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Brot 

Das Wunder, das wir täglich essen

Harald Friedl

EAN 9783854397823
Erscheinungsdatum 27.11.2020
Umfang 90 Minuten
Genre Ernährung
Verlag Falter Verlag
Regisseur Harald Friedl
Preis € 14,99

Kein anderes Lebensmittel besitzt in unserer Kultur einen so zentralen Stellenwert wie Brot. Der Anschein des Natürlichen entspricht allerdings immer weniger der Realität: Brot ist längst von der Industrie vereinnahmet worden.

Engagierte Bäcker und Bäckerinnen auf der ganzen Welt halten mit viel Engagement und Fantasie dagegen. Aber die Fragen drängen sich auf: Wird das Brot der Zukunft zum künstlichen Produkt? Wird das Backhandwerk überleben?

Filmkritik zur Dokumentation "Brot"

Lars-Christian Daniels

Mal ehrlich: Haben wir nicht alle schon mal ein Brötchen im Backshop am Bahnhof oder ein Brot beim günstigen Discounter gekauft? So praktisch es auch sein mag, dass man nicht extra zum Bäcker fahren muss und neben Zeit auch noch Geld spart, ist die Erfahrung doch immer die gleiche: Wirklich schmecken tut‘s bei den Billiganbietern nicht. Doch warum ist das eigentlich so?

Der Antwort auf diese Frage geht Filmemacher Harald Friedl in seiner faszinierenden Kino-Dokumentation "Brot" nach. Nach diesem Film werden wir Brot mit anderen Augen sehen. Und so ist es auch, denn der Regisseur nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch Europa, beleuchtet das traditionelle und moderne Bäckerhandwerk in all seinen Facetten und kontrastiert die Bilder aus den Backstuben elegant mit den gigantischen Settings der industriellen Massenproduktion und modernen High-Tech-Anlagen.

Brothandwerk ist Kunst

Den erzählerischen Rahmen gibt Friedl dabei nur lose vor. Er verzichtet auf Kommentare aus dem Off und nennt auch in den Texteinblendungen nur kurz die Orte, an die uns sein Film entführt. Gleich zu Beginn besuchen wir eine Biobäckerei aus Österreich, in der neben Bäckermeisterin Brigitte Öfferl auch Sohn Georg den Teig knetet. Jeder Handgriff sitzt. "Brothandwerk ist Kunst", weiß der dynamische Jungbäcker, und es ist ihm zu verdanken, dass sich der Familienbetrieb nach einer Durststrecke wieder gegenüber der Industrie behauptet. Mit der Umstellung auf reine Bioproduktion hat die Bäckerei eine Nische besetzt – und die Kunden sind gern dazu bereit, ein paar Cent mehr für gesunde Qualitätsprodukte aus regionalem Anbau zu bezahlen.

Solche kleinen Märkte sind für "Brotbaron" Hans-Jochen Holthausen nicht interessant – er setzt auf lukrative Masse statt auf handwerkliche Klasse und leitet die Geschicke der Großbäckerei Harry-Brot, die Supermärkte in ganz Deutschland beliefert. Alles mit neuester Technologie und hocheffizienten Produktionsanlagen, die im Schichtbetrieb bedient werden. Allein in den wenigen Minuten, die die Kamera in seiner riesigen Fabrikhalle Station macht, laufen tausende Toastbrote über die Fließbänder – ein spektakulärer Anblick. Doch die Verkostung mit den Kollegen aus der Produktentwicklung wirkt wenig appetitanregend: Das Brot verkommt zur Ware, ist nur Produkt, um Geld zu verdienen. Reinbeißen möchte man nicht.

Die Zeit als Verbündeter – nicht als Feind

Ganz anders in der Boulangerie von Christophe Vasseur, vor der die Kunden bis auf die Straße für ein Croissant Schlange stehen: Der französische Bäcker brennt für sein Handwerk wie kaum ein zweiter Protagonist der Dokumentation, scheint fast besessen davon, seiner Kundschaft allerhöchste Qualität bieten zu können. Bei den prachtvollen Bildern der knusprigen Brotlaibe, die er vor der Kamera aufschneidet, läuft uns das Wasser im Mund zusammen. "Das Problem am modernen Leben ist, dass wir die Zeit als unseren Feind sehen. Die Zeit ist ein Verbündeter, der respektiert werden muss", weiß Vasseur – und nimmt sie sich gern, wenn er sich minutenlang dem Teig in der Knetmaschine widmet und hier und da händisch nachjustiert. Man müsse ihn "beobachten".

Ein weniger traditionelles, futuristisches Bild bietet der Besuch im "Inspirience Center" des belgischen Puratos-Konzerns, der auf der ganzen Welt vernetzt ist und sogar eine eigene Sauerteigbibliothek betreibt: Immer auf der Suche nach Trends und unter akribischer Analyse des Marktes ist es das Geschäft der Firma, mithilfe von Molekularforschung Enzyme und Zusatzstoffe zu entwickeln, um Teig länger haltbar oder Aufbackware optisch ansprechender zu machen. Es spricht sehr für Friedls Dokumentation, dass er diese Auswüchse der Globalisierung nicht partout verteufelt, sondern differenziert betrachtet: Vor 20 Jahren wussten nur die wenigsten, was ein Ciabattabrot ist – heute schätzt man es weltweit, was auch ein Verdienst des Konzerns ist.

#breadporn fürs Auge

Neben diesen vier Stationen besucht Friedl noch weitere Protagonisten in Österreich, Deutschland, Belgien und Frankreich: Zu Wort kommen Getreidebauern, die unter dem Preisdruck leiden, oder innovative Müller, die selbst erfahrene Bäcker noch mit neuen Mehlprodukten überraschen. Wir schauen versierten Handwerksmeistern in ihren Backstuben bei der Arbeit mit dem Korn, dem Mehl und dem Teig über die Schulter und lernen in neunzig Minuten mehr über Brot, als wir je geahnt hätten. Und spätestens, wenn die braungebrannten Brote aus dem Ofen in die Regale und Papiertüten der hungrigen Kunden wandern, dürfte auch so manchem der Magen knurren. Wie schade, dass Filme (noch) nicht riechen können!

Einen Geheimtipp für Bäcker, die in den sozialen Medien aktiv sind, hält Friedls Dokumentation ebenfalls noch bereit: Einfach mal das Aufbacken eines Brotes im Zeitraffer filmen und den Clip bei Facebook oder Instagram posten – die Likes der Community sind garantiert. "Wir nennen das breadporn", erklärt der gewiefte PR-Manager des Puratos-Konzerns – und wir glauben ihm sofort, denn das Gespür für die Optik und Wünsche der Kunden hat er zweifellos. Aber hat er wohl schon mal selbst einen Teig geknetet?

Posted by Wilfried Allé Monday, September 20, 2021 10:24:00 AM Categories: Ernährung
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Gipsy Queen 

Hüseyin Tabaks Spielfilm „Gipsy Queen“ erzählt, wie eine jungen Mutter aus einer ru­mä­ni­schen Roma-Sied­lung in den Box-Ring auf St. Pauli kommt.

Reihe Feine Filme
Erscheinungsdatum 04.12.2020
Umfang 117 min
Genre Spielfilm/Drama
Verlag Falter Verlag
EAN 9783854397786
Personen Alina Serban, Tobias Moretti, Irina Kurbanova, Sarah Ulda Carcamo Vallejos, Aslan Yilmaz Tabak
Regisseur Hüseyin Tabak
Preis € 14,99

Der Job als Zimmermädchen ist weg. Ali (Alina Șerban) braucht so­fort etwas Neues, egal was. So­gar für Ab­riss­ar­bei­ten in einer Ham­bur­ger Villa lässt sie sich an­heu­ern. Fünf Euro pro Stunde be­kommt sie für die Schwarz­arbeit. Die ru­mä­ni­sche Mut­ter von zwei Kin­dern klagt nicht, son­dern schuf­tet als ein­zi­ge Frau sto­isch neben den an­de­ren Ar­bei­tern.

Als nächstes steht eine Aushilfsschicht in einem Schmuddel-Schup­pen auf St. Pauli an. Zum Auf­räu­men scheucht die Theken­frau sie in den Keller, wo ein Box­ring auf­ge­baut ist. Dort hat Ali keine Au­gen für die Fla­schen und Glä­ser, die sie ein­sam­meln soll, son­dern nur für die Männer im Ring.

Der Vater verstößt die junge Frau

Sie analysiert deren Bewegungen, versteht ganz genau, was pas­siert. Denn nicht zu­fällig trägt Ali den Namen des größten Boxers aller Zei­ten. Ihr box­ver­rückter Va­ter hat ihn ihr ge­ge­ben, sie spä­ter trai­niert und zu Sie­gen ge­führt. Für ihn war sie nicht nur der Stolz der Fami­lie, son­dern die Köni­gin aller Roma.

Doch als Ali ihr zweites uneheliches Kind be­kam und nicht mehr kämpfen konnte, fiel eine wich­ti­ge Ein­nahme­quelle für ihre irgend­wo in der Pro­vinz le­ben­de Roma­fami­lie weg. Nun brauchte die junge allein­ste­hen­de Mut­ter selbst Hilfe – doch der Vater ver­stößt sie.

Das dramatische öffentliche Zer­würf­nis der bei­den steht am Be­ginn von Hüseyin Tabaks zwei­tem Lang­spiel­film „Gipsy Queen“, der an­schließend einige Jahre in die Zu­kunft springt. Ali und ihre Kin­der wohnen in Ham­burg zu­sam­men mit der Deut­schen Mary (Irina Kurbanova), die ver­sucht Tän­ze­rin zu wer­den, aber vor allem Traum­tän­zerin ist. Weil von ihr in Sachen Miete nicht viel kommt, ist Einzel­kämpferin Ali gefragt.

In der „Ritze“, der Kiezkneipe mit Box­schuppen, die es übri­gens wirk­lich gibt, er­öffnet sich eine neue Per­spek­tive für die Frau mit der dunk­len Locken­mähne. In­haber Tanne (Tobias Moretti) be­merkt, dass sie boxen kann und en­ga­giert sie zu­nächst für sein Show­pro­gramm mit Publi­kums­be­tei­li­gung.

In einem formatierten TV-Drama würde jetzt die ab­seh­bare Auf­stiegs­ge­schichte einer Außen­sei­terin be­gin­nen, die neben­bei auch noch dem runter­ge­rockten Ex-Boxer Tanne eine Runde neuen Sinn schenkt. Aller­dings macht es sich Hüseyin Tabak, von dem auch das Dreh­buch stammt, nicht so ein­fach. Er be­müht sich so­wohl bei den sport­li­chen als auch bei den ge­sell­schaft­li­chen As­pek­ten sei­nes Wer­kes um eine ge­wisse Rea­li­täts­nähe. Und so bleibt Alis Weg von Tief­schlä­gen ge­prägt.

Frauen sind selten im Boxfilm-Genre. Wenn sie wie in „Million Dollar Baby“, „Girlfight“ oder „Die Boxerin“ doch ein­mal im Zentrum ste­hen, geht es im­mer auch da­rum, sich ge­gen die Vor­ur­teile über weib­liche Faust­kämpferin­nen zu be­haupten.

Interessanterweise hat Ali dieses Problem nicht. Dafür ist stets prä­sent, dass sie als Romnija in einer ras­sis­ti­schen Ge­sell­schaft einen be­son­ders fra­gi­len Sta­tus hat. So kämpft sie außer­halb des Rings ge­gen die Stereo­typen an, die den Roma zu­ge­schrie­ben wer­den.

Als ihre Tochter Esmeralda (Sarah Carcamo Vallejos) eine Jacke klaut, schreit Ali sie an: „Du tust genau das, was die Weißen von uns er­warten. Du solltest dich schä­men.“ An­schließend be­straft sie Es­me­ral­da hart, ohne zu wis­sen, dass der die ei­gene Jacke zu­vor von einem Mädchen mit Ge­walt ab­ge­nom­men wor­den war. Sie hat­te ver­sucht, das zu ver­tuschen.

Tabak fängt die komplizierte Mutter-Tocher-Dynamik auf ein­dring­liche und ein­fühl­same Weise ein. Es wird deut­lich, dass Ali zwar Über­men­schli­ches für ihre Kin­der leis­tet, doch oft zu wenig Kraft hat, um nach­zu­voll­zie­hen, was Es­me­ral­da fühlt und er­lebt. Da­für setzt sie – ähn­lich wie ihr ei­ge­ner Va­ter – auf Stren­ge, um ihre Kin­der für die feind­se­ige Welt zu wappnen. Alina Șerban, die selbst in einer ru­mä­ni­schen Roma­fami­lie auf­wuchs und Ab­sol­ven­tin der Royal Aca­demy of Dra­ma­tic Art in Lon­don ist, spielt das mit großer In­ten­si­tät und Glaub­wür­dig­keit.

Den berührendsten Moment von „Gipsy Queen“ schafft sie mit einer stil­len Sze­ne, in der die große Ein­sam­keit ihrer Fi­gur kon­den­siert zum Aus­druck kommt: In der U-Bahn sitzt Ali einem Rom ge­gen­über. Die bei­den sagen nichts, schau­en sich nur an, irgend­wann hat Ali Trä­nen in den Au­gen, der Mann nickt ihr zwei Mal leicht zu. Es wirkt wie eine liebe­vol­le väter­liche Er­mu­ti­gung. Ali steht auf – ein Kampf steht an. Sie steckt ihre gan­ze Lebens­wut in ihre Schläge.

Posted by Wilfried Allé Tuesday, September 7, 2021 12:21:00 AM Categories: Spielfilm/Drama
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