AZ-Neu

Die Informationsplattform für ArbeiterInnen, Angestellte, KMUs, EPUs und PensionistInnen

Fehlgeleiteter Klimaschutz? 

Eine vierspurige Stadtstraße ist nicht per se schlecht. Ländliche Zersiedelung ist viel schlimmer.

Ohne adäquate Straßenanbindung wird die Seestadt Aspern ihr volles Potenzial kaum ausschöpfen können. © apa / Georg Hochmuth

Selbsternannte Klimaschützer agitieren gegen eine vierspurige Stadtstraße in Wien-Donaustadt sowie eine Stadt­um­fahrung mit Donauquerung. Ihre Hauptargumente: Man brauche keine neuen Straßen, weil diese nur den Pkw-Verkehr und die Boden­versiegelung fördern würden. Was sie nicht dazusagen: Pkw- und Lkw-Verkehr sind schon da, und die durch Über­lastung ver­ursachten Staus belasten Umwelt, Anrainer und Verkehrs­teilnehmer massiv.

Die Umwelt- und Klimaschützer müssten hier viel eher im angrenzenden Nieder­österreich protestieren, wo nicht wie in der Seestadt verdichtet gebaut, sondern vielmehr über Ein­familien­häuser die Land­schaft zersiedelt und damit auch pro Kopf ein Viel­faches an Straßen­flächen benötigt wird. Wien, das jetzt schon den höchsten Öffi-Anteil und den geringsten Pkw-Verkehrs­anteil aller Bundes­länder hat, ist dennoch gut beraten, im Modal Split den Auto­verkehr noch weiter zu reduzieren.

Weil auch E-Autos Straßen und Parkplätze brauchen, beanspruchen sie im Stadt­verkehr weit mehr öffentlichen Raum als der öffent­liche Verkehr. Ungeachtet dessen werden sie vom Klima­ministerium hoch gefördert, um den Umstieg zur Elektro­mobilität zu beschleunigen. Dass so künftig Staus - dann halt mit E-Autos - ausbleiben werden, kann besten­falls ein Wunsch­denken sein. Mit der Förderung von E-Autos wird außerdem eine klassische Um­ver­teilung von unten nach oben betrieben. Jene mit geringerem Ein­kommen können sich trotz hoher Förderung kein teures E-Auto leisten. Wenn die Klima­schützer konse­quent wären, müssten sie gegen diese Förderungen protes­tieren und eine Umlenkung dieser Gelder zum Ausbau des öffent­lichen Verkehrs fordern.

Obwohl er in Wien meist schon gut ausgebaut ist, könnten bestehende - und derzeit nur für den Güter­verkehr genutzte - Gleise zur Schließung eines Schnell­bahn­rings von Hüttel­dorf über Kaiser­ebers­dorf, das rechte Donau­ufer entlang zu U2 (Ernst-Happel-Stadion inklusive zukünftiges Fernbus­terminal) und U1 (Reichsbrücke) bis zum Handelskai (U6/Schnellbahn) genutzt werden; ebenso für eine Verbindung vom Haupt­bahnhof über Simmering (U3) und Stadlau (U2) bis zum Schnell­bahn­kreuz Süßenbrunn.

Mit solch zusätzlichen Schnellbahnen aus Gänserndorf oder Wolkersdorf ins Zentrum von Wien würde auch der nord­östliche Teil Nieder­öster­reichs besser angebunden. Bedauer­licher­weise wurden dort zuletzt Bahn­strecken still­gelegt, sogar neu instand­gesetzte Bahn­trassen, wie etwa Groß-Schweinbarth - Obersdorf mit direkter S2-Anbindung. Die U-Bahn-, Schnellbahn- und andere wichtige Stationen sollten multi­modale Knoten werden, mit Anbindung an die Umgebung durch Fahrräder, E-Bikes, E-Roller, Parkplätze und Mietautos.

Durch das kommende Parkpickerl in ganz Wien ist auch eine weitere Verlagerung vom Pkw zum öffent­lichen Verkehr zu erwarten. Wien bleibt damit Österreichs Klima­muster­stadt, mit dem am besten aus­gebauten öffentlichen Verkehr, klima­gerechter ver­dichteter Verbauung, einem gut aus­gebauten Fern­wärme­netz und dem geringsten CO2-Ausstoß pro Kopf aller Bundes­länder. In den nächsten Jahren sind hier aller­dings weitere Anstrengungen nötig: Ersatz für fossile Energie­träger, thermische Iso­lierung, Ausbau des Fern­wärme­netzes, des öffentlichen Verkehrs, des Radwegenetzes . . .

Verdichtung in Aspern

Die Seestadt Aspern ist geradezu das Gegen­beispiel zu den Einfamilien­haus­siedlungen in Nieder­österreich, da hier klima­gerecht ver­dichtet gebaut und von Anfang an eine U-Bahn errichtet wurde. Der CO2Ausstoß und auch der Flächen­bedarf für Wohnungen und Ver­kehrs­flächen sind daher um ein Viel­faches geringer. Gerade bei den Straßen­ver­bindungen fehlen hier aber noch die Anbindungen ans Straßen­netz des 22. Bezirks. Wenn in der Seestadt einmal 20.000 Menschen wohnen und weitere 20.000 arbeiten sollen, ist die gegen­wärtig sparta­nische Anbindung nicht aus­reichend. Jedes andere Stadt­gebiet mit ähnlicher Bevölkerungs­größe hat ein Viel­faches an Straßen­flächen, bei Ein­familien­haus­siedlungen in Nieder­österreich ist es noch einmal weitaus mehr.

Auch das Stadterweiterungsgebiet Leberberg in Simmering hat, obwohl weniger Ein­wohner als die Seestadt, eine vier­spurige Stadt­straße: die Etrichstraße. Würden Klima­schützer diese zu blockieren versuchen, weil man ja keine vier­spurigen Stadt­straßen benötige, würden sicher nicht wenige Anrainer dagegen demons­trieren. Die Etrich­straße hat aber auch einen separaten Fahr­radweg, der besonders im Sommer sehr stark genutzt wird, weil man damit in 15 Minuten vom Leber­berg auf der Donau­insel ist. Simmering ist durch zwei Tram- und mehrere Buslinien gut öffentlich angebunden - was noch fehlt, ist der zuvor erwähnte Schnell­bahn­ring mit Halte­stelle Kaiser­ebers­dorf, hier ist das zuständige Umwelt­minis­terium säumig.

Unter der ungenügenden Straßen­anbindung leidet die Entwicklung der Seestadt. Die Umwelt­ver­träglich­keits­prüfung ergab, dass bis zum Vorhan­den­sein einer leistungs­fähigen Er­schließungs­straße nur ein Teil des geplanten Bau­volumens um­gesetzt werden kann. Denn die wenigen vor­handenen Zufahrts­straßen dürfen durch das Projekt nicht über­be­lastet werden. Ohne zusätz­liche Straßen­anbindung keine volle Ent­wicklung der Wohn­bauten und der Betriebs­an­siedlung in der Seestadt.

Eine dichte Bebauung benötigt eben auch eine ent­sprechende Infra­struktur, die aber, da eine Zer­siedlung ver­mieden wurde, nur einen ent­sprechend geringeren Flächen­bedarf aufweist. Diese leistungs­fähige Infra­struktur wie etwa eine U-Bahn macht nur Sinn bei dichter Bebauung, da sonst die Aus­lastung nicht gegeben ist. Gegen­über einer zer­siedelten Land­schaft muss es aber in der Stadt auch leistungs­fähige Straßen geben. Eine vier­spurige Stadt­straße ist unter Umwelt- und Klima­gesichts­punkten immer noch sinn­voller, als wenn die Menschen, weil sie in Wien nicht genügend Wohn­raum mit guter Infra­struktur vor­finden, in Ein­familien­häuser aufs Land ziehen, wo dann nicht eine vier­spurige, sondern dutzende zweis­purige Straßen gebaut werden.

Schädlicher Klimabonus

Die Seestadt braucht zusätzliche Straßen­an­bindungen. Ob nun die geplante vier­spurige Stadt­straße oder Alter­na­tiv­projekte wie etwa eine multi­funktio­nelle Straße mit dichter Rand­bebauung direkt in der Trasse der Ostbahn als grünen Boulevard wie vom Stadt­planer Johannes Fiedler vor­ge­schlagen, sollten Bezirk und Stadt beur­teilen. Es sollte auch über­legt werden, die Bevölkerung in den betroffenen Bezirken zur Donau­querung - ob mit Tunnel oder wie ur­sprünglich vor­gesehen mit Brücke, die dann aller­dings auch Fahr­rad­wege bein­halten sollte - und auch zur Stadt­straße in der See­stadt zu befragen.

Wohnen in Wien mit guter Verkehrs­infra­struktur bedeutet immer noch weniger Energie- und Flächen­ver­brauch samt Ver­siegelung als Ein­familien­häuser im Wiener Speck­gürtel. In urbanen Zentren lebt man klima­ver­träglich, nicht aber in Suburbia, in den Vor­städten. Das Leben in der Vor­stadt, ver­ursacht mindestens doppelt so viele CO2-Emissionen wie das Leben in der Stadt. Die türkis-grüne Bundes­regierung fördert klima­schädliche Ver­halten auch noch mit einem doppelt so hohen Klima­bonus: Der SUV-Besitzer mit Villa im Grün­gürtel erhält bis zu 200 Euro, die Allein­erzieherin in der Wiener Gemeinde­wohnung 100 Euro.

Und Österreich zieht nach wie vor Lkw-Verkehr durch billigen Diesel an. Das Diesel­privileg ist deshalb zu beenden. Wichtig wäre auch die Ein­führung einer flächen­deckenden Lkw-Maut in Öster­reich, um den Güter­verkehr ver­stärkt an den Straßen­kosten zu beteiligen und zur Ver­lagerung auf die Schiene bei­zu­tragen. Die Säumig­keit hier ist für das Klima wesent­lich schäd­licher als eine Wiener Stadt­um­fahrung mit Donau­querung und Stadt­straße. Die Klima­schützer sollten daher vor dem Umwelt- und Finanz­minis­terium gegen diese klima­schädlichen Sub­ventionen und für den Aus­bau des öffent­lichen Ver­kehrs, wo der Bund weniger tut als die Stadt Wien, demonstrieren.

Die erzielten Einnahmen aus höherer Diesel­steuer und Lkw-Maut könnten zur Ab­schaffung des Öko­strom­zu­schlages und zum Ausbau des öffent­lichen Ver­kehrs ver­wendet werden. Davon würde jeder Haus­halt sofort profi­tieren. Hier werden ganz offen­sicht­lich völlig falsche Anreize gesetzt.

Jahrzehntelanges Versagen

Sind die selbsternannten Klima­schützer in Aspern erfolg­reich, werden die Straßen und Wohnungen nicht gebaut und die Betriebe nicht an­ge­siedelt. Als Ergebnis werden noch mehr Menschen statt in Wien im Speck­gürtel wohnen und mit dem Auto zur Arbeit pendeln - und dadurch sowie durch ihre Wohn­situation die CO2-Emis­sionen weiter erhöhen. Ver­mutlich kommen auch viele Klima­schützer aus Wohn­gebieten, die pro Kopf über ein Viel­faches der Straßen­fläche der dies­be­züg­lich unter­aus­ge­statteten See­stadt verfügen.

Sie haben aber eine wichtige Funktion, nämlich die Politik in Richtung Klima­neutrali­tät zu treiben. Öster­reichs Umwelt­minis­terinnen und -minister haben hier - mit Aus­nahme von Leonore Gewessler - jahr­zehnte­lang versagt, sodass Öster­reich bei der Reduktion des CO2-Aus­stoßes zu den Nach­züglern in der EU gehört. Wir haben jahr­zehnte­lang nicht auf die Warnungen der Wissen­schaft gehört und müssen nun eine extrem rasche Trans­formation der Wirt­schaft er­reichen, die durch die nunmehr er­forder­liche Kapital­ver­nichtung natür­lich teurer ist, als wenn wir schon früher reagiert und mit der Trans­for­mation be­gonnen hätten.

Auch ich engagiere mich sehr stark für den Klima­schutz. In den 1990ern habe ich als wirt­schafts­poli­ti­scher Berater der damaligen Finanz­minister an der Ein­führung der Asfinag mit­gewirkt, die damit begann, dem Ver­kehr seine externen Kosten zum Teil an­zu­lasten, weil ich schon in meiner Diplom­arbeit fest­ge­stellt hatte, dass ins­be­sondere der Lkw-Verkehr seine Straßen­kosten nicht bezahlt. Ich habe auch in deutscher Regierungs­kommission zum Infra­struktur­ausbau (Fratzscher-Kommis­sion) mit­gea­rbeitet, wo ich das Asfinag-Model präsen­tierte, das dann auch für Deutsch­land vor­ge­schlagen und mit der Auto­bahn GmbH groß­teils um­ge­setzt wurde.

2-Steuer von 30 Euro je Tonne, jährlich steigend, mit Grenz­aus­gleichs­mechanismen gegen Carbon Leakage. Ich arbeite ehren­amtlich seit Jahren in der "European Task Force on Carbon Pricing" mit, wo ich heuer in den Vor­stand auf­genommen wurde. Dort engagieren wir uns mit EU- und nationalen Behörden, der Wirt­schaft, Wissen­schaft und inter­natio­nalen Organi­sationen für den Klima­schutz, ins­besondere durch einen CO2-Preis mit Lenkungs­effekt, aber zum Beispiel auch für die Senkung der Methan­emissionen. Mit der Task Force arbeiten wir inter­national seit Jahren auch mit China zusammen, das heuer ein CO2-Handels­system nach dem Muster der EU ein­ge­führt hat, und haben seit US-Präsident Joe Biden auch die Zusammen­arbeit mit den USA begonnen.

 

Franz Nauschnigg war bis zu seiner Pensionierung im Mai 2019 Abteilungsleiter für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). In den 1990er Jahren beriet er die Finanzminister Andreas Staribacher, Viktor Klima und Rudolf Edlinger. - © Christine Weinberger

Franz Nauschnigg war bis zu seiner Pensionierung im Mai 2019 Abteilungsleiter für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). In den 1990er Jahren beriet er die Finanzminister Andreas Staribacher, Viktor Klima und Rudolf Edlinger. - © Christine Weinberger

 

 

 

 

 

Wiener Zeitung vom 19.01.2022
https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2134670-Fehlgeleiteter-Klimaschutz.html

Posted by Wilfried Allé Wednesday, January 19, 2022 12:43:00 PM