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Die Ökonomie des Alltagslebens 

Für eine neue Infrastrukturpolitik

Mit einem Vorwort von Wolfgang Streeck Aus dem Englischen von Stephan Gebauer

Inhalt

Duschen, Radio an, Espressokanne auf den Herd, Kinder in die Kita, ab in die U-Bahn: Alle diese Handlungen, die wir für selbstverständlich halten, wären ohne komplexe Infrastruktur nicht möglich. Ähnliches gilt für Gesundheitsversorgung und Bildung, die ohne staatliche Investitionen in Gebäude und Personal nicht funktionieren würden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurden in ganz Europa immer mehr Krankenhäuser, Schulen, Bahnstrecken oder gleich ganze Verkehrsnetze privatisiert und so der Profitlogik unterworfen – mit bisweilen dramatischen Folgen.

Inzwischen wächst der Widerstand; in vielen Ländern formieren sich Bewegungen für eine Rekommunalisierung z. B. der Wasserversorgung. Was wir brauchen, so die Autorinnen und Autoren, ist eine neue, progressive Infrastrukturpolitik. Wir müssen die Ökonomie wieder als etwas begreifen, das zuallererst dem guten Leben der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet ist.

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Erschienen: 12.08.2019
edition suhrkamp 2732, Taschenbuch, 263 Seiten
ISBN: 978-3-518-12732-2
Preis: 18,50 €
Auch als eBook erhältlich

Pressestimmen

»Dieses Buch sollte jeder lesen, der sich für linke Politik interessiert (und vielleicht einmal was anderes, als toxische Antiidentitätspolemiken lesen möchte). Es verschiebt die Perspektiven einer auf Verteilung ausgerichteten Politik zu einer Politik der Infrastrukturen, der vergesellschafteten Ökonomie. Mit solch einer Strategie könnte die Linke am Alltag der Menschen ansetzen ... «
Oliver Nachtwey, Süddeutsche Zeitung

»Eine überzeugende Initiative gegen den Neoliberalismus.«
Wolfgang Streeck, 20.11.2018

Posted by Wilfried Allé Thursday, October 3, 2019 8:49:00 PM Categories: Infrastrukturpolitik Neoliberalismus Rekommunalisierung
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Überreichtum 

von Martin Schürz

Zu viel Reichtum in wenigen Händen zerstört die Demokratie, warnt der Vermögensforscher Martin Schürz in einem neuen Buch – und zieht radikale Schlüsse

Verlag: Campus
Format: Taschenbuch
Genre: Wirtschaft
Umfang: 226 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.09.2019
Preis: € 25,60

Rezension aus FALTER 40/2019

Überreichtum zerstört die Demokratie

Der Ökonom Martin Schürz legt ein faktenreiches und politisch aufrüttelndes Buch über Reichtum und wie man ihn begrenzt vor

Zur Vermögensforschung hat in Österreich kaum jemand so viel beigetragen wie der Wirtschaftswissenschaftler Martin Schürz. Während über die Armen jedes Detail ihrer ökonomischen Verhältnisse amtsbekannt ist, interessierten sich Politik und Wissenschaft über Jahrzehnte nicht für die Verhältnisse der Reichen. Mit dem unter der Leitung von Schürz erhobenen „Household Finance and Consumption Survey“ der Nationalbank wurde die Datenlage besser: Das oberste Prozent der Haushalte besitzt zwischen 30 und 40 Prozent des gesamten Vermögens.

Doch die aufwendig erhobenen Daten ließen den Nationalbankökonomen unzufrieden zurück. Was bedeutet exzessiver Reichtum einiger weniger bei gleichzeitiger Armut so vieler für Gesellschaft und Demokratie? Die Ökonomie kann zur Beantwortung dieser Frage wenig beitragen. Glücklich die Fügung, dass der Autor nicht nur Ökonom, sondern auch Philosoph und Psychoanalytiker ist. So wird ein innovativer Blick auf die unterschiedlichen Dimensionen des Reichtums möglich.

Schürz führt den Begriff des „Überreichtums“ ein, der dem Buch den wuchtigen Titel gibt und in der gesellschaftlichen Debatte den geeigneten Gegenbegriff zur Armut bildet. Er nimmt bei Platon Anleihe, der als „überreich“ jene Reichen bezeichnet, die nicht tugendhaft sind. Für Schürz sind jene überreich, die zu viel haben, fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien verletzen und die Demokratie zerstören.

Das Buch sucht nach Begründungen des Überreichtums. Die Debatte um Gerechtigkeit zwingt die Überreichen zumindest zur Rechtfertigung, etwa von Leistung, was sie rasch an ihre Grenzen führt. Wie sollte jemand tausendmal leistungsfähiger sein als jemand anderer? Meist wird der Gerechtigkeitsdiskurs deshalb rasch verlassen. Lieber werden beliebige Narrative zum gesellschaftlichen Verdienst der Reichen gesponnen, wie etwa jene vom innovativen Unternehmer oder gutmütigen Charakter. Den Reichen werden Tugenden wie Großzügigkeit und Mitleid zugeschrieben, und vor allem die Philanthropie erweist sich als wirkungsmächtiges Instrument der Rechtfertigung des Überreichtums. Sie signalisiert, der Reichtum käme schlussendlich doch auch den Armen zugute. Doch die aus den Gated Communities der Überreichen geleistete Philanthropie ist nur ein undemokratischer Gegenentwurf zu dem mit Rechten und Ansprüchen der breiten Bevölkerung verbundenen Sozialstaat.

Die Politik beschränkt sich – wenn überhaupt – auf bescheidene Reformvorschläge: Reichensteuern mit niedrigen Sätzen; Bildung, die nur sehr langfristig hilft; die Ideologie der Eigentümergesellschaft, die den Einzelnen mit einem Eigenheim ruhigstellen will. Für Martin Schürz ist eine Erbschaftssteuer, die dann erst wieder mit Ausnahmen durchlöchert wird, zu wenig. Die Eigentumsverhältnisse sind entglitten und dies bedarf nicht nur eines bescheidenen Beitrags der Superreichen, sondern einer demokratischen Grenzsetzung. Damit thematisiert er ein Tabu. Eigentumsfragen sind heute so verpönt wie es die Infragestellung von Ungleichheit noch vor 15 Jahren war.

Der durch die Gleichzeitigkeit von Überreichtum weniger und Armut vieler ausgelöste Zorn kann zusammen mit Mitgefühl eine tragfähige Basis für notwendiges politisches Handeln sein: Regulierung von Märkten zur Vermeidung exzessiver Pro­fite, Trockenlegen von Steuersümpfen, Vermögensregister, -steuern und -obergrenzen. Für das Gelingen ist neben der Basis aus genauen Daten und normativer Analyse vor allem aber Mut notwendig. Die ersten beiden Elemente hat Martin Schürz mit seinem wichtigen Buch bereitgestellt und an Letzterem fehlt es ihm nicht.

Markus Marterbauer in FALTER 40/2019 vom 04.10.2019 (S. 22)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, October 2, 2019 11:15:00 AM Categories: Wirtschaft
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Die Rhetorik des Sebastian Kurz  

Was steckt dahinter – Manipulation oder Redehandwerk?
Körpersprache verbessern, in Diskussionen überzeugen und Rededuelle gewinnen. Analyse mit dem 4mat-System

von Thomas W. Albrecht

Verlag: Goldegg Verlag
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Politik
Umfang: 304 Seiten
Erscheinungsdatum: 18.08.2019
Preis: € 22,00

Rezension aus FALTER 38/2019

Inszenieren, manipulieren: Wege zum politischen Erfolg?

Sebastian Kurz ist ein Meister der Kommunikation. Für langfristigen politischen Erfolg sollte er sich darauf aber nicht ausruhen

Es muss bei Sebastian Kurz wohl etwas sein, was andere nicht machen“, so beginnt der Trainer und Coach Thomas W. Albrecht sein Buch. Der Titel verrät die Erklärung: Es ist die „Rhetorik des Sebastian Kurz“. Albrecht verwendet ein einfaches Modell: Es besteht aus den Bausteinen, die man in einer Grundausbildung im Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) lernen kann.

Die Darstellung dieser Inhalte macht fast die Hälfte des Buches aus – der Kenner erfährt nichts Neues. Im restlichen Buch werden NLP-Ideen auf Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Herbert Kickl, Norbert Hofer und Beate Meinl-Reisinger angewandt – vor allem Reden werden im Wortlaut analysiert. Der Vergleich dieser Personen fällt in fast allen Fällen zugunsten von Kurz aus.

Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen beschreibt Albrecht im Detail Stärken der Inszenierungen von Kurz, wie seine Körpersprache, den Aufbau vieler Reden, die Art, wie Kurz sein Publikum adressiert, wie er dabei Werte und Gefühle anspricht und zielgerichtet und zukunftsorientiert agiert. Alle politischen Gegner von Kurz sind gut beraten, diese Aspekte ernst zu nehmen und ihre Mankos zu mildern.

Aber NLP darf nicht so verstanden werden wie in diesem Buch. Albrecht verbreitet ein Märchen, das NLP-Trainer gerne erzählen, die ihre Kurse verkaufen wollen: dass nämlich bestimmte einzelne Aspekte von Kommunikation (die man schulen kann) unmittelbare und eindeutige Wirkungen haben (müssen).

Aber Menschen sind keine reinen Reiz-Reaktion-Maschinen – jedenfalls nicht immer. In unterschiedlichen Kontexten erzielen z.B. gleiche Auslöser andere Ergebnisse. Für Kurz kann man fragen, in welchen (kontrollierten?) Umgebungen seine Inszenierungen gelingen und in welchen nicht – etwa wenn Kurz mit betagten Frauen im Altersheim nicht einmal ein Smalltalk gelingt.

Der zweite und wichtigste Schutz gegen unerwünschte Beeinflussung sind die eigenen Überzeugungen und das Wissen über politische Inhalte und Hintergründe (und der Einblick in kommunikative Vorgänge). Wer die Hass-Sprache von Donald Trump ablehnt, kann durch eine noch so perfekte Show nicht gewonnen werden – im Gegenteil: Die Ablehnung wächst.

Nach Albrechts Meinung ist Kurz deswegen so beliebt, weil er ein perfekter Kommunikator ist – politische Inhalte werden dabei zur Gänze ausgeklammert.

Aber Politik ist nicht nur Prozess und Form zwischen Personen, sondern drückt auch Inhalte, Wertungen und Weltbilder aus, die in die Machtstruktur einer Gesellschaft eingebettet sind und medial vermittelt werden.

Kurz hat viele Inhalte von der FPÖ übernommen, z.B. eine Rhetorik „des Volkes“. Er praktiziert ebenso „Techniken“ von Kommunikation, die auch eine destruktive Seite besitzen, wie die Dämonisierung von Gegnern. Praktiken dieser Art dienen nicht der Verbesserung, sondern der Zerstörung von Kommunikation – das hat im Wahlkampf 2016 der (frühere) Kommunikationstrainer Norbert Hofer, der jahrelang „Crash-Rhetorik“ und NLP unterrichtet hat, eindrucksvoll demonstriert.

Aber kommunikative Tricks und Show sind nicht alles, und politischer Erfolg kann nicht nur darauf zurückgeführt werden. Christian Kern hatte am 11. Jänner 2017 in der Messehalle Wels seinen „Plan A“ in einer fulminanten Rede präsentiert und das Publikum begeistert. Nach den Kriterien von Albrecht hätte man ihm die Höchstnote geben müssen. Aber wie lange hat Kern davon profitiert?

Walter Otto Ötsch in FALTER 38/2019 vom 20.09.2019 (S. 21)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, September 18, 2019 12:22:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft/Politik
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Das Klimabuch 

Alles, was man wissen muss, in 50 Grafiken

von Esther Gonstalla

»Gründliche Recherche, nüchterne Grafiken, glasklare Informationen und die knallharten Erkenntnisse der Klimaforschung vereinen sich in „Das Klimabuch“ zu einer nachwirkenden Lektüre.« Susanne Billig, Deutschlandfunk Kultur (online)

Dürre und Hitzewellen, aber auch Kälteeinbrüche, Überflutungen und Starkregen: Die Klimakrise ist zu einem globalen Thema geworden, das niemand mehr ignorieren kann.

Hier setzt »Das Klimabuch« an: Mit der Unterstützung zahlreicher Wissenschaftler hat Esther Gonstalla die komplexen Zusammenhänge und wissenschaftlichen Daten zur globalen Erwärmung zu leicht verständlichen Infografiken verarbeitet – für alle, die nicht nur begreifen, sondern auch handeln wollen.

Das Schöne am "Klimabuch": Es zeigt auch, wie es gehen kann.

Vorwort: Hans-Joachim Schellnhuber
Verlag: oekom verlag
Genre: Umwelt
Umfang: 128 Seiten
Erscheinungsdatum: 05.08.2019
ISBN-13: 978-3-96238-124-0
Preis: € 24,70
erhältlich als e-Book € 18,99

Rezension aus FALTER 41/2019

Klimawandel für Einsteiger

Klima: Esther Gonstallas Atlas serviert die Klimakrise fein garniert in leicht bekömmlichen, gut strukturierten Infohappen

Der Klimawandel mag das Thema der Stunde sein, aber wer hat ihn wirklich verstanden? Wer kann tatsächlich erklären, wie das Klimasystem funktioniert? Wer weiß, wie sich die Klimakrise wie konkret auswirkt? Die Infografikerin Esther Gonstalla verspricht, mit 50 Grafiken alles zu erklären, was man über das Klima wissen muss. Das ist eine starke Ansage. Schließlich gehört es in der Berichterstattung über die Klimakrise zu den fundamentalen Schwierigkeiten, sie so zu illustrieren, dass es dem Thema gerecht wird, aber trotzdem verständlich bleibt. Gonstalla gelingt genau das.

Gut strukturiert leitet sie den Laien von Anfang bis zum Ende durch das Buch. Die Autorin vermittelt zunächst physikalisches Grundlagenwissen, bevor sie die verschiedenen Einflüsse des Menschen auf das Weltklima beschreibt, die Folgen davon sichtbar macht und schließlich Lösungen anbietet. Der Bogen, den Gonstalla spannt, reicht vom natürlichen Treibhauseffekt bis zum nachhaltigen Konsum. In wohlportionierten Infohappen nimmt sie sich Thema um Thema vor, garniert alles mit schlüssigen, eleganten und simpel gehaltenen Grafiken und fügt das Ganze jeweils zu einem geschlossenen Erklärstück auf einer Doppelseite zusammen.

Man sieht dem Werk nicht nur Liebe zum grafischen Detail an, sondern auch die Recherche. Gonstalla destilliert aus Studien und Umweltberichten griffige Vergleiche und interessante Details. Eine bunte Auswahl daraus liest sich so: Der weltweite E-Mail-Verkehr erzeugt genauso viele CO2-Emissionen wie sieben Millionen Autos. Die zehn größten Flüsse Asiens würden ohne Gletscher – je nach Region – zwischen 20 und 80 Prozent schrumpfen. In den letzten 18 Jahren wurde weltweit eine Waldfläche gerodet, die flächenmäßig größer war als Indien. Im Sommer sinkt auf der Nordhalbkugel regelmäßig die CO2-Konzentration. Der Grund: „Je grüner es wird, desto mehr CO2 wird bei der Photosynthese von Blättern aufgenommen und als Kohlenstoff gespeichert.“

Gonstalla macht viel richtig, wenn auch nicht alles. So führt sie die Quellen für ihre Grafiken und Texte zwar an, aber nur gesammelt auf der Doppelseite. Eine genaue Zuordnung der einzelnen Zahlen und Textpassagen wird dadurch nicht ermöglicht. Manche Überschrift bleibt im Gegensatz zu den Grafiken einfallslos, nicht jedes Argument, nicht jede Grafik sitzt. Etwa, wenn Gonstalla beim Thema Agrarwende die Belastungen der Landwirtschaft in CO2-Emissionen misst, die möglichen Einsparungen allerdings wiederum für das klimaschädliche Gas Methan berechnet. Da werden Äpfel mit Birnen vermischt.

Oder wenn die Autorin erklärt, Klimaschutz beginne zu Hause, und sie neben Maßnahmen wie Gebäudedämmungen zu Handlungen rät, wie Recyclingpapier zu verwenden und beidseitig zu beschreiben. Da wird sehr Großes mit sehr Kleinem vermengt. Mit Minimalaktionen rettet man nicht die Welt, sondern sorgt eher dafür, Menschen mit kaum wirksamen Aktionen fehlzuleiten. Und während uns Fridays for Future lehrt, dass die wichtigste individuelle Tat nicht zu Hause beginnt, sondern auf der Straße, verkommt der Protest im Klimabuch zur Randnotiz.

All das ist Kritik auf hohem Niveau. Gonstalla hat ein großartiges Buch geschaffen, das in Happen genießbar und leicht zu verdauen ist. Sie bricht nicht nur Komplexes verständlich herunter, sondern setzt auch auf die richtigen Themen. Widmet sie sich auf der einen Seite ausführlich schauderhaften Bedrohung – die einzelnen Kipppunkte im Klimasystem, die die Klimakrise schlagartig verschärfen können, werden ausführlich behandelt –, so bleibt auf der anderen Seite auch genügend Platz für Hoffnung. Exemplarisch dafür die „Weltkarte des Wandels“, die Klimaschutz-Vorreiter auf der ganzen Welt verortet. Darunter San Francisco, wo 80 Prozent des Mülls wiederverwertet werden, die autofreie Stadt Houten in den Niederlanden und Costa Rica, das bereits zu 99 Prozent erneuerbare Energie nützt.

Wer den Klimawandel verstehen will, sich aber aufgrund der Komplexität des Themas bislang vor der Lektüre fürchtete, der bekommt mit dem „Klimabuch“ den richtigen Einstieg serviert.

Benedikt Narodoslawsky in FALTER 41/2019 vom 11.10.2019 (S. 34)
 

Ein Weckruf in Grafiken

In den letzten Monaten ist der Kampf für die Stabilisierung des Weltklimas – und für die Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschheit – auf spektakuläre Weise in die Hände der Jugend übergegangen. Bei der Fridays-for-Future-Bewegung erleben Erkenntnisse durch die etablierten politischen Kräfte von den Heranwachsenden nicht mehr hingenommen wird, ja einen ebenso zornigen wie unschuldigen Sturm des Protests entfacht hat. Die Mädchen und Jungen haben erkannt, dass die Zeit für eine radikale Minderung des Ausstoßes von klimaschädlichen Treibhausgasen im Sinne des Pariser Abkommens von 2015 fast abgelaufen ist und dass ihre Zukunft und die ihrer Kinder auf diesem Planeten von den älteren Generationen verjubelt wird. Durch Medien, Schulunterricht, eigene Forschung und nicht zuletzt direkten Kontakt mit Wissenschaftler*innen haben die Schüler*innen von Fridays for Future sich die entscheidenden Informationen angeeignet und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. Als Klimaforscher, der zu diesem Wissensfundus ein wenig beigetragen hat, schaue ich auf diese jüngste Entwicklung mit großer Spannung, kleinem Stolz und vorsichtiger Hoffnung. Denn auf einen derartigen Aufschrei haben wir seit dem Jahr 1990, als der erste Bericht des Weltklimarats (IPCC) veröffentlicht wurde, hinsichtlich Politik, Industrie und der erwachsenen (westlichen) Zivilgesellschaft vergeblich gewartet.

Für mich ist die Fridays-for-Future-Bewegung der bisher sichtbarste Beweis der Entstehung einer neuartigen Allianz zwischen Wissenschaft, Jugend und – wie in diesem Buch von Esther Gonstalla so klar dargestellt – Kunst. Wenn ich mir die wis-senschaftlich fundierten und höchst originellen Grafiken der Autorin ansehe, erkenne ich die Arbeit von zahlreichen Kolleg*innen und auch von mir selbst wieder. Und gleichzeitig bin ich davon beeindruckt, wie aussagekräftig und ausdrucksstark diese Erkenntnisse werden, wenn sie kreativ aufgearbeitet werden. Ich glaube fest daran, dass ohne die »Übersetzungsarbeit« von Künstler*innen und Medien-Gestalter*innen die Anzahl von jungen Menschen, die sich nun der Fridays-for-Future-Bewegung und den zahlreichen Folgebewegungen anschließen, deutlich geringer wäre. Ich stehe fast tagtäglich vor der Herausforderung, die neuesten und manchmal auch die wohl-etablierten wissenschaftlichen Ergebnisse in Bezug auf den Klimawandel einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln – in Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Editorials oder Artikeln. Dabei erlebe ich, wie wichtig es ist, Konzepte und konkrete Zahlen so in Bilder, Symbole und Geschichten zu übersetzen, dass die essenziellen Infor-mationen nicht nur transportiert, sondern auch memoriert werden können. Letzten Endes wird nicht jede*r einen Vortrag von mir oder von einem meiner Kolleg*innen hören bzw. ein tabellenschwangeres Buch über den Klimawandel lesen können – die Urfakten dahinter müssen viral werden

Dem Buch von Esther Gonstalla gelingt es, sowohl die globale als auch die regionale Sicht auf den Klimawandel einzunehmen und die Ursachen, Auswirkungen sowie mögliche Lösungsansätze in einem Panorama darzustellen. Für mich ist die Visuali-sierung des Beitrags des Klimawandels zur wachsenden Armut in Afrika besonders ergreifend. Anhand der Darstellung der historischen nationalen Treibhausgas-emissionen wird mehr als eindeutig klar, wie die Erderwärmung ein krasser Beleg für das Versagen der modernen Gesellschaft geworden ist. Die Verheißungen der globalisierten Moderne lösen sich spätestens mit diesen Betrachtungen endgültig in Luft auf: Gerade die Länder und Bevölkerungen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, stehen in der Schusslinie und leiden am meisten unter dessen zum Teil drastischen Konsequenzen. Gonstallas Appell für einen persönlichen, aber auch einen weltwirtschaftlichen Wandel wird an dieser Stelle zu einem moralischen Gebot – mit der vollen Unterstützung der aktuellsten Wissenschaft.Die Dringlichkeit des Kampfes gegen die Klimakrise und für einen radikalen Wandel der globalen Wirtschaft ist seit dem Abschluss der Arbeit an diesem Buch keinesfalls geringer geworden. Der Wirbelsturm »Idai« in Südostafrika und die jüngste Rekordhitzewelle in Australien sind nur zwei von vielen Desastern, vor denen Esther Gonstalla in ihren Grafiken warnt. Die Botschaften und Fakten in diesem wichtigen Buch sind ebenso elementar wie apodiktisch.Ich bin davon überzeugt, dass damit ein mächtiger Multiplikator für das Wissen über den Klimawandel geschaffen, aber auch ein gangbarer Weg zu einem stabili-sierten Erdsystem aufgezeigt wurde. Ich hoffe, Gonstallas Buch wirkt wie ein Blase-balg, der die legitime Empörung in der Gesellschaft weiter anfeuert und die Allianz mit der Wissenschaft befeuert.

Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Potsdam, Mai 2019

Posted by Wilfried Allé Sunday, September 15, 2019 9:13:00 PM Categories: Umwelt/Ökologie
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Die Schwarz-Blaue Wende in Österreich 

Eine Bilanz

von Emmerich Tálos (Hg.)

Ein Déjà-vu in Schwarz, Blau, Orange und Türkis

Verlag: LIT
Genre: Politik Geschichte
Umfang: 480
Erscheinungsdatum: 15.06.2019
Preis: € 30,80

 

Rezension aus FALTER 36/2019

Ein Déjà-vu in Schwarz, Blau, Orange und Türkis

Ein überaus spannender Vergleich der Politik von Schwarz-Blau und Türkis-Blau, herausgegeben vom Politologen Emmerich Tálos

Der Politologe Emmerich Tálos hat nicht vergessen. Der langjährige Professor für Politikwissenschaft am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien hat bereits 2006 den Sammelband „Schwarz-Blau. Eine Bilanz des ‚Neu-Regierens‘“ herausgegeben, der sich mit der Politik der damaligen schwarz-blauen Bundesregierung (seit der Gründung des BZÖ im April 2005 schwarz-orange Bundesregierung) beschäftigte und als Standardwerk über diese Periode in Österreich gilt.

Nun hat Tálos einen Vergleich gewagt zwischen der Politik der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung ab dem „Wendejahr“ 2000 und jenen 17 Monaten ab Dezember 2017, in denen ÖVP-Chef Sebastian Kurz und der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache das Land regierten.

Beleuchtet werden verschiedene Politikfelder, von der Budgetpolitik über Frauenpolitik, Kulturpolitik, der Einwanderungs- und Integrationspolitik bis zum Umgang der rechtskonservativen Regierung mit der österreichischen Neutralität.

Entmachtung der Arbeitnehmer

In vielen Bereichen finden die Autorinnen und Autoren Parallelen zwischen damals und heute. So wurden von beiden Regierungen nicht die Sozialpartner als Ganzes entmachtet, sondern jener Flügel, der die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.

Arbeiterkammer und Gewerkschaft verloren an Einfluss, während manche der türkis-blauen Gesetzesentwürfe, etwa die Reform der gesetzlich zugelassenen Höchstarbeitszeit oder der Umweltverträglichkeitsprüfung bei Unternehmen, „den Eindruck erweckten, weniger aus den legistischen Abteilungen der Ministerien zu stammen als vielmehr auf Entwürfe von Interessenvertretungen (im konkreten Fall der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer) zurückzugehen“, schreibt der Politologe Hubert Sickinger in seinem Beitrag.

Auch das ist eine Parallele zum Jahr 2000, ebenso wie die Tendenz von Schwarz-Blau und Türkis-Blau, Gesetzesvorhaben wie den Zwölfstundentag, bei denen mit Protest zu rechnen ist, möglichst rasch durch das Parlament zu peitschen.

Anti-Ausländer-Kurs in den Schulen

Im Bildungsbereich fuhr Türkis-Blau einen noch schärferen Kurs als die erste ÖVP-FPÖ-Regierung. Unter Schwarz-Blau führten ÖVP und FPÖ noch Sprachförderkurse zum Erlernen der Unterrichtssprache Deutsch in unterrichtsbegleitender Form ein. Unter Türkis-Blau wurden Kinder, die nur mangelhaft Deutsch sprechen, in sogenannten Sprachförderklassen weitestgehend vom Regelunterricht getrennt unterrichtet. In diesem Punkt konnte die FPÖ ihre bereits seit 1993 erhobene Forderung nach eigenen Ausländerklassen mit Unterstützung der ÖVP umsetzen.

Spannend ist der Schwenk der ÖVP in der Europapolitik, der unter ÖVP-Chef Kurz vollzogen wurde. Noch im Grundsatzprogramm, das die Volkspartei 2015 beschlossen hatte, versteht sich die ÖVP klar als „Europapartei“, die „bei jedem weiteren Integrationsschritt eine aktive, die Gemeinschaft fördernde Rolle einnehmen“ soll.

2017 klang das anders. Im Programm zur Nationalratswahl findet sich Europa plötzlich im Kapitel „Ordnung und Sicherheit“. Statt an einer Fortsetzung des Vertiefungsprozesses mitzuwirken, will die ÖVP einen „Kurswechsel in Europa herbeiführen“. Die EU solle sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und die „drückende Last von Regulierungen“ abbauen. Hier hat sich die ÖVP unter Parteichef Kurz weg von der Position der Schüssel-ÖVP und in Richtung FPÖ bewegt.

Ein spannendes Buch mit Beiträgen namhafter Experten zur jüngsten politischen Geschichte Österreichs.

Nina Horaczek in FALTER 36/2019 vom 06.09.2019 (S. 19)

Posted by Wilfried Allé Wednesday, September 4, 2019 9:45:00 PM Categories: Geschichte Politikwissenschaft/Politik
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Die Ibiza-Affäre 

Innenansichten eines Skandals

von Bastian Obermayer, Frederik Obermaier

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Format: Taschenbuch
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 272 Seiten
Erscheinungsdatum: 22.08.2019
Preis: € 16,50

 

Rezension aus FALTER 34/2019

Die Ibiza-Affäre neu in Buchform: „Joschi, mach das klar!“

Die schlechte Nachricht für alle, die auf weitere Skandale gehofft haben: In der 272 Seiten dicken Aufarbeitung des Ibiza-Skandals finden sich weder Sex noch Drogen. Lesenswert ist dieses Buch der beiden Süddeutsche Zeitung-Aufdecker Frederik Obermaier und Bastian Obermayer trotzdem.

Die beiden Journalisten, die federführend an der Veröffentlichung der Ibiza-Videos vergangenen Mai beteiligt waren und dadurch Langzeit-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Vertrauten Johann Gudenus zum Rücktritt zwangen, schildern in „Die Ibiza-Affäre. Wie wir die geheimen Pläne von Rechtspopulisten enttarnten und darüber die österreichische Regierung stürzten“ ganz penibel, wie sie zu dem Bildmaterial mit Strache und Gudenus von jenem Abend auf Ibiza kamen, wie sie es überprüften und wie sich die Recherche gestaltete.

Das Buch räumt mit zahlreichen Mythen auf, etwa mit jener von der FPÖ verbreiteten Behauptung, dass Strache nur in jenen sieben Minuten, die von Süddeutscher Zeitung und Spiegel veröffentlicht worden waren, die halbe Republik verscherbeln wollte, auf den restlichen Stunden Bild- und Tonmaterial hingegen staatsmännisch unterwegs gewesen sei.

Sie erklären, wieso vieles unveröffentlicht bleibt, und legen ihre Recherche offen. Dargelegt wird, wie sie ihre Quelle schützen und wieso sie nur Passagen öffentlich machen, die von öffentlichem Interesse sind.

Das trifft auf von Strache angesprochene, möglicherweise illegale Parteispenden zu, aber nicht auf böswillige Gerüchte, die Strache und Gudenus in jener Nacht über politische Konkurrenten verbreiteten.

Neben der spannenden Recherche, etwa wenn die Autoren ihr Treffen mit dem geheimen Lockvogel beschreiben, sind es vor allem die Schilderungen über diese eine Nacht auf Ibiza, die dieses Buch so interessant machen. In „Die Ibiza-Affäre“ legen die beiden Journalisten noch einmal ganz ausführlich und mit vielen zuvor nicht bekannten Details dar, wie sich Strache und Gudenus auf dieser Partyinsel um Kopf und Kragen geredet haben, wie Gudenus etwa in Straches Auftrag am Ende des Abends noch extra zur vermeintlichen Oligarchennichte geht, um den Deal zu Ende zu bringen. „Joschi, mach das klar!“, lautete der Auftrag.

„Die Ibiza-Affäre“ ist der politische Soundtrack dieses Sommers und sollte unbedingt noch vor der Wahl im September gelesen werden.

Nina Horaczek in FALTER 34/2019 vom 23.08.2019 (S. 14)

Posted by Wilfried Allé Monday, August 26, 2019 6:03:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Zu Ende gedacht 

Österreich nach Türkis-Blau

herausgegeben von Nikolaus Dimmel, Tom Schmid (Hg.)

Die türkis-blaue Regierung Österreichs fordert zum Widerstand und zur Diskussion heraus. Die Herausgeber haben linken AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden drei Fragen gestellt: Was ist los? Was wird sein? Wer ist ein alternatives politisches Subjekt? Die 46 Antworten darauf können nur in Form von Skizzen, unfertig und selbst fragend gegeben werden. Nichts davon ist in die Sicherheit linker Scholastik eingebettet.
Die Antworten spiegeln aber auch die Mehrfachbedeutung von „zu Ende gedacht“: Was wird alles denkbar unter Türkis-Blau? Wie endet Türkis-Blau, wie kann es von links beendet werden? Jedes skizzierte Bild bleibt – für sich alleine gelesen – Fragment. In der Zusammenschau ergibt sich jedoch ein Kaleidoskop widersprüchlicher, aber auch anschlussfähiger strategischer Optionen von links.
Mit Beiträgen u.a. von: Josef Christian Aigner, Markus Binder, Eva Blimlinger, Robert Foltin, Gabriele Michalitsch, Alfred J. Noll, Erwin Riess, Richard Schuberth, Alois Stöger, Peter Turrini, Petra Ziegler und Franz Schandl.
Das Buch wurde gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung.

Verlag: Mandelbaum
Preis: 20.00 €
Seiten: 308
Format: 15x24
ISBN: 978385476-681-0
Erschienen: Oktober 2018
lieferbar: ja

BARBARA TÓTH — Politik, FALTER 47/18 vom 21.11.2018

"Zu Ende gedacht" nennt sich der Sammelband, der versucht, Österreich "nach Türkis-Blau" zu beschreiben. Das ist natürlich doppeldeutig gemeint, denn nach einem Jahr unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) lässt sich noch keine Bilanz der rechtskonservativen Regierung ziehen. "Zu Ende gedacht" soll auch heißen: Was wird alles denkbar unter Türkis-Blau? Wie endet Türkis-Blau, wie kann es von links beendet werden?

Dafür haben die Herausgeber 46 Beiträge eingeholt, die alle Politikfelder abdecken. Der Jurist Oliver Scheiber schreibt beispielsweise über den "Umbruch im Rechtsstaat", die Historikerin Eva Blimlinger über "Bildung für alle? Oder doch nur für Eliten?", der Jurist und Nationalratsabgeordnete der Liste Pilz, Alred Noll, berichtet unter dem Titel "Demokratur Now" über die "Speed kills"-Methoden der neuen Regierung, über Machtverschiebungen innerhalb der Bürokratie (etwa durch die neu installierten Generalsekretäre) und Message-Control.

Ob Österreich im Jahr 2018 tatsächlich schon auf dem Weg in die illiberale Demokratie ist, wird sich erst im Nachhinein festmachen lassen. Dieser Band versammelt jedenfalls wichtige Einblicke und Bestandsaufnahmen.

Posted by Wilfried Allé Monday, August 26, 2019 4:54:00 PM Categories: Tagespolitik
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Wütendes Wetter 

Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme

von Friederike Otto
Friederike Otto, geb. 1983, ist Physikerin, promovierte Philosophin und leitet als stellvertretende Direktorin das Environmental Change Institute in Oxford. Sie untersucht Wetterphänomene und hat vor fünf Jahren die neue wissenschaftliche Ausrichtung Attribution Science, zu Deutsch: „Zuordnungswissenschaft” mitbegründet.

Einband Paperback
Seitenzahl 240
Erscheinungsdatum 15.04.2019
Sprache Deutsch
ISBN 978-3-550-05092-3
Verlag Ullstein Verlag
Maße (L/B/H) 20,5/14,2/3 cm
Gewicht 360 g
Auflage 4. Auflage
Preis € 18,50

Pressestimmen

„Wütendes Wetter“ ist das derzeit beste Buch zum Klimawandel. Eine fantastische Argumentationshilfe für die „Fridays for Future“- Bewegung. Es sollte Schullektüre werden., Deutschlandfunk Kultur, Johannes Kaiser, 07.06.2019

Klappentext

Hitze, wie wir sie bisher lediglich aus fernen Urlaubsregionen kannten, sintflutartiger Starkregen, verheerende Stürme: Ist das schon Klimawandel – oder immer noch »nur« Wetter? Die Physikerin Friederike Otto hat die Attribution Science mitentwickelt. Mittels dieser revolutionären Methode kann sie genau berechnen, wann der Klimawandel im Spiel ist. War eine Katastrophe wie Harvey menschengemacht? Ist eine Dürreperiode Folge der globalen Erwärmung oder nur ein heißer Sommer, wie es ihn schon immer gab? Die Zahlen belegen: Eine Hitzewelle wie in Deutschland 2018 ist durch den Klimawandel mindestens doppelt so wahrscheinlich geworden wie früher. Man kann konkrete Verursacher für Wetterphänomene haftbar machen – Unternehmen, ja ganze Länder können jetzt vor Gericht gebracht werden. Und es wird verhindert, dass der Klimawandel weiter als Argument missbraucht wird: Politiker können sich nicht mehr auf ihn berufen, um Missmanagement und eigenes Versagen zu vertuschen. Dieses Buch bringt Klarheit in eine erhitzte Debatte.

Posted by Wilfried Allé Saturday, August 24, 2019 7:52:00 PM Categories: Klimawandel
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Kurz & Kickl 

Ihr Spiel mit Macht und Angst

von Helmut Brandstätter

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Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Umfang: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 25.07.2019
Preis: € 22,00

 

Rezension aus FALTER 30/2019

Machtwille und Mediendominanz. Wie die türkis-blaue Regierung versuchte, den Kurier auf Linie zu bringen.

So unterschiedlich Kurz und Kickl im Auftreten sind, so sehr ähneln sie einander im Umgang mit den Medien, vor allem, was das Ziel betrifft: nämlich Einfluss zu haben, und zwar mit vielen denkbaren Methoden, wenn es sein muss auch mit der Verbreitung von Angst.

Der Unterschied lag in der Vorgangsweise. Kurz und seine Gefolgschaft machten es meistens geschickter, der Kanzler setzte lieber Mitarbeiter für Interventionen ein, griff aber auch selbst oft zum Telefon, mit einer Mischung aus Interesse an Redakteuren, deutlichen Wünschen an diese und Druck auf Eigentümer. Kickl agierte mit seinem Medienerlass vor allem gerichtet gegen KURIER, Standard und Falter, der immerhin zu einer kurzfristigen Solidarität unter Journalisten führte. Aber er wollte auch, dass seine Macht in der Regierung bekannt ist. Ein wenig Angst verbreiten, das passte ihm auch. Im ORF kursierte der Spruch: „Wenn du was werden willst, musst du zum Kickl gehen, nicht zu Strache.“ So etwas gefiel dem Politiker, der sich oft zu wenig anerkannt fühlte. (...)

Ich kann mich an kein persönliches Gespräch mit Herbert Kickl erinnern. Das klingt fast unglaublich, wenn man so lange im Wiener polit-medialen Komplex lebt. Um dieses Manko zu beseitigen, habe ich zu Beginn seiner Zeit als Innenminister um einen Termin angesucht, wie bei allen anderen Regierungsmitgliedern auch. Doch dazu kam es nie, Kickl verweigerte jeden Kontakt. Dafür sprach er mit den Eigentümern des KURIER, hier also eine Parallele zu Kurz.


Sebastian Kurz – der Kontrollor

Normalerweise nahm Kurz selbst nur die Vorbereitung von Schmutzarbeit in die Hand, hinter den Kulissen, also so, dass er nicht damit identifiziert werden konnte. Spätestens seit Kurz beschlossen hatte, die Regierung Kern/Mitterlehner zu ihrem Ende zu bringen oder ihr zumindest keinen Erfolg zu gönnen, also bald nach dem Antritt von Christian Kern im Mai 2016, begannen die Vorbereitungen für die Übernahme der ÖVP. Ein klares Ziel war die Schaffung einer der ÖVP noch freundlicheren Medienlandschaft. So hörte ich bald aus der Umgebung des Außenministers, jetzt müsse „der KURIER auf Linie gebracht werden“. Ja, genau so war die Formulierung. Dann wurde es schon persönlicher. Ein anderes Statement wurde mir so nähergebracht: „Du musst dich drei Schritte von Christian Konrad entfernen.“ Drei Schritte entfernen? Was heißt das? Warum? Und warum solle der KURIER, wie es hieß, „auf Linie gebracht werden“?

Den Versuch von Interventionen gab es in vielen Fällen, aber niemandem ist es gelungen, „den KURIER auf Linie zu bringen“. Umso größer war der Wunsch von Kurz, der das wusste. Und Christian Konrad? Der Raiffeisen-Generalanwalt und KURIER-Aufsichtsratspräsident hat mich im Sommer 2010 als Chefredakteur zum KURIER geholt und 2013 auch zum Herausgeber gemacht. In dieser Funktion hat er mir bei allen Interventionen, die bei ihm einlangten, den Rücken freigehalten. Er nahm die Unabhängigkeit des KURIER immer ernst. Vom August 2015 bis zum September 2016 war er dann Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und sollte in dieser Funktion für das bestmögliche Management sorgen. Gerade zwischen den Ministerien, den Bundesländern und den NGOs gab es viel zu koordinieren, um den Druck auf alle diese Institutionen zu reduzieren. Für den geplanten Wahlkampf von Sebastian Kurz war es besser, mehr Probleme zu zeigen als weniger, Konrad passte nicht in die türkise Strategie, und auch ein Zeitungsherausgeber, der die Flüchtlingswelle zwar als große Herausforderung sah, aber von seinen Überzeugungen her immer für menschliche Lösungen eintrat, war der ÖVP lästig. Das Vorgehen von Kurz und seinen Leuten verlief nach einer klassischen Doppelstrategie: Entweder wir bringen den KURIER „auf Linie“, wie ja die eindeutige Losung hieß, oder der Verantwortliche muss weg. Ich habe beides gespürt. Zunächst einen durchaus werbenden Sebastian Kurz, der gerne anrief, Treffen vereinbaren ließ, Standpunkte testete. Gleichzeitig liefen Beschwerden bei den Eigentümern ein. „Ich habe niemanden angerufen“, erklärte er mir regelmäßig, wenn ich ihn auf Interventionen ansprach. Kann man solche Anrufe wirklich sofort vergessen?

„Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“

Für den zweiten Teil der Strategie, den „KURIER auf Linie zu bringen“, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kurz zuständig. Besonders brutal war dabei das Vorgehen von Gerald Fleischmann, einem Mann, der kurz Journalist war, die meiste Zeit seines Lebens aber Pressesprecher. Dabei muss er eine eigene Art entwickelt haben, Redakteure unter Druck zu setzen und zu verunsichern. Anruf bei einem KURIER-Redakteur: „Spricht da die sozialistische Tageszeitung KURIER?“ Er wurde erst etwas vorsichtiger, als ich im drohte, den nächsten derartigen Anruf wörtlich abzudrucken.

Auch andere Ministerinnen und Minister versuchten sich in der Methode der Message Control. Besonders patschert stellte sich Außenministerin Karin Kneissl an. Zu Beginn ihrer Amtszeit suchte der KURIER auch bei ihr um ein Interview an. Die Rückmeldung war ungewöhnlich: Ja gerne, aber sie werde nicht mit der Redakteurin sprechen, die das Interview machen wollte, wir sollten jemanden anderen schicken, ließ der Pressesprecher ausrichten. Wie bitte? Also rief ich Frau Kneissl persönlich an. Was haben Sie gegen diese Kollegin? „Diese Redakteurin hat einmal unfreundlich über mich geschrieben, mit der rede ich nicht.“ Meine Antwort: „Das muss ich zur Kenntnis nehmen, wir werden aber unseren Lesern erklären, dass und warum Frau Kneissl nicht im KURIER vorkommen will.“ Und dann sagte ich noch ein paar wenig freundliche Worte über ihre Nähe zum Boulevard, zu dem sie ja keine Berührungsängste hätte. Da reagierte sie besonders böse, erklärte mir, dass bei ihr im Zimmer einige Leute bei diesem Telefonat zuhören würden, und dann meinte sie: „Gut, schicken Sie diese Redakteurin, Sie haben mich erpresst.“ Was ich mir auch nicht gefallen ließ und drohte, diesen Vorwurf sofort auf unsere Website zu stellen. Worauf sie sich entschuldigte. Nein, in Österreich haben solche Episoden keine Konsequenzen. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Politikerinnen und Politiker, die sich aussuchen wollen, mit wem sie reden und was über sie geschrieben wird.

Dieses kleine Beispiel zeigt, dass manche ungeübte Politikerinnen und Politiker diese Message Control nur ungeschickt versuchten. Aber die ganze Regierung hätte am liebsten nur mit Medien gesprochen, wo man sich Fragen und Reporter aussuchen kann. Und die Regierung schreckte nicht zurück, gefügige Medien mit Steuergeld mittels Inseraten zu kaufen. Das war auch zuvor der Fall, aber Kurz und Co. haben uns ja oft versprochen, sie wollten „neu regieren“.

Kurz, Kickl und Strache – so sehen sie die Medien

Ganz grundsätzlich haben die drei Herren unterschiedliche Zugänge zu Journalisten und Medien. Kurz will sie gebrauchen, Strache hat sich mit ihnen arrangiert und Kickl würde die kritischen am liebsten abschaffen, und da er das nicht kann, müssen sie einfach boykottiert werden. (...) Dezember 2017. Die Regierungsbildung ist fast abgeschlossen, es sind nur mehr Details offen. Ein guter Grund für den designierten Bundeskanzler, sich wieder ins Studio von OE24.tv zu setzen. Sebastian Kurz spricht gerne mit Wolfgang Fellner, denn dieser stellt keine Fragen, sondern wirft unelegant, aber bewusst ein Hölzl nach dem anderen jenen Gesprächspartnern zu, die in seiner Gunst stehen. Besonders lieb wird behandelt, wer viel Geld im verschlungenen Medienkonstrukt der Fellners gelassen hat. Während die Sendung läuft, die natürlich als LIVE ausgewiesen wird, rufe ich Kurz am Handy an. Er hebt sofort ab. Erstaunlich, meine ich, wie könne er denn telefonieren, wenn er LIVE im Studio sitzt? Na ja, das ist halt aufgezeichnet, so seine Antwort.

Medien haben für ihn keine wesentliche Rolle in der Demokratie, er sieht sie eher als Verbreitungsorgane seiner Botschaften. (...) Die Demokratie lebt unter anderem vom Spannungsverhältnis zwischen der Politik auf der einen Seite und ihrer Beobachtung auf der anderen Seite. Genau das hat Kurz nie wirklich akzeptiert. Er sieht sich als Politiker, der Medien einfach nutzen will: Die Bilder seines Kameramanns und die Botschaften seiner Pressesekretäre sollen seine öffentliche Wahrnehmung bestimmen, nicht unabhängige Journalisten, die seine Inszenierungen und seine Worte hinterfragen.

„Wer mag mich?“

Spätestens seit dem 19. Juni 2017 habe ich verstanden, wie Kurz versucht, mit Journalisten zu spielen. Da war er bereits ÖVP-Obmann, die Regierung hatte er beendet und er war voll auf die Wahl im Herbst eingestellt. Wir trafen uns im Restaurant Mario in Wien Hietzing. In nur zwei Stunden habe ich sehr viel über Kurz erfahren, seinen Zugang zu Medien, seine Stärken, vor allem aber auch seine Schwächen. Kurz braucht ein Umfeld, in dem man ihn schätzt und mag.

Wenn das nicht der Fall ist, will er dahinterkommen, was denn getan werden könne, um gemocht zu werden. Ich kann es bis heute nicht glauben, wie wichtig es diesem raffinierten und in der Öffentlichkeit stets kontrolliert auftretenden Politiker ist, dass man „ihn mag“. Anderen erzählte er, dass er sich schwer damit tut, dass „man ihn hasse“. Diese Sehnsucht gemocht, vielleicht geliebt zu werden, treibt wahrscheinlich viele Menschen in Berufe mit starker Öffentlichkeitswirksamkeit. Bei Kurz klingt das immer wieder durch, wenn er etwa bei Reden einfließen lässt, dass er sich heute besonders wohl fühle, weil ja so viele Frauen und Männer da seien, die „ihn mögen“. Aber an diesem Abend wurde doch klar, dass Medien für ihn (noch) notwendige Hilfsmittel darstellen, solange nicht die ganze Kommunikation über die Sozialen Medien läuft. Und dass er keine Hemmungen hat, sich einzumischen, wo man ihn lässt. Den Hinweis, dass er ja Journalisten habe, die sehr positiv über ihn schrieben, quittierte er mit einem trockenen: „Ja, aber die rufe ich auch an und sage ihnen, es könnte noch besser gehen.“ Und wie sorgten Kurz und seine Leute, vor allem (die Pressesprecher, Anm.) Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann, dafür, dass es stets „noch besser“ ging? Durch brutalen Druck und penetrante Interventionen, immer wenn ihnen Geschichten nicht gefielen und oft, wenn sie Unangenehmes ahnten oder auch nur Unkontrolliertes wahrnahmen. Im ORF hörte man schon vor Regierungsantritt von Sebastian Kurz, dann aber umso häufiger, dass vor allem diese Mitarbeiter sich meldeten, sobald auch nur ein Pressetext ausgeschickt wurde. Wie denn die Geschichte aussehen würde und ob man denn helfen könne, das waren die harmlosen Fragen. Es gab auch andere, und es gab und gibt auch Formulierungen, denen man kein Fragezeichen anhängen konnte.

Helmut Brandstätter in FALTER 30/2019 vom 26.07.2019 (S. 21)

Posted by Wilfried Allé Thursday, July 25, 2019 4:10:00 PM Categories: Gesellschaft Sachbücher/Politik Wirtschaft
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Jenseits von Kohle und Stahl 

Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom

von Lutz Raphael

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Verlag: Suhrkamp
Format: Hardcover
Genre: Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Umfang: 525 Seiten
Erscheinungsdatum: 13.05.2019
Preis: € 32,90


Kurzbeschreibung des Herstellers:

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele Staaten Westeuropas von einem beispiellosen Strukturwandel erfasst: Die Fabriken der alten Industrien verschwanden, Millionen von Arbeitsplätzen gingen verloren, vormals boomende Städte gerieten in die Krise und neue soziale Fragen bestimmten die politische Agenda. Was aber ist aus dem stolzen Industriebürger geworden – aus seinen Arbeitsplätzen, Karrierewegen und Wohnquartieren? Wie haben sich soziale Rechte und politische Teilhabe von Arbeiterinnen verändert, als der Wettbewerb global, das Management schlank und der Finanzkapitalismus dominant wurde? Welche Ideen und Ideologien begleiteten den Wandel?
Am Beispiel der Industriearbeit in Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik erzählt Lutz Raphael die außerordentlich vielschichtige und spannende Geschichte der westeuropäischen Deindustrialisierung. Sie dauerte drei Jahrzehnte, ging mit einer Steigerung der Produktivität und des Lebensstandards einher, brachte aber auch Niedriglöhne, wachsende Ungleichheiten und eine Krise der demokratischen Repräsentation. Und vielleicht das Entscheidende: Sie wirkt bis heute fort – als Vorgeschichte unserer postindustriellen Gegenwart. Dieses Buch hilft, sie zu verstehen. Lutz Raphael, geboren 1955, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier, Gastprofessuren führten ihn u. a. nach Oxford und Paris. Er ist Mitglied sowohl der Mainzer Akademie der Wissenschaft und Literatur als auch der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2013 erhielt er den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Rezension von Gustav Seibt in der sueddeutsche.de

Posted by Wilfried Allé Monday, July 15, 2019 12:38:00 AM Categories: Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
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