von Edek Bartz

Kurzbeschreibung des Verlags
1946 wird Edek Bartz in einem Lager in Kasachstan geboren, er wächst in Polen auf und zieht 1958 mit seiner Mutter nach Wien. Er erwirbt sich auf eigene Faust eine Bildung, die zur Grundlage einer einzigartigen Karriere werden soll: Als Musiker, Plattenverkäufer, DJ, Kulturmanager und Kurator ist Bartz über Jahrzehnte stets zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – etwa als Organisator der ersten Österreich-Konzerte von Jimi Hendrix, Frank Zappa oder Pink Floyd. Bartz begleitet Peter Alexander durch Deutschland und Falco nach Japan. Bartz erzählt in den Gesprächen, die der Journalist Klaus Nüchtern aufgezeichnet hat, auch von seiner Begegnung mit dem späteren Maler-Star Jean-Michel Basquiat oder von der unabsichtlichen Entführung des Edek Bartz durch Frank Sinatra.
FALTER-Rezension
"Wenn's schlecht ausgeht, messen die mir Betonpatscherln an"
Klaus Nüchtern in FALTER 15/2025 vom 11.04.2025 (S. 36)
Seine Geschichten beginnt Edek Bartz gern mit den Worten "Interessant, du, faktisch " Als Konzertveranstalter lernte Bartz die halbe Popwelt kennen, von Leonard Cohen bis zu The Clash. Falter-Literaturkritiker Klaus Nüchtern packte die Erinnerungen in ein dieser Tage erscheinendes Buch. Einen "menschenfreundlichen Zyniker" und "diskrete Gmoaratschn" nennt Nüchtern im Vorwort sein Gegenüber, das im Folgenden die Begegnungen mit Jean-Michel Basquiat und Frank Sinatra erzählt.
Klaus Nüchtern: Sie hatten über André Heller mit Jean-Michel Basquiat zu tun?
Edek Bartz: Ja, ich war damals fast drei Monate in New York, um Hellers Produktion "Body and Soul" zu begleiten, eine Musikrevue, für die neben Keith Haring und Roy Lichtenstein auch Basquiat Bühnendekorationen gestaltet hat. Er hatte keine Galerie, aber einen Manager, der meinte, ich müsse direkt mit Jean-Michel Kontakt aufnehmen. Der hat aber nur Bargeld akzeptiert, und in New York Bargeld von einer Bank zu beziehen, war in den 80er-Jahren ziemlich kompliziert. Dabei ging es um ein paar tausend Dollar. Heute komvmen Basquiats für 30,40 oder 50 Millionen Dollar unter den Hammer!
Also bin ich in sein Studio in der Great Jones Street, ein ehemaliges Geschäft, bei dem die Rollbalken immer unten waren. Nachdem alles Läuten nichts genutzt hat, bin ich draufgekommen, dass ich ihm einen Zettel unter der Tür durchschieben muss, und auf dem stand: "Hallo Jean-Michel, hier ist Edek. Ich habe das Geld." Es war insofern lustig, als ich durch meine Botengänge und das ewige Rumstehen vor der verschlossenen Tür die meisten Ladenbesitzer von nebenan schon kannte und mich mit denen unterhalten habe. Irgendwann hat Basquiat dann aufgemacht und mich reingelassen - allerdings nur in den Vorraum. Es hat sich abgespielt wie in einem Gangsterfilm: Ich habe ihm das Geld gegeben, er mir seine Entwürfe -das ging zack, zack. Ich weiß nicht, ob er mir misstraute, ich ihm jedenfalls schon.
Eines Tages stand die Tür zum Atelier offen. Ich schaue rein, sehe ein Riesenbild und muss schmunzeln - da standen Buchstaben und Zahlen: V 825 671-2. Er sieht das, wird gleich grantig und fragt: "Warum lachst du?" Und ich sage: "Das ist doch die Nummer von Charlie Parkers Album 'Now's the Time'!" Das "V" stand für das Label Verve. Damals habe ich solche Sachen gewusst. Ab diesem Moment hat er sich etwas geöffnet, ist freundlicher geworden. Er hatte eine riesige Jazzplatten-Sammlung, es gibt auch in seinen Bildern immer wieder Verweise auf Jazz, auf Musiker wie Charlie Parker oder Max Roach. Rockmusik war überhaupt nicht sein Ding. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er über Warhol Kontakt zu Leuten wie John Cale oder Lou Reed hatte. Weil eines muss man schon sagen: Die Warhol-Truppe war eine weiße Partie -auch ästhetisch gesehen. Es würde mich sehr wundern, wenn Basquiat Gefallen an Velvet Underground oder Nico gefunden hätte. Außerdem war er schon eine Generation weiter.
Wenn man für ein paar tausend Dollar eine Zeichnung kriegen konnte, kann der Status von Basquiat damals nicht sonderlich glamourös gewesen sein.
Bartz: Zu dem Zeitpunkt war seine Karriere praktisch nicht existent. Er wurde hin und her geschoben und sogar in der Kunstszene selbst abgeschasselt. Als ich erzählte, dass ich täglich bei ihm vorbeischaute, um Skizzen abzuholen, wurde mir gesagt: "Nimm dir ein Bild mit!" Wie jetzt? "Ja, gib ihm halt tausend Dollar, der braucht ohnedies ständig Kohle für Drogen, und nimm dir ein Bild. Das machen eh alle!" In Wien kannte ich Künstler, die so besoffen waren, dass sie nicht mehr aufstehen konnten; aber so abfällig wie über Basquiat wurde über keinen von denen gesprochen!
Es war eindeutig rassistisch, aber darüber hinaus haben sie auch die Schwäche von Basquiat verachtet, der sich in der weißen Kunstwelt nicht behaupten konnte. Jemand wie Keith Haring, mit dem er sehr gut befreundet war, hatte natürlich ein Riesenbüro mit Sekretärin und allem Drum und Dran. Mir haben Leute erzählt, dass der berühmte Züricher Galerist Bruno Bischofberger Basquiat in sein Chalet hat einfliegen und im Keller hat malen lassen. Und Basquiat ist in Sneakers und T-Shirts angereist, weil er nicht gecheckt hatte, dass in der Schweiz Winter war. Das Verhältnis von Weißen zu Schwarzen war damals vor allem von Ignoranz geprägt. Ich habe zum Beispiel die schwarze Crew, mit der ich für "Body and Soul" zusammengearbeitet habe, einmal mit "Hey, boys!" adressiert. Auf einmal sind alle erstarrt. Ich habe überhaupt nicht kapiert, was los ist. Erst als einer meinte: "You shouldn't say this", habe ich es geschnallt.
Erzählen Sie doch bitte die Geschichte von der unabsichtlichen Entführung des Edek Bartz durch Frank Sinatra.
Bartz: Ich glaube, ich war damals mit Kim Wilde auf einer Tour, bei der sie in Wien in der Kurhalle Oberlaa aufgetreten ist. Zugleich hatte damals Frank Sinatra ein Konzert in der Stadthalle, und ich dachte, ich schau dort einmal vorbei und treffe vielleicht ein paar Buddies, mit denen ich tratschen kann. Ich war sehr zeitig dran und setzte mich dort mal hin, um zu warten. Ich bin nicht weiter aufgefallen, und es hat mich ja auch jeder gekannt. Auf einmal geht die Tür zu einer der Garderoben auf, und ein älterer, englisch sprechender Herr kommt raus und sucht die Toilette. Die findet er nie von alleine, denke ich, und sage: "I'll show you", bringe ihn hin und auch wieder zurück. Da fragt er mich, ob ich hier zum Personal gehöre. In dem Moment fällt mir ein, dass ich mich ohne Backstage-Pass in diesem Bereich eigentlich gar nicht aufhalten darf, antworte daher natürlich mit "ja, ja", worauf er meint, dass ich ihm doch helfen könnte.
Also begleite ich ihn in die Garderobe, wo er gerade damit beschäftigt war, die Hemden von Frank Sinatra zu bügeln. Na gut, ich halte ihm halt die Hemden aufs Bügelbrett. Wie er fertig ist, sagt er: "Du nimmst die Handtücher und gehst von rechts auf die Bühne, ich nehme die linke Seite und bringe die Drinks." Das war allerdings der Job, für den ein Kollege abgestellt war, also denke ich mir: Sobald der kommt, werde ich mich schleichen. Wie der endlich auftaucht, beginnt er, auf mich einzureden, ich müsse unbedingt bleiben: Offenbar hätte man mich mit ihm verwechselt, und wenn der Irrtum jetzt aufgeklärt würde, gäbe es einen Riesenskandal, weil er nicht rechtzeitig da gewesen sei und weil sich ein Unbefugter Zutritt zur Garderobe von Frank Sinatra verschafft habe. Aber: "Wenn das vorbei ist, tauschen wir wieder."
Okay. Nach einiger Zeit gehen die Tore der Stadthalle auf und schwarze Limousinen fahren vor. Der Verschlag wird geöffnet, Frank steigt aus und wird direkt in die Garderobe gebracht. In dem Moment wurde mir schon ziemlich mulmig, weil: Wenn die überreißen, dass ich gar nicht zur Crew gehöre, kann das sowohl für den Veranstalter als auch für mich sehr unangenehm werden. Wenn's ganz schlecht ausgeht, kommen ein paar Typen von der Mafia und messen mir Betonpatscherln an.
Die Band hat schon zu spielen begonnen, da zündet sich Frank erst einmal lässig einen Tschick an. Auf einmal springt der Alte auf, drückt mir die Handtücher in die Hand und wir begleiten Sinatra im lockeren Laufschritt auf die Bühne; er steht exakt in dem Moment vor dem Mikro, in dem der Song beginnt. Wie ein Metronom. Er hatte ein unfassbares Gefühl für Timing! So etwas hatte ich noch nicht gesehen, und danach auch nie wieder erlebt. Ich war fasziniert. Und das, obwohl ich kein Sinatra-Fan war, ja seine Musik nicht einmal wirklich gekannt habe. Es war geradezu unheimlich, mit welcher Musikalität er die Pausen zwischen den Songs überbrückt hat, wie er mit der Band im Kontakt stand und wie diese jede seiner Bewegungen registriert und darauf reagiert hat. Ich habe in der kurzen Zeit irrsinnig viel gelernt und auf einmal begriffen, was eine Bigband ausmacht, wie die funktioniert und wie entscheidend es ist, wer auf der Bühne und wer am Pult steht. Die Chance, eine solche Maschinerie aus der Nähe zu beobachten, hat man ja nicht oft. Bis dahin hatte ich, der aus dem Rock-und Free-Jazz-Lager kam, das alles als Kommerz-Lulu verachtet -aus reiner Unkenntnis. Ich hatte einfach keine Ahnung!
Na gut. Das Konzert ist aus, wir verlassen die Halle, die Limousinen stehen bereit. Frank springt in die erste, der Alte schiebt mich in die zweite, steigt auf der anderen Seite ein und es geht los. Wie, was, wohin? Nach einiger Zeit begreife ich: Richtung Flughafen. Na gut, dort werde ich dann endlich abhauen. Bloß dass die Limousinen direkt aufs Rollfeld fahren, wo ich mit allen anderen aufs Flugzeug zuaufe. Die Maschine hebt ab, und ich frage die Stewardess: "Wohin fliegen wir denn?" Sagt sie: "Na, eh wie immer." Aha. Stellt sich heraus: "Wie immer" ist Genf. Dort hatte sich Sinatra eine Villa gemietet, in der seine Entourage untergebracht war. Die haben Whisky getrunken und bis spät in die Nacht Karten gespielt -eine ziemlich gemütliche, sehr nette Truppe. Das Problem war nur, dass ich absolut nichts mithatte: weder Unterwäsche noch einen Pass.
So ging das etwa eine Woche dahin: zuerst Konzert, danach zurück nach Genf. Es war alles supersmooth auf Sinatra abgestimmt und lief genauso ab, wie man sich das in seinen kühnsten Träumen vorstellt: Backstage klingelt das Telefon und Dean Martin ruft an. Frank kommt, muss auf nichts warten, und nach dem Konzert sitzt er mit seinen Haberern beisammen. Da waren sicher vierzig, fünfzig Leute im Haus. Hauptsächlich nette, ältere Leute. Man sieht sich täglich, führt ein bisschen Small Talk: "Und was machen Sie?" - "Mir gehört Seagram's Whisky. Ich selber trinke aber nicht." Das ging zehn Tage so, und am Schluss hat jeder ein goldenes Feuerzeug geschenkt bekommen, auf dem "Thanks, Frank" eingraviert war. Ich wusste aber, dass ich das sicher bald verlieren würde, und habe es gegen eine Rolex eingetauscht.
Außerdem habe ich mir eine Platte von ihm signieren lassen, auf der er von Count Basie begleitet wird. Als der dann eines Tages auch in Wien aufgetreten ist, habe ich ihm das Album zum Signieren gegeben; und wie er die Unterschrift von Frank Sinatra sieht, sagt der alte Count Basie: "He's still around?" Das waren schon unglaubliche Typen. Man muss sich mal vorstellen, wer alles in so einer Bigband gespielt hat. Das waren keine Kinder von Traurigkeit! Ich habe erlebt, wie Paul Gonsalves in der Duke Ellington Band so betrunken war, dass er schon nicht mehr richtig stehen konnte. Er hat ein super Solo gespielt und ist dann von der Bühne gekippt. In der Früh war keiner der Musiker im Hotel. Frage ich den Portier, ob er weiß, wo die alle abgeblieben sind. Er hat nur mit der Hand in Richtung Bahnhof gedeutet -dort war nämlich das Puff. Auf der Bühne aber hat die Band funktioniert wie eine Maschine. Duke Ellington hat ja praktisch nichts gemacht, der hat die mit den Augen und dem kleinen Finger dirigiert.