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„Interessant, du, faktisch …“ 

Edek Bartz und Wiens Aufbruch in die Pop-Moderne

von Edek Bartz

ISBN: 9783701736300
Verlag: Residenz
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Musik, Film, Theater/Biographien, Autobiographien
Sammlung: Popfest Wien
Unsere Bestseller
Aktuelle Biografien
Umfang: 196 Seiten
Erscheinungsdatum: 14.04.2025
Preis: € 24,00
Kurzbeschreibung des Verlags

1946 wird Edek Bartz in einem Lager in Kasach­stan ge­bo­ren, er wächst in Po­len auf und zieht 1958 mit sei­ner Mut­ter nach Wien. Er er­wirbt sich auf ei­ge­ne Faust eine Bil­dung, die zur Grund­lage ei­ner ein­zig­ar­ti­gen Kar­riere wer­den soll: Als Mu­si­ker, Plat­ten­ver­käu­fer, DJ, Kul­tur­mana­ger und Ku­ra­tor ist Bartz über Jahr­zehnte stets zum rich­ti­gen Zeit­punkt am rich­ti­gen Ort – etwa als Or­gani­sa­tor der ers­ten Öster­reich-Kon­zer­te von Jimi Hend­rix, Frank Zappa oder Pink Floyd. Bartz be­glei­tet Peter Ale­xan­der durch Deutsch­land und Falco nach Japan. Bartz er­zählt in den Gesprächen, die der Journalist Klaus Nüchtern aufgezeichnet hat, auch von seiner Begegnung mit dem späteren Maler-Star Jean-Michel Basquiat oder von der un­ab­sicht­li­chen Ent­füh­rung des Edek Bartz durch Frank Sinatra.

FALTER-Rezension

"Wenn's schlecht ausgeht, messen die mir Betonpatscherln an"

Klaus Nüchtern in FALTER 15/2025 vom 11.04.2025 (S. 36)

Seine Geschichten beginnt Edek Bartz gern mit den Worten "Inter­es­sant, du, fak­tisch " Als Kon­zert­ver­an­stal­ter lernte Bartz die hal­be Pop­welt ken­nen, von Leonard Cohen bis zu The Clash. Fal­ter-Lite­ra­tur­kri­ti­ker Klaus Nüch­tern packte die Er­in­ne­run­gen in ein die­ser Tage er­schei­nen­des Buch. Einen "men­schen­freund­li­chen Zy­niker" und "dis­kre­te Gmoaratschn" nennt Nüch­tern im Vor­wort sein Ge­gen­über, das im Fol­gen­den die Be­geg­nun­gen mit Jean-Michel Bas­quiat und Frank Sinatra erzählt.
Klaus Nüchtern: Sie hatten über André Heller mit Jean-Michel Basquiat zu tun?

Edek Bartz: Ja, ich war damals fast drei Monate in New York, um Hel­lers Pro­duk­tion "Body and Soul" zu be­glei­ten, eine Musik­revue, für die neben Keith Haring und Roy Lich­ten­stein auch Bas­quiat Büh­nen­de­ko­ra­tio­nen ge­stal­tet hat. Er hat­te keine Gale­rie, aber einen Mana­ger, der meinte, ich müsse di­rekt mit Jean-Michel Kon­takt auf­neh­men. Der hat aber nur Bar­geld ak­zep­tiert, und in New York Bar­geld von einer Bank zu be­zie­hen, war in den 80er-Jahren ziem­lich kom­pli­ziert. Da­bei ging es um ein paar tau­send Dol­lar. Heute komvmen Bas­quiats für 30,40 oder 50 Mil­lio­nen Dol­lar unter den Hammer!

Also bin ich in sein Studio in der Great Jones Street, ein ehe­ma­li­ges Ge­schäft, bei dem die Roll­bal­ken im­mer un­ten wa­ren. Nach­dem al­les Läu­ten nichts ge­nutzt hat, bin ich drauf­ge­kom­men, dass ich ihm ei­nen Zet­tel unter der Tür durch­schie­ben muss, und auf dem stand: "Hallo Jean-Michel, hier ist Edek. Ich habe das Geld." Es war in­so­fern lus­tig, als ich durch meine Boten­gänge und das ewi­ge Rum­ste­hen vor der ver­schlos­se­nen Tür die meis­ten La­den­be­sit­zer von neben­an schon kannte und mich mit denen unter­hal­ten habe. Irgend­wann hat Basquiat dann auf­ge­macht und mich rein­ge­las­sen - aller­dings nur in den Vor­raum. Es hat sich ab­ge­spielt wie in einem Gang­ster­film: Ich habe ihm das Geld ge­geben, er mir seine Ent­würfe -das ging zack, zack. Ich weiß nicht, ob er mir miss­trau­te, ich ihm jeden­falls schon.

Eines Tages stand die Tür zum Atelier offen. Ich schaue rein, sehe ein Rie­sen­bild und muss schmun­zeln - da stan­den Buch­sta­ben und Zah­len: V 825 671-2. Er sieht das, wird gleich gran­tig und fragt: "Wa­rum lachst du?" Und ich sage: "Das ist doch die Num­mer von Charlie Par­kers Album 'Now's the Time'!" Das "V" stand für das Label Verve. Da­mals habe ich sol­che Sachen ge­wusst. Ab die­sem Mo­ment hat er sich etwas ge­öffnet, ist freund­li­cher ge­wor­den. Er hat­te eine rie­sige Jazz­plat­ten-Samm­lung, es gibt auch in sei­nen Bil­dern im­mer wie­der Ver­weise auf Jazz, auf Mu­si­ker wie Charlie Parker oder Max Roach. Rock­mu­sik war über­haupt nicht sein Ding. Ich kann mir auch nicht vor­stel­len, dass er über Warhol Kon­takt zu Leu­ten wie John Cale oder Lou Reed hatte. Weil eines muss man schon sa­gen: Die Warhol-Truppe war eine weiße Par­tie -auch äs­the­tisch ge­sehen. Es würde mich sehr wun­dern, wenn Basquiat Ge­fal­len an Velvet Under­ground oder Nico ge­fun­den hätte. Außer­dem war er schon eine Gene­rat­ion weiter.

Wenn man für ein paar tausend Dollar eine Zeichnung kriegen konnte, kann der Sta­tus von Basquiat da­mals nicht son­der­lich gla­mou­rös ge­wesen sein.

Bartz: Zu dem Zeitpunkt war seine Karriere prak­tisch nicht exis­tent. Er wurde hin und her ge­scho­ben und so­gar in der Kunst­szene selbst ab­ge­schasselt. Als ich er­zählte, dass ich täg­lich bei ihm vor­bei­schaute, um Skiz­zen ab­zu­ho­len, wurde mir gesagt: "Nimm dir ein Bild mit!" Wie jetzt? "Ja, gib ihm halt tau­send Dol­lar, der braucht ohne­dies stän­dig Kohle für Dro­gen, und nimm dir ein Bild. Das ma­chen eh alle!" In Wien kannte ich Künst­ler, die so be­sof­fen waren, dass sie nicht mehr auf­ste­hen konnten; aber so ab­fäl­lig wie über Basquiat wurde über kei­nen von denen ge­sprochen!

Es war eindeutig rassistisch, aber darüber hinaus haben sie auch die Schwä­che von Basquiat ver­ach­tet, der sich in der weißen Kunst­welt nicht be­haup­ten konnte. Je­mand wie Keith Haring, mit dem er sehr gut be­freun­det war, hat­te na­tür­lich ein Rie­sen­büro mit Sekre­tä­rin und al­lem Drum und Dran. Mir ha­ben Leu­te er­zählt, dass der be­rühmte Züri­cher Gale­rist Bruno Bischof­berger Basquiat in sein Cha­let hat ein­flie­gen und im Kel­ler hat malen las­sen. Und Basquiat ist in Snea­kers und T-Shirts an­ge­reist, weil er nicht ge­checkt hat­te, dass in der Schweiz Win­ter war. Das Ver­hält­nis von Weißen zu Schwar­zen war damals vor al­lem von Igno­ranz ge­prägt. Ich habe zum Bei­spiel die schwarze Crew, mit der ich für "Body and Soul" zu­sam­men­ge­ar­bei­tet habe, ein­mal mit "Hey, boys!" adres­siert. Auf ein­mal sind alle er­starrt. Ich habe über­haupt nicht ka­piert, was los ist. Erst als ei­ner meinte: "You shouldn't say this", habe ich es ge­schnallt.

Erzählen Sie doch bitte die Geschichte von der unab­sicht­li­chen Ent­füh­rung des Edek Bartz durch Frank Sinatra.

Bartz: Ich glaube, ich war damals mit Kim Wilde auf einer Tour, bei der sie in Wien in der Kur­halle Ober­laa auf­ge­tre­ten ist. Zu­gleich hat­te da­mals Frank Sina­tra ein Kon­zert in der Stadt­halle, und ich dach­te, ich schau dort ein­mal vor­bei und tref­fe viel­leicht ein paar Buddies, mit de­nen ich trat­schen kann. Ich war sehr zei­tig dran und setz­te mich dort mal hin, um zu war­ten. Ich bin nicht wei­ter auf­ge­fal­len, und es hat mich ja auch je­der ge­kannt. Auf ein­mal geht die Tür zu einer der Gar­dero­ben auf, und ein äl­te­rer, eng­lisch spre­chen­der Herr kommt raus und sucht die Toi­lette. Die fin­det er nie von al­leine, denke ich, und sage: "I'll show you", brin­ge ihn hin und auch wie­der zu­rück. Da fragt er mich, ob ich hier zum Per­so­nal ge­höre. In dem Mo­ment fällt mir ein, dass ich mich ohne Back­stage-Pass in die­sem Be­reich eigent­lich gar nicht auf­hal­ten darf, ant­worte da­her natür­lich mit "ja, ja", wo­rauf er meint, dass ich ihm doch hel­fen könnte.

Also begleite ich ihn in die Garderobe, wo er gerade damit be­schäf­tigt war, die Hem­den von Frank Sina­tra zu bü­geln. Na gut, ich halte ihm halt die Hem­den aufs Bügel­brett. Wie er fer­tig ist, sagt er: "Du nimmst die Hand­tü­cher und gehst von rechts auf die Büh­ne, ich nehme die linke Seite und bringe die Drinks." Das war aller­dings der Job, für den ein Kol­lege ab­ge­stellt war, also denke ich mir: So­bald der kommt, werde ich mich schlei­chen. Wie der end­lich auf­taucht, be­ginnt er, auf mich ein­zu­reden, ich müsse un­be­dingt blei­ben: Offen­bar hätte man mich mit ihm ver­wech­selt, und wenn der Irr­tum jetzt auf­ge­klärt würde, gäbe es einen Riesen­skan­dal, weil er nicht recht­zei­tig da ge­we­sen sei und weil sich ein Un­be­fug­ter Zu­tritt zur Garde­robe von Frank Sinatra ver­schafft habe. Aber: "Wenn das vor­bei ist, tau­schen wir wieder."

Okay. Nach einiger Zeit gehen die Tore der Stadt­halle auf und schwarze Limou­si­nen fah­ren vor. Der Ver­schlag wird ge­öffnet, Frank steigt aus und wird di­rekt in die Garde­robe ge­bracht. In dem Mo­ment wurde mir schon ziem­lich mul­mig, weil: Wenn die über­­reißen, dass ich gar nicht zur Crew gehöre, kann das so­wohl für den Ver­an­stal­ter als auch für mich sehr un­an­ge­nehm wer­den. Wenn's ganz schlecht aus­geht, kom­men ein paar Ty­pen von der Mafia und mes­sen mir Beton­patscherln an.

Die Band hat schon zu spielen begonnen, da zündet sich Frank erst ein­mal läs­sig einen Tschick an. Auf ein­mal springt der Alte auf, drückt mir die Hand­tücher in die Hand und wir be­glei­ten Sina­tra im locke­ren Lauf­schritt auf die Bühne; er steht exakt in dem Mom­ent vor dem Mikro, in dem der Song be­ginnt. Wie ein Metro­nom. Er hatte ein un­fass­ba­res Ge­fühl für Timing! So et­was hat­te ich noch nicht ge­sehen, und da­nach auch nie wie­der er­lebt. Ich war fas­zi­niert. Und das, ob­wohl ich kein Sina­tra-Fan war, ja seine Mu­sik nicht ein­mal wirk­lich ge­kannt habe. Es war ge­rade­zu un­heim­lich, mit wel­cher Musi­ka­li­tät er die Pau­sen zwi­schen den Songs über­brückt hat, wie er mit der Band im Kon­takt stand und wie diese jede sei­ner Be­we­gun­gen regis­triert und da­rauf rea­giert hat. Ich habe in der kur­zen Zeit irr­sin­nig viel ge­lernt und auf ein­mal be­grif­fen, was eine Big­band aus­macht, wie die funk­tio­niert und wie ent­schei­dend es ist, wer auf der Büh­ne und wer am Pult steht. Die Chance, eine sol­che Maschi­ne­rie aus der Nähe zu beo­bach­ten, hat man ja nicht oft. Bis da­hin hat­te ich, der aus dem Rock-und Free-Jazz-La­ger kam, das al­les als Kom­merz-Lulu ver­achtet -aus rei­ner Un­kennt­nis. Ich hat­te ein­fach keine Ahnung!

Na gut. Das Konzert ist aus, wir verlassen die Halle, die Limousinen ste­hen be­reit. Frank springt in die erste, der Alte schiebt mich in die zwei­te, steigt auf der ande­ren Seite ein und es geht los. Wie, was, wohin? Nach eini­ger Zeit be­greife ich: Rich­tung Flug­hafen. Na gut, dort wer­de ich dann end­lich ab­hauen. Bloß dass die Limou­si­nen direkt aufs Roll­feld fah­ren, wo ich mit al­len ande­ren aufs Flug­zeug zu­aufe. Die Ma­schine hebt ab, und ich frage die Stewar­dess: "Wo­hin flie­gen wir denn?" Sagt sie: "Na, eh wie im­mer." Aha. Stellt sich heraus: "Wie im­mer" ist Genf. Dort hat­te sich Sina­tra eine Villa ge­mie­tet, in der seine Entou­rage unter­ge­bracht war. Die ha­ben Whisky ge­trun­ken und bis spät in die Nacht Kar­ten ge­spielt -eine ziem­lich gemüt­liche, sehr net­te Trup­pe. Das Prob­lem war nur, dass ich ab­so­lut nichts mit­hatte: weder Unter­wäsche noch einen Pass.

So ging das etwa eine Woche dahin: zuerst Kon­zert, da­nach zu­rück nach Genf. Es war al­les super­smooth auf Sina­tra ab­ge­stimmt und lief genau­so ab, wie man sich das in sei­nen kühns­ten Träu­men vor­stellt: Back­stage klin­gelt das Tele­fon und Dean Mar­tin ruft an. Frank kommt, muss auf nichts war­ten, und nach dem Kon­zert sitzt er mit sei­nen Habe­rern bei­sam­men. Da wa­ren sicher vier­zig, fünf­zig Leute im Haus. Haupt­säch­lich net­te, äl­tere Leu­te. Man sieht sich täg­lich, führt ein biss­chen Small Talk: "Und was machen Sie?" - "Mir ge­hört Sea­gram's Whisky. Ich sel­ber trin­ke aber nicht." Das ging zehn Tage so, und am Schluss hat je­der ein gol­de­nes Feuer­zeug ge­schenkt be­kom­men, auf dem "Thanks, Frank" ein­gra­viert war. Ich wusste aber, dass ich das sicher bald ver­lie­ren würde, und habe es ge­gen eine Rolex ein­ge­tauscht.

Außerdem habe ich mir eine Platte von ihm signieren lassen, auf der er von Count Basie be­glei­tet wird. Als der dann eines Tages auch in Wien auf­ge­treten ist, habe ich ihm das Album zum Sig­nie­ren ge­ge­ben; und wie er die Unter­schrift von Frank Sina­tra sieht, sagt der alte Count Basie: "He's still around?" Das wa­ren schon un­glaub­liche Ty­pen. Man muss sich mal vor­stel­len, wer al­les in so einer Big­band ge­spielt hat. Das wa­ren keine Kin­der von Trau­rig­keit! Ich habe er­lebt, wie Paul Gon­salves in der Duke Elling­ton Band so be­trun­ken war, dass er schon nicht mehr rich­tig ste­hen konnte. Er hat ein super Solo ge­spielt und ist dann von der Bühne ge­kippt. In der Früh war kei­ner der Musi­ker im Ho­tel. Frage ich den Por­tier, ob er weiß, wo die alle ab­ge­blie­ben sind. Er hat nur mit der Hand in Rich­­tung Bahnhof ge­deu­tet -dort war näm­lich das Puff. Auf der Bühne aber hat die Band funk­tio­niert wie eine Ma­schine. Duke Elling­ton hat ja prak­tisch nichts ge­­macht, der hat die mit den Augen und dem klei­nen Fin­ger dirigiert.

Posted by Wilfried Allé Sunday, August 24, 2025 8:46:00 AM Categories: Autobiographien Film Sachbücher/Musik Theater/Biographien
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