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Wie dekadente Eliten unsere Gesellschaft ruinieren

von Heinzlmaier Bernhard

ISBN 9783945398500
Genre: Belletristik/Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
Umfang: 120 Seiten
Format: Hardcover
Erscheinungsdatum: 19.09.2016
Verlag: Hirnkost
Preis: € 18,50

 

Beschreibung des Verlags:

Bernhard Heinzlmaier, Österreichs prominentester Jugend­forscher, pro­vo­ziert auch in sei­nem neuen Essay wieder dort, wo’s weh­tut, und die, die es tref­fen soll: prin­zi­pien­lose Ma­na­ger, die sich be­nehmen „wie das miss­ra­tene Kind einer wohl­stands­ver­wahr­los­ten Er­zie­hung“, Po­li­ti­ker, die „nur an die Macht wol­len, egal mit wel­chen In­hal­ten“. Aber auch den wieder er­stark­ten re­li­giö­sen Totali­taris­mus und schließ­lich das Phä­no­men der neuen rechts­popu­lis­ti­schen Bür­ger­be­we­gungen und Par­teien ana­ly­siert Heinzl­maier in der ge­wohn­ten Schärfe.

"Vieles von dem, was wir bis heute hoch­ge­schätzt und hoch­ge­halten haben, wie die Sta­bi­li­tät unserer klei­nen Ge­mein­schaften, die Sicher­hei­ten des Sozi­al­staates, der in­nere Friede im Land, die Sicher­heit des Ar­beits­plat­zes, die so­li­den Löhne und Ge­häl­ter, geht nach und nach ver­lo­ren, wird re­du­ziert oder gar ab­ge­schafft – und trotz­dem blei­ben die Men­schen selt­sam un­auf­ge­regt. Man ist zwar da­ge­gen, dass einem ge­nom­men wird, was man zu ha­ben ge­wohnt ist, aber nicht mit großer In­ten­si­tät. Leiden­schaft und Ziel­strebig­keit fehlen, weil sich die Men­schen nicht mehr sicher sind, dass ihnen das bis­he­rige gute Le­ben wirk­lich zu­ge­stan­den hat, dass sie es wirk­lich ver­dient ha­ben. Sie sind ver­un­sichert von einer neo­libe­ralen Pro­pa­gan­da, die ihnen er­folg­reich ein­redet, dass alle jene, denen es ma­te­ri­ell gut geht, ohne täg­lich große Ri­si­ken ein­zu­gehen, sich nur des­halb im Zu­stand der Zu­frie­den­heit be­fin­den, weil sie auf Kos­ten von staat­lichen Leis­tungen le­ben, die sich das Ge­mein­wesen gar nicht mehr leis­ten kann.

Im Gegensatz dazu wird als das richtige Leben eine in­sta­bi­le und un­sichere Seins­weise pro­pa­giert, eine dis­kon­ti­nuier­liche, ri­si­ko­reiche Exis­tenz voll ner­vöser Un­ruhe, ge­prägt von spon­tan auf­blitzen­den Chan­cen, die nur der er­grei­fen kann, der schnell, rück­halt­los und ohne zu zö­gern rea­giert und der vor allem da­zu be­reit ist, alte Sicher­heiten und Be­hag­lichkei­ten auf­zu­ge­ben. Der Neo­li­bera­lis­mus kann den An­blick des zu­frie­denen Men­schen nicht er­tra­gen. Er muss ihn aus sei­ner Kom­fort­zone ver­trei­ben, ihn in ei­nen Zu­stand der per­ma­nen­ten An­span­nung, der quä­len­den Be­sorgt­heit, der ego­is­ti­schen Angst und der feind­se­li­gen Kampfes­lust ver­setzt se­hen. Nur die­ser­art lebt der Men­sch, so die Ideo­lo­gie der Neo­li­be­ralen, im Ein­klang mit seiner Natur.“

Heinzlmaiers „Aufruf zum Widerstand“ erinnert an die auf­rüt­telnde Streit­schrift Empört Euch! des großen Stéphane Hessel. Aller­dings fällt Bern­hard Heinzl­maiers Be­stands­auf­nahme weni­ger opti­mis­tisch aus:

„Die Politik, so wie wir sie bisher ge­kannt haben, ist da­bei, zu ver­schwin­den. Was von ihr noch übrig ist, ist eine An­samm­lung von hand­lungs­un­fä­hi­gen hoh­len Ge­fäßen, ge­nannt Par­teien, deren Äu­ße­res zwar ar­tig und adrett aus­sieht, deren In­nen­le­ben aber he­run­ter­ge­kom­men und ver­rot­tet ist.“

„Während früher die Parteien Träger von Ideen, Ide­alen und Welt­an­schau­ungen, von Vi­si­onen und großen Ge­sell­schafts­ent­wür­fen waren, sind sie heu­te nicht mehr als sich un­ter dem Ein­fluss des Zeit­geis­tes wan­deln­de mo­di­sche For­men. Sie sind weit­ge­hend auf ihr äu­ße­res Er­schei­nungs­bild re­du­ziert, weil die großen Er­zäh­lungen, wie der Li­be­ra­lis­mus, der So­zia­lis­mus oder der Kon­ser­va­tis­mus, an Strahl­kraft ver­loren ha­ben. Wo die al­ten Welt­an­schau­ungen nicht mehr prä­sent sind, tritt an ihre Stel­le die Äs­the­tik.“

Bernhard Heinzlmaier seziert die öffentliche Per­for­mance der Par­teien mit dem schar­fen Blick des pro­fessio­nel­len Markt­for­schers:

„Aber auch die Ästhetik der Parteien ist, sieht man ge­nauer hin, nichts als wert­lo­ser Flit­ter, von em­pa­thie- und geist­lo­sen PR- und Wer­be­agen­turen ge­schaf­fener bil­li­ger Kom­mu­ni­kations­kitsch, be­ste­hend aus tri­via­ler, ein­falls­lo­ser und re­dun­dan­ter Bild­äs­the­tik und plat­ter, scha­ler und ba­na­ler Rhe­to­rik.“

„Die Politik ist heute weitgehend genauso oppor­tu­nis­tisch wie der durch­schnitt­liche Soft­drink-Kon­zern. Wie die schlimms­ten Pro­duk­te der Kul­tur­in­dus­trie, neh­men wir hier als Bei­spiel Helene Fischer, schmiegt die Po­li­tik sich gur­rend und schnur­rend an die vul­gä­ren Über­zeu­gun­gen und äs­the­ti­schen Be­dürf­nisse des Durch­schnitts­men­schen an und um­garnt sein Ego mit hin­ge­bungs­vol­len Treue-, Nutzen- und Sym­pa­thie­ver­spre­chen, von de­nen sie in dem Au­gen­blick, in dem sie sie ab­gibt, schon weiß, dass sie sie nicht hal­ten wird. So wie die Be­sucher­Innen des Helene-Fischer-Kon­zer­tes am Ende mit einem Packen re­ali­täts­fer­ner Il­lu­sio­nen in ihren freud­lo­sen All­tag zu­rück­ge­schickt wer­den, er­wachen die Wähler­Innen, wenn ihr von der mani­pu­la­tiven Über­zeu­gungs­kom­mu­ni­ka­tion her­vor­ge­ru­fe­ner Ge­sin­nungs­rausch aus­ge­schla­fen ist, mit Kopfs­chmer­zen und lee­ren Hän­den dort, wo sie sich im­mer schon be­fan­den, außer­halb des In­ter­es­ses und der Auf­merk­sam­keit der herr­schen­den po­li­ti­schen Elite.“

„Eine jede Politik, der es um Er­folg ab­seits von Über­zeu­gun­gen geht, die Wähler­Innen als Mani­pu­la­tions­ob­jekte be­trach­tet, die sie mit Maß­nah­men der stra­te­gi­schen Kom­mu­ni­ka­tion mal mehr und mal we­ni­ger sub­til dort­hin zu brin­gen ver­sucht, wo­hin sie sie ha­ben will, ist po­pu­lis­tisch. Po­pu­lis­tisch ist letzt­end­lich jede Po­li­tik, die von In­di­vi­duen be­herrscht wird, die in ers­ter Li­nie die Macht wol­len und de­nen es egal ist, mit Hil­fe wel­cher Ideen, In­hal­te, Aktio­nen und Kom­mu­ni­katio­nen sie zu die­ser kom­men. Po­pu­lis­mus ist die pure Lust an der Macht, die ohne Wer­te und Grund­über­zeu­gungen aus­kommt. Ge­lie­fert wird das, was sich dem Bür­ger am bes­ten ver­kau­fen lässt. Und das sind in der ge­gen­wär­ti­gen Si­tua­tion jene Ideen, deren Grund­lage ir­ratio­na­le Ängs­te und unter­drück­ter Hass sind. Po­li­tik hat heu­te dort Er­folg, wo sie an die Res­sen­ti­ments der Mas­sen an­knüpft, an deren unter­­drück­ten Är­ger, der sich da­durch zur Ent­la­dung brin­gen und für den Vor­teil der ei­ge­nen Par­tei ins­tru­men­ta­li­sieren lässt, wenn man ein pas­sen­des Opfer­lamm an­bie­tet, das dar­ge­bracht wird, um die ei­gene Schuld an der miss­li­chen Lage zu süh­nen und ver­ges­sen zu ma­chen. Die ei­gene Un­fähig­keit der mit­tel­eu­ro­päi­schen Be­völ­ke­rung, mit der Zu­wan­de­rung emo­tio­nal fer­tig­zu­wer­den, wird durch die ri­tu­elle Stig­ma­ti­sie­rung, Ab­wer­tung und Aus­schlie­ßung der Flücht­linge kom­pen­siert. Nicht die xeno­pho­ben, ver­un­sicher­ten und ängst­li­chen Bür­ger­Innen sol­len da­ran schuld sein, dass das Zu­sam­men­le­ben mit den Flücht­lin­gen nicht klappt, der Flücht­ling ist es, mit sei­nem un­zi­vili­sier­ten Be­tra­gen, sei­ner ge­lo­genen Not, sei­ner un­ge­zü­gel­ten Sexuali­tät.“

Nicht zufällig hat Bernhard Heinzl­maier sei­nen ak­tuel­len Essay am Vor­abend zahl­rei­cher Wah­len ver­fasst, in denen sich rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­teien an­schicken, im­mer mehr Par­la­men­te zu er­o­bern und Eu­ropa nach­hal­tig zu ver­än­dern. Wel­che Klien­tel be­die­nen die­se Par­teien ei­gent­lich? Wo wer­den sie bei den kom­men­den Wahlen in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (4.9.), Nieder­sachen (11.9.) und Ber­lin (18.9.), aber auch bei der er­neu­ten Bun­des­prä­si­den­ten­wahl in Öster­reich am 2. Ok­to­ber punk­ten kön­nen? fragt und ana­ly­siert Bern­hard Heinzl­maier im ab­schlie­ßenden Teil seines Essays.

„Das Ressentiment ist immer mit Neid ver­bunden. Man be­nei­det die, denen et­was ge­ge­ben wird, das man selbst nicht ha­ben kann. Dem Res­sen­ti­ment­be­la­denen geht es gar nicht pri­mär da­rum, dass das Un­recht ge­tilgt wird und er selbst das be­kommt, von dem er glaubt, dass es ihm zu­steht. Viel lie­ber ver­zich­tet er auf den ei­ge­nen Vor­teil, wenn er sich da­für an der Be­stra­fung derer, die aus sei­ner Sicht un­be­rech­tigt ge­nos­sen ha­ben, mit per­ver­sem Ver­gnü­gen de­lek­tie­ren kann. Und so blüht der Neid­bür­ger auf, wenn der Mi­grant in sein de­so­la­tes Her­kunfts­land ab­ge­scho­ben wird, die wei­nen­den Kin­der am Arm hin­ter sich her­zie­hend, die ge­rade alle ihre emo­tio­nal wich­tigen Be­zugs­per­sonen ver­loren ha­ben. Sein geis­ti­ges Auge sieht die Un­ge­be­tenen und Un­ge­lieb­ten be­reits jetzt, wäh­rend er vor dem Fern­seh­ap­pa­rat sit­zend deren Ver­la­dung in Trans­port­ma­schi­nen be­obach­tet, wie sie auf hilf­lo­ser Her­bergs­su­che durch ihnen fremd ge­wor­dene halb­zer­stör­te Städte irren. Und um das Herz wird es ihm ganz leicht, weil er sich ein klein wenig als Ur­heber des Straf­ge­richtes sieht, dass die Ar­men nun stell­ver­tre­tend für jene über sich er­ge­hen las­sen müs­sen, die er wirk­lich hasst, aber die er nicht has­sen darf, weil es ihm sein na­tio­na­lis­ti­sches Über-Ich ver­bie­tet: die öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Eli­ten sei­nes Lan­des.“


Bernhard Heinzlmaier ist seit über zwei Jahr­zehnten in der Jugend­for­schung tätig. Er ist Mit­be­grün­der des Insti­tuts für Jugend­kul­tur­for­schung und seit 2003 ehren­amt­licher Vor­sitzen­der. Haupt­be­ruf­lich lei­tet er das Markt­for­schungs­unter­nehmen tfactory in Ham­burg. 2013 er­schien im Archiv der Jug­end­kul­turen Ver­lag von ihm: Per­former, Styler, Ego­isten. Über eine Jugend, der die Al­ten die Ideale ab­ge­wöhnt haben.

Posted by Wilfried Allé Saturday, October 30, 2021 8:39:00 PM Categories: Belletristik/Essays Feuilleton Interviews Literaturkritik
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