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Kurz & Kickl 

Ihr Spiel mit Macht und Angst
Posted by Wilfried Allé Thursday, July 25, 2019 4:10:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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von Helmut Brandstätter

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Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.07.2019
Preis: € 22,00

 

Rezension aus FALTER 30/2019

Machtwille und Mediendominanz. Wie die türkis-blaue Regierung versuchte, den Kurier auf Linie zu bringen.

So unterschiedlich Kurz und Kickl im Auftreten sind, so sehr ähneln sie einander im Umgang mit den Medien, vor allem, was das Ziel betrifft: nämlich Einfluss zu haben, und zwar mit vielen denkbaren Methoden, wenn es sein muss auch mit der Verbreitung von Angst.

Der Unterschied lag in der Vorgangsweise. Kurz und seine Gefolgschaft machten es meistens geschickter, der Kanzler setzte lieber Mitarbeiter für Interventionen ein, griff aber auch selbst oft zum Telefon, mit einer Mischung aus Interesse an Redakteuren, deutlichen Wünschen an diese und Druck auf Eigentümer. Kickl agierte mit seinem Medienerlass vor allem gerichtet gegen KURIER, Standard und Falter, der immerhin zu einer kurzfristigen Solidarität unter Journalisten führte. Aber er wollte auch, dass seine Macht in der Regierung bekannt ist. Ein wenig Angst verbreiten, das passte ihm auch. Im ORF kursierte der Spruch: „Wenn du was werden willst, musst du zum Kickl gehen, nicht zu Strache.“ So etwas gefiel dem Politiker, der sich oft zu wenig anerkannt fühlte. (...)

Ich kann mich an kein persönliches Gespräch mit Herbert Kickl erinnern. Das klingt fast unglaublich, wenn man so lange im Wiener polit-medialen Komplex lebt. Um dieses Manko zu beseitigen, habe ich zu Beginn seiner Zeit als Innenminister um einen Termin angesucht, wie bei allen anderen Regierungsmitgliedern auch. Doch dazu kam es nie, Kickl verweigerte jeden Kontakt. Dafür sprach er mit den Eigentümern des KURIER, hier also eine Parallele zu Kurz.


Sebastian Kurz – der Kontrollor

Normalerweise nahm Kurz selbst nur die Vorbereitung von Schmutzarbeit in die Hand, hinter den Kulissen, also so, dass er nicht damit identifiziert werden konnte. Spätestens seit Kurz beschlossen hatte, die Regierung Kern/Mitterlehner zu ihrem Ende zu bringen oder ihr zumindest keinen Erfolg zu gönnen, also bald nach dem Antritt von Christian Kern im Mai 2016, begannen die Vorbereitungen für die Übernahme der ÖVP. Ein klares Ziel war die Schaffung einer der ÖVP noch freundlicheren Medienlandschaft. So hörte ich bald aus der Umgebung des Außenministers, jetzt müsse „der KURIER auf Linie gebracht werden“. Ja, genau so war die Formulierung. Dann wurde es schon persönlicher. Ein anderes Statement wurde mir so nähergebracht: „Du musst dich drei Schritte von Christian Konrad entfernen.“ Drei Schritte entfernen? Was heißt das? Warum? Und warum solle der KURIER, wie es hieß, „auf Linie gebracht werden“?

Den Versuch von Interventionen gab es in vielen Fällen, aber niemandem ist es gelungen, „den KURIER auf Linie zu bringen“. Umso größer war der Wunsch von Kurz, der das wusste. Und Christian Konrad? Der Raiffeisen-Generalanwalt und KURIER-Aufsichtsratspräsident hat mich im Sommer 2010 als Chefredakteur zum KURIER geholt und 2013 auch zum Herausgeber gemacht. In dieser Funktion hat er mir bei allen Interventionen, die bei ihm einlangten, den Rücken freigehalten. Er nahm die Unabhängigkeit des KURIER immer ernst. Vom August 2015 bis zum September 2016 war er dann Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und sollte in dieser Funktion für das bestmögliche Management sorgen. Gerade zwischen den Ministerien, den Bundesländern und den NGOs gab es viel zu koordinieren, um den Druck auf alle diese Institutionen zu reduzieren. Für den geplanten Wahlkampf von Sebastian Kurz war es besser, mehr Probleme zu zeigen als weniger, Konrad passte nicht in die türkise Strategie, und auch ein Zeitungsherausgeber, der die Flüchtlingswelle zwar als große Herausforderung sah, aber von seinen Überzeugungen her immer für menschliche Lösungen eintrat, war der ÖVP lästig. Das Vorgehen von Kurz und seinen Leuten verlief nach einer klassischen Doppelstrategie: Entweder wir bringen den KURIER „auf Linie“, wie ja die eindeutige Losung hieß, oder der Verantwortliche muss weg. Ich habe beides gespürt. Zunächst einen durchaus werbenden Sebastian Kurz, der gerne anrief, Treffen vereinbaren ließ, Standpunkte testete. Gleichzeitig liefen Beschwerden bei den Eigentümern ein. „Ich habe niemanden angerufen“, erklärte er mir regelmäßig, wenn ich ihn auf Interventionen ansprach. Kann man solche Anrufe wirklich sofort vergessen?

„Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“

Für den zweiten Teil der Strategie, den „KURIER auf Linie zu bringen“, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kurz zuständig. Besonders brutal war dabei das Vorgehen von Gerald Fleischmann, einem Mann, der kurz Journalist war, die meiste Zeit seines Lebens aber Pressesprecher. Dabei muss er eine eigene Art entwickelt haben, Redakteure unter Druck zu setzen und zu verunsichern. Anruf bei einem KURIER-Redakteur: „Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“ Er wurde erst etwas vorsichtiger, als ich im drohte, den nächsten derartigen Anruf wörtlich abzudrucken.

Auch andere Ministerinnen und Minister versuchten sich in der Methode der Message Control. Besonders patschert stellte sich Außenministerin Karin Kneissl an. Zu Beginn ihrer Amtszeit suchte der KURIER auch bei ihr um ein Interview an. Die Rückmeldung war ungewöhnlich: Ja gerne, aber sie werde nicht mit der Redakteurin sprechen, die das Interview machen wollte, wir sollten jemanden anderen schicken, ließ der Pressesprecher ausrichten. Wie bitte? Also rief ich Frau Kneissl persönlich an. Was haben Sie gegen diese Kollegin? „Diese Redakteurin hat einmal unfreundlich über mich geschrieben, mit der rede ich nicht.“ Meine Antwort: „Das muss ich zur Kenntnis nehmen, wir werden aber unseren Lesern erklären, dass und warum Frau Kneissl nicht im KURIER vorkommen will.“ Und dann sagte ich noch ein paar wenig freundliche Worte über ihre Nähe zum Boulevard, zu dem sie ja keine Berührungsängste hätte. Da reagierte sie besonders böse, erklärte mir, dass bei ihr im Zimmer einige Leute bei diesem Telefonat zuhören würden, und dann meinte sie: „Gut, schicken Sie diese Redakteurin, Sie haben mich erpresst.“ Was ich mir auch nicht gefallen ließ und drohte, diesen Vorwurf sofort auf unsere Website zu stellen. Worauf sie sich entschuldigte. Nein, in Österreich haben solche Episoden keine Konsequenzen. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Politikerinnen und Politiker, die sich aussuchen wollen, mit wem sie reden und was über sie geschrieben wird.

Dieses kleine Beispiel zeigt, dass manche ungeübte Politikerinnen und Politiker diese Message Control nur ungeschickt versuchten. Aber die ganze Regierung hätte am liebsten nur mit Medien gesprochen, wo man sich Fragen und Reporter aussuchen kann. Und die Regierung schreckte nicht zurück, gefügige Medien mit Steuergeld mittels Inseraten zu kaufen. Das war auch zuvor der Fall, aber Kurz und Co. haben uns ja oft versprochen, sie wollten „neu regieren“.

Kurz, Kickl und Strache – so sehen sie die Medien

Ganz grundsätzlich haben die drei Herren unterschiedliche Zugänge zu Journalisten und Medien. Kurz will sie gebrauchen, Strache hat sich mit ihnen arrangiert und Kickl würde die kritischen am liebsten abschaffen, und da er das nicht kann, müssen sie einfach boykottiert werden. (...) Dezember 2017. Die Regierungsbildung ist fast abgeschlossen, es sind nur mehr Details offen. Ein guter Grund für den designierten Bundeskanzler, sich wieder ins Studio von OE24.tv zu setzen. Sebastian Kurz spricht gerne mit Wolfgang Fellner, denn dieser stellt keine Fragen, sondern wirft unelegant, aber bewusst ein Hölzl nach dem anderen jenen Gesprächspartnern zu, die in seiner Gunst stehen. Besonders lieb wird behandelt, wer viel Geld im verschlungenen Medienkonstrukt der Fellners gelassen hat. Während die Sendung läuft, die natürlich als LIVE ausgewiesen wird, rufe ich Kurz am Handy an. Er hebt sofort ab. Erstaunlich, meine ich, wie könne er denn telefonieren, wenn er LIVE im Studio sitzt? Na ja, das ist halt aufgezeichnet, so seine Antwort.

Medien haben für ihn keine wesentliche Rolle in der Demokratie, er sieht sie eher als Verbreitungsorgane seiner Botschaften. (...) Die Demokratie lebt unter anderem vom Spannungsverhältnis zwischen der Politik auf der einen Seite und ihrer Beobachtung auf der anderen Seite. Genau das hat Kurz nie wirklich akzeptiert. Er sieht sich als Politiker, der Medien einfach nutzen will: Die Bilder seines Kameramanns und die Botschaften seiner Pressesekretäre sollen seine öffentliche Wahrnehmung bestimmen, nicht unabhängige Journalisten, die seine Inszenierungen und seine Worte hinterfragen.

„Wer mag mich?“

Spätestens seit dem 19. Juni 2017 habe ich verstanden, wie Kurz versucht, mit Journalisten zu spielen. Da war er bereits ÖVP-Obmann, die Regierung hatte er beendet und er war voll auf die Wahl im Herbst eingestellt. Wir trafen uns im Restaurant Mario in Wien Hietzing. In nur zwei Stunden habe ich sehr viel über Kurz erfahren, seinen Zugang zu Medien, seine Stärken, vor allem aber auch seine Schwächen. Kurz braucht ein Umfeld, in dem man ihn schätzt und mag.

Wenn das nicht der Fall ist, will er dahinterkommen, was denn getan werden könne, um gemocht zu werden. Ich kann es bis heute nicht glauben, wie wichtig es diesem raffinierten und in der Öffentlichkeit stets kontrolliert auftretenden Politiker ist, dass man „ihn mag“. Anderen erzählte er, dass er sich schwer damit tut, dass „man ihn hasse“. Diese Sehnsucht gemocht, vielleicht geliebt zu werden, treibt wahrscheinlich viele Menschen in Berufe mit starker Öffentlichkeitswirksamkeit. Bei Kurz klingt das immer wieder durch, wenn er etwa bei Reden einfließen lässt, dass er sich heute besonders wohl fühle, weil ja so viele Frauen und Männer da seien, die „ihn mögen“. Aber an diesem Abend wurde doch klar, dass Medien für ihn (noch) notwendige Hilfsmittel darstellen, solange nicht die ganze Kommunikation über die Sozialen Medien läuft. Und dass er keine Hemmungen hat, sich einzumischen, wo man ihn lässt. Den Hinweis, dass er ja Journalisten habe, die sehr positiv über ihn schrieben, quittierte er mit einem trockenen: „Ja, aber die rufe ich auch an und sage ihnen, es könnte noch besser gehen.“ Und wie sorgten Kurz und seine Leute, vor allem (die Pressesprecher, Anm.) Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann, dafür, dass es stets „noch besser“ ging? Durch brutalen Druck und penetrante Interventionen, immer wenn ihnen Geschichten nicht gefielen und oft, wenn sie Unangenehmes ahnten oder auch nur Unkontrolliertes wahrnahmen. Im ORF hörte man schon vor Regierungsantritt von Sebastian Kurz, dann aber umso häufiger, dass vor allem diese Mitarbeiter sich meldeten, sobald auch nur ein Pressetext ausgeschickt wurde. Wie denn die Geschichte aussehen würde und ob man denn helfen könne, das waren die harmlosen Fragen. Es gab auch andere, und es gab und gibt auch Formulierungen, denen man kein Fragezeichen anhängen konnte.

Helmut Brandstätter in FALTER 30/2019 vom 26.07.2019 (S. 21)

Jenseits von Kohle und Stahl 

Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom
Posted by Wilfried Allé Monday, July 15, 2019 12:38:00 AM Categories: Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
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von Lutz Raphael

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Verlag: Suhrkamp
Format: Hardcover
Genre: Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Umfang: 525 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.05.2019
Preis: € 32,90


Kurzbeschreibung des Herstellers:

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele Staaten Westeuropas von einem beispiellosen Strukturwandel erfasst: Die Fabriken der alten Industrien verschwanden, Millionen von Arbeitsplätzen gingen verloren, vormals boomende Städte gerieten in die Krise und neue soziale Fragen bestimmten die politische Agenda. Was aber ist aus dem stolzen Industriebürger geworden – aus seinen Arbeitsplätzen, Karrierewegen und Wohnquartieren? Wie haben sich soziale Rechte und politische Teilhabe von Arbeiterinnen verändert, als der Wettbewerb global, das Management schlank und der Finanzkapitalismus dominant wurde? Welche Ideen und Ideologien begleiteten den Wandel?
Am Beispiel der Industriearbeit in Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik erzählt Lutz Raphael die außerordentlich vielschichtige und spannende Geschichte der westeuropäischen Deindustrialisierung. Sie dauerte drei Jahrzehnte, ging mit einer Steigerung der Produktivität und des Lebensstandards einher, brachte aber auch Niedriglöhne, wachsende Ungleichheiten und eine Krise der demokratischen Repräsentation. Und vielleicht das Entscheidende: Sie wirkt bis heute fort – als Vorgeschichte unserer postindustriellen Gegenwart. Dieses Buch hilft, sie zu verstehen. Lutz Raphael, geboren 1955, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier, Gastprofessuren führten ihn u. a. nach Oxford und Paris. Er ist Mitglied sowohl der Mainzer Akademie der Wissenschaft und Literatur als auch der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2013 erhielt er den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Rezension von Gustav Seibt in der sueddeutsche.de

Krise 

Wie Nationen sich erneuern können
Posted by Wilfried Allé Sunday, July 14, 2019 11:42:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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von Jared Diamond

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Übersetzung: Sebastian Vogel
Übersetzung: Susanne Warmuth
Verlag: S. FISCHER
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 464 Seiten
Erscheinungsdatum: 22.05.2019
Preis: € 26,80
 
Kurzbeschreibung des Herstellers:

Nach den Bestsellern »Arm und Reich« und »Kollaps« zeigt der Pulitzer-Preisträger Jared Diamond in seinem neuen und bisher persönlichsten Buch, wie Nationen mit den gegenwärtigen Krisen – Klimawandel, soziale Ungleichheit, gesellschaftliche Polarisierung – erfolgreich umgehen können. Sie müssen Krisen bewältigen wie Menschen persönliche Schicksalsschläge! Anhand der deutschen Nachkriegsgeschichte, Chiles Umgang mit der Diktatur Pinochets, Japans erzwungener ökonomischer Öffnung 1853 und weiterer historischer Beispiele zeichnet Diamond die Muster nach, wie sich Staaten von tiefgreifenden Erschütterungen erholen. Dabei wird deutlich: Bei der Bewältigung von Krisen sind ähnliche Faktoren entscheidend wie beim Umgang mit individuellen Traumatisierungen: sich eingestehen, dass man in einer Krise steckt; eine ehrliche Bestandsanalyse betreiben, statt sich als Opfer zu stilisieren; die Probleme eingrenzen; Hilfe annehmen und bereit sein, aus Krisen anderer zu lernen. Letztlich gilt es, sich zu verändern, ohne alles infrage zu stellen. Ein Buch zur rechten Zeit, das erklärt, wie Nationen an Krisen wachsen und Hoffnung für die Zukunft macht. Jared Diamond Jared Diamond, 1937 in Boston geboren, ist Professor für Geographie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Evolutionsbiologie. In den letzten 25 Jahren hat er rund ein Dutzend Expeditionen in entlegene Gebiete von Neuguinea geleitet. Für seine Arbeit auf den Gebieten der Anthropologie und Genetik ist er mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Pulitzer-Preis. Nach ›Der dritte Schimpanse‹, ›Arm und Reich‹, ›Warum macht Sex Spaß?‹ und seinem Bestseller ›Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen‹, hat er zuletzt 2013 im FISCHER Taschenbuch ›Vermächtnis. Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können‹ (17732) veröffentlicht. Literaturpreise: Britain's Rhône-Poulenc Prize for Science Books 1998, Pulitzer-Preis 1998, Lannan Literary Award 1999, Dickson Prize für Wissenschaft 2006, Wolf-Preis für Agrarwissenschaft 2013

Die Gesellschaft des Zorns 

Rechtspopulismus im globalen Zeitalter
Posted by Wilfried Allé Sunday, July 14, 2019 9:59:00 PM Categories: Soziologie/Politische Soziologie
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von Cornelia Koppetsch

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Verlag: transcript
Format: Taschenbuch
Genre: Soziologie/Politische Soziologie
Umfang: 288 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.05.2019
Preis: € 19,99
 
Kurzbeschreibung des Herstellers:

Was noch in den 1990er Jahren undenkbar war, ist mittlerweile Alltag: Ganze Bevölkerungsgruppen verlassen den Boden der gemeinsamen Wirklichkeit, kehren etablierten politischen Narrativen zornig den Rücken oder bestreiten gar die Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens. Der Aufstieg des Rechtspopulismus markiert nach Dekaden der Konsenskultur eine erneute Politisierung der Gesellschaft.
Gängige Erklärungen für die Entstehung des Rechtspopulismus ziehen die Ereignisse der Fluchtmigration von 2015 oder vorgebliche Persönlichkeitsdefizite seiner Anhänger als Ursachen heran. Cornelia Koppetsch dagegen sieht die Gründe in dem bislang unbewältigten Epochenbruch der Globalisierung. Wirtschaftliche, politische oder kulturelle Grenzöffnungen werden als Kontrollverlust erlebt und wecken bisweilen ein unrealistisches Verlangen nach der Wiederherstellung der alten nationalgesellschaftlichen Ordnung. Konservative Wirtschafts- und Kultureliten sowie Gruppen aus Mittel- und Unterschicht, die auf unterschiedliche Weise durch Globalisierung deklassiert werden, bilden dabei eine klassenübergreifende Protestbewegung gegen die globale Öffnung der Gesellschaft. Cornelia Koppetsch, geb. 1967, ist seit 2009 Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Sie studierte Soziologie, Psychologie und Philosophie und promovierte in Soziologie bei Martin Kohli und Wolf Lepenies am Graduiertenkolleg »Gesellschaftsvergleich« der Freien Universität Berlin. Weitere wissenschaftliche Stationen waren die University of Chicago, die Universität Jena und die HU Berlin. Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sozialen Ungleichheiten, der Geschlechterverhältnisse in Paarbeziehungen, der Biografieforschung sowie des Aufstiegs der neuen Rechtsparteien.

Cornelia Koppetsch im Gespräch mit Joachim Scholl in deutschlandfunkkultur.de  ->

Die Honigbiene 

Posted by Wilfried Allé Wednesday, June 26, 2019 7:46:00 PM Categories: Erzählerische Bilderbücher Kinder- und Jugendbücher
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von Kirsten Hall

Die Honigbiene

Illustrationen: Isabelle Arsenault
Übersetzung: Anna Schaub
Empf. Lesealter: ab 4 Jahre
Verlag: NordSüd Verlag
Format: Hardcover
Genre: Kinder- und Jugendbücher/Erzählerische Bilderbücher
Umfang: 48 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.03.2019
Preis: € 16,50

Rezension aus FALTER 26/2019

Das Leben der wilden Bienen scheint nur idyllisch

Das Leben der Biene ist ein Fest: Das äußert sich hier verbal in Reimen und illustratorisch in der Dominanz der Bienenfarben Gelb und Schwarz. Man sieht nicht nur, wie die Bienen Nektar ernten und nach Hause tragen, sondern auch, wie sie Honig machen und ihn in Waben verstauen. "Wir müssen ihn schützen. Er wird uns noch nützen", sagen sie. Dass diese Idylle von Menschen gestört wird, die den Honig mopsen und den Bienen dafür schnöden Zucker geben, kommt in dieser reizenden Geschichte nicht vor, denn offenbar handelt es sich um wilde Bienen, ihr Stock hängt hoch in einem Baum. Und auf der letzten Seite wendet sich die Autorin an die kleinen Leser und erklärt ihnen auch, dass diese gefährdet sind und wie sie ihnen helfen können: indem sie zum Beispiel Wildblumen pflanzen oder einen Brief an Lokalpolitiker schreiben.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 26/2019 vom 28.06.2019 (S. 46)

Rettet den Boden! 

Warum wir um das Leben unter unseren Füßen kämpfen müssen
Posted by Wilfried Allé Thursday, June 20, 2019 10:05:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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von Florian Schwinn

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Verlag: Westend
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 240 Seiten
Erscheinungsdatum: 04.06.2019
Preis: € 24,70

 

Rezension aus FALTER 25/2019

Am Boden bleiben, erdverbunden oder geerdet sein: Durch die Sprache wird uns bewusst, wie wichtig die Ressource Boden ist. Beim Strukturwandel der Landwirtschaft zur Industrie habe die Branche an Bodenhaftung verloren, meint Florian Schwinn, mit drastischen Folgen für Klima, Pflanzen, Tiere und Bauern. Der Bauernbund sei kein guter Partner, um das zu ändern. Er warne immer nur vor einer Preissteigerung bei den Lebensmitteln. Doch genau die wäre im Sinne der Bauern, um nicht von Krediten abhängig zu sein. Die derzeitigen europäischen Agrarsubventionen seien inspirationslos und kontraproduktiv, moniert Schwinn.

Sein eindrücklicher Appell für eine „Humuswende“ zur Rettung der noch verbleibenden fruchtbaren Böden wartet nebenbei auch noch mit spannenden Geschichten über den Landraub in Rumänien, die Selbstmordrate unter französischen Bauern oder das Sexualleben des Regenwurms auf.

Juliane Fischer in FALTER 25/2019 vom 21.06.2019 (S. 34)

Erziehung prägt Gesinnung 

Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können
Posted by Wilfried Allé Wednesday, May 29, 2019 9:13:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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von Herbert Renz-Polster

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Verlag: Kösel
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.03.2019
Preis: € 20,60

 

Rezension aus FALTER 22/2019

„Harter Erziehung folgt härtere Politik“

Herbert-Renz Polster analysiert den Zusammenhang von autoritärer Erziehung und Rechtspopulismus

Das weltweite Erstarken von autoritären Parteien und Führern wird zumeist auf äußere Faktoren zurückgeführt: soziale und wirtschaftliche Benachteiligung sowie die Globalisierung. Der deutsche Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der mit seiner Familie sieben Jahre in den USA gelebt hat, gibt sich damit nicht zufrieden. Denn den Verlockungen von rechts, lautet seine These, erliegen von den USA über Europa bis in die Türkei auch Gutsituierte, während viele „Abgehängte“ populistischen Angeboten widerstehen.

Der Falter sprach mit Herbert Renz-Polster am Telefon über die Wurzeln des Autoritarismus in der Kindheit, über die Frage, wie man dessen Erstarken entgegenwirken kann und über den Unterschied zwischen der rechtspopulistischen deutschen AfD und der heimischen FPÖ.

Falter: Was hat Erziehung mit Politik zu tun?

Herbert Renz-Polster: Erziehung ist eminent politisch, denn sie hat immer auch damit zu tun, wie wir Kinder auf die Gesellschaft vorbereiten.

Warum sind immer mehr Menschen gerade jetzt anfällig für autoritäre Haltungen und Parteien?

Renz-Polster: Wir hatten ja zunächst eine sehr ruhige Fahrt durch die Nachkriegszeit mit einer Liberalisierung und Öffnung der Gesellschaft. Dann, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, haben wir für die globalisierte Konsumökonomie ein Betriebssystem gewählt, das Investoren beglückt, die Gemeinschaft aber vernachlässigt. Die letzten 15 Jahre waren geprägt vom Fallout einer ungehemmten Globalisierung. Die Ungleichheit nimmt zu, und die wenigen, die weltweit entscheiden, tragen keine soziale Verantwortung. Wenn die Nationalstaaten vor globalen Investoren zittern, entsteht bei vielen Bürgern eine tiefgreifende Verunsicherung: Moment einmal, wer sorgt hier eigentlich für meine Zukunft?

Entsteht die neue Unsicherheit also aus der sozioökonomischen Situation?

Renz-Polster: Nicht allein, das zeigt sich an der schizophrenen Programmatik der neuen rechten Protestbewegung. Wir steuern ökonomisch auf einen neuen Feudalismus zu, und die ökologische Situation spitzt sich zu. Aber um was geht es in den rechten Parteiprogrammen? Nicht um soziale Fragen oder die Umwelt. Es geht um Identität: um Kopftücher, Religion, Genderfragen, Homosexualität, Juden – um Dinge, von denen wir dachten, die seien abgehandelt. Bei so viel Irrationalität sollten wir tiefer bohren. Und wo wir suchen müssen, zeigt sich für mich an den Grundmotiven, die nun von den Rechten verhandelt werden.

Welche Themen sind das?

Renz-Polster: Im Rechtspopulismus geht es im Wesentlichen um drei Fragen: Anerkennung, Sicherheit und Heimat. Bei der Ankennung geht es darum, eine Stimme zu haben, bei der Sicherheit um die böse Welt da draußen, vor der wir uns schützen müssen: vor Flüchtlingen etwa, und jetzt sogar vor Wölfen. Beim Thema Heimat geht es um die Frage: Wo gehöre ich dazu? Damit sind wir mittendrin in Kindheitsfragen: Anerkennung, Sicherheit und Zugehörigkeit sind ja das dreigestaltige Grundmotiv der Kindheit! Wahlslogans wie „Make America great again!“ oder „Take back control“ in Großbritannien zeugen von der Sehnsucht, Kontrolle zurückzuerlangen. Dahinter steckt das Gefühl, klein und ausgeliefert zu sein. Die typisch autoritäre Sehnsucht nach Struktur, Ordnung und Reinheit, nach Hierarchie und einem Führer hat hier ihren Grund.

Was bedeutet Autoritarismus?

Renz-Polster: Unter Autoritarismus versteht man die Neigung, sich Normen und Konventionen zu unterwerfen, und gleichzeitig diejenigen abzuwerten, die nicht zu dieser Ordnung gehören. Charakteristisch für autoritäre Persönlichkeiten sind erhöhte Ängstlichkeit, Stressbereitschaft und negative Bewertungen. Daraus resultiert eine Anfälligkeit für die Versprechen autoritärer Führer von Kontrolle, Macht und Stärke und Feindbildern.

Was hat das konkret mit Kindheit zu tun?

Renz-Polster: Wenn die innere Sicherheit aus der Kindheit fehlt, werden äußere Angebote umso wichtiger: Hautfarbe, Ethnie, Nation, das Versprechen von zukünftiger oder vergangener Größe. Wenn man einen groben Raster über die Erde wirft und die autoritären Regimes aufleuchten lässt, dann deckt sich das stark mit den Regionen, in denen Kinder gewaltsam unterdrückt werden. In der westlichen Welt stellt die USA einen Vorreiter dar, weil hier autoritäre Haltungen deutlich stärker ausgeprägt sind als in Europa. Die 22 Bundesstaaten, in denen sich die meisten Menschen für die Züchtigung von Kindern aussprechen, sind alle an US-Präsident Trump gegangen. Das bedeutet, dass dort, wo harte Erziehungshaltungen vorherrschen, auch die Anfälligkeit für autoritäre politische Entscheidungen hoch ist.

Sie sagen, dass wir in der Politik „Familie spielen“. Was bedeutet das?

Renz-Polster: Das erste Gesellschafts- und Herrschaftsmodell, das Kinder kennenlernen, ist die Familie. Dort sind Kinder abhängig und lernen zum ersten Mal den Umgang mit Macht und Beziehungen kennen: Wie es ist, regiert zu werden – und was eine „normale Regierung“ bedeutet. Wer eine Ordnung kennenlernt, in der er nicht zu Wort kommt oder bei seinem Aufwachsen beständig Scham und Kränkung erlebt, wird sich als schwach, als machtlos empfinden – und auf eine lebenslange Reise geschickt, dieses Vakuum zu füllen.

Beruht eine strenge Erziehung auf Gehorsam und körperlicher Züchtigung?

Renz-Polster: Es ist ein bisschen komplizierter. Das lässt sich am Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern in Deutschland gut zeigen. Nach dem Mauerfall stellten Forscher fest, dass Jugendliche aus der DDR deutlich stärker autoritäre Meinungen hatten. In der DDR war aber körperliche Züchtigung vom Staat ausdrücklich nicht erwünscht, da man die Kinder ja auf den Sozialismus vorbereiten wollte. Aber Kinder waren in der DDR sehr früh in nach heutigen Standards unzureichenden Einrichtungen untergebracht, wo die eigene Stimme nicht zählte und sie lernten, sich unterzuordnen. Auch eine programmierte Kindheit ist autoritär. Der Zulauf zur rechtspopulistischen AfD in den neuen Bundesländern hat auch mit diesem Erbe zu tun.

Warum hat der Autoritarismus auf dem Land und bei Männern einen Überhang?

Renz-Polster: Das hat damit zu tun, dass das Land im kulturellen Wandlungsprozess immer ein bisschen hinterherhinkt, weil die Liberaleren und Jüngeren abwandern und die weniger Weltoffenen, Ängstlicheren zurückbleiben. Das sind zumeist Männer, denn die jungen Frauen gehen weg. Dazu kommt, dass auf dem Land das Movens des kulturellen Wandels fehlt: die Begegnung mit dem Anderen, und zwar in einem förderlichen, kooperativen Kontext. Dasselbe Problem wie bei der Landflucht haben wir bei der Binnenmigration in der EU, der Abwanderung von Ost nach West.

Insgesamt gehen wir heute besser mit Kindern um. Trotzdem gibt es einen Rechtsruck?

Renz-Polster: Wir haben heute zwar neue rechtspopulistische Parteien, und doch leben wir gerade in Mitteleuropa in den liberalsten, offensten Gesellschaften, die es auf diesem Boden jemals gab. Der AfD und der FPÖ zum Trotz haben autoritäre Haltungen abgenommen! Würden wir etwa die „Gastarbeiter“ heute so behandeln wie in der Zeit des Wirtschaftswunders? Nie und nimmer! Aber damals wurde der Autoritarismus politisch kaum aktiviert, weil es sozioökonomischen Rückenwind gab: gute Jobs, Aufstiegschancen, eine stabile Mittelschicht mit gemeinsamen Interessen. Heute aber wankt diese Anerkennungs- und Sicherheitsarchitektur: Im Zuge der Globalisierung hat der Staat an Sicherungskraft verloren, aus Facharbeitern sind Leiharbeiter geworden, die Männer fühlen sich durch Jobverlust und den Feminismus bedroht. Das führt dazu, dass Ängste stärker ansprechbar sind. Der Kettenhund, der keinen Anlass hatte zu bellen, ist erwacht.

Der Autoritarismus beginnt also sowohl innen als auch außen?

Renz-Polster: Genau, innen und außen sind hier untrennbar verbunden. Die Verletzlichkeit gegenüber externen Verlockungen wie den Sicherheitsangeboten rechter Parteien wird in der Kindheit angelegt. Ob sie zum Tragen kommt, hängt von äußeren Umständen ab. Ich verstehe die Kindheitsthese deshalb nicht als „neue Erklärung“ für den Autoritarismus, sondern als Ergänzung: Äußere Umstände sind Auslöser, die Ursache aber liegt in der Kindheit.

Wenn alles aus der Kindheit kommt, kann man dann nichts für seine Gesinnung?

Renz-Polster: Die Wege von der Kindheit zu unseren Gesinnungen sind vielfältig und haben viele Abzweigungen. Manche Menschen erleben später Beziehungen, die die ursprünglichen überschreiben, oder machen positive Erfahrungen in neuen Rollen. Manche Menschen, die eine harte Kindheit hatten, ziehen sich zurück und wollen nichts mit Politik zu tun haben. Andere suchen sich Menschen aus, die sie ausgrenzen können, wie etwa die Migranten. Erziehung begründet keinen Determinismus.

Welches Kindheitsgepäck bringen Migranten seit dem Herbst 2015 mit?

Renz-Polster: Da begegnet uns ein Paradox. Diese Migranten sind, als Gruppe betrachtet, selbst stark geprägt durch autoritäre Sozialisation, sodass es zu der fast schon kafkaesken Situation kommt, dass diejenigen, die die Flüchtlinge am meisten kritisieren, ihnen am ähnlichsten sind in punkto Homophobie, Antisemitismus oder Antifeminismus. Aber wenn zwei Fraktionen, die von Feindbildern leben, aufeinandertreffen, kommt es schwer zu Verbrüderungen. Dazu kommt: Wer in der Kindheit keine „Willkommenskultur“ erfahren hat, ist natürlich neidisch, wenn andere diese erleben. Auch hier zeigt sich das irrationale Moment, wenn am meisten kritisiert wird, dass die Flüchtlinge zum Beispiel Handys besitzen.

Wie sehen Sie die Situation des Rechtspopulismus in Österreich?

Renz-Polster: Österreich hat ein Problem. In Deutschland haben „nur“ 13 Prozent die AfD gewählt. Schwach abgeschnitten hat sie dabei vor allem bei den jungen Wählern. Auch Donald Trump hatte bei den unter 35-Jährigen nicht mal den Hauch einer Chance. Österreich hingegen macht mir Sorgen, weil die rechtspopulistische FPÖ sehr stark ist, aber auch die konservative ÖVP die Normen nach rechts verschiebt. Dazu kommt: Die Jungen stehen hinter der Programmatik beider Parteien! Die FPÖ war bei den Nationalratswahlen 2017 gar die beliebteste Partei unter den Jungen. Ich habe viele Studien angeschaut und darüber nachgedacht, warum das in Österreich so ist. Vielleicht ist die ländliche Struktur daran beteiligt, dass Erziehungshaltungen konservativer sind als etwa in Deutschland.

Sehen Sie auch bei den Protagonisten des aktuellen Ibiza-Skandals ein „Kindheitsmuster“?

Renz-Polster: Wenn man die Vergangenheit des zurückgetretenen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache recherchiert, stößt man auf eine von Beziehungsabbrüchen und autoritären Mustern belastete Kindheit: Der Vater verlässt die Familie, als der Bub gerade drei ist, mit sechs kommt er auf ein strenges Internat, mit 15 Schulabbruch, mit 17 findet er neue Väter in den Burschenschaften, deren Ideologie ihn anspricht. Zu Johann Gudenus habe ich vergleichsweise wenig gefunden, aber schon die Tatsache, dass er einen Vater hatte, der KZ-Überlebende offen verhöhnte, lässt tief blicken.

Mit welcher Erziehung vermeidet man die Entstehung autoritärer Persönlichkeiten?

Renz-Polster: Indem man die Kinder die bereits angesprochenen Grundlagen erfahren lässt: Anerkennung, Sicherheit und Zugehörigkeit. Die Botschaft muss lauten: Du bist okay! Du wirst nicht beschämt! Du darfst mitreden! Ich bringe dich nicht in Not! Wenn du Kummer hast, bin ich für dich da! Ich überlasse dich nicht emotionalen Stresssituationen, die du nicht bewältigen kannst!

Und wie bekämpft man Autoritarismus im institutionellen Bereich?

Renz-Polster: Kinder, die diese Sicherheiten in ihrer Familie nicht vorfinden, müssen sie in Einrichtungen wie Krippen, Kindergärten und Schulen erhalten mit der Botschaft: Wir stehen zu dir! Du kannst uns vertrauen! Wir haben verlässliche Beziehungen! Kinder verbringen heute mehr Zeit in Institutionen. Hier darf es deswegen nicht mehr nur um die Vermittlung von formaler Bildung und die Auslese von Gewinnern gehen, sondern muss den Kindern ein emotionales Fundament vermittelt werden: mit sich klarzukommen, mit anderen auszukommen, kreativ zu werden, eine Stimme auszubilden. Nur durch eine solche Erziehung zur Mündigkeit ist man geschützt vor autoritären Verlockungen.

Kirstin Breitenfellner in FALTER 22/2019 vom 31.05.2019 (S. 44)

Klare, lichte Zukunft 

Eine radikale Verteidigung des Humanismus
Posted by Wilfried Allé Friday, May 24, 2019 12:48:00 AM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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von Paul Mason, geb. 1960 in Leigh, ist ein englischer Autor und vielfach ausgezeichneter Fernsehjournalist. Er arbeitete lange für die BBC und Channel 4 News und schreibt regelmäßig für den Guardian.

Übersetzung: Stephan Gebauer
Verlag: Suhrkamp
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 415 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.05.2019
Preis: € 28,80

Kurzbeschreibung des Herstellers:

Stellen Sie sich vor, Sie geben die Kontrolle über große Teile Ihres Lebens an ein Computerprogramm ab, von dem es heißt, es regele das Zusammenleben effektiver als jeder Staat. Was vielen als undenkbar erscheinen mag, erweist sich als bittere Realität, wenn man »Computerprogramm« durch »Markt« ersetzt. Ging der Kapitalismus bislang mit liberalen Freiheitsrechten einher, so nimmt er unter Herrschern wie Putin oder Trump zunehmend autoritäre Züge an. Können diese nun auch noch auf die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und digitaler Überwachung zurückgreifen, ist der Mensch als autonomes Wesen in Gefahr.

Um die Werte der Aufklärung in die Zukunft zu retten, legt Paul Mason eine radikale Verteidigung des Humanismus vor. Ausgehend von Karl Marx’ Frühschriften entwirft er ein Bild vom Menschen, das ihn als ein selbstbestimmtes und zugleich gemeinschaftliches Wesen zeigt. Mason begleitet uns an die Orte vergangener und gegenwärtiger Kämpfe um Würde und Gerechtigkeit, von der Pariser Kommune über das von der Sparpolitik gebeutelte Griechenland bis hin zum Protest indigener Aktivisten auf der Inselgruppe Neukaledonien. Die Erben der Frauen und Männer auf den Barrikaden von damals, so Mason, sind die vernetzten Individuen von heute. Paul Mason, geboren 1960 in Leigh, ist ein englischer Autor und vielfach ausgezeichneter Fernsehjournalist. Er arbeitete lange für die BBC und Channel 4 News und schreibt regelmäßig für den Guardian.

Herrschaft der Niedertracht 

Warum wir so nicht regiert werden wollen!
Posted by Wilfried Allé Wednesday, May 15, 2019 7:24:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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von Robert Misik

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Verlag: Picus Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Umfang: 144 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.03.2019
Preis: € 15,00


Rezension aus FALTER 20/2019

Misiks Handreichung

Robert Misik – der auch regelmäßig für den Falter schrieb – gehört zu Österreichs „linken“ politischen Publizisten. Jährlich legt er ein Buch vor, das den Stand der Debatten seines Milieus brillant und kurzweilig auf den Punkt bringt. Im Wien der vorletzten Jahrhundertwende wäre er einer der mit spitzer Feder bewaffneten Haudegen gewesen, deren Kritiken und Feuilletons in den Cafés der Hauptstadt debattiert wurden. Im Wien der Nuller- und Zehnerjahre folgten ihm Tausende auf seinem Videoblog FS Misik auf Standard Online, den er mittlerweile über seine Homepage betreibt, und über 80.000 Menschen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Misik kann mit den neuen, sozialen Medien, Misik kann aber vor allem Buch und da vor allem politisches Feuilleton. Sein neues Buch „Herrschaft der Niedertracht“ bilanziert pointiert und bewusst polemisch den politischen Stand der Dinge in Österreich im europäischen Kontext. Kanzler Sebastian Kurz wird von ihm auf wenigen Seiten ebenso als inhaltsleerer Machtpragmatiker analysiert wie sein Autoritarismus, ebenso aber auch die Schwächen seiner politischen Gegner, der „Identitäts-Linken“. Das macht es zur Lesefreude für Anhänger wie Kritiker der herrschenden Umstände.

Denn auch wer Misiks Haltung nicht teilt, wird sich an seinem Stil erfreuen. Misik schreibt in der Tradition eines Josef Haslinger oder frühen Robert Menasse. 1987 hatte Haslinger mit seinem Essay „Politik der Gefühle“, 1996 Menasse mit „Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik. Essays zum österreichischen Geist“ die verdichtete Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheit, Gegenwart und Politik zur literarischen Form erhoben. „Politik mit Gefühlen, aber mit miesen“, schreibt nun Misik. „Die Rohheit ist im Amt und der Zynismus an der Macht. Dabei ist es eine Angstkultur, die benutzt und ausgebeutet wird. Angst vor dem Abstieg. Angst, dass der Boden unter den Füßen nicht mehr sicher ist. Diese Angst ist der Stoff, aus dem die Politik der Rohheit ihre täglichen Kampagnen schmiedet und ihre Gemeinheiten zusammenknetet.“

Barbaba Tóth in FALTER 20/2019 vom 17.05.2019 (S. 19)

Karl Polanyi 

Wiederentdeckung eines Ökonomen
Posted by Wilfried Allé Thursday, May 2, 2019 8:21:00 AM Categories: Politische Ökonomie Wirtschaftssoziologie
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von Armin Thurnher (Hg.), Brigitte Aulenbacher (Hg.), Andreas Novy (Hg.), Markus Marterbauer (Hg.)

EAN: 9783854396277
Verlag: Falter Verlag
Format: Gebundene Ausgabe
Umfang: 216 Seiten
Erscheinungsdatum: 29.04.2019
Preis: € 19,90


Karl Polanyi (1886–1964) gilt als einer der großen Denker der Sozialwissenschaft und Ökonomie. Geboren in Wien, aufgewachsen in Budapest, kehrte er nach dem Ersten Weltkrieg in seine Geburtsstadt zurück. 1933 emigrierte er nach England und ging später in die USA. Dort verfasste er während des Zweiten Weltkriegs sein bekanntestes Werk „The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen“, das heute zu den Klassikern der Soziologie zählt.
Polanyi betätigte sich als Sozialwissenschaftler, Ökonom, Journalist, Historiker und Anthropologe. Er prägte Kategorien wie jene von der „Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft“ oder der „Doppelbewegung“, die längst Standard im sozialwissenschaftlichen Diskurs sind. Die Tatsache, dass seine Arbeiten auch fünfzig Jahre nach seinem Tod immer noch aktuell sind, resultiert auch aus der Bedeutung, die marktfundamentalistische Ideen erneut gewonnen haben.
Mit Beiträgen u.a .von Michael Brie, Sabine Lichtenberger, Peter Rosner, Elisabeth Springer, Claus Thomasberger u.v.a. sowie einem Interview mit Kari Polanyi Levitt, der Tocher Karl Polanyis, geführt von Michael Burawoy.

Wir verzichten bei diesem Buch im Sinne der Umwelt auf die Verpackung mit Plastikfolie.
 

Rezension aus FALTER 18/2019

Schlag nach bei Karl Polanyi

Eine Konferenz und ein Buch widmen sich dem bedeutenden Ökonomen

Es gehört zu den typischen Wendungen im Gespräch mit rechten Partnern, dass sie einem Linken sogleich unterstellen, er sei ein Feind der Freiheit. Der Neoliberalismus, die seit den 1970er-Jahren im atlantischen Westen dominierende Ideologie, führt sie ja schon im Namen, libertas, die Freiheit, und er bezieht einen guten Teil seiner Attraktivität aus dem Versprechen, das er vermeintlich bietet: mehr Freiheit.

Die Linke aller Schattierungen befindet sich dagegen in der Defensive. Es gibt genug am Neoliberalismus zu kritisieren, seine falsche Voraussetzung (das rational handelnde Individuum), seine überbordende Ungerechtigkeit (allzu ungleich verteilte Einkommen), seine offensichtlich falsche Verteufelung alles Staatlichen (man denke an all die privat verantworteten Desaster, von der Reaktorkatastrophe in Fukushima über den Börsenkrach von 2008 bis zur eingestürzten Autobahnbrücke in Genua). Aber was immer die Linke kritisiert, wird durch die stereotype Behauptung entkräftet, sie sei die Feindin der Freiheit.

Voller Verzweiflung blickt die Linke auf eine „Neue Rechte“, die sich in Gestalt des französischen Intellektuellen Alain de Benoist oder der amerikanischen Alt-Right neuerdings wieder antikapitalistisch gibt. Deren Galionsfigur Steve Bannon versuchte sogar, den Erzschwindler Donald Trump als Antikapitalisten zu verkaufen. Selbst hier schüttelte die Linke besorgt das Haupt, als die Menschen an den Kohlegruben und im Rust Belt den Donald wählten. Dessen Antikapitalismus hat sich als kolossaler Humbug herausgestellt, keine Rede von der versprochenen Regulierung der Wall Street und der Trockenlegung der Washingtoner Lobbyistensümpfe. Aber er besetzte erfolgreich linke Themen bis hin zum Protektionismus.

Was soll die Linke tun, wenn die Rechte nun beginnt, Liberalismus und Kapitalismus zu kritisieren oder gar darangeht, linke Theoretiker wie Antonio Gramsci linkisch einzugemeinden? Sie sollte sich nach Karl Polanyi umsehen. Dieser in Wien geborene, 1933 nach London emigrierte Österreicher war Ökonom und Historiker und publizierte in den USA ein Buch, das die Londoner Times 1977 zu den „größten Büchern des 20. Jahrhunderts“ zählte. „The Great Transformation“, so heißt es auch auf Deutsch, handelt von der großen Umwandlung, die alles dem Markt unterwirft. Und es erzählt von der Gegenbewegung gegen diese Vermarktlichung von allem, die alles zur Ware machen möchte. Diese Gegenbewegung fällt immer doppelt aus, als Doppelbewegung. In den 1930er-Jahren bildeten die Totalitarismen Faschismus und Stalinismus und zugleich auch die Versuche, sich auf nichttotalitäre Weise vom Marktzwang zu befreien, wie etwa das Rote Wien, das Polanyi zeitlebens als prägend betrachtete, eine solche Gegenbewegung.

Das Wichtigste an Polanyis Thesen: Es geht ihm immer um Freiheit. Sein Buch sollte als Gegenbuch zu dem eines anderen Österreichers gelesen werden, zu Friedrich August Hayeks „Weg zur Knechtschaft“. Beide Werke erschienen 1944, beide standen unter dem Eindruck von Faschismus und Kommunismus. Hayek setzte sein Werk als Ausgangspunkt einer durchchoreografierten intellektuellen Offensive in die Welt, die zuerst in akademischen Kreisen Anerkennung finden sollte, ehe sie politisch zu wirken begann.

Ab Anfang der 1970er-Jahre war es dann so weit. Polanyi hingegen, zeitlebens mehr als Volksbildner und akademischer Lehrer denn als Ideologe unterwegs, fand seine Vorstellungen im Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsjahre ansatzweise verwirklicht und wollte sich nicht vorstellen, dass diese sozialstaatliche Einhegung des Kapitalismus je wieder zurückgenommen werden würde. Er gehört in die Bretton-Woods-Ära (1945–73) und zum Keynesianismus. Vielleicht hat nicht nur das verspätete Erscheinen einer deutschen Übersetzung (erst 1977!) die Rezeption seines Werks hierzulande behindert und verzögert. Im angelsächsischen Raum war das anders; dort wird Polanyi seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. In den letzten Jahren ist sogar eine deutliche Belebung dieser Debatte zu verzeichnen.

Polanyis Konzept einer in das Wirtschaftsleben eingebetteten Gesellschaft (statt einer in die Gesellschaft eingebetteten Wirtschaft) ist Ausgangspunkt zahlreicher kritischer Diskurse. Das Programm der britischen Labour Party beruft sich ebenso auf Polanyi wie der demokratische Präsidentschaftskandidat und Senator Bernie Sanders. Das konservative Magazin Economist widmete Polanyi ebenso große Artikel wie der New Yorker oder die New York Times. Diese erklärte dessen Buch zu den bedeutendsten Werken der Emigration. Dass Polanyis Tochter Kari Polanyi-Levitt in Kanada lehrte und den Nachlass und das Werk ihres Vaters betreute, trug vielleicht zu diesem Überwiegen der Polanyi-Rezeption im angelsächsischen Raum bei.

Österreich wird nun zum Ausgangspunkt einer europäischen Polanyi-Renaissance. Die Soziologin Brigitte Aulenbacher, Professorin an der Johannes Kepler Universität Linz, organisierte 2017 einen Polanyi-Kongress in Linz; 2018 wurde in Wien im Rahmen eines zweiten Polanyi-Kongresses die International Karl Polanyi Society gegründet. Ort der Gründung war die Wiener Arbeiterkammer, als Reverenz an das von Polanyi so sehr geschätzte Rote Wien. Präsident der Gesellschaft wurde der Ökonom Andreas Novy, Professor am Department für Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien; Aulenbacher wurde Vizepräsidentin.

Angeregt durch diesen Kongress erschien im Falter die Beilage „Transformation des Kapitalismus?“, die Werk und Wirkung Polanyis dokumentierte. Pünktlich zum dritten Polanyi-Kongress, der von 1. bis 5. Mai in Wien und Budapest stattfindet, erscheint diese Beilage, überarbeitet und um einige Texte erweitert, nun als Buch.

Zum Kongress selbst, der ab 3. Mai im Wiener Radiokulturhaus Station macht, werden Kari Polanyi-Levitt und der in Harvard lehrende Ökonom Dani Rodrik mit Keynotes erwartet. Der ehemalige EU-Kommissar László Andor wird ebenso sprechen wie Polanyis englischer Biograf Gareth Dale (mit einem Essay auch im Buch vertreten), der in Vancouver lehrende Geograf Jamie Peck und Marguerite Mendell, Direktorin des Karl Polanyi Institute of Political Economy in Montreal.

„Wenn die Wirtschaft und der Markt zu Taktgebern der Gesellschaft werden und alles zur Ware gemacht wird, werden die Lebensgrundlagen zerstört. Karl Polanyi hat dies für die bloß ‚fiktiven Waren‘ Land (Natur), Arbeit, Geld eindringlich beschrieben. Statt das Leben zu ‚vermarkten‘, muss Wirtschaft lebensdienlich sein“, stellt Brigitte Aulenbacher gleichsam als Motto der Polanyi-Konferenz voran.

Armin Thurnher in FALTER 18/2019 vom 03.05.2019 (S. 16)

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