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Mut zum Recht! 

Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat
Posted by Wilfried Allé Monday, January 13, 2020 8:09:00 PM Categories: Fachbücher
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von Oliver Scheiber

Oliver Scheiber zeigt auf, was einer modernen Justiz fehlt. Er berichtet aus seiner Erfahrung in Rechtsprechung und Justizpolitik, wo Schwächen bestehen und wie sie sich ausbessern ließen. Der Horizont seines Buchs reicht von Kunst und Literatur bis zu Journalismus und Geschichte und zur Realität des Gerichtssaals.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Justiz, die ihren Anspruch nicht aufgeben darf, moderner, das heißt menschengerechter zu werden.

EAN: 9783854396604
Verlag: Falter Verlag
Format: Taschenbuch
Umfang: 232 Seiten
Erscheinungsdatum: 21.11.2019
Reihe: Fachbücher
Preis: € 19,90

 

Rezension

Wenn es ein Gegenteil von Betriebsblindheit gibt, ist es Oliver Scheiber zu eigen. Der langjährige Richter, derzeit Gerichtsvorsteher am Bezirksgericht Meidling, ist in Justizkreisen als lautstarker Kritiker der Verhältnisse bekannt. Seine Sicht der Dinge hat er im Band Mut zum Recht! verschriftlicht.

Nun mag keine Profession es gern, wenn einer der Ihrigen öffentlich strukturelle Selbstkritik übt. Da wird gern zurückgeschossen auf den Überbringer der Nachricht, dass auch die Justiz – Überraschung – ihre Schwachstellen hat. Dass sich Scheiber nicht beirren lässt, seine Kritik an der Zweiklassenjustiz nur noch leidenschaftlicher formuliert, spricht für ihn, aber auch für seinen Text. Der Essayband birgt für jene, die das Gericht nur von außen kennen, spannende, leicht lesbare Einblicke.

Die Lektüre lohnt aber vor allem wegen der Visionen, die der justizpolitisch engagierte Richter formuliert. So fordert er die Richterschaft auf, Mitleid mit Tätern zu zeigen, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen. Der Juristerei wünscht er eine neue Sprache, die auch von Laien verstanden wird. In seinen Essays wird der Autor diesem Anspruch gerecht. (Maria Sterkl, 24.11.2019, derstandard.at)

Wissenschaft und Spiritualität 

Universum, Leben, Geist – Zwei Wege zu den großen Geheimnissen
Posted by Wilfried Allé Sunday, January 12, 2020 7:24:00 PM
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von Jaeger, Lars

Dieses Buch betrachtet naturwissenschaftliches und spirituelles Denken und Erkennen als zwei eigene, sich gegenseitig ergänzende und befruchtende Zugänge zur Erkenntnis, die sich in ihren Entwicklungsgeschichten immer wieder maßgeblich beeinflusst haben.
Geht über eine einfache Auslotung der Berührungspunkte von Naturwissenschaften und Religion und der Grenzen zwischen beiden hinaus.
Vermittelt ein neuartig-originelles und gewinnbringendes Verständnis von Spiritualität jenseits esoterischer oder im engeren Sinne religiöser Vorstellungen: Spiritualität als Erkenntnismethode und ethische Guideline.
Der Autor vereinigt beide Blickrichtungen, sein naturwissenschaftliches Studium hat er parallel zu einem philosophischen Studium betrieben; zudem besitzt er gute Kenntnisse gerade über den Buddhismus, der in vielen spirituellen Debatten und Denkströmungen heute eine bedeutende Rolle spielt.
Das Buch diskutiert auch einige sehr relevante praktisch-ethische Gesichtspunkte, die sich aus dem gemeinsamen Motivationsraum vom Wissenschaft und Spiritualität ergeben.

Interview mit Lars Jaeger: „Wissenschaft und Spiritualität – Zwei Wege zu den großen Geheimnissen“ ->

Verlag: Springer Verlag
Format: Softcover
ISBN: 978-3-662-50284-6
Erscheinungsdatum: 23. September 2016
Preis Taschenbuch: € 19,99
Seiten: 480
Preis E-Book: € 6,99


Über dieses Buch

Lars Jaeger begibt sich in diesem Buch auf eine spannende Spurensuche nach der Verbindung zweier scheinbar konträrer Weltzugänge – und die Ergebnisse sind eindrucksvoll: Naturwissenschaft und spirituelle Denktraditionen kennen weit mehr Gemeinsamkeiten, als ihre Gegensätze und Wesensunterschiede vermuten lassen. Was beide Zugänge eint, ist die Suche nach den großen Weltgeheimnissen und ihrer Erklärung. Gibt es vielleicht auch einen gemeinsamen Weg bei dieser Suche? Werden uns die Physiker irgendwann den Anfang der Welt erklären? Werden wir eines Tages erfahren, wie aus dem Netzwerk von Neuronen in unserem Gehirn Bewusstsein hervorgeht? Werden wir wissen, wie die wirklich allerkleinsten Bausteine der Materie aussehen? Und wenn ja, was heißt das jeweils für uns, für unser Selbstbild und unser Welterleben? Wie beeinflusst es unser spirituelles Erleben? Und zuletzt: Was bedeutet all dies für unsere zentrale Frage nach dem „Sinn des Ganzen“? Die Art, wie naturwissenschaftliche Erkenntnis funktioniert, und die Leitfragen der spirituellen Erfahrung treten in ein spannendes Wechselspiel. Dieses bestimmt eine interdisziplinäre Reise, die den Leser in den Bann ziehen wird.

Gibt es eine Form von Spiritualität ohne Selbsttäuschung, die nicht klebrig oder kitschig ist und bei der man seine Würde als kritisches, vernünftiges Subjekt nicht verliert? Viele denken heute über die Möglichkeit einer säkularisierten Spiritualität nach, die ohne Sterblichkeitsverleugnung auskommt und mit den Ergebnissen der modernen Wissenschaft in Einklang gebracht werden kann. Lars Jaeger leistet einen Beitrag: Er führt den Leser auf eine ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Reise zu Gemeinsamkeiten und Gegensätzen wissenschaftlichen und spirituellen Denkens. Hochaktuell, bestens informiert. Prof. Thomas Metzinger, Universität Mainz, Autor von Der Ego-Tunnel

Über den Author

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Sein voriges Buch Die Naturwissenschaften. Eine Biographie ist ebenfalls bei Springer Spektrum erschienen.

Leidenschaftlich Rot 

Darum mehr Sozialdemokratie
Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 27, 2019 8:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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von Gerhard Zeiler

Verlag: Brandstätter Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Erscheinungsdatum: 25.11.2019
Preis: € 22,00

 

 

Rezension aus FALTER 48/2019

Gerhard Zeilers Plan B für Pamela Rendi-Wagner

Der Medienmanager will offensichtlich bei der Zukunft der SPÖ mitreden. Ob die Parteiführung seine Denkanstöße ernst nimmt?

Was wäre gewesen, wenn Gerhard Zeiler in den letzten drei Jahren die SPÖ geführt hätte? In seinem neuen Buch „Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie“ lässt der 64-jährige Medienmanager, der seine Karriere als SPÖ-Parteisekretär begonnen hat, keine Zweifel daran, dass er im Jahr 2016 gerne die Partei übernommen hätte. „Hätte ich nur annähernd geahnt, aus welchem Persönlichkeitsholz Christian Kern geschnitzt ist, wäre ich im Mai 2016 in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen ihn angetreten“, schreibt Zeiler.

Er stoppt aber auch gleich Gerüchte ab, er wolle 2019 einen zweiten Anlauf starten. Nein, seine – mit dem Journalisten Peter Pelinka gemeinsam verfasste – Streitschrift sei kein Bewerbungsschreiben. „Nicht, dass es nicht Zeiten gegeben hätte, in denen ich mir sehr gut vorstellen hätte können – und es auch explizit angestrebt hatte – mitzuhelfen, die SPÖ wieder zu einer erfolgreicheren Partei zu machen. Aber diese Zeiten sind vorbei.“ Pamela Rendi-Wagner sei für ihn die ideale Kandidatin einer progressiven Mitte-links-Partei des Jahres 2019. Weil Ärztin, Quereinsteigerin, Frau. Wenn auch von keinem idealen Beraterteam umgeben.

Was würde Zeiler anders machen? Zeiler ist Medienprofi genug, um konkrete Antworten zu liefern. Er würde zum Beispiel im Fall des Falles, dass die türkis-grünen Koalitionsgespräche scheitern, ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Duldung einer Minderheitsregierung vorschlagen, begrenzt auf zwei Jahre und unter klaren Bedingungen. Erstens „die Erhöhung des monatlichen gesetzlichen Netto-Mindestlohns auf 1700 Euro innerhalb des ersten Regierungsjahres“ und zweitens die „Verabschiedung eines akkordierten und wirksamen Klimapaketes, das eine CO2-Abgabe mit sozialem Ausgleich beinhaltet“. Eine Partei für die arbeitenden Menschen mit ökologischem Gewissen links der Mitte, das sollte in Zeilers Augen die SPÖ sein.

Man müsse den Begriff „Leistung“ wieder für sich erobern, ganz so, wie SPÖ-Chef Bruno Kreisky es im Jahr 1970 auf dem Programmparteitag tat. „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ waren damals die Kern­slogans. Das verträgt sich zum Beispiel nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das Zeiler scharf ablehnt, genauso wenig mit klassenkämpferischen Parolen wie „Holt euch, was euch zusteht“ aus dem Kern-Wahlkampf des Jahres 2017.

Im neunten Kapitel legt Zeiler dann einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm mit sechs Kernthesen vor. Die SPÖ sieht er als „Schutzpartei der sozial Schwächeren, Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit“, als Kämpferin gegen den Klimawandel, aber als Wirtschaftsversteherin (Zeiler kritisiert das rote Nein zur Arbeitszeitflexibilisierung als „weltfremd“, und das ist nicht die einzige Kritik an den Gewerkschaften), als Bildungsreform-, Sicherheits- und Staatsreformpartei.

Hier spürt man: Zeiler wurde sozialisiert in einer Zeit, als seine geliebte Partei noch unhinterfragt die Mitte der Gesellschaft repräsentierte und die SPÖ-Chefs Kreisky, Fred Sinowatz (den er, als dessen Ex-Pressesprecher, als großen Politiker und Intellektuellen würdigt) und Franz Vranitzky hießen. So wie über Kern verliert Zeiler auch über Faymann wenig gute Worte, mehr noch: Er erwähnt ihn genau einmal, ganz so, als wären die immerhin acht Jahre, die er die Partei führte, verlorene Jahre gewesen. Was Zeiler über Rendi-Wagners Zukunft sagt, ist doppeldeutig. „Ob sie auf Dauer Parteivorsitzende bleiben wird, kann ich nicht vorhersagen. Ich weiß nicht einmal, ob ich es ihr wünschen soll.“ Ein ausführliches und beeindruckendes Bewerbungsschreiben für den Job als ihr Chefberater hat er jedenfalls abgegeben.

Barbara Tóth in FALTER 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 24)

Gerhard Zeiler im Interview mit Michael Völker, vom 25. November 2019 ->

Gig Economy 

Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co.
Posted by Wilfried Allé Tuesday, November 26, 2019 12:38:00 PM Categories: Industriesoziologie Soziologie/Arbeitssoziologie Wirtschaftssoziologie
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von Colin Crouch

Übersetzung: Frank Jakubzik
Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Soziologie/Arbeitssoziologie, Wirtschaftssoziologie, Industriesoziologie
Umfang: 136 Seiten
Erscheinungsdatum: 29.09.2019
Preis: € 14,40

 

Rezension aus FALTER 48/2019

Auswege aus der Gig Economy

Colin Crouch braucht nur ein paar Zeilen, um das Problem der „Gigworker“, der Scheinselbstständigen, die für Plattformfirmen wie Mjam, Uber oder Mechanical Turk arbeiten, zu erklären. Er erzählt vom Fall eines 53-jährigen DPD-Paketzustellers aus Südengland, der an einem diabetischen Koma starb. Er hatte mehrere Arzttermine versäumt, DPD hatte ihm eine Strafe von 150 Pfund aufgebrummt, weil er seine Zustellquote nicht erreicht hatte. Nach seinem Tod änderte DPD zwar seinen Umgang mit den Arztterminen seiner Arbeitskräfte, aber das Grundproblem blieb gleich.

Ausgebeutet, prekär, rechtlos, nicht gewerkschaftlich organisiert sind Mitarbeiter von Plattformkonzernen das Subproletariat der Gegenwart. Oft trägt die Allgemeinheit diese hybriden Arbeitsformen indirekt mit, wenn Gigworker durch eine Mindestsicherung mitfinanziert werden.

Hier setzt Crouch an. Sein Vorschlag: Ersetzen oder ergänzen wir die Sozialversicherung durch eine Steuer auf die Nutzung menschlicher Arbeitskraft. Jede Firma, die eine menschliche Dienstleistung nutzt, egal ob angestellt oder nicht, soll eine Art Umsatzsteuer dafür zahlen. Stellt sie Menschen an, gewährt der Staat ihnen bessere Leistungen, belohnt sie also, der Beitrag verringert sich ein wenig. Ebenso sollen alle Einwohner in diese Versicherung einzahlen.

Crouchs interessanter Vorschlag ist aus britischer Perspektive gedacht, in Österreich gibt es bereits strengere Regeln für Gigworker. Das ist im Übrigen ein irreführender Begriff, weil „Gig“, aus dem Englischen für Konzert, eigentlich viel zu positiv besetzt ist für das, was die modernen Tagelöhner leisten.

Trotzdem sind auch in Österreich sogenannte freie Dienstnehmer, die für Plattformfirmen arbeiten, oftmals eigentlich Angestellte. Für sie zahlt der Auftraggeber immerhin Sozialversicherungsbeiträge. Ihren arbeitsrechtlichen Status – und damit Anspruch auf Mindestlohn – könnten sie prüfen lassen, die Arbeiterkammer ist ihre Vertretung. Aber nicht alle wissen das.

Barbara Tóth in FALTER 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 24)

Mehr Gerechtigkeit! 

Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar
Posted by Wilfried Allé Wednesday, November 20, 2019 6:38:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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von Hans-Jochen Vogel

Klappentext

Bezahlbarer Wohnraum ist das soziale Thema unserer Zeit. Immer mehr Menschen stellt sich die bange Frage, wie lange sie sich ihr Heim noch leisten können. Nicht nur in Großstädten zeigen die Preise nur noch nach oben. Die bisherigen politischen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert im Kampf gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Den eigentlichen Grund hinter den steigenden Preisen hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: nämlich die explosive Steigerung der Baulandpreise. Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent.

Verlag: Verlag Herder
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 80 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.11.2019
Preis: € 12,40

 

Rezension aus FALTER 47/2019

Ein Testament für den Kampf um Grund und Boden

Der deutsche Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel plädiert für eine neue Bodenordnung mit massiven Steuererhöhungen für Grundbesitzer

Der Aufschrei in vielen Großstädten ist unüberhörbar: Wohnen ist zu teuer. Wohnraum ist in Europas Metropolen für viele immer schwerer leistbar. Die Mittelschicht wird an den Stadtrand und ins Umland gedrängt, weit weg von ihren Jobs und vom urbanen Leben. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber ein wesentlicher Preistreiber ist bekannt: Banken, Fonds und Versicherungen investieren in Wohnraum, um möglichst viel Geld zu verdienen. Damit treiben sie den Preis für Bauland immer weiter und schneller in die Höhe. Und der Staat lässt diese Geschäftemacherei auf Kosten der Bürger viel zu oft zu.

Die Preise für Bauland sind in Deutschland seit 1962 um 2300 Prozent gestiegen. Von den Kosten eines Wohnungsbaus entfielen im Jahr 1962 durchschnittlich acht Prozent auf die Grundstückskosten, auf die Baukosten 92 Prozent. Geht es nach Hans-Jochen Vogel, dann sind diese Zahlen ein dringender Auftrag an die Politik, endlich die Bodenfrage zu stellen. Vogel, 93 Jahre alt, hat sich seine ganze politische Laufbahn lang für lebenswertes und leistbares Wohnen eingesetzt; von 1960 bis 1972 als Oberbürgermeister von München, in den 1970ern als deutscher Bundesbau- und Bundesjustizminister, 1983 als SPD-Kanzlerkandidat und von 1987 bis 1991 als Chef der SPD.

Nun hat dieser Mann im biblischen Alter das kleine Buch „Mehr Gerechtigkeit!“ vorgelegt, in dem er energisch für eine neue Bodenordnung in Deutschland eintritt. Vogels zentrale Argumentation: „Grund und Boden ist keine beliebige, je nach Bedarf produzierbare oder auch verzichtbare Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar. Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.“

Dass Grund und Boden eine politisch hochsensible Angelegenheit sind, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits 1967 festgehalten (und seither immer wieder ­bestätigt). Die deutsche Politik, so klagt Vogel, hat diesen von den Verfassungshütern so großzügig ausgelegten Handlungsspielraum niemals genutzt oder gar ausgeschöpft. Dabei liegt für Vogel – grob verkürzt – auf der Hand, was für eine gerechtere Bodenordnung zu tun wäre. Erstens: Verbot und strenge Ausnahmereglementierung für den Verkauf von Grund und Boden durch die öffentliche Hand. Zweitens: massive Wiederbelebung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus inklusive legistischer Unterstützung und steuerlicher Begünstigung. Drittens: rigorose Besteuerung des Gewinns aus Steigerungen des Bodenwertes.

Wer sich aus Wiener Sicht Vogels Forderungen für eine neue Bodenordnung ansieht, darf grundsätzlich den Kurs der Stadt bestätigt sehen (der Autor dieser Zeilen ist der Sprecher der Wiener Wohnbaustadt­rätin). 220.000 Gemeindebauwohnungen im Besitz der Stadt und der wirtschaftlich starke Sektor der gemeinnützigen Bauvereinigungen sind für Vogel der Hauptgrund, warum die Wohnsituation in Wien besser ist als in anderen Metropolen.

Vogels Argumentation liest sich überdies geradezu wie eine Empfehlung für die Wiener Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“. Mit der 2018 beschlossenen Bauordnung wurde geregelt, dass bei Neubauprojekten in Zukunft grundsätzlich zwei Drittel der Wohnungen gefördert sind und damit leistbar bleiben. Aber auch Wien ist keine Insel, an der internationale Trends spurlos vorbeiziehen. Auch in Wien wird Wohnen im frei finanzierten Sektor teurer. Vogels politisches Testament ist daher eine gute Erinnerung daran, dass alte Errungenschaften immer wieder aufs Neue verteidigt und an den Lauf der Zeit angepasst werden müssen.

Wolfgang Zwander in FALTER 47/2019 vom 22.11.2019 (S. 23)

Wasser Stadt Wien 

Eine Umweltgeschichte
Posted by Wilfried Allé Saturday, November 16, 2019 10:13:00 AM Categories: Gewässermanagement Städtebau Umweltgeschichte
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Der Band "Wasser Stadt Wien - Eine Umweltgeschichte" widmet sich der Geschichte Wiens als Stadt am Wasser.

Zahlreiche Illustrationen mit historischen Karten und Ansichten, GIS-Rekonstruktionen der Wiener Landschaften und aktuelle Fotos zeigen den Wandel der Stadt und ihrer Gewässer seit der frühen Neuzeit.

Das Buch ist eine Reise durch Zeiten und Räume - eine Reise, die bis in das Römische Vindobona, zum Schwarzen Meer und an die Nordsee führt. Gezeigt wird die sich verändernde Rolle der Donau und der Wienerwaldbäche für das Leben und Wirtschaften in der Stadt.

Der Band zeigt Praktiken der Gewässernutzung, aber auch die Risiken, die die Gewässer bargen und denen die Stadtbewohnerinnen und -bewohner seit Jahrhunderten mit unterschiedlichsten Mitteln begegneten.

Herausgeber: ZUG – Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien
Verläger: Universität für Bodenkultur Wien: Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG), Institut für Soziale Ökologie (SEC), Technische Universität Wien / Forschungsbereich Städtebau
Autorinnen und Autoren: Gertrud Haidvogl, Friedrich Hauer, Severin Hohensinner, Erich Raith, Martin Schmid, Christoph Sonnlechner, Christina Spitzbart-Glasl, Verena Winiwarter
Gefördert von: Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, Stadt Wien (Fachabteilung Wiener Wasser, Fachabteilung Wiener Gewässer)
Projektpartner: Wiener Stadt- und Landesarchiv
Wien Museum
Wienbibliothek im Rathaus
Printausgabe: 496 Seiten, Ganzleinenband mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-900932-67-1
Preis: € 39,-

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Globalisten 

Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus
Posted by Wilfried Allé Thursday, November 14, 2019 3:34:00 PM Categories: Sozialwissenschaften allgemein
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von Quinn Slobodian

Übersetzung: Stephan Gebauer
Verlag: Suhrkamp
Format: Sozialwissenschaften allgemein
Umfang: 522 Seiten
Erscheinungsdatum: 11.11.2019
Preis: € 32,90

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Nachdem Handelspolitik lange eine Sache spezialisierte Juristen war, ist sie heute ein Feld heftiger politischer Auseinandersetzungen: Beim Brexit steht der freie Warenverkehr auf dem Spiel, Donald Trump droht deutschen Autobauern mit Schutzzöllen.

In seinem Buch, das in der englischsprachigen Welt für Furore sorgt, wirft Quinn Slobodian einen neuen Blick auf die Geschichte von Freihandel und neoliberaler Globalisierung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Gruppe von Ökonomen um Friedrich von Hayek und Wilhelm Röpke. Getrieben von der Angst, nationale Massendemokratien könnten durch Zölle oder Kapitalverkehrskontrollen das reibungslose Funktionieren der Weltwirtschaft stören, bestand ihre Vision darin, den Markt auf der globalen Ebene zu verrechtlichen und so zu schützen.

Slobodian begleitet seine Protagonisten durch das 20. Jahrhundert. Er zeigt, wie sie auf neue Herausforderungen – die Entkolonialisierung etwa oder die europäische Integration – reagierten und aus einer Außenseiterposition heraus die Deutungshoheit eroberten. Quinn Slobodian, geboren 1978 im kanadischen Edmonton, ist Associate Professor am Department of History des Wellesley College. Seine Spezialgebiete sind deutsche Geschichte, soziale Bewegungen und das Verhältnis zwischen den Industrieländern und dem globalen Süden.

Rezension zu "Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus" von Quinn Slobodian

Der Erste Weltkrieg wird oft als Urkatastrophe des kurzen 20. Jahrhunderts bezeichnet. Wie Quinn Slobodian in seinem Buch Globalisten zeigt, wurde diese Einschätzung auch und gerade von einer Gruppe von Denkern geteilt, die gemeinhin als Neoliberale adressiert werden – wenn auch aus ganz besonderen Gründen. Aus ihrer Perspektive war 1914 nämlich eine ganze liberale Welt zusammengebrochen. Es handelte sich um eine Welt, die größtenteils aus Nationalstaaten bestand, allerdings von Imperien dominiert wurde und in der britische Kriegsschiffe die Pax Britannica durchsetzten. Dieser ‚hundertjährige Friede‘ (Karl Polanyi) ermöglichte in Kombination mit dem Goldstandard Welthandel in einer Größenordnung, wie sie erst wieder im Zeitalter der gegenwärtigen Globalisierung erreicht werden sollte.

Die Kernthese Slobodians lautet, dass diese globale Dimension, die von derart großer Bedeutung für die Existenz der mit dem Ersten Weltkrieg zerstörten liberalen Welt gewesen war, nach wie vor eine herausragende Rolle im Denken jener Gruppe von Neoliberalen spielte, die er als „Genfer Schule“ bezeichnet: es sind diese Globalisten, auf die sich der Titel des Buchs bezieht.

Den Genfern, zu denen Slobodian bekanntere Denker wie Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises und Wilhelm Röpke, aber auch unbekanntere wie etwa Michael Heilperin und Gottfried Haberler zählt, erschien die Welt am Ende des ‚Großen Krieges‘ als eine, die zunehmend unter rivalisierenden Nationalstaaten aufgeteilt war, deren Massendemokratien auf bedenkliche Weise dem Sozialismus oder ‚ökonomischen Nationalismus‘ zuneigten – sei es, weil sie planwirtschaftliche Elemente ins Spiel brachten oder bereit waren, Handelsbarrieren zu errichten. Diese Situation verschärfte sich durch eine weitere Zäsur, auf deren Auswirkungen die Genfer reagierten: die Weltwirtschaftskrise, angesichts derer das liberale Credo von den Vorzügen freier Märkte zunehmend zynisch wirkte und die zudem den zaghaften Versuchen, die ökonomischen Grundbedingungen der liberalen Welt des 19. Jahrhunderts etwa in Form des Goldstandards wiederherzustellen, eine Ende bereitete. Die dritte jener Zäsuren, die von zentraler Bedeutung in Slobodians Narrativ sind, ereignete sich allerdings erst sehr viel später, nämlich in den 1970er-Jahren, als eine Gruppe gerade entkolonialisierter Länder bessere Konditionen im Welthandel einforderte und kraft der mit diesen Ansprüchen verbundenen Agenda einer Neuen Weltwirtschaftsordnung das GATT-Regime faktisch in Frage stellte. Wie Slobodian in meisterhafter Manier zeigt, reagierte die Genfer Schule auf jede dieser Zäsuren mit Strategien, die nicht so sehr darauf abzielten, einen wie auch immer gearteten liberalen Status Quo ante wiederherzustellen – handelte es sich doch um Neo- und nicht um Retroliberale. Vielmehr sollte sichergestellt werden, dass der globale Handel unabhängig von und ungestört durch die jeweiligen politischen Ordnungen vonstattengehen konnte. Ausgedrückt in der konzeptionellen Sprache des Römischen Rechts, die Röpke und andere Neoliberale aufgriffen, galt es, die Welt des dominium, das heißt von Eigentum, Handel und Finanzen, vor den Beeinträchtigungen zu schützen, die von der Welt des imperium, das heißt von Nationen, Ländern und Völkern ausgingen. Konkret lief diese Programmatik darauf hinaus, die Rechte des Kapitals gegenüber (postkolonialen) Demokratien in Schutz zu nehmen; diese Demokratien also gewissermaßen im Interesse eines unbehelligten Welthandels zu ‚ummanteln‘.

Slobodian vollzieht nach, wie die Genfer Schule auf die genannten Zäsuren mit neuen Überlegungen und Entwürfen reagiert. In den 1920er-Jahren besteht die Antwort darin, die Weltwirtschaft in einer Weise zu modellieren und zu visualisieren, dass die vielfältigen Nachteile von Protektionismus und ‚Zollmauern‘ (tariff walls) möglichst suggestiv in Erscheinung treten. Doch ist diesen Versuchen kein nachhaltiger Erfolg beschieden, wie nicht zuletzt die Weltwirtschaftskrise und der mit ihr verbundene, grassierende Protektionismus belegen.

Die Lehre, die die Genfer aus den Unzulänglichkeiten jener „Welt der Zahlen“ (S. 81) zieht, lautet, dass sich die widerstreitenden Logiken von imperium und dominium am besten im Rahmen einer supranationalen Föderation ausbalancieren lassen. Unterschiedliche Entwürfe einer solchen Föderation finden sich etwa in den Werken von Lionel Robbins, Hayek oder Röpke, die freilich auf dieselbe Quintessenz hinauslaufen: Falls die supranationale Ebene solcher Föderationen ausschließlich die Macht habe, ‚nein zu sagen‘, wie Hayek formulierte, und damit die ungestörte Mobilität von Waren und Menschen zwischen womöglich divergierenden Jurisdiktionen sicherzustellen, dann ließen sich auf einem derartigen Binnenmarkt diverse Ziele verwirklichen: Es könnte sich nicht nur eine transnationale Arbeitsteilung mit den entsprechenden Spezialisierungseffekten entwickeln, vielmehr würde ein solcher Binnenmarkt einzelnen Jurisdiktionen auch die Macht entziehen, über ökonomische Akteure und ihre grenzübergreifenden Aktivitäten zu bestimmen. Sozusagen als Kompensation für diese Souveränitätsverluste bliebe den Menschen freilich vorbehalten, über kulturelle Fragen zu entscheiden, um etwaige nationalistische Bedürfnisse zu befriedigen.

Jedoch brachte das Ende des Zweiten Weltkriegs keineswegs eine „Welt der Föderationen“ (S. 133), sondern die Institutionalisierung der Vereinten Nationen, die auf ganz anderen Prinzipien beruhte. Slobodian zeichnet nach, wie sich die Genfer daraufhin in ihren Überlegungen dem Recht auf Kapitalbesitz und -transfer zuwenden, um das spannungsreiche Verhältnis zwischen imperium und dominium in ihrem Sinne auszutarieren. Michael Heilperin, ein langjähriges Mitglied der Mont Pèlerin Society, betonte etwa die Notwendigkeit, Kapitaleigentümer und ihre Rechte nicht nur vor Enteignungen, sondern auch vor Kapitalverkehrskontrollen zu schützen. Letztlich, so Heilperin, sei das Recht, ein Land zu verlassen und dabei freie Verfügungsgewalt über die Lokalität seines Kapitals zu besitzen, nicht weniger als ein Menschenrecht.

Diese „Welt der Rechte“ (S. 175) nahm im Nachkriegseuropa eine besondere Form an. 1957 wurde mit den Römischen Verträgen ein Binnenmarkt konstituiert, als dessen Rahmen eine ‚ökonomische Verfassung‘ fungierte, von der schon bei deutschen Ordoliberalen wie Walter Eucken und Franz Böhm die Rede gewesen war – wenn auch in nationalstaatlichen Zusammenhängen. Im Rahmen dieser ‚Verfassung‘ wurden die vier Grundfreiheiten (bezogen auf den freien Verkehr von Waren, Menschen, Kapital und Dienstleistungen) mit unmittelbarer Wirksamkeit (‚direct effect‘) ausgestattet, wie es in den entsprechenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs hieß. Dies bedeutet, dass natürliche und juristische Personen das Recht haben, vor nationale und europäische Gerichte zu ziehen, wenn sie der Auffassung sind, dass diese Rechte verletzt werden, sei es durch (nicht-tarifäre) Handelshemmnisse oder Gewerkschaften, die wiederum auf ihre Rechte pochen können – in den einschlägigen Rechtsstreiten aber zumeist unterlagen.

Freilich blieb, wie Slobodian herausarbeitet, die Genfer Schule gespalten was die Frage angeht, ob die Europäische Gemeinschaft tatsächlich das passende Modell für die Re-Liberalisierung des Welthandels darstellte oder doch eher als eine gigantische ökonomische Festung zu verstehen sei, die errichtet wurde, um ungewollte Konkurrenten vom Binnenmarkt fernzuhalten, also eigentlich nur einen ökonomischen Nationalismus auf höherer Ebene manifestiere. Diese Bedenken machten sich unter anderem an der bevorzugten Behandlung fest, die einstmalige imperiale Mächte wie Frankreich ihren ehemaligen Überseeterritorien zuteilwerden ließen. Und damit wendet sich Slobodian der globalistischen Wahrnehmung der ‚Entwicklungsländer‘ und ihrer vorwiegend nicht-weißen Bevölkerungen zu. Diese Perspektive auf eine „Welt der Rassen“ (S. 211) offenbart eine eher ungewöhnliche – oder womöglich durchaus gewöhnliche – Art von Liberalismus, etwa was die Annahmen über das zivilisatorische Niveau der Länder der Sub-Sahara oder die dort umso stärker ins Gewicht fallenden Defizite demokratischer Mehrheitsherrschaft angeht, die unweigerlich in der selbstzerstörerischen Herrschaft des ökonomischen Nationalismus und der damit verbundenen Gefahr für die Regeln des dominium enden müssten.

Den Schwerpunkt des letzten Kapitels legt Slobodian dann auf eine Rekonstruktion der Vorgeschichte der Welthandelsorganisation. Nachgezeichnet wird, wie Hayekianer aus der WTO ein Freihandelsregime zu formen versuchten, das Hayeks Einsichten bezüglich der Komplexität des (Welt-)Marktes als einem riesigen Informationsprozessor Rechnung tragen würde, der zwar einen bestimmten Rahmen benötige, jedoch keinerlei direkte Interventionen dulde. Im Namen einer „Welt der Signale“ (S. 311) sollte dem damaligen Trend in der Entwicklungsökonomik entgegengewirkt werden, die verstärkt auf makroökonomische Modellierungen im Dienste der oben erwähnten Neuen Weltwirtschaftsordnung setzte.

Die Stärken von Slobobians Buch, das von der American Historical Society mit dem „George Louis Beer-Preis“ für das beste Buch im Bereich internationaler europäischer Geschichte ausgezeichnet wurde, sind vielfältig: Globalisten präsentiert eine herausragende Forschungsleistung, die zudem durch außergewöhnlich gut geschriebene Prosa überzeugt. Es handelt sich, anders gesagt, um ein ausgesprochen akademisches Buch, das selbst dort lesbar bleibt, wo es sich mit den teils höchst undurchsichtigen und technischen Fragen des Welthandels befasst. Die Gesamtkomposition des Buches ist dabei überaus elegant; jedes Kapitel widmet sich einer bestimmten ‚Welt‘, so wie die Globalisten sie über die Zeit hinweg imaginierten und zu verwirklichen trachteten. Am wichtigsten sind zweifelsohne die äußerst originellen Funde und Befunde, an denen in Slobodians Studie keinerlei Mangel herrscht: Der Neoliberalismus ist kein anti-staatlicher Marktfundamentalismus, wie es nach wie vor vielerorts behauptet wird. Vielmehr versteht er den Staat als wichtigen Faktor in seinem Bestreben, die Welt des proprium zu sichern – wobei jener Staat gleichzeitig auch deren größte Bedrohung darstellt. Was Slobodians Narrativ hingegen so einzigartig macht, ist seine Refokussierung der Neoliberalismus-Forschung auf Herrschaftsstrukturen jenseits des Nationalstaats im Kontext von untergehenden rassistisch imprägnierten Imperien. Die Bedeutung dieser Ebenen und Kontexte ist in der bisherigen Forschung allenfalls unzureichend berücksichtigt worden. Slobodians Vorschlag, die Variationen des neoliberalen Denkens um eine Genfer Schule zu erweitern, wird zweifellos Folgestudien veranlassen, die uns ein mutmaßlich noch klareres Bild dieser Version von Neoliberalismus vermitteln werden, und zwar nicht nur in seiner Sichtweise auf die OECD-Welt, sondern auch auf den Globalen Süden.

Bisweilen überspannt Slobodian, das darf nicht unerwähnt bleiben, den Bogen seiner Kernthese ein wenig, ruft man sich etwa in Erinnerung, dass die meisten Neoliberalen, inklusive Hayek, trotz aller supranationalen Erwägungen vorwiegend eben doch im nationalstaatlichen Rahmen dachten. Aber das sind Vorbehalte und Fragen, die zukünftige Forschungsarbeiten hoffentlich aufgreifen werden, die ansonsten in Slobodians wichtigen Einsichten und Thesen ihren Ausgangspunkt finden sollten. Zweifelsohne liefert Globalisten sowohl (Ideen-)Historiker*innen wie politischen Theoretiker*innen eine überaus anregende Lektüre. Sein Narrativ endet zwar mit der Gründung der Welthandelsorganisation Mitte der 1990er-Jahre, aber es enthält eine Vielzahl von Implikationen für unsere Gegenwart: von Handelsabkommen wie TTIP und CETA bis hin zu einer Europäischen Union, in der die „ordoglobalistische“ Perspektive, wie Slobodian sie nennt, zur Etablierung eines Regimes der Austerität in Reaktion auf die Eurozonenkrise geführt hat, und einem Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, dessen Politik die Genfer zweifellos als ökonomischen Nationalismus und damit als einen Angriff der Welt des imperium auf diejenige des dominium gebrandmarkt hätten.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer.

Die unbewohnbare Erde: Leben nach der Erderwärmung 

The Uninhabitable Earth: Life After Warming
Posted by Wilfried Allé Monday, November 4, 2019 12:12:00 PM Categories: Umwelt/Ökologie
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von David Wallace-Wells

Zwar werden verschiedene Aspekte der Klimakrise in den Medien häufig thematisiert, doch wie sich die Lebensumstände auf der Erde in den nächsten Jahrzehnten im Detail verändern könnten, spielt in der öffentlichen Diskussion eine eher untergeordnete Rolle. David Wallace-Wells hat konkrete Szenarien für eine möglicherweise unerträgliche Zukunft entwickelt. Der Autor bekennt: „Ich bin kein Umweltschützer und sehe mich nicht einmal als Naturliebhaber“. Er wollte nicht über die wissenschaftlichen Aspekte der Erderwärmung schreiben, beispielsweise die exakten physikalischen Folgeerscheinungen der Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Seine Texte beruhen jedoch auf Forschungen und Prognosen anerkannter Wissenschaftler. Daraus entwickelte der Journalist Szenarien, welche konkreten Auswirkungen die Erderhitzung auf die Biosphäre und auf menschliche Gesellschaften haben könnte. Der Autor beschreibt die schlimmstmöglichen Folgen im Rahmen verschiedener Worst Case-Szenarien, zeigt sich jedoch optimistisch, dass die Menschheit in der Lage sein wird, die kommende Krise zu bewältigen.

Verlag: Random House
Genre: Umwelt/Ökologie
Umfang: 310
Erscheinungsdatum: 19.02.2019
Preis: € 14,40



Rezension aus FALTER 44/2019

Wie wird die Erde in fünfzig Jahren aussehen?

Wer glaubt, beim Klimawandel ginge es nur darum, dass der Meeresspiegel ein wenig steigt oder dass es im Sommer um ein paar Grad wärmer wird, hat kaum etwas verstanden. Aufklärung gibt Journalist David Wallace-Wells. Sein Buch ist eine Art futuristischer Reisebericht, ein Streifzug durch die nächsten fünfzig Jahre. Er zeigt, wie die Erde in den kommenden Jahrzehnten aussehen wird – Klimakriege, wirtschaftliche Verwüstung und Nahrungsmittelknappheit nicht ausgeschlossen. Ein Weckruf für alle, die bislang das Thema ignoriert haben.

Emily Walton in FALTER 44/2019 vom 01.11.2019 (S. 22)

Die falschen Freunde der einfachen Leute  

Es bedarf vielmehr ein Gespräch über Angst, als einer Lektion über Rassismus
Posted by Wilfried Allé Saturday, November 2, 2019 8:06:00 PM Categories: Politikwissenschaft/Politik Wirtschaft
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von Robert Misik

Inhalt

Alte Parteien verschwinden, neue tauchen auf, die Leitplanken des Diskurses verschieben sich. So chaotisch die politische Situation sich darstellt, so unübersichtlich ist das Angebot an Deutungen für den Aufstieg des autoritären Nationalismus: Die einen erklären ihn mit Politikverdrossenheit und amorpher Wut, andere mit ökonomischen Faktoren wie Globalisierung und wachsender Ungleichheit, wieder andere führen ihn auf die vermeintliche kulturelle Abwertung von Menschen mit konventionellen Werten und Lebensstilen zurück.

Für sich genommen, so Robert Misik, ist jede dieser Erklärungen viel zu simpel gedacht. Ökonomische und psychopolitische Dynamiken schaukeln sich hoch. Die verborgenen Verwundungen in einer Klassengesellschaft brauchen multikausale Erklärungen – und radikale Antworten.

Verlag: Suhrkamp
Format: Taschenbuch
Genre: Politikwissenschaft/Politik, Wirtschaft
Umfang: 138 Seiten
Erscheinungsdatum: 11.11.2019
Preis: ca. 14,40 €
Lieferbar:: ab 11.11.2019

Rezension aus FALTER 44/2019

Die sogenannten einfachen Leute

Warum die mediale Darstellung der Arbeiterschaft als ignorant, rassistisch und intolerant nicht nur falsch ist, sondern auch die falschen Parteien stärkt

In vielen europäischen Städten machen Menschen mit Migrationshintergrund rund 50 Prozent der Einwohnerschaft aus. Längst gibt es auch eine eingewanderte Mittelschicht, doch unter den verwundbarsten Arbeitnehmern und unter denen, die am Arbeitsmarkt keine Chance haben, sind Migranten häufiger vertreten, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Der verletzbarste Teil der Arbeiterklasse, das sind Teile der alten weißen Arbeiterklasse und das neue, zugewanderte Proletariat.

Ihre Lage ist oft sogar frappierend ähnlich: Das beginnt mit der Chancenarmut, mit der sie bereits ins Schulleben starten. Es geht weiter mit den abwertenden Zuschreibungen und Projektionen, der Herablassung, mit der sie täglich konfrontiert sind. Setzt sich fort mit dem Hangeln von schlechtem Job zu schlechtem Job und dem – wenn überhaupt – verspäteten Eintritt in ein stabiles Beschäftigungsleben.

Betrachtet man die Dinge so, könnte man beinahe meinen, diese verschiedenen besonders verwundbaren Gruppen müssten sich zusammentun, ein instinktives Solidaritätsgefühl entwickeln. Und tatsächlich ist das ja auch manchmal der Fall: Spricht man mit Angehörigen der weißen Arbeiterklasse, die sich als Verlierer fühlen, kann man von ein und derselben Person hören, dass durch „die vielen Ausländer“ alles schlechter werde, dass „sie“ (die Eliten) all die Zuwanderer reinlassen, der türkische Kollege im Betrieb aber ein klasser Kerl sei, auf den sie nichts kommen lassen, und dass der syrische Ladenbesitzer im Nebenhaus bewundernswert fleißig sei oder der serbische Elektroinstallateur, der sich so um die Kinder kümmert und keinen Elternabend in der Schule versäumt, oder der mobile albanische Altenpfleger, der täglich die eigene Mutter besucht und wäscht.

Es ist, horcht man genau hin, ja keineswegs so, dass es kein Solidaritätsgefühl gibt. Selbst wenn man dieselben Lebenswelten bewohnt, existiert zwar eine Fremdheit, die selten vollends überwunden wird, aber durchaus auch wechselseitiger Respekt.

„Gute Leute“, das hört man von den Zuwanderern auf die Einheimischen gemünzt. „Gute Leute“, hört man genauso oft von den Einheimischen auf die Zuwanderer gemünzt.

Und dennoch wird gerne behauptet, Migration sei „das Thema“ schlechthin, es würde für Polarisierung sorgen, sei der entscheidende Faktor für die Entfremdung der „weißen Arbeiterklasse“, ihren Zorn und ihre Wut. Und das ist auch nicht völlig falsch.

Deswegen ist es wichtig zu verstehen, was da abgeht. Es ist ein seltsames Amalgam aus Vorurteilen, richtigen Urteilen, Empfindungen, aus Normen, Werten und Konflikten, aus Übersetzungen und Interpretationen von Verwundungserfahrungen.

Im Unterschied zu den migrantischen arbeitenden Klassen haben die weißen arbeitenden Klassen eine Abstiegserfahrung gemacht. Das kann ein ganz persönlicher Abstieg sein oder ein symbolisch empfundener – wenn die Aufstiegshoffnung, die frühere Generationen hegen durften, verschwindet, wird das als Verlust erlebt, der in gewisser Weise einem Abstieg gleichkommt. Menschen sind eher frustriert über das, was sie verloren haben, als über etwas, das sie nie besaßen.

Das Gefühl, an den Rand gedrängt worden zu sein, verbindet sich dann mit Erfah­rungen, die Menschen in Gesellschaften mit Massenmigration machen. „Wir sollten im Zentrum stehen. Ich denke, andere Leute sollen die gleichen Möglichkeiten haben wie wir, aber wir sollten schon als Erste drankommen“, meint ein Gesprächspartner in East London gegenüber dem Sozialforscher Justin Gest. Die Minderheiten stellen jedoch denselben Anspruch, zumindest scheint es so, als wäre der als natürlich empfundene Anspruch der „Hiesigen“, als „Erste dranzukommen“, heute nicht mehr gewährleistet. Das lässt das Gefühl entstehen, „selbst Opfer von Diskriminierung­“ zu sein. Die hiesigen „einfachen Leute“ haben das Gefühl, sie seien „eine neue Minderheit“.

„Bei uns sieht es aus wie in einem Vorort von Nairobi. Aber was können wir schon dagegen machen?“, sagt eine resignierte Gesprächspartnerin in East London. In der Wahrnehmung der Betroffenen werden der ökonomische Stress und die migrationsbedingten Veränderungen im Viertel dabei zu Symptomen ein und desselben Prozesses. Wenn diejenigen, die sich als Verlierer dieser Entwicklungen sehen, sagen „ich komme nicht mehr mit“, ist das oft ein Code für Immigration. Zugleich ist die Immigration aber in gewisser Hinsicht selbst nur ein Code für das ganze Set an Veränderungen, die mit diesem Abstieg verbunden werden.

Seit je hat die Arbeiterklasse einen eigenen Leistungsbegriff hochgehalten, nämlich dass man sich Respekt, Selbstrespekt und den Anspruch auf Einkommen durch Anpacken und die Bereitschaft verdient, die eigenen Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Durch Disziplin und Selbstdisziplin. Im „alten“ Klassenkampf war das ein schlagkräftiges Argument: Lohnsteigerungen setzte man nicht mit der Begründung durch, dass einen mehr Kohle fröhlicher macht, sondern man stellte sich auf die Position, dass einem ein fairer Anteil am Kuchen „zusteht“ – und zwar eben wegen der Anstrengung und der eigenen Lebensleistung. Dieses Leistungsprinzip der Arbeiterklasse führte­ im Übrigen dazu, dass Werte in der Realität oft in widersprüchlichen Schattierungen und mit vielen Graustufen auftraten: Einerseits gab es nicht nur das egalitäre Ideal, sondern regelrechte egalitäre Instinkte, andererseits das Bewusstsein für feine Unterschiede. Hier­archien fanden durchaus Akzeptanz.

Staatliche Gelder für Arbeitslose, chronisch Gescheiterte oder „die Armen“ waren in der Arbeiterklasse oft sogar weniger akzeptiert als in bürgerlichen Schichten. Für Angehörige der Arbeiterklasse waren die Armen Leute aus der eigenen Umgebung, die sich primär dadurch von ihnen unterschieden, dass sie sich weniger anstrengten oder es an Disziplin vermissen ließen. „Ich stehe ja auch um sechs Uhr morgens auf und mache einen Job, der eigentlich eine Qual ist – warum soll der andere eine Unterstützung bekommen, nur weil er sich diese Qual erspart?“ Gerade wer harte Arbeit leistet, will nicht, dass andere „auf meine Kosten leben“.

In Gesellschaften mit Massenmigration kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Nicht nur Leistung begründet Ansprüche an die Gemeinschaft, sondern auch die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft selbst. Diese volle Zugehörigkeit wird bei Migranten oft – manchmal begründeter, manchmal unbegründeter – infrage gestellt. Hört man genau hin, stößt man auf ganz unterschiedliche Erscheinungsformen einer zerrissenen Solidarität. Für den Arbeitslosen aus der weißen Arbeiterklasse sind die Migranten, die das soziale Netz in Anspruch nehmen, Konkurrenten um Transferleistungen; für den, der zwölf Stunden am Tag malocht und seine Steuern und Sozialbeiträge zahlt, sind sie die Verursacher seiner Abgabenlast.

„Menschen aus der ‚weißen Arbeiterklasse‘ tendieren in Gesprächen dazu, als Vorwort gewissermaßen hinzuzufügen, dass sie keine Rassisten seien und keine Vorurteile hätten. (…) Sie haben Angst, dass ihre Ansichten disqualifiziert werden könnten, obwohl diese Ansichten in der Realität ja authentische Ausdrücke dessen sind, was sie erleben, wie sie leben und wie sich ihre Leben verändern“, resümiert Justin Gest.

Der Vorwurf des Rassismus wird als weiteres Mittel verstanden, die Artikulation der Arbeiterklasse zu kontrollieren und ihre Empfindungen als bedeutungslos hinzustellen. Einer sagt: „Ich arbeite seit 38 Jahren und sehe immer mehr Leute auf der Straße, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich die mit durchziehe.“ Ein anderer: „Sie tun so, als gehöre ihnen die Straße.“

Ein ganzes Panorama psychopolitischer Dynamiken tut sich dann auf. Es geht bergab, und man fühlt sich auch noch unsichtbar gemacht. „Jeder tut so, als wäre man als Weißer eh gut gestellt.“ Alle anderen dürfen sich beklagen, aber man selber soll die Klappe halten.

Man sieht sich selbst als das „einfache Volk“, als „echt“, „authentisch“ und „normal“, aber die moderne Mittel- und die Oberschicht schaut nur mehr auf einen herunter. So kommt unter den „einfachen Leuten“ der Eindruck auf, Buntheit und Multikulturalität würden als „Diversity“ gefeiert, während sie selbst einen Statusverlust hinnehmen müssen.

„Die weiße Arbeiterklasse fühlt sich von den elitären weißen ‚Brüdern‘ verraten, die sie als Arbeiter ausbeuten, die sie während wirtschaftlicher Krisen hängenlassen und die sich nur für die sozialen Verwundungen von Minoritäten interessieren.“

Wenn progressive Sozialinitiativen Nachhilfe, Ausflüge oder Ferien für Kinder aus unterprivilegierten migrantischen Familien organisieren, fragen die Hiesigen sich: „Warum tun sie das nicht auch für uns?“ Und wenn sie in den Nachrichten junge Leute aus wohlhabenderen Milieus sehen, die an Bahnhöfen Hilfsaktionen für Flüchtlinge organisieren, betrachten sie das mit dem insgeheimen Wissen: „Für uns würden sie so etwas nie tun.“ Für diese Teile der alten einheimischen Arbeiterklasse stellt sich die Welt dann als eine Art Dreieck dar: Es gibt die einheimischen Eliten, die Migranten und die „einfachen Leute“. Und die ersten beiden stecken irgendwie zum Schaden Letzterer unter einer Decke.

Es gibt übersteigerten Nationalismus. Es gibt Rassismus. Es gibt die rechtsradikale Ideologie, dass Weiße mehr wert sind als Schwarze. Es gibt aber auch das Gefühl des Bedrängtseins, Leute, die finden, das Ausmaß der Zuwanderung und der Veränderung gehe zu weit.

Den Eindruck, von den Eliten verkauft worden zu sein. Ein Denken in Insider-Outsider-Kategorien, das sich mit den lange tradierten Werten der Arbeiterklasse verbindet, etwa dem lokalen Gemeinschaftsgeist, und oft zu scheinbar paradoxen Haltungen führt. So ergaben Studien unter Sympathisanten rechter Parteien in der deutschen Arbeiterschaft, dass sich „das Gesellschaftsbild der rechtsaffinen jungen Arbeiter kaum von demjenigen sozialdemokratisch orientierter Altersgenossen unterschied.

Man fühlte sich ungerecht behandelt und übte deshalb Kritik am ‚System‘. Im Grunde sehnte man sich jedoch nach einer Republik zurück, in der Arbeiter respektiert waren und Leistung gerecht vergütet wurde.“ Ein Rosenheimer Mechaniker sagt im Interview: „Man könnte mich in etwa so einschätzen, dass ich leicht rechts, leicht links orientiert bin.“ Keiner der Befragten hatte etwas gegen „die Ausländer“: „(E)inige der jungen Arbeiter waren mit migrantischen Altersgenossen befreundet. Doch es gab eine klare Scheidelinie.

Willkommen war nur, wer sich anpasste und etwas leistete.“ Ein Betriebsrat mit Sympathie für die radikale Rechte schätzt hart arbeitende Armutsmigranten, „Flüchtlinge“ stehen aus seiner Sicht viel weiter unten in der Hierarchie: „Flüchtlinge müssen (…) raus. Wer hier jetzt herkommt, arbeitet, sich integriert, wer sich einordnet, unterordnet, kein Thema. Da habe ich ja nichts dagegen. Aber die, die nur hierherkommen und die Hand aufhalten und sich benehmen wie das Letzte und denken, die können sich alles erlauben, raus.“

Joan C. Williams berichtet in ihrer Studie über die US-Arbeiterklasse von einem Mann, der seine Klasse durch Aufstieg verlassen hat, der die rassistischen Einstellungen seiner Familienmitglieder sehr wohl kennt, aber auch ihre egalitären Werte und der nicht glaubt, „dass seine Familienmitglieder schlechte Leute sind“.

Sie haben Ansichten, die er für intolerabel hält. Zugleich ist er sicher, dass sie das Herz am rechten Fleck haben. Seine Verwandten bräuchten keine Lektion über Rassismus, sondern ein Gespräch über Angst. „Leuten zu sagen, dass sie rassistisch, sexistisch und xenophob sind, bringt einen exakt nirgendwohin. Es ist eine zu einschüchternde Botschaft. Wenn wir etwas aus der Sozialpsychologie wissen, dann dass Menschen sich nicht ändern, wenn man sie angreift – sie können sich dann nicht ändern.“

Williams zieht daraus den Schluss: „Das Ziel sollte darin bestehen, einen Keil zwischen das Laster des ideologischen Rassismus und Leute zu treiben, die es einfach nur über haben, dass in ihren Augen die ‚politisch Korrekten‘ ihre Probleme ignorieren und alles Mitgefühl – oder jede Empathie – auf diverse andere Gruppen leiten.“

Diese Haltungen finden ihre Begründungen teilweise sogar in den Traditionen und Werten der historischen Arbeiterklassenkultur. Im Bewusstsein, „dass man nichts geschenkt bekommt im Leben“ oder dass, wer „dazugehört“, bevorzugt behandelt werden sollte. Sie wurzeln in den antielitären Affekten gegen „die da oben“, in den vorindustriellen Volkskulturen, im Lokalpatriotismus. Aber eben auch im Konservativismus der Arbeiterklassenkultur.

In der wirklichen Welt dominieren die Graustufen und die Übergänge. Menschen etwa, die es satthaben, dass die Reichen immer reicher werden, während in ihr eigenes Leben immer mehr Unsicherheit einzieht. Leute, die Rassismus ablehnen, aber dennoch finden, dass gegen afghanische Jugendgangs etwas getan werden sollte, und die sich darüber aufregen, dass, wie mir das einmal ein bayerischer Gewerkschafter sagte, „die Oberen, die nichts zum Gemeinwohl beitragen, uns zu allem Überdruss noch erklären wollen, wie wir zu reden haben!“

Wie bei dem oben zitierten Mechaniker aus Oberbayern geht im echten Leben oft alles durcheinander, finden sich „eher rechte“ Auffassungen und zugleich „eher linke“ – und meist keine davon in ihrer radikalen Reinform.

Die mediale Darstellung der „einfachen Leute“ als ignorant, rassistisch und intolerant erregt dann erst recht den Zorn dieser „einfachen Leute“, die als „zornig“ vorgeführt werden (es ist dann gewissermaßen ein Zorn zweiter Ordnung), weil sie sich nicht authentisch wiedergegeben fühlen, sondern auf ungerechte Weise abgewertet sehen.

Sie haben – nicht ganz zu Unrecht – den Eindruck, ihre durchaus durchdachten, auf realen Erfahrungen beruhenden, oft auch sehr abgestuften Urteile würden nicht einmal wahrgenommen, sondern sie würden als Realkarikaturen ihrer selbst vorgeführt wie früher am Jahrmarkt die Verwachsenen oder Menschen mit Wasserkopf.

Robert Misik in FALTER 44/2019 vom 01.11.2019 (S. 18)

Der globale Green New Deal 

Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann
Posted by Wilfried Allé Saturday, October 12, 2019 1:34:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Gesellschaft
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von Jeremy Rifkin

Übersetzung: Bernhard Schmid
Verlag: Campus
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Umfang: 319 Seiten
Erscheinungsdatum: 09.10.2019
Preis: € 27,70

Kurzbeschreibung des Verlags:

Das neue Buch des Bestsellerautors Jeremy Rifkin

Rund um den Globus kippt angesichts der drohenden Klimakatastrophe die Stimmung, und der Protest der Millennials gegen eine Politik, die ihre Zukunft zerstört, wird immer lauter. Gleichzeitig sitzt die Welt angesichts alternativer Technologien auf einer 100-Billionen-Dollar-Blase aus Investitionen in fossile Brennstoffe. Zukunftsforscher Jeremy Rifkin zeigt, wie aus dieser Konstellation die einmalige Chance auf einen Green New Deal entsteht. Seine Warnung:

- Der ökonomische Kollaps unserer Zivilisation steht unmittelbar bevor.
- Um 2028 wird die Blase platzen und die Weltökonomie in eine globale Betriebsstörung führen.

Was bedeutet das für uns, wo die Energiewendeschon schon lange auf der Tagesordnung steht? Gelingt ein gemeinsamer radikaler Aufbruch in letzter Minute? Rifkin gibt Antworten. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington. Seine Bücher sind internationale, in 35 Sprachen übersetzte Bestseller und lösten weltweite Debatten zu den großen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen aus, siehe zum Beispiel ›Das Ende der Arbeit‹ und ›Access‹ und zuletzt ›Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft‹. Rifkin berät zahlreiche Organsisationen und Regierungen - unter anderem Deutschland, die EU, China - und unterrichtet an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania.

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