.10.2019
Preis: € 27,70

Kurzbeschreibung des Verlags:

Das neue Buch des Bestsellerautors Jeremy Rifkin

Rund um den Globus kippt angesichts der drohenden Klimakatastrophe die Stimmung, und der Protest der Millennials gegen eine Politik, die ihre Zukunft zerstört, wird immer lauter. Gleichzeitig sitzt die Welt angesichts alternativer Technologien auf einer 100-Billionen-Dollar-Blase aus Investitionen in fossile Brennstoffe. Zukunftsforscher Jeremy Rifkin zeigt, wie aus dieser Konstellation die einmalige Chance auf einen Green New Deal entsteht. Seine Warnung:

- Der ökonomische Kollaps unserer Zivilisation steht unmittelbar bevor.
- Um 2028 wird die Blase platzen und die Weltökonomie in eine globale Betriebsstörung führen.

Was bedeutet das für uns, wo die Energiewendeschon schon lange auf der Tagesordnung steht? Gelingt ein gemeinsamer radikaler Aufbruch in letzter Minute? Rifkin gibt Antworten. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington. Seine Bücher sind internationale, in 35 Sprachen übersetzte Bestseller und lösten weltweite Debatten zu den großen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen aus, siehe zum Beispiel ›Das Ende der Arbeit‹ und ›Access‹ und zuletzt ›Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft‹. Rifkin berät zahlreiche Organsisationen und Regierungen - unter anderem Deutschland, die EU, China - und unterrichtet an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania.

Posted by Wilfried Allé Saturday, October 12, 2019 1:34:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Krise 

Wie Nationen sich erneuern können

von Jared Diamond

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Übersetzung: Sebastian Vogel
Übersetzung: Susanne Warmuth
Verlag: S. FISCHER
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 464 Seiten
Erscheinungsdatum: 22.05.2019
Preis: € 26,80
 
Kurzbeschreibung des Herstellers:

Nach den Bestsellern »Arm und Reich« und »Kollaps« zeigt der Pulitzer-Preisträger Jared Diamond in seinem neuen und bisher persönlichsten Buch, wie Nationen mit den gegenwärtigen Krisen – Klimawandel, soziale Ungleichheit, gesellschaftliche Polarisierung – erfolgreich umgehen können. Sie müssen Krisen bewältigen wie Menschen persönliche Schicksalsschläge! Anhand der deutschen Nachkriegsgeschichte, Chiles Umgang mit der Diktatur Pinochets, Japans erzwungener ökonomischer Öffnung 1853 und weiterer historischer Beispiele zeichnet Diamond die Muster nach, wie sich Staaten von tiefgreifenden Erschütterungen erholen. Dabei wird deutlich: Bei der Bewältigung von Krisen sind ähnliche Faktoren entscheidend wie beim Umgang mit individuellen Traumatisierungen: sich eingestehen, dass man in einer Krise steckt; eine ehrliche Bestandsanalyse betreiben, statt sich als Opfer zu stilisieren; die Probleme eingrenzen; Hilfe annehmen und bereit sein, aus Krisen anderer zu lernen. Letztlich gilt es, sich zu verändern, ohne alles infrage zu stellen. Ein Buch zur rechten Zeit, das erklärt, wie Nationen an Krisen wachsen und Hoffnung für die Zukunft macht. Jared Diamond Jared Diamond, 1937 in Boston geboren, ist Professor für Geographie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Evolutionsbiologie. In den letzten 25 Jahren hat er rund ein Dutzend Expeditionen in entlegene Gebiete von Neuguinea geleitet. Für seine Arbeit auf den Gebieten der Anthropologie und Genetik ist er mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Pulitzer-Preis. Nach ›Der dritte Schimpanse‹, ›Arm und Reich‹, ›Warum macht Sex Spaß?‹ und seinem Bestseller ›Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen‹, hat er zuletzt 2013 im FISCHER Taschenbuch ›Vermächtnis. Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können‹ (17732) veröffentlicht. Literaturpreise: Britain's Rhône-Poulenc Prize for Science Books 1998, Pulitzer-Preis 1998, Lannan Literary Award 1999, Dickson Prize für Wissenschaft 2006, Wolf-Preis für Agrarwissenschaft 2013
Posted by Wilfried Allé Sunday, July 14, 2019 11:42:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Erziehung prägt Gesinnung 

Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können

von Herbert Renz-Polster

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Verlag: Kösel
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.03.2019
Preis: € 20,60

 

Rezension aus FALTER 22/2019

„Harter Erziehung folgt härtere Politik“

Herbert-Renz Polster analysiert den Zusammenhang von autoritärer Erziehung und Rechtspopulismus

Das weltweite Erstarken von autoritären Parteien und Führern wird zumeist auf äußere Faktoren zurückgeführt: soziale und wirtschaftliche Benachteiligung sowie die Globalisierung. Der deutsche Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der mit seiner Familie sieben Jahre in den USA gelebt hat, gibt sich damit nicht zufrieden. Denn den Verlockungen von rechts, lautet seine These, erliegen von den USA über Europa bis in die Türkei auch Gutsituierte, während viele „Abgehängte“ populistischen Angeboten widerstehen.

Der Falter sprach mit Herbert Renz-Polster am Telefon über die Wurzeln des Autoritarismus in der Kindheit, über die Frage, wie man dessen Erstarken entgegenwirken kann und über den Unterschied zwischen der rechtspopulistischen deutschen AfD und der heimischen FPÖ.

Falter: Was hat Erziehung mit Politik zu tun?

Herbert Renz-Polster: Erziehung ist eminent politisch, denn sie hat immer auch damit zu tun, wie wir Kinder auf die Gesellschaft vorbereiten.

Warum sind immer mehr Menschen gerade jetzt anfällig für autoritäre Haltungen und Parteien?

Renz-Polster: Wir hatten ja zunächst eine sehr ruhige Fahrt durch die Nachkriegszeit mit einer Liberalisierung und Öffnung der Gesellschaft. Dann, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, haben wir für die globalisierte Konsumökonomie ein Betriebssystem gewählt, das Investoren beglückt, die Gemeinschaft aber vernachlässigt. Die letzten 15 Jahre waren geprägt vom Fallout einer ungehemmten Globalisierung. Die Ungleichheit nimmt zu, und die wenigen, die weltweit entscheiden, tragen keine soziale Verantwortung. Wenn die Nationalstaaten vor globalen Investoren zittern, entsteht bei vielen Bürgern eine tiefgreifende Verunsicherung: Moment einmal, wer sorgt hier eigentlich für meine Zukunft?

Entsteht die neue Unsicherheit also aus der sozioökonomischen Situation?

Renz-Polster: Nicht allein, das zeigt sich an der schizophrenen Programmatik der neuen rechten Protestbewegung. Wir steuern ökonomisch auf einen neuen Feudalismus zu, und die ökologische Situation spitzt sich zu. Aber um was geht es in den rechten Parteiprogrammen? Nicht um soziale Fragen oder die Umwelt. Es geht um Identität: um Kopftücher, Religion, Genderfragen, Homosexualität, Juden – um Dinge, von denen wir dachten, die seien abgehandelt. Bei so viel Irrationalität sollten wir tiefer bohren. Und wo wir suchen müssen, zeigt sich für mich an den Grundmotiven, die nun von den Rechten verhandelt werden.

Welche Themen sind das?

Renz-Polster: Im Rechtspopulismus geht es im Wesentlichen um drei Fragen: Anerkennung, Sicherheit und Heimat. Bei der Ankennung geht es darum, eine Stimme zu haben, bei der Sicherheit um die böse Welt da draußen, vor der wir uns schützen müssen: vor Flüchtlingen etwa, und jetzt sogar vor Wölfen. Beim Thema Heimat geht es um die Frage: Wo gehöre ich dazu? Damit sind wir mittendrin in Kindheitsfragen: Anerkennung, Sicherheit und Zugehörigkeit sind ja das dreigestaltige Grundmotiv der Kindheit! Wahlslogans wie „Make America great again!“ oder „Take back control“ in Großbritannien zeugen von der Sehnsucht, Kontrolle zurückzuerlangen. Dahinter steckt das Gefühl, klein und ausgeliefert zu sein. Die typisch autoritäre Sehnsucht nach Struktur, Ordnung und Reinheit, nach Hierarchie und einem Führer hat hier ihren Grund.

Was bedeutet Autoritarismus?

Renz-Polster: Unter Autoritarismus versteht man die Neigung, sich Normen und Konventionen zu unterwerfen, und gleichzeitig diejenigen abzuwerten, die nicht zu dieser Ordnung gehören. Charakteristisch für autoritäre Persönlichkeiten sind erhöhte Ängstlichkeit, Stressbereitschaft und negative Bewertungen. Daraus resultiert eine Anfälligkeit für die Versprechen autoritärer Führer von Kontrolle, Macht und Stärke und Feindbildern.

Was hat das konkret mit Kindheit zu tun?

Renz-Polster: Wenn die innere Sicherheit aus der Kindheit fehlt, werden äußere Angebote umso wichtiger: Hautfarbe, Ethnie, Nation, das Versprechen von zukünftiger oder vergangener Größe. Wenn man einen groben Raster über die Erde wirft und die autoritären Regimes aufleuchten lässt, dann deckt sich das stark mit den Regionen, in denen Kinder gewaltsam unterdrückt werden. In der westlichen Welt stellt die USA einen Vorreiter dar, weil hier autoritäre Haltungen deutlich stärker ausgeprägt sind als in Europa. Die 22 Bundesstaaten, in denen sich die meisten Menschen für die Züchtigung von Kindern aussprechen, sind alle an US-Präsident Trump gegangen. Das bedeutet, dass dort, wo harte Erziehungshaltungen vorherrschen, auch die Anfälligkeit für autoritäre politische Entscheidungen hoch ist.

Sie sagen, dass wir in der Politik „Familie spielen“. Was bedeutet das?

Renz-Polster: Das erste Gesellschafts- und Herrschaftsmodell, das Kinder kennenlernen, ist die Familie. Dort sind Kinder abhängig und lernen zum ersten Mal den Umgang mit Macht und Beziehungen kennen: Wie es ist, regiert zu werden – und was eine „normale Regierung“ bedeutet. Wer eine Ordnung kennenlernt, in der er nicht zu Wort kommt oder bei seinem Aufwachsen beständig Scham und Kränkung erlebt, wird sich als schwach, als machtlos empfinden – und auf eine lebenslange Reise geschickt, dieses Vakuum zu füllen.

Beruht eine strenge Erziehung auf Gehorsam und körperlicher Züchtigung?

Renz-Polster: Es ist ein bisschen komplizierter. Das lässt sich am Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern in Deutschland gut zeigen. Nach dem Mauerfall stellten Forscher fest, dass Jugendliche aus der DDR deutlich stärker autoritäre Meinungen hatten. In der DDR war aber körperliche Züchtigung vom Staat ausdrücklich nicht erwünscht, da man die Kinder ja auf den Sozialismus vorbereiten wollte. Aber Kinder waren in der DDR sehr früh in nach heutigen Standards unzureichenden Einrichtungen untergebracht, wo die eigene Stimme nicht zählte und sie lernten, sich unterzuordnen. Auch eine programmierte Kindheit ist autoritär. Der Zulauf zur rechtspopulistischen AfD in den neuen Bundesländern hat auch mit diesem Erbe zu tun.

Warum hat der Autoritarismus auf dem Land und bei Männern einen Überhang?

Renz-Polster: Das hat damit zu tun, dass das Land im kulturellen Wandlungsprozess immer ein bisschen hinterherhinkt, weil die Liberaleren und Jüngeren abwandern und die weniger Weltoffenen, Ängstlicheren zurückbleiben. Das sind zumeist Männer, denn die jungen Frauen gehen weg. Dazu kommt, dass auf dem Land das Movens des kulturellen Wandels fehlt: die Begegnung mit dem Anderen, und zwar in einem förderlichen, kooperativen Kontext. Dasselbe Problem wie bei der Landflucht haben wir bei der Binnenmigration in der EU, der Abwanderung von Ost nach West.

Insgesamt gehen wir heute besser mit Kindern um. Trotzdem gibt es einen Rechtsruck?

Renz-Polster: Wir haben heute zwar neue rechtspopulistische Parteien, und doch leben wir gerade in Mitteleuropa in den liberalsten, offensten Gesellschaften, die es auf diesem Boden jemals gab. Der AfD und der FPÖ zum Trotz haben autoritäre Haltungen abgenommen! Würden wir etwa die „Gastarbeiter“ heute so behandeln wie in der Zeit des Wirtschaftswunders? Nie und nimmer! Aber damals wurde der Autoritarismus politisch kaum aktiviert, weil es sozioökonomischen Rückenwind gab: gute Jobs, Aufstiegschancen, eine stabile Mittelschicht mit gemeinsamen Interessen. Heute aber wankt diese Anerkennungs- und Sicherheitsarchitektur: Im Zuge der Globalisierung hat der Staat an Sicherungskraft verloren, aus Facharbeitern sind Leiharbeiter geworden, die Männer fühlen sich durch Jobverlust und den Feminismus bedroht. Das führt dazu, dass Ängste stärker ansprechbar sind. Der Kettenhund, der keinen Anlass hatte zu bellen, ist erwacht.

Der Autoritarismus beginnt also sowohl innen als auch außen?

Renz-Polster: Genau, innen und außen sind hier untrennbar verbunden. Die Verletzlichkeit gegenüber externen Verlockungen wie den Sicherheitsangeboten rechter Parteien wird in der Kindheit angelegt. Ob sie zum Tragen kommt, hängt von äußeren Umständen ab. Ich verstehe die Kindheitsthese deshalb nicht als „neue Erklärung“ für den Autoritarismus, sondern als Ergänzung: Äußere Umstände sind Auslöser, die Ursache aber liegt in der Kindheit.

Wenn alles aus der Kindheit kommt, kann man dann nichts für seine Gesinnung?

Renz-Polster: Die Wege von der Kindheit zu unseren Gesinnungen sind vielfältig und haben viele Abzweigungen. Manche Menschen erleben später Beziehungen, die die ursprünglichen überschreiben, oder machen positive Erfahrungen in neuen Rollen. Manche Menschen, die eine harte Kindheit hatten, ziehen sich zurück und wollen nichts mit Politik zu tun haben. Andere suchen sich Menschen aus, die sie ausgrenzen können, wie etwa die Migranten. Erziehung begründet keinen Determinismus.

Welches Kindheitsgepäck bringen Migranten seit dem Herbst 2015 mit?

Renz-Polster: Da begegnet uns ein Paradox. Diese Migranten sind, als Gruppe betrachtet, selbst stark geprägt durch autoritäre Sozialisation, sodass es zu der fast schon kafkaesken Situation kommt, dass diejenigen, die die Flüchtlinge am meisten kritisieren, ihnen am ähnlichsten sind in punkto Homophobie, Antisemitismus oder Antifeminismus. Aber wenn zwei Fraktionen, die von Feindbildern leben, aufeinandertreffen, kommt es schwer zu Verbrüderungen. Dazu kommt: Wer in der Kindheit keine „Willkommenskultur“ erfahren hat, ist natürlich neidisch, wenn andere diese erleben. Auch hier zeigt sich das irrationale Moment, wenn am meisten kritisiert wird, dass die Flüchtlinge zum Beispiel Handys besitzen.

Wie sehen Sie die Situation des Rechtspopulismus in Österreich?

Renz-Polster: Österreich hat ein Problem. In Deutschland haben „nur“ 13 Prozent die AfD gewählt. Schwach abgeschnitten hat sie dabei vor allem bei den jungen Wählern. Auch Donald Trump hatte bei den unter 35-Jährigen nicht mal den Hauch einer Chance. Österreich hingegen macht mir Sorgen, weil die rechtspopulistische FPÖ sehr stark ist, aber auch die konservative ÖVP die Normen nach rechts verschiebt. Dazu kommt: Die Jungen stehen hinter der Programmatik beider Parteien! Die FPÖ war bei den Nationalratswahlen 2017 gar die beliebteste Partei unter den Jungen. Ich habe viele Studien angeschaut und darüber nachgedacht, warum das in Österreich so ist. Vielleicht ist die ländliche Struktur daran beteiligt, dass Erziehungshaltungen konservativer sind als etwa in Deutschland.

Sehen Sie auch bei den Protagonisten des aktuellen Ibiza-Skandals ein „Kindheitsmuster“?

Renz-Polster: Wenn man die Vergangenheit des zurückgetretenen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache recherchiert, stößt man auf eine von Beziehungsabbrüchen und autoritären Mustern belastete Kindheit: Der Vater verlässt die Familie, als der Bub gerade drei ist, mit sechs kommt er auf ein strenges Internat, mit 15 Schulabbruch, mit 17 findet er neue Väter in den Burschenschaften, deren Ideologie ihn anspricht. Zu Johann Gudenus habe ich vergleichsweise wenig gefunden, aber schon die Tatsache, dass er einen Vater hatte, der KZ-Überlebende offen verhöhnte, lässt tief blicken.

Mit welcher Erziehung vermeidet man die Entstehung autoritärer Persönlichkeiten?

Renz-Polster: Indem man die Kinder die bereits angesprochenen Grundlagen erfahren lässt: Anerkennung, Sicherheit und Zugehörigkeit. Die Botschaft muss lauten: Du bist okay! Du wirst nicht beschämt! Du darfst mitreden! Ich bringe dich nicht in Not! Wenn du Kummer hast, bin ich für dich da! Ich überlasse dich nicht emotionalen Stresssituationen, die du nicht bewältigen kannst!

Und wie bekämpft man Autoritarismus im institutionellen Bereich?

Renz-Polster: Kinder, die diese Sicherheiten in ihrer Familie nicht vorfinden, müssen sie in Einrichtungen wie Krippen, Kindergärten und Schulen erhalten mit der Botschaft: Wir stehen zu dir! Du kannst uns vertrauen! Wir haben verlässliche Beziehungen! Kinder verbringen heute mehr Zeit in Institutionen. Hier darf es deswegen nicht mehr nur um die Vermittlung von formaler Bildung und die Auslese von Gewinnern gehen, sondern muss den Kindern ein emotionales Fundament vermittelt werden: mit sich klarzukommen, mit anderen auszukommen, kreativ zu werden, eine Stimme auszubilden. Nur durch eine solche Erziehung zur Mündigkeit ist man geschützt vor autoritären Verlockungen.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 22/2019 vom 31.05.2019 (S. 44)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, May 29, 2019 9:13:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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"Was genau war früher besser?" 

Ein optimistischer Wutanfall

von Michel Serres

Übersetzung: Stefan Lorenzer
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 80 Seiten
Erscheinungsdatum: 10.03.2019
Preis: € 12,40

Rezension aus FALTER 11/2019

Die gute alte Zeit war meistens eher schrecklich

Die Franzosen scheinen den Österreichern und besonders den Wienern nicht unähnlich zu sein. Glaubt man dem Philosophen und Mitglied der renommierten Académie française Michel Serres, sind sie ein Volk von Nörglern, besonders, wenn sie älter werden. Also potenziert sich das Phänomen mit dem Ansteigen der Lebenserwartung.

Worüber raunzen die Franzosen? Über alles! Denn früher, da war alles besser. Diese Haltung lässt dem selbst bereits 88-Jährigen nun den Kragen platzen. Unter dem Titel „Was genau war früher besser?“ leistet er sich einen genussvollen Wutanfall. Denn das meiste war seiner Meinung nach entschieden schlechter: die Lebensdauer, die Medizin, Arbeit, das Reisen, die sozialen Beziehungen, die Kommunikation – und vor allem: der Krieg.

Serres wuchs in einer Schifferfamilie an der südwestfranzösischen Garonne auf. Seine Familie hatte jahrhundertelang nichts als Krieg gekannt. Dieser kostete nicht nur Millionen Tote, sondern brachte auch eine ungesunde Erregung und Misstrauen in das private Leben. Dagegen lobt Serres die „neutrale Beiläufigkeit“ und „zivile Unaufgeregtheit“ der heutigen Beziehungen.

Als Gegenpart zum von ihm so genannten „Meckergreis“, der der guten alten Zeit und vergangener nationaler „Größe“ nachtrauert, dient ihm eine Vertreterin der Enkelgeneration namens „Däumelinchen“. Sie verteidigt Serres so entschlossen wie wortgewaltig gegen die Anschuldigungen von Verweichlichung und des überzogenen Handykonsums.

Plastisch erzählt er von seiner Kindheit: dem Wäschewaschen zweimal im Jahr, dem schweißtreibenden Steineschaufeln, dem lebensgefährlichen Transport eines neuen Krans durch halb Frankreich, vom Spott, den ihm sein okzitanischer Akzent in Paris eintrug, von der mangelnden sexuellen Aufklärung und den Maden im selbstgemachten Speck. Nur eines hat im Laufe der Zeit gelitten: „unser Schönheitssinn“, etwa in der Zone zwischen Stadt und Land. Eine erfrischende, Hoffnung machende Lektüre, die auch dazu geeignet wäre, „Däumelinchen“ das Jammern abzugewöhnen.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 11/2019 vom 15.03.2019 (S. 34)

Posted by Wilfried Allé Sunday, March 31, 2019 10:24:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Die Krise verstehen 

Ökonomie: Eine kritische Auseinandersetzung zu ihren Lehren, Theorien und Denkern

von Joseph Gepp (Hg.)

EAN: 9783854395287
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Umfang: 216 Seiten
Erscheinungsdatum: 20.01.2015
Preis: € 19,90

Das Buch gibt einen Einblick in die ökonomischen Probleme der Gegenwart – abseits von Sprechblasen des Wirtschaftsjournalismus, jenseits von PR-Phrasen und abseits der Schaumgummisprache der Politik.
Auch wenn immer wieder verkündet wird, die Krise werde zur Zeit überwunden, so stecken wir doch noch immer mittendrin. Denn die Probleme des alles dominierenden Finanzkapitalismus wurden nach dem Crash von 2008 nicht einmal angetippt. Das wirtschaftliche Paradigma ist nach wie vor jenes des Neoliberalismus. Wirtschaftspolitik scheint so etwas wie Voodoo zu sein, ein mystisches Ritual, das Investmentbanker und Spitzenpolitiker hinter verschlossenen Türen zelebrieren.
Das Buch stellt verschiedene ökonomische Denker vor, die unsere Gegenwart noch immer bestimmen: Karl Marx, John Maynard Keynes, Friedrich August Hayek, Tim Jackson, Kurt Rothschild, Josef Steindl u.v.m.
Gegliedert ist der Band in vier Kapiteln, was den Zugang zum Thema erleichtert: Neben den Porträts ökonomischer Meisterhirne in Kapitel 1 prallen in Kapitel 2 („Die Krise“) in einem Streitgespräch drei verschiedene Perspektiven aufeinander. Die Diskutierenden sind Sigrid Stagl (WU Wien), Christian Keuschnigg (IHS Wien) und Stephan Schulmeister (Wifo). Im Kapitel 3 werden jene Leute vorgestellt, die uns in Österreich Wirtschaft erklären, und problematisiert den mit solchen Erklärungen meist verbundenen Kampf um die wirtschaftliche Überlegenheit. Kapitel 4 schließlich enthält neben Rezensionen wichtiger Bücher ein Interview mit Thomas Piketty, dem Autor des Weltbestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“.
Ein Glossar mit wichtigen Begriffen schließt das Buch ab.

Inhaltsverzeichnis plus Leseprobe ->

Pressetext

Welche historischen Denker prägen unsere moderne Sicht auf die Ökonomie und ihre Krisen?
Wer erklärt in der österreichischen Öffentlichkeit komplizierte Wirtschaftsangelegenheiten?
Was sind die Ursachen der seit 2008 andauernden Krise? Und was wären mögliche Auswege?

Journalisten der Wiener Wochenzeitung FALTER und Experten der wirtschaftswissenschaftlichen
Abteilung der Wiener Arbeiterkammer befassten sich in diesem Buch mit der Wirtschaftskrise und erklären alles, was man wissen muss, um die Debatten über die Krise zu verstehen.

Klar ist mittlerweile eines: Die Wirtschaft ist heute keine Fachmaterie mehr, die nur einige Banker, Ökonomen und Anleger interessiert. Je länger die Krise andauert, desto mehr wird sie zur Angelegenheit der breiten Masse, die zunehmend begreift, wie stark die Frage möglichen künftigen Wohlstands von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik abhängt.

Die übliche Berichterstattung über die Krise lässt vielfach den Blick auf größere Zusammenhänge vermissen. Jeder kennt zwar die wiederkehrenden Schlagzeilen über neuerliche Geldspritzen der Europäischen Zentralbank, die wieder einmal wirkungslos bleiben. Oder über aktuelle Demonstrationen gegen das von der Troika oktroyierte Sparpaket in Athen oder Madrid.
Aber was ist eigentlich im Großen und Ganzen seit dem Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 geschehen?

Diesem Bedürfnis nach Orientierung will das vorliegende Buch nachkommen. Es umfasst Porträts einflussreicher historischer Wirtschaftsdenker, deren Weltbilder bis heute fortwirken. Ein Streitgespräch dreier Ökonomen unterschiedlicher Ausrichtung: eines Liberalen, eines Keynesianers und einer Umweltökonomin. Weiters befasst es sich mit der Frage, welche Personen und Institute uns in Österreich Wirtschaft erklären sowie welche Wirtschaftssachbücher der vergangenen Jahre man lesen sollte. Den Abschluss bildet ein Glossar mit wesentlichen Fachbegriffen und Protagonisten.

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 31, 2019 11:02:00 PM Categories: Neoliberalismus Wirtschaft/Gesellschaft Wirtschaft/Politik
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Anbruch einer neuen Zeit 

Wie Virtual Reality unser Leben und unsere Gesellschaft verändert

von Jaron Lanier

»Pflichtlektüre für alle, die wissen wollen, warum unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist, und wohin sie steuert.« The Economist

Übersetzung: Sigrid Schmid
Übersetzung: Heike Schlatterer
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: 15.09.2018
Preis: € 25,70
 
BOOK OF THE YEAR 2017: The Wall Street Journal & The Economist

Jaron Lanier, Tech-Guru und Vater der Virtual Reality, gibt einen faszinierenden Einblick in sein Leben, die Anfänge des Silicon Valleys, den großen Traum von der virtuellen Realität, und warum sie in Kürze unser aller Leben grundlegend verändern wird. In einem fesselnden Mix aus Autobiografie, Fachwissen und philosophischen Überlegungen schildert er seinen außergewöhnlichen Werdegang – von seiner ärmlichen Kindheit als Kind von Holocaust-Überlebenden in der Wüste New Mexicos, über die ersten Schritte in der virtuellen Realität bis hin zu ihren modernen Einsatzmöglichkeiten. Sein neues Buch ist eine visionäre Liebeserklärung an eine Technologie, die ungeahnte Chancen bietet und gleichzeitig ein immenses Missbrauchspotential birgt. Dabei wirft er einen unvergleichlichen Blick darauf, was es im Angesicht unbegrenzter Möglichkeiten heißt, heute Mensch zu sein.
Posted by Wilfried Allé Thursday, December 6, 2018 1:06:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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