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Maskeraden 

Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus

von Alfred Pfoser, Béla Rásky, Hermann Schlösser

ISBN: 9783701736133
Verlag: Residenz
Umfang: 400 Seiten
Format: Hardcover
Genre: Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte, Ländergeschichte
Sammlung: Februar 1934
Erscheinungsdatum: 25.03.2024
Preis: € 38,00

Kurzbeschreibung des Verlags

Nach der Ausschaltung des öster­rei­chi­schen Par­la­ments im März 1933 ging es Schlag auf Schlag. In Engel­bert Doll­fuß’ Traum­ge­bilde des „auto­ri­tä­ren, christ­li­chen Stände­staates“ wurde ein poli­tisch in­kon­se­quen­ter Schlin­ger­kurs ein­ge­schla­gen, der folg­lich im „An­schluss“ an das natio­nal­sozia­lis­tische Deutsch­land mün­dete. Doch wie sah das All­tags- und Kul­tur­le­ben zwi­schen 1933 und 1938 aus? In­mit­ten von Pro­zes­sio­nen der katho­li­schen Kir­che, Operet­ten­selig­keit so­wie Sport- und Tech­nik­be­geis­te­rung glänz­ten die libe­ra­le Hoch­kul­tur und intel­lek­tuel­le Mahner. Doch künst­le­ri­sche Frei­räume wur­den im­mer mehr ein­ge­schränkt, Rück­zugs­ge­biete der Zivil­ge­sell­schaft eli­mi­niert. Die Kul­tur­ge­schichte der Jahre 1933 bis 1938 stellt in ei­nem brei­ten Pano­rama dar, wie das schein­bar Wider­sprüch­liche zu­sam­men­passte.

Alfred Poser
Alfred Pfoser, geboren 1952 in Wels, studierte Germa­nis­tik, Ge­schichte und Publi­zis­tik in Salz­burg. Von 1998-2007 war er Lei­ter der Bü­che­reien Wien, 2007-2016 Lei­ter der Druck­schrif­ten­samm­lung und stv. Direk­tor der Wien­biblio­thek. Zahl­rei­che Publi­katio­nen zur öster­rei­chi­schen Kul­tur und Lite­ra­tur­ge­schichte.

Bela Rasky
Béla Rásky geboren 1957, studierte Geschichte und Kunst­ge­schichte an der Uni­versi­tät Wien. Von 2010-2020 war er Ge­schäfts­füh­rer des Wie­ner Wiesen­thal Insti­tuts für Holo­caust­stu­dien. Mit­ar­beit an zeit­his­to­ri­schen Pro­jekten, Aus­stel­lun­gen und Publi­katio­nen, zahl­rei­che Über­set­zungen aus dem Unga­rischen.

Hermann Schlösser
Hermann Schlösser, geboren 1953 in Worms, Literatur­wis­sen­schaft­ler, lebt in Wien und ist Lek­tor an der Uni­ver­sität Wien.

Posted by Wilfried Allé Sunday, April 7, 2024 6:55:00 PM Categories: Ländergeschichte Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte
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Favoriten 

Auf den Spuren eines Wiener Arbeiterbezirks

von Gitta Tonka

ISBN: 9783854769439
Verlag: Mandelbaum Verlag eG
Format: Buch
Genre: Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte, Ländergeschichte
Umfang: 144 Seiten
Erscheinungsdatum: 01.04.2022
Preis: € 18,00
Kurzbeschreibung des Verlags:

Die riesige graue Vorstadt mit dem klin­gen­den Namen »Favoriten« hat eine Ge­schichte. Es ist die Ge­schichte des ar­bei­ten­den Vol­kes, die Ge­schichte von Namen­losen, die diese Stadt mit­ge­formt, sie ver­tei­digt und wie­der auf­ge­baut haben. Hier wurde von Austro­fa­schis­ten auf Ar­bei­ter­häu­ser ge­schos­sen, hier herrsch­ten Ar­beits­losig­keit und Not, und vie­le Fa­vo­rit­ner ließen für ein freies Öster­reich ihr Leben.
Aus persönlichem Blickwinkel erzählt eine Favo­rit­ner Leh­re­rin, de­ren Fa­mi­lie seit der Be­zirks­grün­dung hier lebt, die poli­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ve­rän­de­run­gen und Um­brü­che ihres Hei­mat­be­zirks. Texte von his­to­ri­schen Per­sön­lich­keiten wie Victor Adler, Adel­heid Popp, Max Winter oder Jo­hann Pöl­zer ver­tie­fen den Blick auf Fa­vo­ri­ten. Die Zeit­reise wird durch hu­mo­rige und emo­tio­nale Fami­lien­ge­schich­ten so­wie die zahl­rei­chen his­to­ri­schen und zeit­ge­nös­si­schen Foto­gra­fien be­son­ders le­bendig.

FALTER-Rezension:
Von Sandlern, Heldinnen und dem Eissalon Tichy

Die zumeist aus Böhmen zuge­wan­der­ten Ziegel­ar­bei­ter am Laaer Berg und am Wiener­berg waren vor 150 Jahren die Aus­ge­beu­tetsten der Aus­ge­beu­teten. Zu­sam­men­ge­pfercht ar­bei­teten sie für ein paar Hel­ler, leb­ten in Ge­mein­schafts­unter­künf­ten und wur­den auch noch mit Blech­mar­ken be­zahlt, mit denen sie den über­teu­er­ten, schlech­ten Fraß in den Werks­kan­ti­nen kau­fen mussten. Victor Adler, spä­ter der Eini­ger der So­zial­demo­kra­ten, schlich sich in­kog­ni­to ein und schrieb eine packen­de Repor­tage über das Elend der Zie­gel­ar­bei­ter - die Auf­decker­story legte die Grund­lage zu sei­ner spä­te­ren Po­pu­la­ri­tät und Le­gen­de. Auf der unters­ten Stufe der Elen­den stan­den jene, die die Zie­gel­for­men mit Sand aus­fül­len mussten. Sie wurden "Sandler" ge­nannt, und der Be­griff bür­ger­te sich spä­ter für alle auf der un­ters­ten Spros­se der so­zi­a­len Lei­ter ein. Nach­dem im­mer mehr Ar­beits­rechte durch­ge­setzt wur­den, blie­ben die Werks­kan­ti­nen be­ste­hen, ver­wan­del­ten sich aber nach und nach zu nor­ma­len Wirts­häu­sern, und um das Publi­kum zu hal­ten, dach­ten sich die fin­dig­sten Wirts­leute am Laaer Wald ein paar zu­sätz­li­che Attrak­tio­nen aus und stell­ten Spiel­ge­räte auf. Der Grund­stein des Böh­mi­schen Pra­ters war ge­legt.

Die Geschichte des Böhmischen Praters, die Ar­beiter­kul­tur im "zehn­ten Hieb", der Straßen­gangs und Volks­bild­ner - das und vie­les mehr kann man in Gitta Tonkas Buch "Favo­riten - Auf den Spuren eines Wie­ner Ar­bei­ter­be­zir­kes" nachl­esen. Wenn sie er­zählt, dann blickt sie auf eine un­glaub­liche, 170-jäh­rige Fa­mi­lien­ge­schichte zu­rück.

Tonkas Urgroßvater Jakob Sokopp kam in den 1870er-Jahren nach Wien. Er lernte Me­tall­dru­cker und war schon in der aller­ers­ten Gene­ra­tion der Ar­beiter­be­we­gung und der Ge­werk­schaften ak­tiv. Jakob Reu­mann, spä­ter der erste Bür­ger­meis­ter des Ro­ten Wien, war einer sei­ner engs­ten Freunde. Die Fa­mi­lie lebte in Elends­quar­tieren, bis sie in einer klei­nen Woh­nung mit Werk­statt in der Buchen­gasse 100 unter­kam.

Die ganze Familie, Großeltern und Groß­tan­ten von Gitta Tonka waren in den lin­ken Be­we­gungen und im Wider­stand ak­tiv. Vor eini­gen Jah­ren hat sie schon die Lebens­er­in­ne­rungen ihrer Mut­ter Ossy Tonka heraus­ge­bracht. Revo­lu­tio­näre, spä­ter Schutz­bünd­ler, ille­ga­le Sozi­a­lis­ten, todes­ver­ach­tende Kons­pi­ra­teure ge­gen die Nazis, sie alle gin­gen ein und aus in der Buchen­gas­se 100. Tonkas Mut­ter schlägt sich - blut­jung -zu den Par­ti­sa­nen nach Jugos­la­wien durch, kämpft auf deren Sei­te, und in der Nach­kriegs­zeit lan­det sie bei Bertolt Brecht als Mit­ar­bei­terin im Thea­ter Scala. Gitta saß noch bei Brecht am Schoß.

Gitta Tonkas Buch ist ein packendes Por­trät eines Be­zirks ge­wor­den. Seiner ver­ruch­tes­ten Vier­tel etwa, wie "das Kreta", wo die här­tes­ten Gangs die Straße be­herrsch­ten und das heute noch übel be­leu­mun­det ist, auch wenn das städte­bau­lich ambi­tio­nier­te Sonn­wend­vier­tel fast di­rekt an­grenzt. Als eins­tige Leh­rerin und Direk­to­rin einer Favo­rit­ner Volks­schule kennt Tonka den so­zia­len Wan­del der ver­gan­ge­nen Jahr­zehnte. Zu je­der Fa­brik, je­dem Ge­mein­de­bau, je­der Gar­ten­stadt, zum Tichy, zu Ober­laa - zu allem hat Tonka Ge­schich­ten zu er­zäh­len, die auch für Ken­ner neu sind. Zu bril­lan­ten Fi­gu­ren, die dem Bez­irk eng ver­bun­den wa­ren, wie dem Jour­na­lis­ten Max Win­ter, Grün­der der Kinder­freunde und in den 1920er-Jahren Vize­bür­ger­meis­ter. Oder Schani Pölzer, Schnei­der, Ge­werk­schaf­ter, Ar­beiter­bild­ner, und sei­ner Frau Amalie, Ge­werk­schaf­terin und radi­kale Femi­ni­stin - nach ihr wur­de das Amalien­bad be­nannt, heute ein Denk­mal avan­cier­ter Archi­tek­tur.

Robert Misik in Falter 21/2022 vom 27.05.2022 (S. 18)

Posted by Wilfried Allé Friday, January 27, 2023 8:56:00 PM Categories: Ländergeschichte Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte
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Wien 

Biografie einer vielfältigen Stadt

von Johannes Sachslehner

Verlag: Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
ISBN: 9783222150739
Umfang: 496 Seiten
Genre: Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte, Ländergeschichte
Erscheinungsdatum: 21.10.2021
Format Hardcover
Preis: € 40,00

 

Kurzbeschreibung des Verlags

Wien ist eine Metropole mit großer Ver­gangen­heit und be­weg­ter Gegen­wart. Ein leben­diges Stadt­wesen, dem sich Johannes Sachs­lehner in Form einer Bio­grafie nähert: Er er­zählt vom Wer­den der Wien-Mythen und schil­dert die wechsel­vol­len Schick­sale der öster­rei­chi­schen Kapi­tale: Ge­schützt durch ihre Be­fes­ti­gun­gen trotzt sie den Osmanen. Auf ihren Plätzen, in den Straßen und Paläs­ten pul­sie­ren Unter­nehmungs­geist und Auf­bruchs­stim­mung. Gleich­zeitig wird der Stadt­körper zum Schau­platz hef­ti­ger Kon­flikte, Stephans­dom, Rat­haus und Hof­burg sind die Sym­bole dieser dra­ma­ti­schen Fie­ber­stür­me.
Im Fokus steht das Leben in der Stadt. Die All­tags­freu­den und Lei­den der Wiener, ihre Ver­gnü­gun­gen, Wün­sche und Hoff­nun­gen, aber auch Angst und Ver­zweif­lung. Der Glanz der Ring­stras­se und die Tris­tesse der Vor­stadt, der Ge­stank und der Lärm, das Rin­gen ums gute Was­ser, der Kampf gegen Seuchen und schluss­endl­ich die „schöne Leich“.

Rezensionen

Rezension aus Deutschland vom 18. Januar 2022
5,0 von 5 Sternen

Es ist schon ein massives, ein wuch­ti­ges, ein inhalts­schwe­res Buch, wel­ches uns hier vor­ge­legt wird. Eine aus­führ­li­che 500 Seiten "Bio­gra­fie" über Wien, je­ner Stadt also, die im­mer mal wie­der zur lebens­wertes­ten Stadt der Welt ge­kürt wurde. Das frei­lich ist nur die Ober­flä­che. Was die­ses Werk be­son­ders aus­zeich­net, ist die sau­be­re Re­cher­che, das Her­stel­len von Zu­sam­men­hän­gen, die un­zäh­li­gen De­tails und ja, auch der ge­lun­ge­ne Ver­such, mög­lichst viele Fa­cet­ten und Ebe­nen ab­zu­decken: so wird dem re­ak­ti­o­nä­ren, kai­ser­li­chen Wien - also der großen Angst vor der Frei­heit des Den­kens - eben­so Platz ein­ge­räumt wie dem Rin­gen um Eman­zi­pa­tion und Par­ti­zi­pa­tion, dem le­gen­dä­ren Roten Wien oder der Zeit des Natio­nal­so­zi­a­lis­mus. Allei­ne der Austro­fa­schis­mus wird doch etwas mager, le­dig­lich mit ein paar dür­ren Zei­len ver­sehen, be­han­delt.

Biografien sagen zum Teil mehr über den Autor, als über den ei­gent­li­chen Pro­ta­go­nis­ten aus. Johannes Sachs­lehner frei­lich hat es ge­schafft, Wien in der gan­zen Bunt­heit, Ver­schieden­artig­keit, mit den dunk­len und hel­len Sei­ten der lan­gen Ge­schich­te aus­führ­lich dar­zu­stel­len. Da­für ge­bührt ihm aus­drück­lich Lob und An­er­ken­nung.

Posted by Wilfried Allé Sunday, August 14, 2022 9:49:00 PM Categories: Ländergeschichte Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte
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Der Semmering 

Eine exzentrische Landschaft

von Wolfgang Kos

ISBN 9783701735075
Verlag: Residenz
Genre: Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte, Ländergeschichte
Umfang: 384 Seiten
Format: Hardcover
Erscheinungsdatum: 01.06.2021
Preis: € 34,00

 

Kurzbeschreibung des Verlags:

Als erste Gebirgsbahn stellt die 1854 eröffnete Strecke über den Semmering ein technisches und ästhetisches Monument von Weltrang dar. Ein entlegenes Gebiet wurde zur Bühne effektvoller Landschaftsinszenierungen, der Semmering zur Elitemarke des mitteleuropäischen Tourismus. Auf dem „Balkon von Wien“ traf sich eine moderne großstädtische Oberschicht zwischen Villen und Grandhotels. Der Glanzzeit um 1900 folgten zahlreiche Krisen und Comebacks. Heute stellt sich die Frage nach Zukunftschancen jenseits der Nostalgie. Der Kulturhistoriker Wolfgang Kos erzählt die konfliktreiche Geschichte einer exzentrischen Landschaft, die Reichenau an der Rax ebenso umfasst wie Mürzzuschlag. Eine spannende Reise durch die Jahrhunderte.

FALTER-Rezension

Die Eroberte Landschaft

Die Adria auf 1000 Metern Seehöhe, das war die Idee des 1932 eröffneten „Alpenstrandbads“ auf dem Semmering. Da das kühle Klima ein echtes Freibad nicht erlaubte, bauten die Architekten eine 40 Meter lange Glaswand, die sich bei Schönwetter öffnen ließ. Meeressand und Quellwasser, wilde Berge und geschützte Behaglichkeit: Auf dem Semmering, und in diesem Fall in der Attraktion des Hotels Panhans, hoben sich Gegensätze auf. Auch heute noch staunt man über diesen Geniestreich touristischer Planung.

Der Autor, Historiker und ehemalige Direktor des Wien Museums Wolfgang Kos widmet dem Semmering eine umfassende Studie. Wie in einem Leporello, einem Faltbuch, fügt Kos in „Semmering. Eine exzentrische Landschaft“ Bild an Bild und Erzählung an Erzählung und entwickelt so ein historisches Panorama. Munter von Disziplin zu Disziplin springend, vermittelt er den Ort als Laboratorium der Moderne. Brutale Landnahme geht einher mit romantischer Naturverklärung, rustikale Sentimentalität mit technischem Fortschritt.

In zahlreichen Tiefenbohrungen analysiert Kos die symbolische Ordnung der Landschaft. Er spürt die feinen Unterschiede zwischen aristokratischen und bürgerlichen Gästen auf und hält fest, wenn Heimattümelei in Fremdenhass übergeht. Das Buch ist mehr als eine Chronik. Es ist der Versuch, ein Jahrhundert unter das Mikroskop zu legen.

Kos begann sich um 1980 mit dem Ort zu beschäftigen. Er war damals ein auf Popmusik spezialisierter Radiojournalist, der den Semmering bis dahin vor allem aus den Erzählungen des eisenbahnbegeisterten Vaters kannte. Die seit Jahrzehnten andauernde Abwärtsspirale hatte damals ihren Tiefpunkt erreicht. Ausflüge führten in das zum Gespenst gewordene Südbahnhotel, das ebenso wie die anderen drei Grand Hotels leer stand. Ein Schild warnte vor herabstürzenden Dachziegeln, in den Räumen türmten sich Gebirge von Matratzen und demontierten Lustern. Die Holzkonstruktion des legendären Alpenstrandbads beim Hotel Panhans war eine Ruine.

In der Zeit düsterer New-Wave-Visionen übte der Lost Place eine morbide Faszination aus. Eine Fotografin schlug vor, im Südbahnhotel ein Erholungsheim für Punks einzurichten. Kos gab sich mit der Leichenbeschau nicht zufrieden und begann zu recherchieren.

Im Jahr 1992 breitete der studierte Historiker das Material in der Landesausstellung „Die Eroberung der Landschaft“ aus, die in Gloggnitz stattfand, einer der Nachbargemeinden des Semmerings. Hier griff der Kurator das vom Ausstellungsmacher Harald Szeemann (1933–2005) entwickelte Konzept auf, mehrere Stränge – Gesellschaft, Kultur, Politik – zu verknüpfen. Die Schau erzählte vom Elend der Arbeiter, die Tunnel in den Felsen trieben und Abgründe mit Steinbrücken überspannten. „Die Eroberung der Landschaft“ rief auch die Begeisterung in Erinnerung, die bereits der Bau der Eisenbahnstrecke auf den Semmering in den Jahren von 1848 bis 1854 auslöste.

Hunderttausende Fahrgäste erlebten die bis dahin als unwirtlich geltende Landschaft als theatralisches Spektakel. Die Anbindung an die Metropole war die Voraussetzung für die erst um 1880 einsetzende touristische Erschließung des Semmerings, der bis dahin nicht mehr als die topografische Bezeichnung für eine Passhöhe war. Die von Kos kuratierte Schau löste jene bis heute anhaltende Diskussion aus, wie sich ein von Geschichte überfrachteter und dennoch merkwürdig geschichtsloser Ort revitalisieren lässt.

„Man konnte zwischen Reichenau und Semmering ältere Damen treffen, die in überdimensionierten Villen residierten und im Winter nur ein Zimmer bewohnten, weil sie die Heizkosten nicht aufbringen konnten“, erinnert sich Kos. Wenn er angesichts vernachlässigter Landhäuser lästige Fragen stellte, hieß es, die Besitzer seien wahrscheinlich in Mexiko: „Arisierung und Vertreibung der Juden waren verdrängt.“

In „Der Semmering. Eine exzentrische Landschaft“ geht Kos vertraute Pfade ab. Er beginnt mit dem Bau der Eisenbahn, einer der großen Ingenieursleistungen des industriellen Zeitalters. Bereits 1842 erreichte der Zug Gloggnitz am Fuße des Semmerings, das sich zum „Tor zu den Alpen“ entwickelte. Die Streckenbetreiber verzeichneten 1846 bereits 1,2 Millionen Passagiere, in erster Linie „Vergnügungszügler“. Man war, so ein Reiseführer von 1842, „noch mit dem Staub der Residenzstadt bedeckt“, aber „zugleich schon mitten in der Alpennatur“ und bereit zum „großen Körper- und Seelenbade“.

Gloggnitz und Reichenau entwickelten sich zu Zentren der Sommerfrische. Der Eindruck eines entspannten Rückzugs trügt, denn die Städter brachten ihre sozialen Konventionen mit. Wie später auf dem Semmering fand hier die sogenannte zweite Gesellschaft, das aufstrebende jüdische Bürgertum, eine neue, historisch relativ unbelastete Bühne. Unternehmer und Bankiers bauten Villen und spazierten mit Komponisten und Schriftstellern. Auf Wanderungen und bei Kaffeekränzchen wurden Kontakte geknüpft und Ehen eingefädelt. Die Ringstraße, Symbol der gründerzeitlichen Expansion Wiens, fand eine alpine Spielwiese. Am Beispiel zweier imposanter Gebäude, der kaiserlichen Villa Wartholz und des von Baron Nathaniel Rothschild in Auftrag gegebenen Schlosses Hinterleiten, beschreibt Kos den Wettbewerb um Rang und Aussicht. Rax und Schneeberg bildeten die malerische Kulisse für diese Urszene der Freizeitgesellschaft.

Der Semmering beschleunigte das süße Nichtstun, machte aus geduldigen Sommerfrischlern gestresste Kurzurlauber. Die Gäste brachten Arbeit und Gewohnheiten mit ins Gebirge, Industrielle, Bankiers und Künstler kamen selten ohne Aktenmappe ins glamouröse Homeoffice. „Der Reiz bestand darin, der Natur im Abendkleid und mit dem Sektglas in der Hand gegenüberzutreten“, schreibt Kos. Clevere Gründer wie der Hotelier Vinzenz Panhans stellten eine moderne Infrastruktur zur Verfügung: Telefon und Telegrafenamt beschleunigten die Kommunikation, Ski- und Rodelpisten und Österreichs erster Golfplatz lockerten den täglichen Rhythmus von Spaziergang, Besuch und Souper auf.

Das Buch entziffert die oft rätselhaften Fassaden, die sich keinem bestimmten Stil zuordnen lassen. Es beschreibt die Erfindung der Semmeringvilla als wilde Kombination aus Tiroler und Schweizer Elementen, zwischen denen durchaus auch ein gotischer Tupfer Platz fand. Soziologie mit Ideologiegeschichte verknüpfend, blendet Kos den kritischen Sound ein, der den Einbruch von Urbanität in die ehemals bäuerliche Umgebung begleitete.

Er berichtet vom Kopfschütteln des Schriftstellers Peter Rosegger (1843–1918), der in der nahen „Waldheimat“ die Auflösung der Scholle erlebte, die Fabrikschloten wich: „Heute stellt sich das Semmeringgebiet so dar, dass man nicht weiß, ist es ein Land mit Stadthäusern oder eine Stadt von Landhäusern.“ In den 1920er-Jahren erfasst der Gegensatz zwischen Konservativismus und Fortschritt auch diese künstliche Enklave. Die arbeitende Bevölkerung begehrte gegen das Regime der Luxusbetriebe auf, die ersten Nazis protestierten gegen das jüdische „Schlemmering“.

Für seine Expeditionen wählte Kos ein gemächliches Tempo. Er ist weniger Gipfelstürmer als Bankerlhocker, lässt sich von Ortskundigen die Wasserrohre zeigen, die der Fürst Liechtenstein für einen längst verschwundenen künstlichen Wasserfall bauen ließ, oder die versenkte Deckenbeleuchtung im neusachlichen Foyer des Südbahnhotels. Er stöbert in alten Reiseführern und Prospekten, um die Schlagwörter auszugraben, die diesen Nicht-Ort definierten, vom „Dorado für Sportler“ bis zum „Zauberberg“. 1930 textet eine Werbung für den Golfplatz kühl: „9 holes, 1000 m Seehöhe, 90 km von Wien.“

Die literarischen Darstellungen durch berühmte Gäste wie den Wiener Dramatiker Arthur Schnitzler (1862–1932) trugen zum Mythos bei. In der Textsammlung „Semmering 1912“ des Dichters und Bohemiens Peter Altenberg (1859–1919) findet Kos eine stimmige Beschreibung ohne Klischees. Altenberg feiert das Schmelzwasser, das von den Dachrinnen tropft, und den Schneesturm, „der in das Gesicht nadelt und staubt“. Was Kos über Altenbergs Stil schreibt, lässt sich auf seinen eigenen Ansatz übertragen: „Kleinigkeiten und kaum Bemerktes interessieren ihn grundsätzlich mehr als das Große und Ganze.“ Ohne die Feder zu tief ins Metaphernfass zu tauchen, gelingen ihm Kleinode der Beschreibung, etwa über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: „In der biederen Emsigkeit der Wiederaufbaujahre zehrten Häuser wie das Panhans noch einmal von ihrem Unwirklichkeitsbonus.“

Wer heute die Höhenstraße, die die Villen und Hotels des Semmering verbindet, entlanggeht, wähnt sich auf einem Friedhof. Die großen Hotels sind geschlossen, auch das in den 1980er-Jahren erneuerte Hotel Panhans stellte seinen Betrieb ein. In den vergangenen Jahrzehnten kamen viele Investoren, die viel versprachen und wenig hielten. Architektonische Scheußlichkeiten zerstören die Aura, die die trotz aller Wunden doch beeindruckenden Bauwerke der Pionierzeit besitzen.

Der Historiker hält sich nicht mit Nostalgie auf. Ohne die traurige Gegenwart zu beschönigen, sucht Kos nach Chancen. So sei das Alleinstellungsmerkmal Großstadtnähe und erstklassige Verkehrsanbindung noch immer aktuell. In wenigen Jahren werden die internationalen Züge zwar in einem Tunnel verschwinden, aber die ÖBB möchten den Zugverkehr über die spektakuläre Trasse des genialen Ingenieurs Carl von Ghega (1802–1869) weiterführen. Der Titel Welterbe gibt dem Verkehrsbauwerk und seiner Umgebung zusätzliche Bedeutung. Mit dem Kultursommer Semmering gibt es ein reizvolles Festival, das die Fans von Theater und Musik auf den Berg holt. Auch die Wintersaison hat nicht ausgedient; der Zug hält nahe der Skipiste.

Kos empfiehlt Interventionen zeitgenössischer Architekten und Designer, um die Mottenkiste zu lüften. Er nennt Orte mit vergleichbaren Problemen und deren Lösungen, etwa Aussichtsrampen in den Tiroler Bergen oder Schweizer Modelleisenbahnen, die jährlich hunderttausende Besucher anziehen.

Noch ist der Semmering nicht verloren. Der Klimawandel steigert die Nachfrage nach kühlen Plätzen, das schlechte Image billiger Flugtickets macht das Bahnfahren attraktiv. Das lässt die Destination für Investoren reizvoll erscheinen. Einen ersten Schritt setzte der Grazer Hotelier Florian Weitzer, der das Kurhaus Semmering kaufte. Der stilbewusste Unternehmer erstand eine dieser dem Verfall preisgegebenen Megastrukturen, die, dezent renoviert, den Zeitgeist von Verlangsamung und Vintage treffen könnten.

In Anspielung auf „The Grand Budapest Hotel“, eine filmische Hommage des Regisseurs Wes Anderson an den Luxus der Belle Époque, nennt Weitzer das Kurhaus in Grand Semmering um. Auch für das zentrale Südbahnhotel zeichnet sich eine Lösung ab. Eine Gesellschaft, die bereits an der kroatischen Küste Hotels der Kaiserzeit renoviert, scheint an einem Kauf interessiert. Der ehemalige aristokratische Kurort Bad Gastein ging mit gutem Beispiel voran und versucht, die Historie mit attraktiver Gegenwart aufzuladen.

Wenn einiges gut aufgeht, könnte auch der Semmering wieder leben. „Die These, dass es am Semmering so viel Aufbruchstimmung gibt wie schon lange nicht, wird von vielen geteilt“, kommentiert der Semmeringkundler den Status quo, ohne seine Vorsicht zu verhehlen. In 40 Jahren Forschung hat Wolfgang Kos bereits zu viele Züge erlebt, die zu spät kamen oder erst gar nicht stehen blieben.

Matthias Dusini in Falter 27/2021 vom 09.07.2021 (S. 26)

Posted by Wilfried Allé Monday, July 5, 2021 9:18:00 AM Categories: Ländergeschichte Sachbücher/Geschichte/Regionalgeschichte
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