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Populismus für Anfänger 

Anleitung zur Volksverführung

von Walter Ötsch, Nina Horaczek

Verlag: Westend
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Umfang: 256 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.08.2017
Preis: € 18,50

 

Rezension aus FALTER 32/2017

Steh zu deinen Werten!

Walter Ötsch und Nina Horaczek sezieren die Tricks der Demagogen – und erklären, wie man mit ihnen umgehen soll

Sie mögen sich vielleicht fragen, ob es ein solches Buch in Österreich unbedingt gebraucht hat: „Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung“. Wir hier in Österreich sind ja ohnehin unfreiwillige Experten auf diesem Feld: Seit 30 Jahren, seit dem Amtsantritt Jörg Haiders, sind wir den rhetorischen und den narrativen Tricks der Demagogen ausgesetzt und entsprechend mit ihnen vertraut.
Wozu das also? Und außerdem, mögen Sie schließlich zu bedenken geben, wollen Sie ja gar kein Populist und Volksverführer werden. Wozu also eine Anleitung dazu?

Aber die Antwort ist einfach: Weil man die Tricks durchschauen muss, um auf sie angemessen reagieren zu können. Der Populist will spalten – und wer rein emotional reagiert, läuft ihm schon ins Messer.
Hier haben sich zwei Autoren gefunden: Nina Horaczek, Falter-Journalistin, eine Expertin auf dem Gebiet der rechten Politik und exzellente Schreiberin. Walter Ötsch wiederum ist Universitätsprofessor, Kommunikationstrainer, wahrscheinlich der ausgewiesene linke NLP-Trainer. Er hat schon Politiker gegen Jörg Haider erfolgreich gecoacht und vor einem Jahr in Falter-Videos die Hofer-Auftritte minutiös seziert.
Das Buch ist nun tatsächlich im Stil der Ratgeberliteratur geschrieben. „Wenn sie Populist werden wollen, dann tun sie dies und das ...“
Man kann das einen erzählerischen Kunstgriff nennen: denn natürlich richtet sich das Buch nicht an Möchtegern-Populisten. Aber gerade der Kunstgriff erlaubt eine Nüchternheit. Nie wird die Schrecklichkeit der Populisten gegeißelt, sondern deren Geschick herausgestrichen.

Die populistische Rhetorik spaltet die Welt in ein „Wir“ und ein „Sie“. Wir – „das Volk“ – gegen sie – „die Anderen“ (Ausländer, Flüchtlinge, Eliten, der politische Gegner, die Gutmenschen ...). Reines Schwarz-und-Weiß.
Das Volk, das eigentlich nicht existiert (in der Realität gibt es nur eine buntscheckige Bevölkerung), wird gleichsam erfunden, und oft wird die große Mehrzahl der Bevölkerung aus dem Volk ausgemeindet. Eine absurde Operation – aber sie funktioniert.
Konzentriere dich auf Einzelfälle. Verwandle Sachprobleme in Personenprobleme.
Wenn in einer komplexen Welt manche Dinge nicht gut funktionieren, erzähle, dass irgendein korrupter Typ dafür verantwortlich ist, den man auf der menschlichen Ebene unbedingt abwerten muss. Dinge sind nicht einfach schlecht, jemand muss auf persönlicher Ebene unbedingt Schuld daran tragen. Geriere dich als Opfer. Dann ist selbst die aggressivste Rhetorik nichts als Notwehr einer verfolgten Unschuld. ­Spiele auf der Klaviatur der Gefühle, auf Body-Talk. Dominanzgesten, Erfolgsgesten, Aggressivität und Schwung zeigt man am besten nonverbal. Verstehe, dass man „sprechen“ kann, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Erst im letzten Kapitel springen Autor und Autorin in die andere Perspektive – wie man kontern soll.
Zeige nicht deinen Ärger, bleibe ruhig. Nichts hilft dem Populisten mehr, als wenn er dich auf sein Terrain lockt und dort zur Weißglut treibt.
Unterlaufe seinen Stil, wechsle die Ebene, etwa, indem man direkt anspricht, dass er mit permanenten persönlichen Unterstellungen kommt.
Hinterfrage sein Schwarz-Weiß-Bild.
Und vor allem: Stehe zu deinen Werten. Passe dich dem Diskurs, den der Populismus etabliert, nicht an. Schon aus dem einen Grund: „Wer schon bei leichtem Gegenwind ins Wanken gerät, darf sich nicht wundern, wenn ihm niemand vertraut.“
Denn das Publikum, mag es auch anderer Meinung sein als du, wird nichts mehr verabscheuen als Wendehalsigkeit. Wenn du zeigst, dass du nicht zu deinen Werten stehst, kann der Populist eine Champagnerflasche aufmachen – dann hast du nämlich seine Behauptung bestätigt, dass du für nichts stehst und für den Machterhalt alles tun würdest.

Robert Misik in FALTER 32/2017 vom 11.08.2017 (S. 15)

 

Rezension aus FALTER 8/2020

Einmal Diskurs zertrümmern, bitte

Message-Control, das konzertierte Durchhalten einer Botschaft auf allen Kanälen durch alle Protagonisten, ist das eine. Aber wie versuchen sich Politiker einer Partei mit ihrer Sicht der Dinge in der veröffentlichten Meinung durchzusetzen? Welche rhetorischen Techniken wenden sie an, wie weichen sie Kritik aus, welche übergeordneten Kommunikationsziele verfolgen sie dabei? Anhand der – durch einen Bericht des Falter ausgelösten – Debatte über die Unabhängigkeit der österreichischen Justiz lässt sich das exemplarisch darstellen.

Zur Erinnerung: In einem Hintergrundgespräch hat Kanzler Sebastian Kurz seinen Unmut über die seiner Meinung nach schleppende und parteiisch agierende Justiz, allen voran die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), geäußert. Der Falter-Bericht führte zu einer breiten Debatte, in der Folge gab Kurz mehrere Fernsehinterviews im ORF und bei den Privatsendern Puls 4 und Servus TV, Kanzleramtsministerin Karoline Edt­stadler verteidigte die ÖVP-Linie in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“.

Gemeinsam mit dem Kommunikationsexperten Walter Ötsch (Autor des Buches „Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung“, zusammen mit Falter-Autorin Nina Horaczek) haben wir Edtstadlers Auftritt am Sonntag, dem 9. Februar, und Kurz’ Auftritt bei Armin Wolf in der „ZiB 2“ tags darauf am Montag, dem 10. Februar, analysiert, zehn typische Kommunikationsmuster herausgegriffen und sie als Anleitung zur Diskurszertrümmerung aufgeschrieben.

1. Basteln Sie sich eine Verschwörungstheorie!

„Jetzt gibt es ein Dokument, das das belegt, und der Justizsprecher der SPÖ hat das sogar zugegeben.“ (Kurz zu Wolf)

„Jarolim (…) hat auch gesagt, es gab eine Strategie. Das ist die Gefahr, dass von einer Parteizentrale aus hier Richterinnen, Staatsanwältinnen geleitet und gelenkt werden sollen.“

(Edtstadler bei „Im Zentrum“)

„Also schauen Sie, Herr Wolf, wenn jemand mit 25 gepusht worden ist von der Sozialdemokratie vor 20 Jahren in die Justiz, dann rechnen wir gemeinsam einmal nach, wie alt der 20 Jahre später ist, dann ist der heute 45, also im besten Alter …“

(Kurz zu Wolf, wortgleich auch im Interview mit Corinna Milborn auf Puls 4)

Erinnern Sie sich an Ihre Gesprächsstrategie (Punkt 2): Für Ihre gezielte Aktion bzw. Attacke ist es am besten, wenn Sie einen vermeintlichen Beleg in der Hand haben. Medien lieben Aktenstücke, Verschriftlichtes, noch besser sind Bewegtbilder. In Ihrem Fall ist es zwar ein schon etwas angejahrter Aktenvermerk aus der Anwaltskanzlei Gabriel­ Lansky aus dem Jahr 1997, aber das ist fürs Erste egal. Spielen Sie es am besten Journalisten Ihres Vertrauens zu und verkaufen Sie es ihnen als „Skandal“. Dann bringen Sie Ihren politischen Gegner dazu, die Authentizität des Schriftstücks nicht widerlegen zu können, und wiederholen Sie Ihre Verschwörungstheorie in weiterer Folge, so oft es geht (Kanzleramtsministerin Edtstadler schaffte es im Zentrum drei Mal, das ist die goldene Regel!). Immer mit dem Hinweis, die SPÖ habe es ja gar nie bestritten. Bei Zweifel argumentieren Sie mit vermeintlicher Evidenz. Kopfrechnungen, die jeder nachvollziehen kann. Oder eine gefällige Studie oder Statistik, die Sie selektiv wiedergeben.

2. Stay on the message!

„Herr Wolf, Ihre erste Frage war, ob ich belegen kann, was ich kritisiert habe, und ich kann nur sagen, ja, ich kann es belegen, und ich finde es gut, dass es die Debatte gegeben hat …“

(Kurz zu Wolf)

„Ich glaube, keiner in dieser Runde würde behaupten, dass das BVT-Verfahren so abgelaufen ist, wie es lege artis ablaufen sollte.“

(Edtstadler bei „Im Zentrum“)

„Es hat mir keiner widersprochen, dass das BVT-Verfahren ordnungsgemäß gelaufen ist.“

(Edtstadler bei „Im Zentrum“)

Das ist Ihre Gesprächstaktik: Bleiben Sie bei Ihrer allgemeinen Botschaft, und wiederholen Sie sie mindestens drei Mal, gleich am Anfang, am Ende und idealerweise zwischendurch einmal mit dem unterstützenden Hinweis, dass Sie doch alles schon beantwortet und aufgeklärt haben und Ihnen niemand widersprochen hat.

Und das ist Ihre Kommunikationsstrategie: 1) Sie haben eine Hidden Agenda, also eine Grundintention, die aber nicht offengelegt wird. Im aktuellen Fall: Sie wollen das Vertrauen in die Justiz schwächen. 2) Sie überlegen sich dazu eine gezielte Aktion, konkret:
Sie greifen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an. 3) Sie kreieren eine allgemeine Botschaft, die das Gegenteil Ihrer Hidden Agenda ist: Ich bin gegen politische Einmischung in die Justiz, sie muss unabhängig sein.

Dazu analysiert Walter Ötsch: „Nach diesem Muster laufen viele politische Kampagnen ab. Die eigentliche politische Absicht wird verschleiert.“

3. Kontrollieren Sie das Gespräch!

Also zunächst möchte ich auf das eingehen …“

(Kurz zu Wolf)

„Ich fand den heutigen Termin sehr positiv – darf ich Ihnen nur ein paar Punkte nennen?“

(Kurz zu Wolf)

Nicht der Moderator, sondern Sie kon­trollieren das Gespräch. Lassen Sie sich nicht moderieren, sondern moderieren Sie selbst. Geben Sie sich selbst recht, schaffen Sie Konsens, agieren Sie auf der sogenannten „Prozessebene“ des Gesprächs. Bleiben Sie dabei aber stets freundlich und höflich. Legen Sie diese Gesprächsrangordnung gleich am Anfang fest, indem Sie auf die erste Frage nicht direkt antworten, sondern Ihre zentrale Botschaft absondern (siehe Punkt 2).

„Sebastian Kurz versteht es sehr gut, mit sogenannten ,Prozesskommentaren‘ die Gesprächskontrolle zu behalten“, sagt Walter Ötsch, „Moderator Armin Wolf hält klug dagegen, indem er selbst Kurz’ Verhalten auf der Prozessebene thematisiert. Als Reaktion wechselt Kurz dann gerne zurück auf die inhaltliche Ebene, um – wenn es für ihn gewinnbringender ist – zurück auf die Prozessebene zu gehen. So entsteht am Ende natürlich nie ein tatsächliches Gespräch, sondern eine Art Pingpong auf zwei Ebenen.“

4. Lenken Sie bei Angriffen ab!

„Ja, was soll ich zu einem Berlusconi-Vergleich sagen? Ich glaube, Berlusconi ist über zehn Mal in einem Strafverfahren verurteilt worden, mich jetzt mit Berlusconi zu vergleichen …“ (Kurz zu Wolf)

„Ich finde ja eine Diskussion über diese Prozedere sehr, sehr sinnvoll.“ (Kurz zu Wolf)

Ideal ist es, wenn Ihre Gegner zu Metaphern greifen wie etwa der erste Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, der gemeint hat, der Druck, der jetzt durch Sie auf die Justiz aufgebaut werde, erinnere ihn an Silvio Berlusconi. Greifen Sie die Metapher auf und interpretieren Sie sie falsch oder andersrum und stilisieren Sie sich dabei auch gleich zum Opfer. Wenn Sie von Ihrem Gegenüber in die Enge getrieben wurden, berufen Sie sich umgehend darauf, wie wichtig und sinnvoll es doch ist, über all das zu sprechen.

5. Greifen Sie auch einmal den Moderator an!

„Sie können mir viel unterstellen, Herr Wolf, nur das macht es nicht richtiger.“ (Kurz zu Wolf)

„Ja, dann geben Sie mir eine Chance, das zu beantworten.“ (Kurz zu Wolf)

Wenn es Ihnen zu bunt wird, schüchtern Sie den Moderator ein, indem Sie ihn direkt angreifen, mit Namen, auf Augenhöhe. Die Zeiten, in denen sich Politiker von den Medien, vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, alles gefallen lassen mussten, sind vorbei. Sie sind selbst das Medium, Sie können Ihre Botschaften auf Ihren eigenen Kanälen trommeln, in Sendungen gehen, die Ihnen mehr Spielraum geben, etwa ins Privatfernsehen. Zeigen Sie also Ihren Anhängern, wie unfair die abgehobene, linke Medienelite mit Ihnen umgeht.

6. Lassen Sie sich überhöhen!

„Ich habe Ihnen gesagt, dass der Bundeskanzler das auch so nicht gesagt hat.“ (Edtstadler zu Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger in „Im Zentrum“)

Sie müssen der unumstrittene Star sein, Ihre Minister umringen Sie wie „Jünger“. Eine Kanzleramtsministerin wie Karoline Edtstadler erfüllte diese Rolle in „Im Zentrum“ geradezu musterhaft. Immer wenn Sie angegriffen wurden, etwa durch die sehr gut vorbereitete Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, schritt sie als Chefverteidigerin ein.

„Das ist ein klassisches rechtspopulistisches Momentum“, analysiert der Kommunikationsexperte Ötsch, „Ziel ist die Überhöhung der führenden Person in der Partei bis hin zum Kult.“

7. Sie sind nie Teil des Systems, nie!

„Herr Wolf, bei allem Respekt, aber das System habe nicht ich erfunden, das ist eben gelebte Praxis in der Zweiten Republik.“ (Kurz zu Wolf)

„Ihre Frage war, warum habe ich die Kritik jetzt geäußert? (…) Ja, Herr Wolf, da haben Sie recht, mich hat das durchaus emotionalisiert (…) man kann schon das Gefühl haben, dass viele Verfahren nicht nur zu lange dauern, sondern dass es da durchaus zu einer medialen Vorverurteilung kommt.“ (Kurz zu Wolf)

Das haben Sie von den Rechtspopulisten erster Generation wie Jörg Haider gelernt: Sie dürfen sich nie als Teil des politischen Systems darstellen, als Mitglied der Politikkaste, selbst wenn Sie seit über einem Jahrzehnt im Geschäft sind. Sie stehen außerhalb, Sie müssen der neue, junge, unbefleckte Kandidat bleiben, als der Sie 2017 bei Ihrer ersten Kanzlerwahl angetreten sind.

„Rechtspopulisten betreiben Gefühlspolitik“, sagt Ötsch, „sie inszenieren sich als Alternative zum herkömmlichen System, dazu gehört auch, stark emotionalisiert zu argumentieren. Gewissermaßen aus dem Bauch des Volkes heraus.“

8. Das wird man doch noch sagen dürfen!

„Meiner Meinung nach ist keine In­stitution sakrosankt.“ (Kurz zu Wolf)

„Und diese Kritik muss auch eine Institution wie eine Staatsanwaltschaft aushalten.“ (Edtstadler)

Denk- und Redeverbote sind Teile des linken Mainstreams, diese ganze Political-Correctness-Bewegung gehört wie vieles aus der Zweiten Republik, wenn nicht entsorgt, so doch radikal reformiert. Dafür stehen Sie mit Ihrem neuen Stil, und das sprechen Sie auch immer wieder klar aus. Das beginnt bei gesetzt geglaubten Institutionen wie der Sozialpartnerschaft, den Sozialversicherungen, dem Arbeitsmarktservice, dem gebührenfinanzierten öffentlichen Rundfunk, der großen Koalition und ihrer politischen Konsenssuche sowieso. Es macht auch nicht halt vor der Justiz, den Höchstgerichten und internationalen Standards wie der Genfer Flüchtlingskonvention.

9. Verbünden Sie sich mit dem Publikum!

„Ich glaube, für einen Rechtsstaat wie Österreich ist es wichtig, (…) dass jeder ein faires Verfahren bekommt, Sie, ich, der Kameramann da hinten und jeder andere auch.“ (Kurz zu Wolf – und wortgleich bei Milborn auf Puls 4)

Wenden Sie sich an Ihr Publikum und binden Sie es ein. Aber legen Sie sich dafür Formulierungen zurecht, die nicht so abgedroschen sind wie „die Menschen da draußen“ oder „die Österreicherinnen und Österreicher“. Es ist egal, wenn Sie in Interviews die gleichen Satzbausteine verwenden, das fällt nur ein paar Journalisten auf.

10. Und jetzt: Genießen Sie Ihre Präsenz durch „Earned Media“!

Als Politmarketing-Experte wissen Sie ja bereits: Jede erfolgreiche Kampagne funktioniert über drei Ebenen – Paid, Owned und Earned Media. Also über klassische Bezahlwerbung in fremden Medien, Werbung und Inserate. Dann über Verbreitung auf Ihren eigenen Kanälen, da sind Sie ja auf Face­book und Instagram gut aufgestellt. Und schließlich, im aktuellen Fall besonders wichtig, über fremdgenerierte Beiträge.

Hier gilt: je kontroversieller, strittiger, empörender, umso mehr Aufmerksamkeit. Sie müssen nur darauf achten, dass am Ende Ihre Version der Geschichte übrig bleibt.

Barbaba Tóth in FALTER 8/2020 vom 21.02.2020 (S. 22)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, April 22, 2020 10:19:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Antifragilität 

Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen

von Nassim Nicholas Taleb

Übersetzung: Susanne Held
Verlag: Pantheon
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 688 Seiten
Erscheinungsdatum: 27.08.2018
Preis: € 16,50


Rezension aus FALTER 16/2020

Talebs Gesetz

Corona ist kein schwarzer Schwan. Nassim Nicholas Taleb, Professor für Risikoanalyse, beschäftigt sich mit Ereignissen, die höchst unwahrscheinlich und deswegen nicht vorhersagbar sind. Er nennt sie „Schwarze Schwäne“. Mit Pandemien müsse die vernetzte Menschheit hingegen rechnen, deswegen sei die Covid-19-Pandemie kein schwarzer, sondern ein weißer Schwan, bekräftigte er unlängst in der Neuen Zürcher Zeitung. Durch die globalisierte, Struktur der modernen Welt sei die rasante Ausbreitung solcher Krankheiten unvermeidlich.

Obwohl Taleb Prognosen grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, war er einer der wenigen, die den Zusammenbruch der weltgrößten Hypothekenbank Fannie Mae und damit die Finanzmarktkrise von 2008 schon fünf Jahre zuvor angekündigt hatten – und dafür herbe Kritik einstecken mussten.

Sein Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, das bereits im April 2007 erschienen ist, avancierte zum Bestseller, der Begriff „Schwarzer Schwan“ ist seitdem in aller Munde. Corona könnte Taleb erneut zum Denker der Stunde machen.

Der libanesisch-amerikanische Autor warnte bereits im Jänner gemeinsam mit dem Physiker und Systemwissenschaftler Yaneer Bar-Yam vor der Gefahr, die von einem der am stärksten vernetzten Staaten der Welt, China, ausgeht. „Es wird kurzfristig einiges kosten, die Mobilität einzuschränken. Das aber zu unterlassen, wird irgendwann alles kosten, wenn nicht durch die aktuelle Pandemie, dann durch eine in der Zukunft“, sagt Taleb. Deswegen sei es besser, früher Panik zu bekommen als später. Die Regierung von Singapur, die sich von Taleb beraten ließ, hatte übrigens bereits 2010 einen Notfallplan für eine Pandemie aufgestellt.

Geboren 1960 in eine libanesische griechisch-orthodoxe Politiker- und Ärztefamilie, studierte Taleb an der Wharton School der University of Pennsylvania. Anschließend arbeitete er für große Banken wie die Schweizer UBS. So lernte er das derzeitige Finanz- und Risikosystem von innen kennen, eine Voraussetzung dafür, dessen Schwachstellen zu kritisieren.

Als radikaler Querdenker und Freigeist lehnt der zur Praxis bekehrte Ivy-League-Absolvent alles theoretische, bloß akademische Wissen ab und warnt vor dem platonischen Fehlschluss, die Welt als geordnet und grundsätzlich verstehbar anzusehen.

Talebs in Bezug auf die Corona-Krise aktuellstes Werk ist das 2012 erschienene Buch „Antifragilität“. Darin geht der Autor der Frage nach, wie Systeme stressresistenter gemacht werden können. Der 680-Seiten-Wälzer rollt die „Dreifaltigkeit des Missverstehens“ auf.

Darunter versteht Taleb die Illusion, gegenwärtige Ereignisse zu durchschauen. Das zweite Missverständnis besteht darin, dass historische Ereignisse retrospektiv verzerrt werden. Drittens warnt er davor, Sachinformationen sowie die intellektuelle Elite überzubewerten.

Als Finanzmathematiker beschäftigt sich Taleb mit Statistiken und versucht, den Zufall zu berechnen. Wahrscheinlichkeit, Ungewissheit und Unordnung gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten. Das heißt aber nicht, dass seine Bücher für Laien unlesbar wären. So komplex er argumentiert, so süffig schreibt er. Anhand von Parabeln und autobiografischen Anekdoten – einer seiner Protagonisten ist etwa der antiintellektuelle Börsenhändler Fat Tony – macht er Abstraktes anschaulich. Dadurch wird der Autor als Mensch greifbar und angreifbar.

Taleb schimpft und wütet, versprüht Zorn und Sarkasmus und pflegt seine Vorliebe für drastischen Humor. Trotzdem sind seine Bücher strukturiert aufgebaut, sein monumentales Vorhaben wird in einem Kapitelüberblick vorgestellt, und im Glossar kann man seine griffigen, aber oft neuen Begriffe nachschlagen, etwa „Extremistan“ für die globalisierte Moderne oder „Flugunterricht für Vögel“ (auch „Sowjet-Harvard-Illusion“ genannt).

Das Agency-Problem stellt für Taleb eine Hauptquelle für die Fragilität von Systemen dar, insbesondere für das derzeitige Finanzsystem. Es besteht darin, dass der Manager eines Unternehmens, der nicht dessen Besitzer ist, eine Strategie verfolgt, die nur ihm selbst nützt.

Der polyglotte Generalist spricht neben Arabisch, Französisch und Englisch auch mehrere Sprachen der Antike. Wenn er gegen den naiven Rationalismus vieler Zeitgenossen vom Leder zieht, greift er auf die skeptische Philosophietradition zurück, auf Sokrates, Al-Ghazali, Michel de Montaigne oder Karl Popper.

Dabei entstehen Sentenzen, von denen man sich einige gerne über das Bett hängen möchte, etwa: „Man kann nie etwas über den Charakter von jemandem wissen, bevor er nicht die Möglichkeit hatte, moralische Regeln zu verletzen.“ Oder: „Man soll die eigenen Überzeugungen und Handlungen so ausrichten, als hätte man keinen Gesamtüberblick. Um klug zu sein, muss man sich damit abfinden, dass man es nicht ist.“

Talebs Vorliebe für Faustregeln, von denen er viele aus der Antike bezieht, hat philosophische Gründe. Alles, was lange überlebt habe, sei antifragil, sagt er. Antifragilität bezeichnet die Fähigkeit, robust auf Störungen und Stress zu reagieren.

Darüber hinaus ermöglicht es, gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Antifragilität bedeutet auch, von Ungewissheit und Chaos bis zu einem gewissen Maß profitieren zu können. Das betrifft unterschiedliche Bereiche, von der Evolution über die Gesundheit und Erziehung bis zur Technik, der Kultur, Politik und Wirtschaft.

Die zentrale These lautet, dass die Zukunft nicht vorhersehbar sei und Prognosen daher gefährlich werden könnten. Menschen würden nämlich dazu tendieren, sich auf sie zu verlassen. Taleb schlägt statt der üblicherweise geforderten Verbesserung von Daten und Berechnungsmethoden eine Erhöhung der Stressresistenz, sprich der Antifragilität von Systemen, vor.

Denn das Antifragile könne auf nichtlineare Prozesse besser reagieren als das Fragile. Die globalisierte Wirtschaft beruht auf schierer Größe, Technikabhängigkeit und maximaler Effizienz. In der Corona-Krise zeigen sich die Schwachstellen dieses Systems. Die Schlussfolgerung ist klar: Wir brauchen mehr Sicherheitspuffer und weniger Effizienz.

Für den aktuellen Zusammenbruch ließe sich daraus folgern, dass die Auslagerung von Grundversorgung, sprich Nahrungs- und Medikamentenproduktion, in Zukunft überdacht gehört. Auch die globalen Lieferketten und die Verantwortlichkeiten in den Finanzsystemen stehen auf dem Prüfstand.

Während jeder Flugzeugabsturz aufgrund der darauffolgenden Fehleranalyse die Wahrscheinlichkeit des nächsten verringere, erhöhe jeder Bankenzusammenbruch die Wahrscheinlichkeit eines weiteren, moniert Taleb. „Der Aktienmarkt ist der größte, in industriellem Ausmaß betriebene Antifragilitätstransfer in der Geschichte der Menschheit – und beruht ausschließlich auf einer bösartigen Form von Asymmetrie hinsichtlich der Bereitschaft, seine Haut aufs Spiel zu setzen“, konstatiert er.

Auch den eigenen Berufsstand spart Taleb aus seiner Kritik nicht aus, die Wirtschaftswissenschaftler. Es sei falsch, dass Professoren, die Inhalte unterrichten, mit denen das Finanzsystem notwendig hochgehe, keine Konsequenzen zu spüren bekämen.

Taleb und sein Co-Autor Mark Spitznagel beanstanden in einem NZZ-Artikel, dass Banker mehr Geld verspielt hätten, als in der gesamten Geschichte des Bankwesens verdient worden sei. Dennoch durften sie sich 2010 aus dem größten Bonustopf bedienen, den es bis dato gab. „Es sollte keine Hilfsmaßnahmen geben, wo Finanzinstrumente wie Hedge-Funds und hochriskante Investitionsstrategien im Spiel sind. Denn dort gibt es keine ehrlich gemeinte Strategie zur Risikominderung, sondern lediglich ein gewollt naives Gottvertrauen, dass es am Ende der Staat schon richten wird.“

Es gibt kein Leben ohne Risiko. Taleb begann seine Berufslaufbahn als Trader und Hedgefonds-Manager und hatte dort naturgemäß mit Risiken zu tun, die seiner Meinung nach aber falsch verstanden und analysiert wurden. In der Antike, betont Taleb, seien Gesellschaften von Menschen gelenkt worden, die Risiken trugen. Heute hingegen streifen Manager unverschämt hohe Bonuszahlungen ein, auch wenn sie ein Unternehmen in den Ruin getrieben haben.

Ohne Bereitschaft zum Risiko und Scheitern gibt es für Taleb keine Moral, das gelte auch für Wissenschaftler, Intellektuelle und Journalisten.

Statt Top-down-Konzepten – also Verordnungen von oben – propagiert Taleb Bottom-up-Systeme wie das politische System der Schweiz, die keine zentrale Führung hat. Er schätzt Regionalität und grundsätzlich alle Methoden, die auf Tüfteln, Versuch und Irrtum beruhen, sowie das Prinzip Selbstregulation. Denn es sei viel leichter und sicherer, die fragilen Teile eines lecken Systems ausfindig zu machen und zu entfernen, als Risiken vorauszusagen.

Überlieferten Weisheiten vertraut er mehr als den Einsichten von Elfenbeinturm-Akademikern. Eine seiner Lieblingsfaustregeln kommt von den alten Römern: Baumeister müssten eine bestimmte Zeit unter der Brücke verbringen, die sie gebaut haben. Von den antiken Autoren übernahm Taleb auch einen gewissen Stoizismus, die Fähigkeit, seine Emotionen zu regulieren.

Risikobereitschaft endet für ihn im Angesicht eines Ruins, ob von Privatpersonen, Firmen oder unserer Lebenswelt durch eine Öko-Katastrophe. Und, möchte man heute hinzufügen: einer Pandemie. Denn dann sind auch für den Finanzmathematiker keine Kosten-Nutzen-Analysen mehr möglich. „Rationalität ist die Vermeidung eines systemischen Ruins“, lautet sein Fazit.

Neben Risikobereitschaft und Mut braucht es auch die klassische Tugend der Besonnenheit. Von Nassim Nicholas Taleb kann man lernen, in einer Welt zu handeln, die man nicht zur Gänze versteht.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 16/2020 vom 17.04.2020 (S. 32)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, April 15, 2020 7:29:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Kapital und Ideologie 

vom Author des Weltbestsellers "Das Kapital im 21. Jahrhundert"

von Thomas Piketty

ISBN: 9783406745713
Übersetzung: André Hansen
Übersetzung: Enrico Heinemann
Übersetzung: Stefan Lorenzer
Übersetzung: Ursel Schäfer
Übersetzung: Nastasja S. Dresler
Verlag: C.H.Beck
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Wirtschaft
Umfang: 1.312 Seiten
Erscheinungsdatum: 11.03.2020
Preis: € 41,10

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Mit dem Weltbestseller
"Das Kapital im 21.Jahrhundert" hat Thomas Piketty eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit geschrieben. Jetzt legt er mit einem gewaltigen Werk nach:
Kapital und Ideologie ist eine so noch niemals geschriebene Globalgeschichte der sozialen Ungleichheit und ihrer Ursachen, eine unnachsichtige Kritik der zeitgenössischen Politik und zugleich der kühne Entwurf eines neuen und gerechteren ökonomischen Systems.

Nichts steht geschrieben: Der Kapitalismus ist kein Naturgesetz. Märkte, Profite und Kapital sind von Menschen gemacht. Wie sie funktionieren, hängt von unseren Entscheidungen ab. Das ist der zentrale Gedanke des neuen Buches von Thomas Piketty. Der berühmte Ökonom erforscht darin die Entwicklungen des letzten Jahrtausends, die zu Sklaverei, Leibeigenschaft, Kolonialismus, Kommunismus, Sozialdemokratie und Hyperkapitalismus geführt und das Leben von Milliarden Menschen geformt haben. Seine welthistorische Bestandsaufnahme führt uns weit über Europa und den Westen hinaus bis nach Asien und Afrika und betrachtet die globalen Ungleichheitsregime mit all ihren ganz unterschiedlichen Ursachen und Folgen. Doch diese eindrucksvolle Analyse ist für Thomas Piketty kein Selbstzweck. Er führt uns mit seinen weitreichenden Einsichten und Erkenntnissen hinein in die Krise der Gegenwart. Wenn wir die ökonomischen und politischen Ursachen der Ungleichheit verstanden haben, so Piketty, dann können wir die notwendigen Schritte für eine gerechtere und zukunftsfähige Welt konkret benennen und angehen.
Kapital und Ideologie ist das geniale Werk eines der wichtigsten Denker unserer Zeit, eines der Bücher, die unsere Zeit braucht. Es hilft uns nicht nur, die Welt von heute zu verstehen, sondern sie zu verändern. Thomas Piketty ist Direktor an der École des hautes études en sciences sociales und Professor an der École d’économie in Paris. Sein Buch «Das Kapital im 21. Jahrhundert» wurde in 40 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 2,5 Millionen mal verkauft.

Posted by Wilfried Allé Saturday, March 14, 2020 9:22:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Kult-Kanzler Kreisky 

Mensch und Mythos

von Christoph Kotanko

Sprache: Deutsch
Verlag: Ueberreuter
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Biographien, Autobiographien
Umfang: 196 Seiten
Erscheinungsdatum: 20.02.2020
Preis: € 22,95


Rezension aus FALTER 10/2020

Kreisky-Kult, da capo

Am 1. März war es genau 50 Jahre her, dass Bruno Kreisky bei den Nationalratswahlen eine relative Mehrheit gewann, mit Duldung der FPÖ eine Minderheitsregierung bildete und damit den Grundstein für 13 Jahre roter Vormacht in Österreich legte. Die „Kreisky-Jahre“ sind bis heute eine sozialdemokratische Sehnsuchtsperiode, im Jahr 2020 mehr denn je. Kreisky kümmerte sich schon zu Lebzeiten um sein historisches Denkmal, er veröffentlichte glänzend geschriebene Memoirenbände. Enge Weggefährten wie Heinz Fischer und Hannes Androsch pflegten sein Andenken publizistisch weiter (siehe „Wieder gelesen“ weiter unten).

Nun ist es an Beobachtern der jüngeren Generation, ihren Kreisky zu würdigen. Christoph Kotanko, Jahrgang 1953, einer der erfahrensten Politikjournalisten Österreichs, nähert sich Kreisky über Gespräche mit Zeitzeugen wie Margit Schmidt, Kreiskys persönlicher Sekretärin, Alfred Reiter, dessen langjährigem Kabinettschef, und Peter Jankowitsch, dem ersten Büroleiter, und über seine eigenen Erfahrungen als Jungjournalist. Kotanko wählt seine Anekdoten nicht nach Unterhaltungswert, sondern mit Scharfsinn. So wird Kreisky als Politiker sichtbar, mit seinen Stärken wie Schwächen, die Kotanko im Kontext seiner Zeit gut darstellt. Ein an Analyse wie Lesefreude starkes Kreisky-Buch.

Barbara Tóth in FALTER 10/2020 vom 06.03.2020 (S. 24)

Posted by Wilfried Allé Thursday, March 5, 2020 12:06:00 AM Categories: Autobiographien Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Biographien
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Fremd in ihrem Land 

Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten

von Arlie Russell Hochschild

Übersetzung: Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 429 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.09.2017
Preis: € 30,80

Kurzbeschreibung des Verlags:

In vielen westlichen Ländern sind rechte, nationalistische Bewegungen auf dem Vormarsch. Wie ist es dazu gekommen? Arlie Russell Hochschild reiste ins Herz der amerikanischen Rechten, nach Louisiana, und suchte fünf Jahre lang das Gespräch mit ihren Landsleuten. Sie traf auf frustrierte Menschen, deren "Amerikanischer Traum" geplatzt ist; Menschen, die sich abgehängt fühlen, den Staat hassen und sich der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung angeschlossen haben. Hochschild zeigt eine beunruhigende Entwicklung auf, die auch in Europa längst begonnen hat. Hochschilds Reportage ist nicht nur eine erhellende Deutung einer gespaltenen Gesellschaft, sondern auch ein bewegendes Stück Literatur.

"Jeder, der das moderne Amerika verstehen möchte, sollte dieses faszinierende Buch lesen." Robert Reich
"Ein kluges, respektvolles und fesselndes Buch." New York Times Book Review
"Eine anrührende, warmherzige und souverän geschriebene, ungemein gut lesbare teilnehmende Beobachtung. … Wer ihr Buch liest, versteht die Wähler Trumps, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht über sie spricht." FAZ

Stimmen zum Buch

Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung - Prantls Blick, 13.05.2018
Es ist ein faszinierendes, ein erschreckendes, ein aufklärendes Buch. Die Autorin verurteilt nicht, sie will verstehen und begreifen – um reagieren zu können.

Susanne Kippenberger, Der Tagesspiegel, 01.10.2017
Als Trump gewählt wurde, packten sich viele an den Kopf: Wer sind die Leute, die diesen Verrückten an die Macht brachten? Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hat bei ihnen im brutal armen Louisisiana gelebt, zugehört, beobachtet. Klug.

Gabi Biesinger, NDR Info, 20.09.2017
Es sind diese paradoxen Geschichten, die Widersprüche, die Hochschild aufspürt. Sie begegnet ihren Gesprächspartnern auf Augenhöhe, redet mit ihnen, nicht über sie. Sie will verstehen, nicht bewerten. Sie will begreifen und nicht belehren.

Daniel Windheuser, der Freitag, 07.09.2017
Mit ihrem Buch gelingt Arlie Hochschild ein verständnisvolles und zugleich kritisches Psychogramm einer Welt im permanenten Widerspruch, und wer es liest, wird die Wähler Trumps ein wenig besser verstehen, unter anderem auch, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht nur über sie spricht.


Arlie Russell Hochschild ist eine der bedeutendsten Soziologinnen der Gegenwart und emeritierte Professorin an der University of California, Berkeley. »Strangers in Their Own Land« stand auf der Shortlist für den National Book Award 2016..

Posted by Wilfried Allé Thursday, January 16, 2020 12:07:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Leidenschaftlich Rot 

Darum mehr Sozialdemokratie

von Gerhard Zeiler

Verlag: Brandstätter Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 25.11.2019
Preis: € 22,00

 

 

Rezension aus FALTER 48/2019

Gerhard Zeilers Plan B für Pamela Rendi-Wagner

Der Medienmanager will offensichtlich bei der Zukunft der SPÖ mitreden. Ob die Parteiführung seine Denkanstöße ernst nimmt?

Was wäre gewesen, wenn Gerhard Zeiler in den letzten drei Jahren die SPÖ geführt hätte? In seinem neuen Buch „Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie“ lässt der 64-jährige Medienmanager, der seine Karriere als SPÖ-Parteisekretär begonnen hat, keine Zweifel daran, dass er im Jahr 2016 gerne die Partei übernommen hätte. „Hätte ich nur annähernd geahnt, aus welchem Persönlichkeitsholz Christian Kern geschnitzt ist, wäre ich im Mai 2016 in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen ihn angetreten“, schreibt Zeiler.

Er stoppt aber auch gleich Gerüchte ab, er wolle 2019 einen zweiten Anlauf starten. Nein, seine – mit dem Journalisten Peter Pelinka gemeinsam verfasste – Streitschrift sei kein Bewerbungsschreiben. „Nicht, dass es nicht Zeiten gegeben hätte, in denen ich mir sehr gut vorstellen hätte können – und es auch explizit angestrebt hatte – mitzuhelfen, die SPÖ wieder zu einer erfolgreicheren Partei zu machen. Aber diese Zeiten sind vorbei.“ Pamela Rendi-Wagner sei für ihn die ideale Kandidatin einer progressiven Mitte-links-Partei des Jahres 2019. Weil Ärztin, Quereinsteigerin, Frau. Wenn auch von keinem idealen Beraterteam umgeben.

Was würde Zeiler anders machen? Zeiler ist Medienprofi genug, um konkrete Antworten zu liefern. Er würde zum Beispiel im Fall des Falles, dass die türkis-grünen Koalitionsgespräche scheitern, ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Duldung einer Minderheitsregierung vorschlagen, begrenzt auf zwei Jahre und unter klaren Bedingungen. Erstens „die Erhöhung des monatlichen gesetzlichen Netto-Mindestlohns auf 1700 Euro innerhalb des ersten Regierungsjahres“ und zweitens die „Verabschiedung eines akkordierten und wirksamen Klimapaketes, das eine CO2-Abgabe mit sozialem Ausgleich beinhaltet“. Eine Partei für die arbeitenden Menschen mit ökologischem Gewissen links der Mitte, das sollte in Zeilers Augen die SPÖ sein.

Man müsse den Begriff „Leistung“ wieder für sich erobern, ganz so, wie SPÖ-Chef Bruno Kreisky es im Jahr 1970 auf dem Programmparteitag tat. „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ waren damals die Kern­slogans. Das verträgt sich zum Beispiel nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das Zeiler scharf ablehnt, genauso wenig mit klassenkämpferischen Parolen wie „Holt euch, was euch zusteht“ aus dem Kern-Wahlkampf des Jahres 2017.

Im neunten Kapitel legt Zeiler dann einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm mit sechs Kernthesen vor. Die SPÖ sieht er als „Schutzpartei der sozial Schwächeren, Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit“, als Kämpferin gegen den Klimawandel, aber als Wirtschaftsversteherin (Zeiler kritisiert das rote Nein zur Arbeitszeitflexibilisierung als „weltfremd“, und das ist nicht die einzige Kritik an den Gewerkschaften), als Bildungsreform-, Sicherheits- und Staatsreformpartei.

Hier spürt man: Zeiler wurde sozialisiert in einer Zeit, als seine geliebte Partei noch unhinterfragt die Mitte der Gesellschaft repräsentierte und die SPÖ-Chefs Kreisky, Fred Sinowatz (den er, als dessen Ex-Pressesprecher, als großen Politiker und Intellektuellen würdigt) und Franz Vranitzky hießen. So wie über Kern verliert Zeiler auch über Faymann wenig gute Worte, mehr noch: Er erwähnt ihn genau einmal, ganz so, als wären die immerhin acht Jahre, die er die Partei führte, verlorene Jahre gewesen. Was Zeiler über Rendi-Wagners Zukunft sagt, ist doppeldeutig. „Ob sie auf Dauer Parteivorsitzende bleiben wird, kann ich nicht vorhersagen. Ich weiß nicht einmal, ob ich es ihr wünschen soll.“ Ein ausführliches und beeindruckendes Bewerbungsschreiben für den Job als ihr Chefberater hat er jedenfalls abgegeben.

Barbara Tóth in FALTER 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 24)

Gerhard Zeiler im Interview mit Michael Völker, vom 25. November 2019 ->

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 27, 2019 8:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Mehr Gerechtigkeit! 

Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar

von Hans-Jochen Vogel

Klappentext

Bezahlbarer Wohnraum ist das soziale Thema unserer Zeit. Immer mehr Menschen stellt sich die bange Frage, wie lange sie sich ihr Heim noch leisten können. Nicht nur in Großstädten zeigen die Preise nur noch nach oben. Die bisherigen politischen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert im Kampf gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Den eigentlichen Grund hinter den steigenden Preisen hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: nämlich die explosive Steigerung der Baulandpreise. Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent.

Verlag: Verlag Herder
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 80 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.11.2019
Preis: € 12,40

 

Rezension aus FALTER 47/2019

Ein Testament für den Kampf um Grund und Boden

Der deutsche Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel plädiert für eine neue Bodenordnung mit massiven Steuererhöhungen für Grundbesitzer

Der Aufschrei in vielen Großstädten ist unüberhörbar: Wohnen ist zu teuer. Wohnraum ist in Europas Metropolen für viele immer schwerer leistbar. Die Mittelschicht wird an den Stadtrand und ins Umland gedrängt, weit weg von ihren Jobs und vom urbanen Leben. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber ein wesentlicher Preistreiber ist bekannt: Banken, Fonds und Versicherungen investieren in Wohnraum, um möglichst viel Geld zu verdienen. Damit treiben sie den Preis für Bauland immer weiter und schneller in die Höhe. Und der Staat lässt diese Geschäftemacherei auf Kosten der Bürger viel zu oft zu.

Die Preise für Bauland sind in Deutschland seit 1962 um 2300 Prozent gestiegen. Von den Kosten eines Wohnungsbaus entfielen im Jahr 1962 durchschnittlich acht Prozent auf die Grundstückskosten, auf die Baukosten 92 Prozent. Geht es nach Hans-Jochen Vogel, dann sind diese Zahlen ein dringender Auftrag an die Politik, endlich die Bodenfrage zu stellen. Vogel, 93 Jahre alt, hat sich seine ganze politische Laufbahn lang für lebenswertes und leistbares Wohnen eingesetzt; von 1960 bis 1972 als Oberbürgermeister von München, in den 1970ern als deutscher Bundesbau- und Bundesjustizminister, 1983 als SPD-Kanzlerkandidat und von 1987 bis 1991 als Chef der SPD.

Nun hat dieser Mann im biblischen Alter das kleine Buch „Mehr Gerechtigkeit!“ vorgelegt, in dem er energisch für eine neue Bodenordnung in Deutschland eintritt. Vogels zentrale Argumentation: „Grund und Boden ist keine beliebige, je nach Bedarf produzierbare oder auch verzichtbare Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar. Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.“

Dass Grund und Boden eine politisch hochsensible Angelegenheit sind, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits 1967 festgehalten (und seither immer wieder ­bestätigt). Die deutsche Politik, so klagt Vogel, hat diesen von den Verfassungshütern so großzügig ausgelegten Handlungsspielraum niemals genutzt oder gar ausgeschöpft. Dabei liegt für Vogel – grob verkürzt – auf der Hand, was für eine gerechtere Bodenordnung zu tun wäre. Erstens: Verbot und strenge Ausnahmereglementierung für den Verkauf von Grund und Boden durch die öffentliche Hand. Zweitens: massive Wiederbelebung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus inklusive legistischer Unterstützung und steuerlicher Begünstigung. Drittens: rigorose Besteuerung des Gewinns aus Steigerungen des Bodenwertes.

Wer sich aus Wiener Sicht Vogels Forderungen für eine neue Bodenordnung ansieht, darf grundsätzlich den Kurs der Stadt bestätigt sehen (der Autor dieser Zeilen ist der Sprecher der Wiener Wohnbaustadt­rätin). 220.000 Gemeindebauwohnungen im Besitz der Stadt und der wirtschaftlich starke Sektor der gemeinnützigen Bauvereinigungen sind für Vogel der Hauptgrund, warum die Wohnsituation in Wien besser ist als in anderen Metropolen.

Vogels Argumentation liest sich überdies geradezu wie eine Empfehlung für die Wiener Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“. Mit der 2018 beschlossenen Bauordnung wurde geregelt, dass bei Neubauprojekten in Zukunft grundsätzlich zwei Drittel der Wohnungen gefördert sind und damit leistbar bleiben. Aber auch Wien ist keine Insel, an der internationale Trends spurlos vorbeiziehen. Auch in Wien wird Wohnen im frei finanzierten Sektor teurer. Vogels politisches Testament ist daher eine gute Erinnerung daran, dass alte Errungenschaften immer wieder aufs Neue verteidigt und an den Lauf der Zeit angepasst werden müssen.

Wolfgang Zwander in FALTER 47/2019 vom 22.11.2019 (S. 23)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 20, 2019 6:38:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Der globale Green New Deal 

Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann

von Jeremy Rifkin

Übersetzung: Bernhard Schmid
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 319 Seiten
Erscheinungsdatum: 09.10.2019
Preis: € 27,70

Kurzbeschreibung des Verlags:

Das neue Buch des Bestsellerautors Jeremy Rifkin

Rund um den Globus kippt angesichts der drohenden Klimakatastrophe die Stimmung, und der Protest der Millennials gegen eine Politik, die ihre Zukunft zerstört, wird immer lauter. Gleichzeitig sitzt die Welt angesichts alternativer Technologien auf einer 100-Billionen-Dollar-Blase aus Investitionen in fossile Brennstoffe. Zukunftsforscher Jeremy Rifkin zeigt, wie aus dieser Konstellation die einmalige Chance auf einen Green New Deal entsteht. Seine Warnung:

- Der ökonomische Kollaps unserer Zivilisation steht unmittelbar bevor.
- Um 2028 wird die Blase platzen und die Weltökonomie in eine globale Betriebsstörung führen.

Was bedeutet das für uns, wo die Energiewendeschon schon lange auf der Tagesordnung steht? Gelingt ein gemeinsamer radikaler Aufbruch in letzter Minute? Rifkin gibt Antworten. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington. Seine Bücher sind internationale, in 35 Sprachen übersetzte Bestseller und lösten weltweite Debatten zu den großen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen aus, siehe zum Beispiel ›Das Ende der Arbeit‹ und ›Access‹ und zuletzt ›Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft‹. Rifkin berät zahlreiche Organsisationen und Regierungen - unter anderem Deutschland, die EU, China - und unterrichtet an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania.

Posted by Wilfried Allé Saturday, October 12, 2019 1:34:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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Die Rhetorik des Sebastian Kurz  

Was steckt dahinter – Manipulation oder Redehandwerk?
Körpersprache verbessern, in Diskussionen überzeugen und Rededuelle gewinnen. Analyse mit dem 4mat-System

von Thomas W. Albrecht

Verlag: Goldegg Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Umfang: 304 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.08.2019
Preis: € 22,00

Rezension aus FALTER 38/2019

Inszenieren, manipulieren: Wege zum politischen Erfolg?

Sebastian Kurz ist ein Meister der Kommunikation. Für langfristigen politischen Erfolg sollte er sich darauf aber nicht ausruhen

Es muss bei Sebastian Kurz wohl etwas sein, was andere nicht machen“, so beginnt der Trainer und Coach Thomas W. Albrecht sein Buch. Der Titel verrät die Erklärung: Es ist die „Rhetorik des Sebastian Kurz“. Albrecht verwendet ein einfaches Modell: Es besteht aus den Bausteinen, die man in einer Grundausbildung im Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) lernen kann.

Die Darstellung dieser Inhalte macht fast die Hälfte des Buches aus – der Kenner erfährt nichts Neues. Im restlichen Buch werden NLP-Ideen auf Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Herbert Kickl, Norbert Hofer und Beate Meinl-Reisinger angewandt – vor allem Reden werden im Wortlaut analysiert. Der Vergleich dieser Personen fällt in fast allen Fällen zugunsten von Kurz aus.

Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen beschreibt Albrecht im Detail Stärken der Inszenierungen von Kurz, wie seine Körpersprache, den Aufbau vieler Reden, die Art, wie Kurz sein Publikum adressiert, wie er dabei Werte und Gefühle anspricht und zielgerichtet und zukunftsorientiert agiert. Alle politischen Gegner von Kurz sind gut beraten, diese Aspekte ernst zu nehmen und ihre Mankos zu mildern.

Aber NLP darf nicht so verstanden werden wie in diesem Buch. Albrecht verbreitet ein Märchen, das NLP-Trainer gerne erzählen, die ihre Kurse verkaufen wollen: dass nämlich bestimmte einzelne Aspekte von Kommunikation (die man schulen kann) unmittelbare und eindeutige Wirkungen haben (müssen).

Aber Menschen sind keine reinen Reiz-Reaktion-Maschinen – jedenfalls nicht immer. In unterschiedlichen Kontexten erzielen z.B. gleiche Auslöser andere Ergebnisse. Für Kurz kann man fragen, in welchen (kontrollierten?) Umgebungen seine Inszenierungen gelingen und in welchen nicht – etwa wenn Kurz mit betagten Frauen im Altersheim nicht einmal ein Smalltalk gelingt.

Der zweite und wichtigste Schutz gegen unerwünschte Beeinflussung sind die eigenen Überzeugungen und das Wissen über politische Inhalte und Hintergründe (und der Einblick in kommunikative Vorgänge). Wer die Hass-Sprache von Donald Trump ablehnt, kann durch eine noch so perfekte Show nicht gewonnen werden – im Gegenteil: Die Ablehnung wächst.

Nach Albrechts Meinung ist Kurz deswegen so beliebt, weil er ein perfekter Kommunikator ist – politische Inhalte werden dabei zur Gänze ausgeklammert.

Aber Politik ist nicht nur Prozess und Form zwischen Personen, sondern drückt auch Inhalte, Wertungen und Weltbilder aus, die in die Machtstruktur einer Gesellschaft eingebettet sind und medial vermittelt werden.

Kurz hat viele Inhalte von der FPÖ übernommen, z.B. eine Rhetorik „des Volkes“. Er praktiziert ebenso „Techniken“ von Kommunikation, die auch eine destruktive Seite besitzen, wie die Dämonisierung von Gegnern. Praktiken dieser Art dienen nicht der Verbesserung, sondern der Zerstörung von Kommunikation – das hat im Wahlkampf 2016 der (frühere) Kommunikationstrainer Norbert Hofer, der jahrelang „Crash-Rhetorik“ und NLP unterrichtet hat, eindrucksvoll demonstriert.

Aber kommunikative Tricks und Show sind nicht alles, und politischer Erfolg kann nicht nur darauf zurückgeführt werden. Christian Kern hatte am 11. Jänner 2017 in der Messehalle Wels seinen „Plan A“ in einer fulminanten Rede präsentiert und das Publikum begeistert. Nach den Kriterien von Albrecht hätte man ihm die Höchstnote geben müssen. Aber wie lange hat Kern davon profitiert?

Walter Otto Ötsch in FALTER 38/2019 vom 20.09.2019 (S. 21)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, September 18, 2019 12:22:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Die Ibiza-Affäre 

Innenansichten eines Skandals

von Bastian Obermayer, Frederik Obermaier

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 272 Seiten
Erscheinungsdatum: 22.08.2019
Preis: € 16,50

 

Rezension aus FALTER 34/2019

Die Ibiza-Affäre neu in Buchform: „Joschi, mach das klar!“

Die schlechte Nachricht für alle, die auf weitere Skandale gehofft haben: In der 272 Seiten dicken Aufarbeitung des Ibiza-Skandals finden sich weder Sex noch Drogen. Lesenswert ist dieses Buch der beiden Süddeutsche Zeitung-Aufdecker Frederik Obermaier und Bastian Obermayer trotzdem.

Die beiden Journalisten, die federführend an der Veröffentlichung der Ibiza-Videos vergangenen Mai beteiligt waren und dadurch Langzeit-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Vertrauten Johann Gudenus zum Rücktritt zwangen, schildern in „Die Ibiza-Affäre. Wie wir die geheimen Pläne von Rechtspopulisten enttarnten und darüber die österreichische Regierung stürzten“ ganz penibel, wie sie zu dem Bildmaterial mit Strache und Gudenus von jenem Abend auf Ibiza kamen, wie sie es überprüften und wie sich die Recherche gestaltete.

Das Buch räumt mit zahlreichen Mythen auf, etwa mit jener von der FPÖ verbreiteten Behauptung, dass Strache nur in jenen sieben Minuten, die von Süddeutscher Zeitung und Spiegel veröffentlicht worden waren, die halbe Republik verscherbeln wollte, auf den restlichen Stunden Bild- und Tonmaterial hingegen staatsmännisch unterwegs gewesen sei.

Sie erklären, wieso vieles unveröffentlicht bleibt, und legen ihre Recherche offen. Dargelegt wird, wie sie ihre Quelle schützen und wieso sie nur Passagen öffentlich machen, die von öffentlichem Interesse sind.

Das trifft auf von Strache angesprochene, möglicherweise illegale Parteispenden zu, aber nicht auf böswillige Gerüchte, die Strache und Gudenus in jener Nacht über politische Konkurrenten verbreiteten.

Neben der spannenden Recherche, etwa wenn die Autoren ihr Treffen mit dem geheimen Lockvogel beschreiben, sind es vor allem die Schilderungen über diese eine Nacht auf Ibiza, die dieses Buch so interessant machen. In „Die Ibiza-Affäre“ legen die beiden Journalisten noch einmal ganz ausführlich und mit vielen zuvor nicht bekannten Details dar, wie sich Strache und Gudenus auf dieser Partyinsel um Kopf und Kragen geredet haben, wie Gudenus etwa in Straches Auftrag am Ende des Abends noch extra zur vermeintlichen Oligarchennichte geht, um den Deal zu Ende zu bringen. „Joschi, mach das klar!“, lautete der Auftrag.

„Die Ibiza-Affäre“ ist der politische Soundtrack dieses Sommers und sollte unbedingt noch vor der Wahl im September gelesen werden.

Nina Horaczek in FALTER 34/2019 vom 23.08.2019 (S. 14)

Posted by Wilfried Allé Monday, August 26, 2019 6:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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