Die Arbeitslosigkeit in Österreich steigt seit einem Jahr beständig an und ist mittlerweile höher als vor der Corona-Pandemie. Bereits mehr als 370.000 Arbeitssuchende sind beim AMS vorgemerkt. Über 47 Prozent der Arbeitssuchenden verfügen nur über einen Pflichtschulabschluss. Gleichzeitig wächst der Fachkräftebedarf in vielen Branchen weiter an. Fachkräfte fehlen in Technik, Bau, Pflege, Gesundheitswesen, Elementarpädagogik, IT, Transport, Bildung und nicht zuletzt fehlen Fachkräfte, die eine klimagerechte Energiewende umsetzen können.
Zum jetzt schon bestehenden Fachkräftebedarf kommt in den nächsten Jahren - jedenfalls bis 2030 - die Pensionierung der Baby-Boomer-Generation. Jene 660.000 Arbeitnehmer:innen, die jetzt 55 Jahre und älter sind, werden in den nächsten Jahren den Arbeitsmarkt verlassen. Besonders in den systemrelevanten Branchen ist der Ersatzbedarf enorm. Als systemrelevant gelten laut WIFO Branchen, die wir alle brauchen, damit unser Alltag funktioniert. Diese reichen vom Handel, IT, Banken, Schulen, Medien, Ernährung, Wasser/Abfall, Energieversorgung, Pflege über das Gesundheitswesen zum Transport und zur Kinderbetreuung.
Die Lage am Arbeitsmarkt erfordert politisches Gegensteuern und Handeln. Dabei geht es weniger um ein „klassisches Konjunkturpaket“, wie das Baukonjunkturpaket vom Frühling 2024 oder die kürzlich beschlossene Verdoppelung des Investitionsfreibetrags, sondern darum, dass die negativen Beschäftigungseffekte der Konsolidierung adressiert werden. Nach der Stabilisierung der Beschäftigung braucht es mittelfristig zusätzliche strukturelle Maßnahmen, die hohe Beschäftigungseffekte haben und Beschäftigte in besser bezahlte, produktivere oder gesellschaftlich wertvolle Jobs bringen.
Wenn es keine Anstrengungen gibt, um den Verbleib älterer Arbeitnehmer:innen im Beruf bis zum Pensionsantritt gesund zu ermöglichen, wird sich der Fachkräftebedarf, der durch den Abgang der geburtenstarken Jahrgänge ohnehin erwartbar ist, nur weiter vergrößern. Für den österreichischen Arbeitsmarkt und ganze Branchen würde ein Nichtstun zu einer Katastrophe führen. Deswegen fordert Ines Stilling, Bereichsleiterin Soziales, AK Wien: „Jetzt ist die Zeit für mutige Entscheidungen und zukunftsweisende Investitionen. Unser Maßnahmenpaket soll schnellstmöglich umgesetzt werden, damit sich der österreichische Arbeitsmarkt nachhaltig positiv entwickeln kann.“
Finanzierung wäre möglich und wohlstandsfördernd
Österreich konsolidiert derzeit das Budget. Das ist allerdings eine mittelfristige Herausforderung. Auch die reformierten EU-Fiskalregeln lassen Spielräume im hohen dreistelligen Millionenbereich, deren kurzfristige Nutzung die Konsolidierung nicht gefährden würde. Gemessen an der aktuellen Arbeitsmarktlage sollten diese Mittel gezielt für den Beschäftigungsausbau eingesetzt werden.
Mittelfristig sollte der Spielraum konjunkturschonend durch weitere einnahmenseitige Maßnahmen gestärkt werden. Insbesondere eine Erbschaftssteuer kommt hierfür infrage: Selbst mit hohen Freibeträgen lägen die jährlichen Einnahmen derzeit bei über einer Milliarde Euro und würden mit dem steigenden Erbvolumen bis 2050 entsprechend steigen. Damit könnten etwa die steigenden Pflegeausgaben gedeckt werden. Auch für die notwendigen Klimainvestitionen sind Finanzierungsmöglichkeiten vorhanden oder können geschaffen werden – von einer höheren Lkw-Maut über staatliche Garantien und Kredite für den Netzausbau bis hin zur Einführung eines europäischen Klimainvestitionsfonds. Deutschland zeigt mit seinem „Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität“, dass in der aktuellen Situation neue Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden sollten.
https://www.awblog.at/Wirtschaft/Vollbeschaeftigung-in-weiter-Ferne-Zur-neuen-WIFO-Prognose